Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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17. An meine Mutter

Damaskus, Sonntag, Oktober 15, 1843

Du kannst Dir gewiß nicht vorstellen, liebe Mutter, mit welchem Gefühl ich vorgestern um 5 Uhr nachmittags zum Tor von Damaskus hineinritt. Mit Angst, mit großer herzklopfender Angst. Ich hatte soviel von der fanatischen Gesinnung der Einwohner gehört, von ihrem Haß gegen die Christen, es sind so wenig Franken hier ansässig und die Zahl der Reisenden, wenigstens der Reisendinnen ist so gering, daß mir nicht wohl zu Mut war. Ich sagte natürlich nichts und ließ mir nichts merken, denn es war nichts zu machen, aber mir schlug das Herz. Es war Freitag, der mohammedanische Sonntag, und alles Volk auf den Beinen, weil der erlösende Kanonenschuß bald fallen mußte, der ihm seine Genüsse erlaubte. Es strömte also den Kaffeehäusern, den Bäckern und sonstigen Eßwarenladen zu, um Speisen, Getränk und Pfeife gleich unter der Hand zu haben. Dies alles wird unter Bazars feilgeboten, die sich durch nichts von den grenzenlos schmalen krummen Gassen der Stadt auszeichnen, als dadurch, daß man von einem flachen Dach zum andere quer über die Straße Reisig, Stangen, alte morsche Bretter legt, sie mit abgenutzten Strohmatten und Lumpen von Teppichen, Kleidern etc. bedeckt, und die Häuser in winzige, schrankähnliche, hölzerne Buden verwandelt. Das ist ein Bazar, und halb Damaskus ist ein solcher. Gleich hinter dem Tor beginnt einer und zwar ein so schmaler, daß ich die größte Mühe hatte nicht mit meinen Füßen an die großen Turbane der Leute zu stoßen, die zu meiner Linken gingen, und die keinen Platz zum Ausweichen, als etwa die Ladentische hatten. Unsre Packpferde sperrten zuweilen förmlich den Weg, weil das Gepäck ihnen seitwärts hing; dann gab es Getümmel. Ohnehin ist es am hellen Tage finster in diesen abscheulichen Bazars, geschweige denn gegen Abend. So gelangten wir vor das Haus des preußischen Konsuls, dem der Generalkonsul aus Beirut geschrieben hatte um ihn zu bitten mir zu einem Unterkommen behilflich zu sein; denn hier ist zwar eine Art von Gasthof, aber zu schlecht, und ob das Pilgerhaus der Franziskaner Frauen aufnimmt, das wußten wir nicht. Siehe da, der Konsul war nicht zu Hause, seine Frau hatte weder von einem Brief noch von Reisenden die da kommen sollten gehört: klar wars, der Brief des Generalkonsuls war nicht angekommen. Also rechtsum und zu den Franziskanern, wieder durch die unseligen Bazars. Auch der Pater Guardian war in Geschäften abwesend, indessen verhieß der Schaffner doch ein Obdach irgendwie uns anzuweisen; für Männer hat es keine Not, die können im Kloster selbst wohnen! Aber für die unglücklichen Frauen ist es schwer. Während wir warteten kam der Konsul um zu bestätigen, daß kein Brief angelangt sei, und endlich die Hauptperson, der Guardian, ein kleiner freundlicher Greis, von Geburt ein Spanier, der uns herzlich willkommen hieß und die ganze Casa nova zu unserer Verfügung stellte; – so wird das Herbergshaus genannt, das in allen Klostern die zur Terra santa gehören, für Fremde, Reisende und Pilger, außerhalb der Klausur, aber in der Nähe der Klostergebäude sich befindet. Im großen Zuge, Lichter voran, wanderten wir, abermals durch einen Bazar! dahin; der Konsul, sein Kawass, der Dragoman des Klosters geleiteten uns, und da die Casa nova nur zwei Räume hat – Zimmer kann man wirklich nicht sagen – so ist in der Tat das ganze Gebäude nicht zu groß für uns. Dieser feierliche Umzug durch den Bazar geschah aus Rücksicht für die Welt. Ein Frauenzimmer sollte nicht innerhalb der Klausur verschwinden. Jetzt machen wir es uns bequem und gehen immer durchs Kloster, dessen