Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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Mittwoch, Februar 7, auf dem Nil

Lange Unterbrechung, lieber Bruder! Ich bin in großer Tempelschau begriffen gewesen. Teils erfüllt das die Gedanken so sehr, daß man sich mit nichts anderem beschäftigen mag, teils macht es so grenzenlos müde, daß man es nicht kann. Die Ruinen von Theben sind eine tüchtige Strapaze, so viel muß man da herum reiten, gehen, stehen, klettern, steigen, kriechen, bald in blendender Sonne, bald in unterirdischen Gräberhallen, und dazu immer mit der Aufregung des Interesses, der Bewunderung, der Neugier.

Aber ich will den Nil ferner begleiten. Fast unmittelbar bei seinem Eintritt in Oberägypten erweitert sich sein Bett und senken sich seine Ufer. Das vermindert seine Strömung, und hat für das Land den Vorteil, daß es leichter überschwemmt wird. Indessen treten die Berge doch noch von beiden Seiten zuweilen ans Ufer, ziehen sich dann aber in weiten Bogen zurück und lassen zwischen sich und dem Fluß großen Ebenen Raum. Zuerst ist der Unterschied mit Nubien in der Kultur nicht groß. Die Wüste macht sich sehr breit, die Dörfer sind klein und nicht zahlreich, die Palmen selten. Von einer Höhe am Ufer, welche der Nil unterwäscht, schauen die majestätischen Ruinen von Kom-Ombos grade in den Sonnenuntergang hinein. Bei dem Paß von Djebbel Selseleh, ziehen die Gebirg zu beiden Seiten wahre Mauern, die den Fluß sehr zusammendrängen. Grotten, Gräber und Nischen sind auf der libyschen Seite in die Sandsteinwand kunst- und mühevoll eingehauen; auf der arabischen sind ehemalige Steinbrüche. Bei Esne, das wir erst drei Tage nach unserer Abfahrt von Assuan erreichten, nimmt alles einen mehr zivilisierten Charakter an. Bis dahin schwammen die Leute nicht auf Schläuchen von einem Ufer zum andere, doch ihre Weise ist ebenso sauvage. Drei Schilfbündel ungefähr acht Fuß lang, werden wie ein Floß fest zusammengebunden, und zwar so daß sie vorn eine Spitze bilden, hinten etwas breiter sind. Darauf setzt der Mann sich flach nieder, nimmt ein Ruder mit zwei Schaufeln in die Hand, zuweilen Weib und Kind hinter sich, und rudert auf diesem leichten Floß sehr behende hin- und herüber. Um Esne zeigen sich Barken, die allmählich immer zahlreicher und größer werden, und auch bei Dörfern liegen. Esne ist die erste Stadt seit Assuan, und hat ihre Industrie: nämlich die Fabrikation der kleinen Pfeifenköpfe von rotem Ton, die zu Millionen verbraucht werden. Die Stadt ist wie alle orientalischen: krumme Gassen, fensterlose Häuser, finstre schmutzige Bazars, viel Kaffeestuben. Da sah ich einen Schlangenbeschwörer. Gott, ist das ekelhaft! Fünf Schlangen umwanden seine Arme, schaukelten sich an seinen Fingern, bogen und wanden sich in seinen Händen. Ob sie giftig waren weiß ich nicht; unheimlich sind sie mir immer. Bei Theben hat das arabische Gebirg einen wahrhaft malerischen Moment, als wolle es den erhabenen Ruinen von Karnak und Luxor einen würdigen Hintergrund geben. Aus seinen gewöhnlichen wellenförmig ruhigen Linien bäumen sich drei scharf zugespitzte Höhen empor, ragen am Horizont auf und machen wenn man noch in weiter Ferne ist, dadurch schon lange vorher auf die Stätte aufmerksam, wo einst »die hunderttorige Thebä« – wie Homer sie nennt – lag, in welcher sich gegenwärtig außer den beiden obengenannten Dörfern noch die von Kurnu und Medinet-Abu auf der libyschen Seite, und weit und breit gedehnte Felder, Wüste, und urbarer jedoch unbebauter Boden teilen.

