Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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11. An meinen Bruder

Konstantinopel, September 24, 1843

Zu den Haremnovellen, die ich Dir vorgestern schrieb, liebster Bruder, füge ich noch ein Blättchen, denn ich habe Zeit, weil heute Ruhetag ist. Ich bin nämlich gestern nach Belgrad geritten, und das hat mich so grenzenlos ermüdet, daß ich mich nicht auf große Promenaden einlassen werde.

Nach Belgrad ritt ich wegen seiner berühmten Aquädukte, und nebenbei um einen Sattel zu versuchen, den ich notwendig zu der syrischen Reise brauche. Denn ich habe mir vorgenommen sie mit aller erdenklichen Bequemlichkeit zu machen, weil ich ohnehin noch genug unvermeidliche Beschwerden haben werde. Wenigstens sagen das einige Herren, die soeben die Reise gemacht, und nun ein so grenzenloses Bedürfnis der Erholung, des Ausruhens haben, daß ihnen schon Konstantinopel als äußerst komfortabel und wenig orientalisch erscheint – während es für uns ganz das Gegenteil ist. Gibt es also wirklich so enorme Mühseligkeiten, so muß man sie sich nach Möglichkeit zu erleichtern suchen, denn wenn ich körperlich allzu ermüdet bin, so sind die Sinne nicht mehr fähig der Seele Eindrücke der Schönheit, der Majestät zuzutragen, und dann hätte ich ja die ganze Reise umsonst gemacht.

Nach allem was ich hier höre kommt mir überhaupt vor, als müsse man sich recht fest einprägen und immer vor Augen halten, weshalb man sie eigentlich macht, um nicht häufig herabgestimmt und enttäuscht zu werden. Ich mache sie um die Stätten kennen zu lernen, auf denen einst große Zivilisationen gleich Blüten aus dem Keim ihrer Religionen hervor- und untergingen, als der Samenstaub jener Blüten taub ward. Ich mache sie um die Stätte zu sehen, wo unsere Zivilisation, die vielseitigste von allen die je gewesen, ihren Ursprung hat. Vergnügen, Unterhaltung, geistige und künstlerische Genüsse, eine ununterbrochene Reihe von Naturschönheiten erwarte ich nicht und suche ich nicht; begehrte ich sie: so würde ich nach Paris gehen, dann nach Italien, dann nach der Schweiz, ich könnte das in derselben Zeit, mit geringeren Kosten, ohne Mühsal; aber von dem Weltteil der ist, will ich zu dem hin, der war, aus der europäischen Gegenwart in die orientalische Vergangenheit. Da müssen Traurigkeiten, Wüsten, Ruinen, Desolationen herrschen, und einzeln und einsam, wie Sterne aus dem Wolkenhimmel, müssen hie und da majestätische, trostreiche, segenvolle Erinnerungen auftauchen, an welche der Geist seine Hoffnungen knüpft, und dasjenige was sein wird aus dem was gewesen ist herausspinnt. Hoffnungen will ich, nur Hoffnungen!... nicht für mich, nicht für andere, aber für uns alle. In Europa sieht es so hoffnungslos aus, so unruhig. Keinem ist wohl auf seinem Platz, und er sucht in der Stille oder öffentlich einen anderen. Alles was besteht soll umgeändert, oder umgebildet, wenn nicht gar umgestoßen werden. Bin ich aber im Orient, betrachte ich die Ruinen des Sonnentempels zu Balbek, oder die Omars-Moschee über dem Tempel Salomons, oder den Sand über den Wunderwerken von Memphis und Theben – bedenke ich dabei, daß so viel Größe, Macht und Herrlichkeit untergehen, und daß dennoch unsre ganze große okzidentalische Bildung frisch und neu ihnen folgen konnte: so gibt diese Betrachtung mir Zuversicht für eine bis jetzt noch unbekannte aber gewisse und in ihrer Art vollkommene Phase, die neu über den Trümmern unsrer Welt beginnen wird. Also nicht um mir Erinnerungen – sondern um Hoffnungen zu sammeln, Hoffnungen die sich nicht im geringsten auf mich oder meine Person beziehen, mache ich diese Reise, denn ich hoffe nicht ein interessantes Buch über sie zu schreiben, ich hoffe nicht poetisch angeregt durch sie zu werden, ich hoffe auch nicht ein seliges Leben zu führen während ich sie mache, sondern ich hoffe eben nur das, was ich Dir oben gesagt habe, und dies Bedürfnis nach Hoffnung muß wohl recht groß sein, da ich mich tapfer allen notwendigen Beschwerden unterziehen will. Aber auch nur den notwendigen! Dazu bin ich ebenfalls entschlossen, und mit nichten gesonnen eine Pilgerfahrt im Sinn mittelalterlicher Frömmigkeit mit freiwilligen Entbehrungen und Kasteiungen durchwebt anzutreten. Was die Kasteiungen betrifft, mein lieber Dinand, da bin ich zu sehr ein Kind meines weichlichen und bequemen Jahrhunderts: ich scheue sie von ganzem Herzen. Und dennoch tue ich alle Augenblicke Dinge bei denen Du mit Recht fragen könntest: »Aber weshalb marterst du dich so ab?« – Ja, Lieber, wenn es keine Widersprüche in den Menschenseelen gäbe, so wär' es leicht mit uns selbst und mit andere fertig zu werden. –