einer Korridor gerade vor dem Vorzimmer der Casa nova ausläuft. So dürftig sie nun auch sein möge, war ich seelenfroh, als wir unter Dach und Fach waren. Eine starke Tagesreise zu Pferd, heftiger Wind seit drei Tagen, dann ein wenig Angst und zuletzt die Unruhe von wenigstens zwei Stunden, während welcher ich noch obenein Konversation machen mußte mit dem Bruder Schaffner, mit dem Konsul, mit dem Guardian, und zwar in Sprachen, die ich nicht verstehe, spanisch und italienisch – hatten mich ganz matt gemacht so daß mir mein Zimmer unvergleichlich gut vorkam, als ich mich allein darin befand. Die guten Väter wollten uns auch, wenns Not tue, beköstigen; allein das macht ihnen unnütze Mühe, und wir haben es weit besser, wenn Giorgio sich als Koch zeigt; so hat sich allmählich aus dem Unbehagen des ersten Abends ein ganz erträglicher Zustand entwickelt. Aber auch nur erträglich! Angenehm – mit nichten! Damaskus ist nicht der Ort, wo man, sowie man das schlechte Obdach verläßt, augenblicklich vergißt, das es schlecht ist. Man hat so wenig zu sehen in Damaskus, eigentlich nichts, als das Innere einiger Häuser der Reichen; aber durch die ganze, große, weitläufige Stadt kannst Du gehen, ohne etwas Sehenswürdiges zu finden, da die berühmte Moschee der Omajaden mit eiserner Strenge den Christen verschlossen bleibt. Du gehst immerfort durch schmale Gänge – Straßen kann man sie nicht nennen, da kein Haus grade neben dem andern liegt, – biegst immerfort um eine Ecke nach der andern, trittst auf einen lebendigen Hund oder eine tote Ratte, oder in ein Loch des Straßenpflasters, und siehst nichts als neben, vor und hinter Dir Mauern von Lehm, in denen ganz niedrige Türen angebracht sind, und alle zehn Schritt höchstens ein mit dicken Holzstäben vergittertes Fenster. Trittst Du in einen Bazar, so siehst Du vollends nichts, denn drin ist's finster, und gewöhnt sich Dein Auge an die Dunkelheit, bleibst Du gar vor einem Kaufladen stehen um etwas zu kaufen, so wirst Du von Neugierigen dermaßen umringt, daß Du Gott dankst aus dem Gewühl heraus zu kommen. In der ganzen großen Stadt Damaskus ist kein freier Platz, kein Ort wo Du Atem schöpfen und reine Luft genießen könntest. Überall bist Du von Lehmmauern umgeben, und diese Mauern, die Häuser, die Dächer, die Straßen, die Menschen, die Tiere – alles staubt. Dein Kleid hat einen fußhohen Saum von Staub, Deine Chaussüre ist staubfarben, Du streifst ganz unvermeidlich an ein paar Leute aus dem Volke oder an eine Wand, und Deine Mantille ist fingerdick bestaubt; Du gehst durch die Bazars, und Staub rieselt von oben auf Dich herab; kurz, in dieser Jahreszeit ist Damaskus eine trockne, staubende Lehmgrube, in welche Gänge gegraben sind. So und nicht anders kommt mir in Wahrheit die Stadt vor. Aber nun kommt die Überraschung! Die ist ganz so als wenn eine Fee Dich vor einen Maulwurfshaufen führt und Dich fragt: Was siehst Du? – und Du sprichst ein wenig mißvergnügt: »Einen Maulwurfshaufen.« – Nun berührt sie ihn mit ihrem Stabe, und spricht: Tritt hinein und was siehst Du jetzt? – »Ah jetzt... ein Zauberschlößchen!« – Mein Zauberer ist der gute Konsul. Er bemüht sich für mich, als wäre ich ihm durch fünfzig Briefe empfohlen und als hätte er nichts zu tun als mich zu amüsieren. Das ist doch wirklich ungemein gütig gegen eine Person, die ihm wie vom Himmel vor die Tür gefallen ist, und für die er nicht einmal das oberflächliche Interesse der Landsmannschaft haben kann, da er aus einer israelischen Familie und in Syrien geboren ist. »Darum sollt ihr den Fremdling lieben, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland«, spricht Moses. Und allerdings: fremd bis zur Unheimlichkeit fühle ich mich in Damaskus.