Bei dem Ritt nach Abydos, dessen Trümmer so gänzlich im Wüstensand verschüttet sind, daß sie den Besuch nicht lohnen, mußten wir wenigstens eine starke deutsche Meile vom Dorf el-Beljenne, wo wir landeten, in die Ebene hinein reiten. Zuckerrohr, Baumwolle und auch Indigo wird in diesen Gegenden gebaut, aber Feldfrüchte sind vorherrschend. Die Bohnen standen mannshoch und mauerdicht; die Gerste hatte Ähren und wurde schon gelb; Esel und Büffel weideten am Rande der Felder; dazwischen lag wiederum prächtiger Boden brach. Doch kamen wir durch vier Dörfer, die alle zwischen Palmen liegen, und viele andre befinden sich in der Nachbarschaft. Das sahen wir an den zahlreichen Feuern, die abends beim Heimritt rings um uns aufflammten, und die schallenden Gesänge wie das weithin tönende Hundegebell bestätigten es. Die größte Sicherheit herrscht. Wir kamen erst um acht Uhr bei völliger Finsternis nach unserer Barke zurück, ohne andere Begleitung als die der Eseltreiber. Dazu hatten wir in el-Beljenne großen Markttag gefunden, und das Volk zerstreute sich nach allen Seiten. Wie viel Exzesse fallen nicht bei solchen Gelegenheiten in Deutschland vor! Hier – nichts. Das ist ein Glück, daß der Araber den Branntwein nicht kennt. Bei seiner feuerfangenden Heftigkeit die ohne Geschrei und ohne eine Flut von Worten nichts unternehmen kann, und ihn selbst dadurch in eine Art von eifriger Wut versetzt, wenn er auch gar nicht zornig ist – müßten geistige Getränke ihn bis zur Raserei aufregen. Indessen hat er doch auch einen stimulant, so gut wie der Türke das Opium: es ist Haschisch, ein Extrakt von Hanf, der einen äußerst heiteren und rosenfarbenen Rausch geben, die Nerven jedoch nicht weniger ruinieren soll. Zu dergleichen Schwelgereien hat stets und überall der Reiche mehr Zeit und Gelegenheit als der gemeine Mann, und beim Fellah findet man selten diese verderbliche Leidenschaft. Was nun die Zeit betrifft, die hätte er! Außer am Schaduff habe ich keinen Mann bei beschwerlicher Arbeit gesehen. Das sind die Schöpfgruben, die aus dem Nil vollgegossen werden müssen und die in ganz Oberägypten verbreiteter als die Sakiehs sind. Immer paarweise und im Takt singend, füllen und leeren zwei Männer lederne Eimer, welche an einer Brunnenstange hängend niedergelassen und aufgezogen werden. Das geht stundenlang so fort bis sie abgelöst werden. Sie sind dabei völlig nackt, nur mit einem Ziegenfell um die Hüften. Außerdem aber, in Städten und Dörfern, scheinen Müßiggänger die Hauptzahl der Bewohner auszumachen, welche ihr Leben der Pfeife, dem Kauen des Zuckerrohrs, dem Geplauder widmen dürfen, und arbeitet einmal einer im Felde, so ist es immer einzeln und so gewiß willkürlich, oder einer hütet auch wohl am Feldrand liegend höchst sorglos Vieh. Ich muß wohl grade nicht die Zeit der großen Arbeiten getroffen haben; ich hätte gern mit eigenen Augen gesehen, ob der Fellah, den man immer wegen schwerer und übermäßiger Arbeit bedauern hört, etwas leistet, das man z. B. mit der Anstrengung eines norddeutschen Erntetages entfernt vergleichen könnte. Vielleicht sehe ich es im Delta, wo das urbare Land größer und zugleich bevölkerter ist. Hier ist es augenscheinlich für die Bevölkerung und ihre geringen Bedürfnisse dennoch zu groß. Ein Hauptzweig der Industrie des Fellah von Kairo bis Wadi Halfa ist Taubenzucht. In Oberägypten prosperiert sie ungeheuer. Die Dörfer haben ein ganz fantastisches Ansehen durch die viereckigen, abgeböschten Türmchen, die auf jedem Hause stehen: es sind Taubenschläge und in der Luft wimmelt und rauscht es in der Nachbarschaft der Dörfer von allerliebsten Tauben, die auch recht fett und wohlschmeckend sind. Überhaupt gibts eine Menge der niedlichsten Vögel, unter anderen einen schwarzen mit einem Köpfchen weiß und zierlich wie eine Perle die stets ganz vertrauensvoll auf die Barke kommen und sich Krümchen suchen. Schwalben vollends in Scharen! Sie ziehen mit uns, aber sie werden früher als ich nach Europa kommen. Siehst Du sie in Neuhaus, so denk' an mich; ich hab' ihnen auf dem Nil zehntausend Grüße an Dich mitgegeben. Von den Scheusalen, den Krokodilen, sollte ich auch ein Wort sagen: sie gehören zu Ägypten wie der Ibis. Reiherarten hat man sehr viele; ob nun gerade den Ibis sanctus? – Krokodile scheinen sehr selten geworden zu sein. Auf Sandbänken zeigte man mir ein paarmal etwas, das wie ein Baumstamm aussah und sich sonnte oder in den Nil wälzte; das sollten sie sein. Dem Schiff nah ist keins gekommen.

