Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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28. An Gräfin Schönburg-Wechselburg

Kairo, Dezember 4, 1843

Ich weiß nicht meine liebste Emy, ob es Ihnen wohl auch so geht, daß Stätten und Länder, die Sie nie gesehen haben, sich Ihnen unter einem bestimmten Bilde vor die Seele stellen. Mir geschieht es oft. Der Nil hat sich zum Beispiel in meiner Phantasie ganz mit der Isis verwebt und zwar nicht mit der mumienhaften schwarzen Gestalt, der man in unseren ägyptischen Museen diesen Namen gibt, sondern wiederum mit meinem Phantasiebilde der Isis, als einer herrlichen dunklen Frau mit tiefen, schwarzen Augen, mehr Zauberin und Königin als Göttin, mit mystischen Attributen, die zugleich auf Zauberstab und Zepter deuten. Zu ihren Füßen floß der Nil – aus der unerforschten Wüste ins unergründliche Meer, ein unermüdlicher Segensstrom, den die Völker seit Jahrtausenden nur durch seine Wohltaten kennen, und sie hielt die Hand über ihm ausgestreckt. Man sieht ja dergleichen innerlich. Nun war ich aber unsäglich erwartungsvoll wie der Nil in Wirklichkeit aussehen möchte, und ob mein altes Phantasiebild auch künftig damit übereinstimmen könnte. Ich habe auf dieser Reise, und besonders zuletzt über die Wüste, gründliche Enttäuschungen erfahren; aber der Nil hält mir Stich: die Isis darf neben ihm stehen bleiben mit ihren mächtigen, schwarzen Augen! – Wir waren schon drei Tage im Niltal gereist, hatten sein Wasser getrunken und gesehen, aber nur so wie es teichähnlich seit der Überschwemmung auf dem Erdboden stand, ihn selbst, den Fluß in seinem Bett, konnten wir nicht gewahr werden und Kairo selbst liegt nicht unmittelbar daran. Um ihn zu sehen muß man nach dem kleinen westlichen Hafenort Bulak oder nach dem südlichen Alt-Kairo, das man auch Fostat nennt. Am Tage meiner Ankunft mochte ich nichts sehen, als liebe Briefe, und am andern Tage auch noch nichts. Hier wo ich Zeit habe, gönne ich sie mir. Nur den Esbekyeh-Platz auf dem wir wohnen umgingen wir. Es wird noch an ihm gearbeitet, denn er ist ein großer Sumpf gewesen, der jetzt ganz ausgetrocknet, aber noch nicht vollständig mit Bäumen, Kanälen und Wegen versehen ist. Vollendet, wird er mit den schönsten in Europa wetteifern können. Ihnen bedeutet das nichts. Ein schöner Promenadenplatz ist etwas sehr Angenehmes, gewiß! Doch nichts Staunenswertes. Liebe Emy, bei mir ist Erstaunen die vorherrschende Empfindung: Ein Türk pflanzt Bäume! Ein Türk denkt an die Zukunft! Aber das ist ja etwas Unerhörtes im Orient. Seit drei Monaten habe ich nichts gesehen als Ruinen und Verwahrlosung, wenn nicht das Bedürfnis gebieterisch diese oder jene notdürftige Pflege des Bodens befahl, und jetzt plötzlich nutzlose Bäume in Fülle, wie auf einer spanischen Alameda – o, das ist ausnehmend merkwürdig! Klima und Erdreich geben auch freilich Luft zu pflanzen. Steckt man ein Reis in den Boden, begießt man es, so ist es in ein paar Jahren ein weitschattender Baum. Alle Pflanzungen und Anlagen um Kairo sind, wenige Palmen ausgenommen, von Mehemed Ali und Ibrahim Pascha gemacht oder veranlaßt, also seit ungefähr dreißig Jahren entstanden, und sie prangen wie bei uns nach einigen Menschenaltern. Wie das schön ist, so eine mit frischem Grün durchwebte große Stadt!

Gestern endlich wollte ich denn doch über meinen Platz hinaus. Vor dem Gasthof stehen immer eine Menge Esel mit ihren Treibern auf den Wink der Fremden harrend, charmante Geschöpfe, die ich wahrhaft mit Bedauern Esel nenne. Dadurch daß man ihnen in ihrer Kindheit die Füße auf derselben Seite zusammenbindet, gewöhnt man ihnen einen Paßgang an, in dem sie unglaublich behende und schnell laufen – die Führer nebenher, ohne zu keuchen, dermaßen sind sie eingeübt. Ich ließ meinen Sattel auflegen, und wir ritten nach Alt-Kairo zum Nil. Alt-Kairo ist die Mutterstadt von Kairo. Wo der Feldherr des Omar, wo Amru sein Zelt aufschlug, als er die Eroberung Ägyptens machte, und wo eine nistende Taube sich als günstige Vorbedeutung auf seine Zeltstange setzte, die er stehen ließ, um den kleinen Gast nicht zu stören, da gründete er eine Stadt und nannte sie Fostat – so heißt das Zelt auf arabisch. Erst drei Jahrhunderte später legten die fatimidischen Kalifen das jetzige Kairo an, das auf arabisch Cahira, die Siegreiche heißt. Jetzt ist Fostat arm und verlassen, aber den Fremden merkwürdig wegen der berühmten uralten Amru-Moschee. Wir ritten bis zum Fluß und setzten über seinen einen Arm nach der Insel Rouda, an deren südlichster Spitze der Nilometer sich befindet, eine uralte Säule aus den Zeiten der ägyptischen Könige, an der man das Steigen und Fallen des Wassers beobachtet. Diese Insel spaltet den Fluß in zwei Arme, aber breit und mächtig kommt er aus Süden; nicht schnell – er gefällt sich in dem frischen grünen Uferbett, das er sich selbst bereitet hat; nicht reißend – er hat keine zerstörende Bestimmung; aber so recht ein Bild stiller, starker Ruhe voll unermeßlicher Schöpferkraft. Girlanden und Sträuße von Palmen, eben so still und majestätisch wie er, schmücken seinen Lauf, und die Pyramiden blicken ernst und hoch von der Grenze der libyschen Wüste herüber. Es liegt eine Ruhe über diesem Bilde ausgebreitet, wie ich sie geträumt haben muß, wenn ich ehedem von der Ruhe des Orients sprach, und wie sie mir bis jetzt nirgends entgegengetreten ist. Nicht das versteinerte Jerusalem, nicht die tote Wüste sind in diesen goldnen Rahmen der Ruhe hineingeschmolzen, sondern in den farblosen des Grabes, und das macht nur traurig, müde und gleichgültig. Hier ist es lieblich ernst, so recht wie es sich schickt für das Land voll tiefsinniger Weisheit, aus deren Quell Solon, Pythagoras, Plato schöpften, und der man sich näher wähnt, wenn man im Anschauen dieses geheimnisvollen Stromes und dieser wunderbaren Pyramiden in die Tiefe der Zeiten hinabgleitet. Das ist nun freilich ein Wahn, denn könnte man durch sehen weise werden, so müßte ich es längst sein, denn ich habe viel gesehen, was von Weisheit erzählt.