Das Interessanteste sagte ich sei das Innere der Häuser; da diese nun alle Privatpersonen gehören, so mögen sie wohl nicht immer zugänglich sein; und zu ihnen bahnte er mir die Wege. Gestern früh erschien sein Kawass in der Casa nova, ein Elegant ersten Ranges der täglich mit Kleidern wechselt und immer von seinem Mohren begleitet wird, und der uns auf jedem Schritt und Tritt folgt, der Sicherheit wegen, oder eigentlich vorangeht und dabei mit seinem langen Stock mit silbernem Knopf auf das Steinpflaster stößt, um dem Volke zu bedeuten Platz zu machen. Wie eine Sonne wandelte er gestern durch die dunklen Bazars vor uns her, ganz in feuerfarbenes Tuch gekleidet mit Goldschnüren auf allen Nähten und mit einem golddurchwirkten Keffijeh – (Kopftuch) um den Tarbusch; sein Mohr als dunkler Mond hinter ihm drein. Ich machte der Frau des Konsuls meinen Besuch, und ging dann mit der ganzen Familie zu ihrer Verwandtschaft und Freundschaft um deren schöne Häuser und innere Einrichtung zu sehen. Da der Handelsverkehr zwischen Europa und Damaskus durch israelitische Kaufleute gemacht wird, so scheint er, nach ihren Häusern und dem Putz ihrer Frauen zu urteilen, recht einträglich zu sein, obgleich mir der Konsul sagte, daß an reiche Handelshäuser wie sie in Europa existierten, in der Levante nicht zu denken wäre.

Gestern war der israelitische Sonntag, und so sah ich die Damen in vollem Anzug, der allerdings recht prächtig ist. Der Tarbusch wird mit natürlichen Blumen, und mit Blumen, Rosetten, und Nadeln von Diamanten wie mit einem dicken Kranz umwunden; auf die Stirn müssen zwei oder drei große Smaragdtropfen herabfallen; das Haar rollt sich in Zöpfen und aufgelösten Locken über die Hüften herab, oder wird in eine Unzahl kleiner Flechten zusammen geflochten an deren unterem Ende ein Goldstück hängt. – (Zuweilen sind diese Flechten von Seide und werden wie falsches Haar getragen, woran es übrigens bei den meisten Damen auch nicht fehlt.) – Um den Hals rieseln Perlenschnüre in Masse; aber recht große Perlen habe ich nicht gesehen. Die Kleidung ist die orientalische, die weiten Pantalons, der zerschlitzte Rock, der enge Spenzer, der ganz tief ausgeschnitten um den Busen ist, und die Taille knapp umspannt wie ein Korsett; das Hemd von Gaze oder ich weiß nicht von welchem transparenten Stoff, der den Busen ein wenig verhüllen soll, aber schlecht gewählt für diesen Zweck ist. Die schneidendsten Farben sind die beliebtesten. Eine der Damen trug kirschfarbene Pantalons, einen Rock von weißem Perkal mit Ramagen von bunter Seide und Gold durchstickt, einen maigrünen Atlasspenzer, und einen gestreiften persischen Shawl um die Hüften. Eine andere zitronenfarbene Pantalons, einen rosenfarbenen Rock und einen schwarzen Samtspenzer. Eine dritte war ganz und gar in himmelblauen Stoff mit Goldkäntchen gekleidet, und hatte dazu einen süperben purpurfarbenen Shawl als Gürtel um. Dies alles klingt nicht übel, und gewinnt noch mehr, wenn ich hinzusetzen daß die Mehrzahl der Frauen sehr hübsch waren; – und doch, wenn sie mir entgegentraten war mein erstes Gefühl immer ein kleiner Schreck. Sie malen sich zu grell an! Die Augenbrauen ganz rund wie ein byzantinischer Bogen, kohlschwarz und fein; die Wangen sehr hübsch rot, nur eben kein warmes menschliches Kolorit; die unteren Augenlider bei den Wimpern mit einem schwarzen Strich, der sich bis zu den Schläfen hinzieht. Unter dieser Kruste muß man das Gesicht hervorsuchen. Die Gestalt ist mit dem zusammengepreßten und entblößten Busen, mit dem dicken Shawlgürtel um die Hüften nicht graziös, und was sie nun vollends steif und unbeholfen macht, ist die Gewohnheit auf Kabkabs zu