Siut, die Hauptstadt Oberägyptens, liegt wunderhübsch eine halbe Stunde vom Nil, zwischen herrlichen Feldern, von Kränzen von Sykomoren und Akazien umgeben, hübsche gutgebaute Dörfer rings umher, das libysche Gebirg im Hintergrund, von welchem sich seine schlanken, reich umkränzten Minarette graziös abschattierten. Jene Akazie ist der Gummibaum ( acacia nilotica) der das bekannte Harz ausschwitzt; doch nicht hier, sondern im wärmeren Nubien, wo er von Gestalt kümmerlich und strauchartig auf den Hügeln der Wüste wächst. Hier wird er ein sehr hübscher Baum mit dem allerzierlichsten Zweig- und Laubwerk. Sunt nennen ihn die Araber. Er und der Nabekbaum sind mir dadurch merkwürdig, daß sie trotz der äußersten Feinheit des Laubes und der fadendünnen Zweige, dennoch von der größten Starrheit und Unbeweglichkeit sind. Wie aus Metall gegossen und grün emailliert stehen sie da, und zittern und rühren sich nicht – solch ein Nerv ist in ihnen! Sie haben schon frappante Ähnlichkeit mit Gazellen. Die Industrie Siuts – kennst Du sie? Es ist die schmachvollste der Welt und das will viel sagen! Hier ist eine Hauptfabrik von Eunuchen, die der Mohammedaner braucht zu Haremswächtern zur Beruhigung seiner eifersüchtigen, finsteren, traurigen Liebe. Leider sind es Christen, welche ihm diesen Dienst leisten. Koptische Priester sollen sich vorzugsweise durch Gewinngier getrieben zu dem infamen Handwerk hergeben. Das der öffentlichen Tänzerinnen hat Mehemed Ali seit einigen Jahren abgeschafft, als eine Verletzung der Sittlichkeit. In der Stille treiben sie natürlich ihr Wesen, aber auf den Straßen dürfen sie nicht mehr ihre Künste produzieren, und ihre Organisation zu einer Zunft, die ihre Königin hatte, Abgaben zahlte, Schutz und Rechte genoß, ist aufgelöst. Weshalb verfährt er nicht mit der letzten Strenge gegen jene so tödliche Beleidigung der Menschheit? – Türk bleibt Türk! – –