Bei Belgrad denkst Du gewiß an die Hauptstadt von Serbien. Du darfst es aber nur indirekt tun; denn als die Türken jene Stadt eroberten, verließen viele ihrer Einwohner sie und siedelten sich ein paar Meilen von Konstantinopel in einem Dorf an; und das ist das kleine thrazische Belgrad. Es hatte seinen Moment von Fashion, als Lady Mary Worthley Montague, Gemahlin des englischen Botschafters bei der Pforte, vor mehr als hundert Jahren die gute Jahreszeit dort zubrachte. Wer englisch gelernt, hat ihre wunderhübschen Briefe aus Konstantinopel gelesen, und es ist wirklich schade, daß man sie immer nur als ein Schulbuch behandelt – so weit ich mich ihrer erinnere.

Jetzt hält man den Aufenthalt in Belgrad für ungesund. Die vielen Wasser und die schattenden Bäume sollen Fieber erzeugen; man begnügt sich einen Spazierritt dahin zu machen um diese beiden Dinge, die für hiesige Augen zugleich Kuriositäten und der Inbegriff aller Schönheit sind, kennen zu lernen. Wie hoch die Türken Bäume und ein Flüßchen anschlagen, geht aus den Benennungen der »himmlischen Wasser« und der »süßen Wasser« hervor, und aus der besonderen Vorliebe mit der sie diese beiden Orte besuchen. Belgrad ist aber für die Türken viel zu entfernt! Dahin kommen nur die Europäer. Der Wald von Belgrad ist gleichsam heilig. Kein Baum wird in ihm gefällt! Er alimentiert die zahlreichen Quellen, die Konstantinopel mit Wasser versorgen. Über »le grand champ« – wie man kurzweg den großen Totenacker nennt, ritten wir gestern früh um acht Uhr fort, und an der großen Kaserne vorüber, deren Kanonen den Platz, der sich vortrefflich zu Emeuten eignet und einen Teil der Stadt beherrschen. Jetzt emeutieren sich aber nur Hunde gegen die Reiter. Nach den süßen Wassern ritten wir hinab und dann in die Thrazischen Gefilde hinein, die baumlos und unbestellt, weit und breit Hügel an Hügel reihen. An tiefen Stellen, wahrscheinlich durch die letzten heftigen Regen erzeugt, war der Wiesenboden ganz morastig; an den höheren und trocknen war er dermaßen mit Thymian bedeckt, daß der starke Duft die ganze Atmosphäre füllte, noch ehe die Pferde die Pflanze unter ihren Hufen zertraten. Alsdann schien der frische Morgenwind uns förmlich Wellen von Arom entgegen zu tragen. Wohlgerüche in reiner freier Luft sind für mich etwas Bezauberndes, und kommt man aus Konstantinopel, so erhöht es sich durch den Zauber der Neuheit. Allmählich wird die Gegend anmutiger; es zeigen sich einzelne Bäume, auf hohen Punkten sieht man Aquädukte, wie sie von Hügel zu Hügel laufen; dann reitet man wieder in einen Grund hinein und jede Aussicht verschwindet. So kommt man zuerst an den Aquädukt von Kaiser Justinian, der nach römischer Weise zwei Reihen von Arkaden über einander gestellt hat, welche die eigentliche Wasserleitung tragen. Schade nur daß die einzelnen Bogen nicht gleichförmig breit sind und keinen schönen Schwung haben. Nun beginnt der Wald, der meistens aus Kastanien und Eichen besteht. Der Charakter des Ganzen ist ungemein still und fast melancholisch, wie das waldige und zugleich wenig bewohnte Gegenden fast immer sind. Man sieht keine Menschen, keine Feld- und Gartenarbeit, keine Tätigkeit irgendeiner Art. Die Wege sind Fußsteige und kaum das; außerhalb des Waldes reitet man ziemlich querfeldein. Um ein Uhr, vorbei an großen Teichen, kamen wir nach Belgrad. Wir waren bei den verschiedenen Wasserleitungen herumgegangen und seit acht Uhr zu Pferd: also ziemlich hungrig, und in dem Wirtshaus – oder wie soll man die Baracke nennen vor der wir abstiegen? – gab es nur bittern schwarzen Kaffee und frisches Wasser. Ich hoffte auf eine meiner Lieblingsspeisen, auf Giaúrd, eine Art saurer Milch welche die Türken vortrefflich zubereiten. Aber im ganzen Dorf war keine! Zum zweiten Mal ward der Dragoman auf Fouragieren entsendet: da brachte er nach langer Zeit einige frische Eier, etwas süße Milch und ein Stück frisches Brot – letzteres so feucht daß es mir mehr gewaschen als gebacken vorkam. Darauf beschränkte sich unser Diner – zu meinem allergrößten Vergnügen. Man sieht denn doch einmal mit wie wenigem man leben kann! Und dann amüsierte mich die schneidende Verschiedenheit meiner drei letzten Diners. Heut saß ich auf einem Balkon unter Gottes freiem Himmel im Schatten einer schmutzigen Hütte, und aß aus einer schwarzen Pfanne die Eier, wie irgend eine Bäuerin sie gekocht hatte. Gestern speiste ich im Harem des türkischen Ministers des Auswärtigen mit aller Elegance, welche türkische Gebräuche mit europäischen versetzt zulassen; – und vorgestern bei dem Internuntius mit Diplomaten, mit Reisenden verschiedener Nationen, mit Personen bekannten Namens, mit einem Wort: ganz in der Gesellschaft. Ist das nicht wirklich sehr unterhaltend?