gehen. Das sind kleine Stelzen oder Schemel von Holz mit Perlenmutter ausgelegt, fußhoch, die mit einem Lederriemen über den Fuß gehen, und auf denen sie im Hause beständig einherwandeln, sei es damit die Gewänder nicht an der Erde schleppen, oder damit sie selbst größer erscheinen, oder um sich die Füße nicht auf den Marmordallen zu erkälten. Sie steigen sogar Treppen mit Kabkabs hinauf und herab. Das erfordert freilich eine gewisse Geschicklichkeit, aber ungraziös bleibt es dennoch. Der Fuß muß immer ganz gradeaus gesetzt und das Bein steif gehalten werden, sonst verliert man die Maschinen, deren Geklapper überdas widerwärtig ist. Der Schritt schöner mit Diamanten geschmückter Frauen muß leicht und unhörbar sein. Ich dachte zuerst immer an Marionetten, die sich durch Kunst bewegen. Eine dieser Damen, groß und stark gebaut, ziemlich fett und recht hübsch, erwartete nächstens ihre Niederkunft. Als sie mir entgegenschritt, majestätisch klappernd mit ihren Kabkabs, höher als alle Männer, in den hellsten Farben gekleidet, die Unform der Gestalt weiß der Himmel wie ungeschickt durch einen gelben Shawl recht zur Schau gestellt: ich sage Dir, es war als ob eine Schachkönigin über das ganze Schachbrett mir entgegenrutschte, und ich dachte ob ich nicht gut tun würde wie ein Laufer Reißaus zu nehmen, denn der Anblick war einigermaßen fürchterlich.

Wie die Augen sich an die Finsternis gewöhnen müssen um die Gegenstände zu erkennen, so müssen sie, diesen Damen gegenüber, erst all die grellen, bunten, glänzenden Farben überwinden, ehe sie dazu gelangen die Gesichtszüge zu erkennen. Als die meinen nicht mehr geblendet waren, sah ich mich höchst erfreut zwischen hübschen Gesichtern. Meistens feine und in der Jugend zarte Züge; mit dem Alter werden sie freilich scharf, doch ohne die Feinheit zu verlieren. Besonders hübsch sind die Profile, der Schnitt von der Stirn zur Nase. Die Augen sind entstellt durch die Ummalungen; sie mögen schön sein, doch anziehend kamen sie nur nicht vor. Sie sind nicht tief wenn sie schweigen, nicht beredt wenn sie sprechen. Der Gruß besteht darin, daß man die Fingerspitzen der rechten Hand an die Lippen und an die Brust legt, und sich dann gegenseitig die Hand gibt. All diese Bewegungen werden von den Damen in der Luft gemacht, sehr leicht und schnell, mit den Fingern vom Mund zur Brust fliegend und sie dann gegeneinander ausspreizend. Ich, als eine biderbe Deutsche, legte friedlich und plump meine ganze Hand auf diese bemalten Finger, die von Henna und Diamantringen strahlten, und konnte mich dabei der Bemerkung nicht erwehren, daß Pariser Handschuhe sauberer aussehen. Dann nahm man Platz auf breitem Sofa, und die Frau vom Hause bediente nach orientalischer Sitte selbst ihre Gäste, reichte jedem Limonade, Konfitüren, und zuletzt die Serviette von Linon mit Gold befranzt und mit Seide gestickt, die man zum Munde führen muß. Pfeifen gab es nicht, weil es Sabbat war; dann darf der Israelit kein Feuer anrühren. Sonst raucht alles, Männer und Frauen, und größtenteils das persische Nargileh. Hier begreife ich das recht gut für Frauen; sie rauchen aus Langeweile, und müßte ich so sitzen in meinem Hof zu Damaskus, neben einer Fontäne, unter Oleander und Orangen, morgens um 11 Uhr mit Diamanten aufgeputzt, die Hände im Schoß – Herzensmama, binnen Jahresfrist rauchte auch ich. Wie ich es da eben habe, so verläuft ihr Leben. Die Existenz dieser reichen Frauen ist vielleicht die bequemste der Welt: sie lassen sich von ihrem Manne nach Herzenslust mit Diamanten, Perlen und Shawls schmücken, und machen dafür mit kühlem Anstand die Honneurs seines Hauses. Sie sehen auch wirklich recht imposant aus.