 
Dienstag, Februar 13

Meine Barke wird nur nach grade kerkerhaft unbequem, mein lieber Dinand. Die Untiefen des Nils, der Nordwind und die Widerwilligkeit unsrer Mannschaft verzögern die Fahrt auf eine unerträgliche Weise. Wo der Nil zu einem weiten Becken ausgeflossen ist, wie zwischen Siut und Monfalut, war er aufgewühlt und wellenschlagend wie ein großer See. Wo er von den schroffen Felswänden des Djebbel Abulfeda gedrängt im Zickzack sich hin- und herwinden muß, gab es so heftige Windstöße, daß wir gar nicht vorwärts kamen. An einem Abend warf der Reis mitten auf dem Fluß den Anker aus. Ich protestierte heftig, denn die Barke hüpfte rechts und links, und wünschte am Ufer anzulegen. Jedoch das linke war durch Untiefen unzugänglich, und das rechte wird nachts mit ängstlicher Scheu von den Barken gemieden. Da gibt es Spitzbuben! Heißt es immer. Diese Furcht ist wirklich übernatürlich albern (denn es sind nicht weniger als zwanzig Männer an Bord) aber so heftig, daß der Reis durch keine Vorstellung zu bewegen war seine Station aufzugeben. Der Araber ist feig. Schon in Syrien kam es mir so vor; indessen will ich dort die Gefahr nicht ganz leugnen. Aber hier, im Schoß der größten Sicherheit, wo wir am späten Abend in Bergen, Ruinen, Gräbern und auf freiem Felde vollkommen ungefährdet geblieben sind – und nicht wir allein, sondern alle dermalige Reisende – träumt der Araber beständig von Dieben und Räubereien, und schreckensvoll teilt uns der Dragoman zuweilen ihre Geschichten mit. – Mit Geisterfurcht haben die Araber auch viel zu tun. Sie glauben an Dschinns. Das sind Geister die zwischen Mensch und Engel eine Stufe bilden, und einen Körper haben – aber einen unsichtbaren. Sie zerfallen in gute und böse; jene sind fromm und glauben an Gott, tun daher dem Menschen kein Leid; diese sind heidnisch und plagen gern den Menschen, wenn er nicht höflich und rücksichtsvoll mit ihnen umgeht, was schwierig ist, da sie unsichtbar sind. In dunklen Winkeln des Hauses hocken sie gern. Tritt oder stößt er sie da, oder gießt er im Finstern Wasser über sie aus, so rächen sie sich durch irgend einen Schabernak. Es ist sehr zu raten, daß man in solchen bedenklichen Fällen immer sage: »Mit Erlaubnis.« Das stellt sie zufrieden. Ein ähnlicher Glaube an Kobolde, Spuk- und Hausgeister, findet sich bei allen schlichten Völkern die überhaupt des Glaubens fähig sind. Der Gebrauch Amulette gegen das »böse Auge« zu tragen, ist ganz allgemein. In Nubien sah ich kein Weib, das nicht zwischen dem Halsgeschmeide ein kleines Täschchen an einer Schnur hängend getragen hätte, und in demselben steckte der Talisman: ein Papier mit einer der neunundneunzig Benennungen des Propheten beschrieben, oder Erde aus Mekka oder vom Grabe eines Santons; oder ein Läppchen, das man zuvor ans Gitter eines solchen Grabes gebunden hat – was auch ein sehr gutes Mittel gegen Fieber und alle anderen Krankheiten ist. Von Konstantinopel an sieht man solche kleine Fetzen an Gräber gebunden, die in Verehrung stehen. In Nubien sahen wir auf den Gottesäckern neben frischen Gräbern kleine irdene Näpfe stehen in denen Wasser gehalten wird; man glaubt daß nachts die Seelen der Verstorbenen herauskommen, um zu trinken. Mit der Zeit verlieren sie vermutlich diesen irdischen Durst, denn bei den alten Grabstätten befanden sich keine Trinkschalen; aber solch ein lebhaftes Bedürfnis ist für die Lebenden ein frischer Trunk, daß sie sich ihre Toten diese Entbehrung leidend nicht vorstellen können.