Der Aquädukt Sultan Mahmuds, den wir besuchten nachdem unser frugales Mittagbrot verzehrt war, ist bei weitem der Schönste von allen, ein sehr großes Reservoir von schneeweißem Marmor, mit offnen und überbauten Bassins, welche durch Terrassen verbunden sind, so daß der ganze Bau wie ein großartiger Palast aussieht, der überdies in der baumreichsten Gegend des ganzen Waldes liegt. Dies ist eine interessante Partie, bei der wir am längsten verweilten, umsomehr da wir bei einer größeren Gesellschaft Bekannte trafen. Aber als ich nun wieder zu Pferde steigen mußte, war ich müde geworden, und hätte gern nicht für »ein Pferd« ein Königreich gegeben. Wir brauchten zwar nicht über Belgrad und Pyrgos zurück zu reiten, sondern auf näherem Wege, der aus dem Walde oberhalb Bujúkderé auf die Straße von dort nach Konstantinopel führt; – allein ich war nun einmal müde, denn seit den Pyrenäen hatte ich kein Pferd bestiegen, und dann ist auch der kürzeste Weg zu lang. Übrigens hatten wir auf jenem hohen Punkt oberhalb Bujúkderé eine unvergleichlich schöne Aussicht: Hügel stiegen bis zu dem Ort hinab, der in der Tiefe an seiner großen Bucht wie an einem stillen See lag. Zwischen den Bergen beider Ufer verschwand und erschien der Bosporus, je nach seinen und ihren Windungen. Zur Linken breitete sich das schwarze Meer aus, und zur Rechten, jenseits des Propontis, streckten sich Anatoli's bergige Küsten aus, die in glanzvoller Herrlichkeit der königliche Olymp in den Purpur des Abendrotes getaucht, überragte. Dazu der transparente Himmel und der flammende Sonnenuntergang des Südens! – Und es ist wahrhaft schmachvoll daß ich dennoch! dennoch! müde war und müde blieb, und seelenfroh war, als wir endlich um halb acht Uhr in unsrer Behausung anlangten.

Nun, lieber Bruder, leb' recht wohl und nimm nicht übel, daß ich meine Briefe immer so kurz und ohne Umstände abbreche. Wollte ich mich auf Liebesversicherungen einlassen, so würde ihre Länge unberechenbar sein, und mir ist jeder Augenblick zugemessen. Überdas versteht es sich ja von selbst, daß ich Eurer gedenke, der Fernen, der Lieben; das beweist mein fleißiges Schreiben. Also nehmt es nicht so genau mit der Form.


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