Die Szenerie war mir nicht minder merkwürdig als die lebenden Bilder selbst. War man in die Tür des Hauses getreten, hatte man sich durch einen engen, dunklen, überbauten und im Zickzack laufenden Gang gewunden, so stand man auf einem mit Marmor von verschiedenen Farben gepflasterten Hof, um den rings herum die verschiedenen Gemächer des Hauses, aber ganz unregelmäßig auslaufen. Hier ist der offene Liwán, da führt eine Treppe zu einer Terrasse empor, dort öffnet sich die Tür zum reichverzierten Saal. Lauben von Jasmin und Rosen, Oleandergebüsch, Zitronen- und Orangenbäume, wachsen aus dem Marmorfußboden hervor, in dessen Mitte der wasserreiche Brunnen mit Einfassung von Marmor Kühlung aushaucht. Die Säle sind sehr hoch und erst unter der Decke ziehen sich die Fenster hin, so sie von oben beleuchtet, und auch im Sommer kühl sind. Diese Decke ist von Holz, bemalt, vergoldet, mit Perlmutter ausgelegt. Eben so sind auch die Türen aufs Zierlichste gearbeitet, welche Wandschränkchen verschließen, die an den Wänden herumlaufen, und als Zierrat wie zur Bequemlichkeit dienen. Zuweilen sind diese Schränkchen ohne Türen und bilden dann kleine Nischen, welche saubere kleine Gewölbe und höchst graziöse Steinmetzarbeit zur Einfassung haben. Teppiche und Strohmatten bedecken den Fußboden, und der Teil des Zimmers, wo sich die Eingangstür befindet, ist immer bedeutend niedriger als der, wo das Sofa sich hinzieht. Vor diesem Absatz lassen die Damen ihre Kabkabs und die Diener ihre Schuhe stehen, so daß diese ihn mit bloßen Füßen und jene ihn mit bunten Maroquin-Pantoffeln betreten. Auch diese Pantoffeln bleiben wiederum vor dem Sofa stehen, denn sie ziehen gern die Füße nach sich, wenn sie sich setzen. Kein Zimmer hat mehr als eine Tür und die führt gewöhnlich unmittelbar ins Freie, zuweilen in den Liwán. Den Liwán stellst Du Dir am besten als einen sehr großen um eine Stufe erhöhten Alkoven vor, der aber nicht Anbau an einem Zimmer, sondern an dem Hof selbst ist so daß Du, immer auf dem Sofa sitzend, in freier Luft bist und das Wasser, die Blumen, zugleich aber auch Dein ganzes Haus übersiehst, da niemand hinein oder hinaus kann ohne über diesen Hof zu gehen. Zwei der elegantesten Häuser hatten aber erst einen Vorhof, um den die Zimmer der Dienstboten und der Wirtschaft liegen, und dann den inneren.

So besuchten wir fünf Häuser, alle in gleicher Weise gebaut und eingerichtet, und nur an Größe und an zierlicher Arbeit des Schnitzwerkes und der Steinmetzerei verschieden. Das Schönste von allen bewohnt der englische Konsul, der es möglich gemacht hat das seine auch höchst komfortabel einzurichten, natürlich mit europäischen Möbeln. In den übrigen findet man außer Sofa und Teppich nur große Kisten von Pinienholz mit Messingnägeln beschlagen; das ist die eigentliche orientalische Einrichtung. Hier und da ein Strohstuhl oder – eben wollte ich sagen ein Tisch; aber mir fällt ein, daß ich nur einen Eßtisch heute beim preußischen Konsul gesehen habe; also sind Strohstühle wirklich das einzige fremdländische Möbel in jenen hübschen Häusern. Alles soll aber nichts sein gegen das Haus von Assad Pascha, wohin mich der Konsul morgen führen will, und das die wenigsten Reisenden zu sehen bekommen, weil der Besitzer ein Türke, also nicht recht zugänglich ist. Ein Khan, von demselben Assad Pascha im vorigen Jahrhundert erbaut, ist das schönste öffentliche Gebäude in Damaskus. In Konstantinopel ist der Khan zugleich Kaufhaus und Herberge für reisende Kaufleute; in Syrien ist der Khan ein Dorfwirtshaus; aber dieser ist zugleich Bazar und Börse. Er ist wirklich magnifik, mit drei schön geschwungenen Bogenreihen, mit neun Kuppeln überwölbt, mit einem großen Bassin in der Mitte, alles erbaut aus einem abwechselnd weißen und schwarzen Stein, so daß das Ganze wie mit einer Zebrahaut bekleidet aussieht, elegant wie ein Salon und geräumig wie ein Marktplatz. Da machen die Kaufleute ihre Geschäfte und Spekulationen, und die Magazine der vornehmsten wie ihre Comptoirs laufen rund umher – waren aber sämtlich des Sabbats wegen geschlossen.