 
Donnerstag, Februar 15

Hat man den Djebbel Abulfeda hinter sich, so breitet der Nil zu einem weiten Spiegel sich aus, den große Bouquets und Girlanden von Palmen, üppige Felder von Zuckerrohr und Selgam (eine ölgebende Pflanze, dem Rübsamen ähnlich) und zahlreiche Dörfer umgeben. Große und kleine Barken ziehen unablässig auf und ab, und liegen am Ufer. Einmal zählten wir elf Segel zu gleicher Zeit in Bewegung, und unsre Barke war die zwölfte. Sie sehen wie Wasservögel aus, die eben auffliegen wollen, mit den beiden dreieckigen lateinischen Segeln, deren Spitze sich kreuzt. Das linke Ufer ist fortwährend viel bebauter als das rechte, vielleicht deshalb weil das libysche Gebirg sich in weit größerer Entfernung vom Nil hält und ihm mehr Raum zu überschwemmen läßt als das arabische. Schon in Kairo fällt das auf; aber ganz frappant ist es bei den Felsengräbern von Beni-Hassan, weil man da einen hohen Standpunkt und eine weite Übersicht gewinnt. Man steht in den Nischen der steil abfallenden arabischen Felswand, hat diesseits des Flusses Steingeröll, Sand, Ruinen zerstörter Dörfer, dann Sumpf; aber jenseits seines breiten mit Inseln durchwebten Silberbandes eine Ebene grün und frisch von Feldern, Saaten, Bäumen, welche am Horizont durch das Goldgelb der libyschen Wüste in einen glänzenden Rahmen gefaßt. wird, und gewiß drei bis vier Stunden breit ist. Der Bahr-Jussuf (Josefskanal) bewässert sie, der von Melani, dem Djebbel Abulfeda gegenüber aus- und parallel mit dem Nil ins Fayum hineinläuft, und diesem großen Landstrich am Fuß der libyschen Berge Fruchtbarkeit bringt. Jener Sumpf bei Beni-Hassan rührt davon her, daß sich die Überschwemmungswasser noch nicht vollständig verlaufen haben. In breiten Spalten, ellentief, war der fette schwarze Boden von einander geplatzt mit fetten wilden Kräutern dicht bewachsen und nur an ein paar Stellen mit Selgam besät, der mannshoch in hellgelber Blüte stand. Da mußte man hindurch! Nachdem ich mit einem Fuß bis übers Knie in solchem klaffenden versteckten Spalt gestürzt war, trugen zwei Araber mich durch den Morast. Es ist nicht sehr angenehm auf den Armen der schmutzigen Araber zu sitzen; aber in dem Punkt muß man sich entsetzlich viel auf dieser Reise gefallen lassen. Vor uns in einiger Entfernung schien ein großer schwärzlicher Grabhügel aufgeworfen zu sein und zwei zierliche Amphoren von Alabaster standen auf ihm. Plötzlich flogen die Amphoren davon, denn es waren zwei von diesen lieblichen, lilienweißen Wasservögeln, welche die Sandbänke zuweilen wie mit einem Schneefeld bedecken; nie sieht man einen andersfarbigen zwischen ihnen! Sie lieben nicht die gemischte Gesellschaft. Der schwärzliche Hügel verwandelte sich in einen Büffel, der uns wild und scheu anglotzte. – Zuckerfabriken sind in dieser Gegend, nämlich immer auf dem linken Ufer, angelegt und die Gebäude einer Baumwollspinnerei und Weberei geben der Stadt Minieh etwas Europäisches. Sie liegt hart am Nil; das ist selten. Gewöhnlich haben die Städte eine Strecke Landes vor sich um nicht durch die Überschwemmungen zu leiden oder vom Wasser unterwaschen zu werden. Der Nil lockert das Erdreich so auf, daß an vielen Stellen wo Palmen auf etwas erhöhtem Ufer stehen, einige ins Wasser gestürzt sind. – Am Portikus einer halbverfallenen Moschee bemerkten wir zierliche korinthische Säulen. Niedliche Kaffeehäuser mit sauber geschnitzten Fenstern spiegelten sich im Fluß, und ein schneeweißes Landhaus Mehemed Alis liegt außerhalb der Stadt in einem dichten Kranz von Suntbäumen. Einzelne riesenhafte Sykomoren unterbrechen mit tiefschattendem, gedrängten Geäst das monotone Saftgrün der fetten Felder, welche sorglos von Schafen, Ziegen und Eseln teilweise abgefressen werden. Flösse eigner Art schwammen stromab: bauchige tönerne Gefäße, umgestürzt mit der Öffnung nach unten, und durch Zweige miteinander verschlungen, bildeten es, und führten sich selbst, eine ganze Ladung ähnlicher Gefäße, und einige Menschen, die mit zusammengebundenen Zweigen ruderten, ihrem Bestimmungsort zu.