Auf dem andere Ende der Insel Rouda hat Ibrahim Pascha weitläufige Gärten, die man hier englische und französische nennt, weil jene großen Rasenplätze, diese Hecken von Myrthen und Hibiskus haben. Die kennen wir in Europa besser! Was unserem Auge an ihnen gefällt sind diese köstlichen, fremdländischen Pflanzen, die man bei uns kaum in Treibhäusern sieht, und die im Freien gedeihen, sogar der Kaffeebaum und die Vanille. Wie ein großer Blumenkorb schwimmt dies freundliche Eiland auf den breiten stillen Fluten in einer Atmosphäre von Rosen-, Myrthen- und Akazienduft. Kanäle ziehen sich um die Rasenplätze, Wasserbecken tauchen aus den Blumenpartien auf. Mehrere Häuser von Ibrahim Pascha liegen in den anmutigsten Umgebungen, eines wird vom griechischen Konsul bewohnt. Wenn nicht unfehlbar in jedem Frühling die Pest ausbräche, und wenn man ihretwegen nicht die lästige Quarantäne überstehen müßte, so würde die haute volée der Reiselustigen den Winter in Kairo statt in Neapel zubringen können, und gewiß mit gleichem Genuß. Der Esbekyeh-Platz würde die Chiaja werden. – Wir verbrachten ein paar Stunden auf Rouda. In den Gärten begleitete uns teilweise, doch nicht zudringlich, ein Gärtner, und gab mir einen prächtigen Rosenstrauß von rötlichem Weiß bis zum tiefsten Dunkelrot schattiert. Die Sonne sank, und wir waren noch immer da! Die Pyramiden sahen auf dem Purpur des Abendhimmels unerhört großartig aus. Ich konnte mich nicht satt an ihnen sehen. Zuletzt schwebte der Abendstern über der einen, wie ein geheimnisvoller, unsterblicher Gedanke, der über allem menschlichen Tun und Treiben steht, der allem menschlichen Schaffen innewohnt, wenn dieses auch zuweilen im Material oder im Ausdruck ihn nicht ganz richtig wiederzugeben vermag, der wie eine mystische Flamme aus dem Schlußstein eines großen Werkes auffährt, und der Durst nach Unsterblichkeit heißt. Alter Cheops! Deinem Staube wolltest du ein Grab erbauen, in welchem er sicher ruhen möchte, bis nach Jahrtausenden deine Seele ihre Peregrinationen vollendet hätte und, zur ersten abgestreiften Hülle wiederkehrend, sie von neuem sich mit ihr bekleiden und sie durchgeistern könnte. Ach, dein Staub! Wohin ist der verweht? Ausgewüstet und leer sind die Grabkammern. Der geldgierige Araber hat sie nach Schätzen und Kleinodien durchwühlt, der Altertumsforscher sie nach Haltpunkten und Aufschlüssen für seine Wissenschaft durchspäht, der Kunstliebhaber sie geplündert, der Fremdling sie staunend oder neugierig durchkrochen. Tausende haben deinen Staub, den du unberührt haben wolltest, mit Füßen getreten und ihn in alle vier Winde zerstreut. So geht's, wenn man das Sterbliche unsterblich machen möchte: es wird unendlich gedemütigt.

Endlich mußten wir denn doch heimkehren, wieder über den Nil setzen und durch die schönen breiten Alleen nach Kairo reiten. Massen von Eseln begegneten uns, die vermutlich in der Stadt ihr Tagewerk vollbracht hatten und nun nicht anders als im Galopp heimgetrieben wurden. Reiter zogen desselben Weges wie wir, militärisch aussehende Männer zu Pferd; arabische Frauen in ihren Dominos von schwarzem Taft mit dem halbmaskenartigen Schleier unter den Augen auf Eseln, und von ihren Dienern im Rücken unterstützt, sobald es schnell vorwärts ging; europäische Frauen, unabhängiger im englischen Sattel sitzend; Franken, Türken, Araber, Reisende, alle bunt und munter durch einander auf den breitesten Wegen – gar nicht mehr so unbeweglich, gar nicht mehr an die Cafés geschmiedet. Mit Kairo bin ich, wie mir scheint, in eine neue Phase des Orients getreten.


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