Der Gebrauch Gebäude streifenweise mit schwarzen und weißen Steinen zu bekleiden, den man auch in Italien bei den alten Domen von Monza und Siena und anderen findet, ist hier ziemlich allgemein; dort ist es Marmor, hier Stein, verschiedene Minarette sind damit bekleidet. Auf das höchste Minarett von Damaskus wird Christus am jüngsten Tag herniederfahren und Weltgericht halten, erzählt die Legende. Ich finde kein einziges dieser Ehre würdig; alle sind etwas plump, und gänzlich ohne die schlanke Leichtigkeit, welche bei denen zu Konstantinopel den Mangel an architektonischem Schmuck ersetzt. Von der hochberühmten Moschee der Omajaden kann ich nicht sprechen, denn ich habe ihr Inneres nicht gesehen. Wir wurden in ein Kaffeehaus geführt, und der Wirt führte uns wiederum auf sein Dach, und dann auf verschiedene Nachbardächer, bis wir einen Blick in den Vorhof und auf die Kuppeln werfen konnten, der aber durchaus ungenügend war. Der sogenannte große Bazar umgibt ringsum mit seinen dunklen engen Budengassen die Moschee, und Türen standen geöffnet, die in sie hineinführten. Als wir durch den Bazar gingen, wünschten wir ein wenig vor diesen Türen zu bleiben um ins Innere zu schauen, nur so aus der Ferne, aber unsre Sonne wandelte unaufhaltsam mit ihrem Trabanten weiter, und der Dragoman sagte: das Volk leide es nicht gern. Da die Orientalen alle an die Gewalt des »bösen Blicks« glauben, so fürchten sie vielleicht die Christen könnten ihre Moschee mit Blicken in Grund und Boden bohren! Anders ist solche Mißgunst ja gar nicht zu erklären. Von jenen Dächern hatten wir auch eine Aussicht auf das alte Schloß, das eine plumpe Ruine ist, neben welcher eine einsame Palme ganz niedergeschlagen Wache hält. Die Kreuzfahrer und die Mongolen mögen da gehaust haben; das glaubt man gern, wenn man es in der Nähe betrachtet. Daß aber Kalifen es bewohnt haben, ist schwer zu glauben, wenn man noch die Erinnerung an ihre spanischen Schlösser, an den Alcazar zu Sevilla, und an die Alhambra, so frisch wie ich im Gedächtnis hat.

Heute früh machten wir wieder große Exkursionen durch die Stadt. Ich konnte mich gar nicht überzeugen, daß Damaskus ohne alle Monumente schöner arabischer Architektur sein könne. Aber es ist so. Bei diesen Streifereien kamen wir in einer Vorstadt zu der berühmten uralten Platane, deren Stamm einen Umfang von 40 Fuß hat und die das frischeste Laub und die kräftigsten Äste trägt, und an viele Gottesäcker und Grabmäler von berühmten mystischen Gelehrten und Heiligen, deren Hauptschule hier in Damaskus bestand. Aber wir durften uns nicht bei ihnen aufhalten; die Vorübergehenden sahen uns mißbilligend an und der Kawass schüttelte den Kopf mit dem goldbetroddelten Keffijeh. Liebe Mutter, es macht einen fatalen Eindruck um seines Glaubens willen verachtet zu werden. Ich möchte immer zu den Leuten sagen: »Aber seid doch nicht so unsinnig mich wie ein schädliches Gewürm zu betrachten! Wir glauben ja alle an den einen Gott, den Euch Mohammed, den uns Christus verkündet hat! Es ist ja wirklich dumm der verschiedenen Boten wegen sich zu hassen, die eine himmlische Botschaft bringen.« – Nun, das weiß ich: seitdem ich erfahre wie einem zu Mut ist wenn man um der Religion willen verachtet wird, werd' ich wahrlich niemand verachten und wenn er auch an den Gott Apis glauben sollte. Ich denke ich habe es auch ohnehin nie getan.