So weit hatte ich heute früh bis gegen 11 Uhr geschrieben; da ergab sich ein Ereignis: Südwind! Ich glaube der erste seit wir in Ägypten sind! Das Segel wurde aufgespannt, die Ruder eingezogen, der Rudergesang verstummte – zu meiner Wonne, denn obgleich er gewöhnlich heißt: »Salam, ya Salam!« (Friede, o Friede) oder: »Allah, ya Allah!« so klingt er doch wie ein feindliches Kriegsgeschrei. Die stoßende Bewegung des Ruderns verschwand; leicht und scharf glitt die Barke dahin. Der Himmel war sanft verschleiert von sommerlichem Florgewölk; auch das ist selten! Beim kältesten Nordwind ist die Sonne dennoch so brennend heiß und prallt so versengend auf den Wasserspiegel und den Wüstensand, daß man sie gern meidet. Heute war ihr der stechende Strahl genommen. Ich ging hinaus, legte mich auf ein Sofa und machte den ganzen Tag bis zum Abend Kheff. Das ist des Arabers dolce far niente mit einem gewissen pensar niente verbunden, von dem man in dieser Luft, auf diesen Wassern, unter diesem Himmel angeweht wird. Grad heute waren die Ufer reizloser und monotoner denn je, so niedrig, daß sie sich kaum über den Fluß erhoben, spärlich bebaumt, das rechte zum Teil vollständige Wüste mit Tamariskengesträuch auf Sandhügeln, und mit kahlen Dörfern am letzten Gebirgsabhang. Aber die weiche, zitternde, transparente Atmosphäre wehte einen duftigen und balsamischen Flor über Nähe und Ferne, und tat ihnen den Dienst, den ein Schleier einem unschönen Antlitz tut: man konnte es für schön halten wenn man wollte. Mir kam es nicht schön vor, gar nicht!... Aber entzückend. Solche Luft gibts nicht jenseits des mittelländischen Meeres!

Eines ist gewiß: in einem vollen Monat in Schweden habe ich nicht ein solches Jauchzen und Singen, Musizieren und Jubilieren, Gelächter und Geplauder gehört, wie hier in vierundzwanzig Stunden. Heute war ein so recht stiller Tag ohne Rudergeräusch und ich immer im Freien, und übers Wasser schallt es weit, aber vom libyschen bis zum arabischen Gebirg ging ein Getön, das einzeln und in der Nähe wohl rauh, aber im ganzen und unter dem großen freien Himmel angenehm wie wilder Vogelgesang ist. Ich wenigstens freue mich immer wenn ich Kinder jauchzen und Menschen fröhlich lachen höre. Von den Arabern muß ich nun freilich sagen, daß sie mehr brüllen als lachen und mehr schreien als singen; allein ihre Lustigkeit ist nun einmal so beschaffen, und teilnehmend wie keine andere. Fährt eine Barke mit der Darabukah und dem obligaten Tänzer vorüber: so machen die Kinder am Ufer ihre Sprünge dazu; wird mit Gesang gerudert, so helfen die Männer am Ufer wenigstens singen; ist alles still hüben und drüben, so wird Konversation gemacht und stets mit »Salam aleiko!« eröffnet; ist eine andre Barke auf eine Sandbank geraten, so stürzt die ganze Mannschaft der unseren zusammen und erschöpft sich in Reden über dieses Ereignis, welches das alltäglichste von der Welt ist, und Fragen und Ratschläge fliegen hinüber und herüber. Es versteht sich, daß diese lebhaften Menschen auch lebhaft zum Zorn sind. Schlägereien sind häufig und werden auf unsrer Barke gewöhnlich dadurch geschlichtet, daß der Reis beide Teile prügelt. Dabei schwingt er ganz entsetzlich seinen großen Stock und schreit fürchterlich, allein mit den Schlägen staubt er ihnen nur gerade die Kleider aus – was denen höchst ersprießlich ist. Als jedoch einer dieser Züchtigung sich widersetzte, wurde er augenblicklich ausgestoßen und am Lande gelassen. Ein paarmal gab es unerhörten Lärm an Bord, alles rannte rufend und schreiend wider einander; der eine stürzte sich kopfüber ins Wasser, andere sprangen in den kleinen Nachen und wir heraus um zu fragen was für ein Unglück geschehen sei. Gar keins! Es trieb nur ein toter Fisch den Strom hinab, und dem guten Bissen jagten sie nach. A propos von guten Bissen will ich Dir doch auch bemerken, um das Bild einer Nilreise vollständig zu machen, daß die unseren nachgerade schmal werden. Hühner, Reis und Milch bekommt man freilich überall, aber der Tee ist uns schon ganz ausgegangen, der gute Kaffee aus Kairo ist durch einen anderen ersetzt, der viel Ähnlichkeit mit den europäischen Surrogaten hat; die Dattel- und Orangenkonserven sind erschöpft. Wir haben uns anfangs nicht haushälterisch benommen, und müssen dafür am Ende entbehren. Heute aß ich zum ersten Mal in diesem Frühling, und überhaupt zum ersten Mal seit Andalusien – frische Orangen, die wir gestern in Minieh kauften. Das ist die schönste Frucht der Welt, in ihrer Heimat; ihr feuriges Aroma fehlt der Dattel wie der Banane gänzlich. – – Ich besinne mich ob ich denn gar nichts nennen könnte, was ich heute gesehen. Nein wirklich! Außer dem Minarett von Fechn, der eine Viertelstunde landeinwärts sich zeigte, gar nichts. Gute Nacht, liebster Dinand.

 
Sonnabend, Februar 17

Am späten Nachmittag zeichnete sich ein bläulicher, scharfbegrenzter Hügel im Westen über dem Wüstensand in den Horizont: die Pyramide von Meidunn. Der Nil hatte vollkommen das Ansehen eines Flusses verloren. Der Araber nennt ihn nie anders als das Meer, und hier begreift man weshalb. Heute hat er sich wieder einigermaßen gesammelt und auch seine Begleitung von wunderschönen Palmenbouquets und Girlanden auf dem linken Ufer wiedergewonnen. Hinter ihnen lagern sich die gewaltigen Massen der Pyramiden von Dashúr, an welche sich die von Sakaara, von Abusir, von Gizeh schließen. Letztere sind bis jetzt noch unaufgegangene Sterne – eigentlich Sonnen im Vergleich zu den übrigen. Es ist wunderhübsch diese Pyramidenwelt einzeln und nach und nach über dem Saftgrün der Ebene auftauchen, sich höher und immer höher heben, und endlich ein Dreieck aus dem Horizont herausschneiden und die weite Fläche dominieren zu sehen. Man zählt einige zwanzig bis zu der des Cheops; manche, die aus Backstein oder Lehm waren, sind zu Schutthaufen zusammengesunken. Dieser ganze Distrikt war die ungeheure Nekropolis von Memphis, der ältesten Königsstadt und Residenz der Pharaonen; – denn in Theben das noch älter war, herrschten die Götter und die Priester an ihrer statt, und erst später, mit dem Beginn der achtzehnten Dynastie wurde sie zu der Herrlichkeit erhoben, von der die gegenwärtigen Ruinen übrig sind. Unübersehbare frühlingsgrüne Gefilde mit zahlreichen Ortschaften bedecken die Stätte von Memphis, und ziehen sich tief hinab bis in die Gegend von Kairo, jedoch immer nur am linken Ufer, während das rechte mit einzelnen Baumgruppen und spärlicheren Orten versehen ist. Allein jetzt eben zeigt es deutlich im Norden den Fuß, den der Mokkatam herausschickt und der die Zitadelle trägt; jetzt komm' ich in die Gegend, die ich schon früher beschrieben habe, und darum nehme ich für diesmal Abschied von Dir und vom Nil.


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