Durch unendliche Bazars kamen wir zurück, die Damaskus als eine sehr handeltreibende Stadt zeigen. Ein und derselbe Gegenstand füllt immer ganze Straßen, hier sind es Kabkabs in allen Großen und Höhen, von ganz gewöhnlichen bis zu äußerst zierlich eingelegten; da sind es Kinderschuhe von rotem Maroquin; da Keffijehs; da alle Sorten von Kisten und Kasten mit Metallnägeln beschlagen; da seidne Kaftans von den glänzendsten Farben. Ich hab einen für meinen Bruder gekauft, der ihn als Schlafrock wird brauchen können. Im Grunde ist nichts Hübsches daran als der Schnitt der hängenden Ärmel und die Kuriosität aus den Händen eines damaskischen Schneiders hervorgegangen zu sein. In den Bazars umdrängten mich die neugierigen Weiber ganz unausstehlich, die nach der in Syrien allgemein herrschenden Sitte, in einen enormen weißen Perkalschleier, von Kopf zu Füßen, wie Leichen gehüllt sind, während sie ein dünnes buntes Seidentuch vors Gesicht hängen. Die sind gründlich verschleiert! Mich erschreckten anfangs diese gespenstischen Gestalten, obgleich ich schon gestern des Konsuls Frau und Töchterchen über ihre Diamanten und Shawls in gleicher Weise die dichten Schleier tragen sah. Der Umgang beider Geschlechter ist bei ihnen ganz zwanglos; aber die arabische Sitte will auf der Straße nur verschleierte Frauen sehen, mögen es nun Mohammedanerinnen, Israelitinnen oder Christinnen sein. Wir waren gegangen die griechische Kirche zu besuchen, die eine große Gemeinde von 7.000 Seelen hat. Es war gerade Gottesdienst und die weißen Frauengestalten wandelten tief vermummt ihrer vergitterten Tribüne zu. Ich durfte nicht in die Kirche, die vor dem Chor schönes Schnitzwerk haben, und recht groß und stattlich sein soll. Man wollte mich in die Frauenabteilung führen, aber ich fürchtete ihre Andacht zu stören und hinter dem Gitter nichts zu sehen. So sah ich mir im Vorhof die Männer an, und hatte die größte Mühe von der Welt mir einzuprägen, daß diese Leute in Kaftan und Turban Christen seien. Himmel! dachte ich endlich ganz ungeduldig über mich selbst: ist denn ein Frack und ein Christ identisch? – – Aber so groß ist die Macht der Gewohnheit daß sie einen ganz stupid macht.

Mittags ritten wir mit dem Konsul durch die unendlichen Gärten um Damaskus nach dem Dorf Salahie, das man im Sommer bewohnt. Wenn ich sage Garten, so bitte ich Dich den Begriff eines Obstgartens felsenfest zu halten, und weder an englische noch an französische Anlagen zu denken. Die Aprikose ist die Frucht von Damaskus, wie die Pistazie von Aleppo und die Feige von Smyrna es ist. Mit Aprikosenkonserven wird ein ausgebreiteter Handel getrieben, daher ist dieser Baum der vorherrschende in den ungeheuren Pflanzungen, die Damaskus mit einem wahren Walde von edlen Fruchtbäumen umgeben. Walnuß-, Öl-, Granaten-, Feigenbäume, setzen in Farben und Formen ein Mosaik der Belaubung zusammen, wie sie in Fülle und Kräftigkeit selten gefunden wird. Dieser Segen üppiger Naturkräfte ist die einzige, aber allerdings unzerstörbare Schönheit von Damaskus, und der Orientale, der unter seiner brennenden Sonne nichts Schöneres kennt, als Grün, Wasser und Schatten, muß allerdings hier ein Paradies sehen. Die hohen Lehmmauern der Gärten sind unerfreulich, und der vernichtende Staub war es noch mehr. Mich amüsierte im Grunde unser Aufzug am meisten, der mich unwillkürlich an Kunstreiter erinnerte. Der Kawass, heute in Weiß, Grün und Gold gekleidet, war beritten und unzertrennlich von seinem langen Stabe, dessen Spitze er wie eine Lanze in den Steigbügel stemmte. Der Mohr war ebenfalls zu Pferde, und unser Seïs auch; aber der Seïs des Konsuls ritt auf einem milchweißen mit vielen dunkelroten Quasten aufgeputzten Esel. So wanden wir uns wie eine buntschillernde Schlange durch die schmalen Bazars in die grünen Aprikosenhaine hinein. – Herzensmama, ich küsse die Hand. Die Sonne ist untergegangen, und ich soll beim Konsul zu Mittag speisen. Ade und auf morgen.


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