Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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27. An meine Mutter

Kairo, Dezember 2, Sonnabend, 1843

Himmlische Mutter, da bin ich! Ach, Gott sei Dank! – Die Wüste ist wahrlich kein Vergnügen, aber anzukommen, in einem guten europäischen Gasthof, sich auf einem Sofa hinzustrecken und liebe Briefe zu lesen – das ist freilich ein sehr großes, und ich habe es gestern genossen. Liebe Mutter! Wie müde ich war kann ich Dir dadurch am besten beschreiben, daß, als es hier im Hotel hieß es wären keine Briefe für mich angekommen, ich mich ganz stupid auf dem Sofa umkehrte und sagte: »Ach, sie werden sich schon finden!« und – einschlief. Übrigens hatte ich in meiner Lethargie wirklich das Rechte getroffen; denn die Briefe fanden sich, mein Bankier in Alexandrien hatte sie nur nicht ins Hotel adressiert, wie ich es gewünscht, sondern an ein hiesiges Bankierhaus. Jetzt bin ich in der alten Kalifenresidenz Misr-el-Cahira, die wir Kairo nennen, und wohne da in einem Hôtel d'Orient wie in Marseille, sehe aber über die Palmen und Akazien hinweg – die Pyramiden! »Quarante siècles vous regardent sprach Napoleon auf die Pyramiden deutend, und elektrisierte damit seine eitlen Franzosen, welche schon lieber von den Steinen als gar nicht angesehen sein mögen. Aber sie zu sehen diese fabelhaften Gebäude, welche das Altertum zu seinen Wunderwerken zählte, welche über die Grenzen unserer Geschichte in eine Zeit hinein ragen für die wir gar keinen andern Halt als Sagen haben, welche für unsre Epoche ein Gegenstand mühseliger Forschung und unsäglicher Bewunderung sind; sie aus meinem Fenster zu sehen, wie man bei uns einen benachbarten Kirchturm sieht: das ist allerdings sehr elektrisierend. Ich werde mich einige Tage damit begnügen sie aus der Ferne zu betrachten, und mich gehörig ausruhen bevor ich ihre Besteigung unternehme, denn meine sechzehn Nächte unter dem Zelt und ohne eine Schwelle zu betreten, haben mich sehr müde gemacht. Doch nur müde, sonst nichts, obwohl wir teilweise sehr übles Wetter, Stürme, Regenströme hatten. Der November ist der Monat wo sich die Jahreszeit ändert. Die Sonne, die in Gaza auf Sturm deutend im Staub der Wüste unterging, hat ganz richtig prophezeit. Schon die letzten Tage in El-Arisch waren durch heftigen eiskalten Nordwestwind außerordentlich unangenehm. Unsere Araber im alleinzigen Schutz ihres Nabekbaumes fühlten sich so unbehaglich, daß ihre Gesänge verstummten, und wir konnten uns gar nicht des widerwärtigen Staubes erwehren, der in alle Poren zu dringen schien. Wäre das nicht gewesen, so hätte ich die letzten Quarantänetage weniger qualvoll gefunden als die ersten: ich nahm die Briefe für Euch vor, die zu einem ganz riesenhaften Pack angewachsen sind, sah sie durch, ordnete sie, berichtigte Kleinigkeiten, erinnerte mich dabei lebhaftest an alles – und die Zeit verging. Beschäftigung ist eine wundervolle Erfindung!

Am 23. November nachmittags bekamen wir die Rechnung und die freie Praktika; die Rechnung dafür, daß wir fünf Tage unter Gottes freiem Himmel gezwungener Weise unsre Zelte bei einem Nabekbaum aufgeschlagen hatten. Und, als wir am Morgen des 24. gegen sieben Uhr zum Aufbruch fertig waren, als da ein paar Douane-Beamte sich in dem Augenblick einstellten wo die Koffer aufgepackt werden sollten, und sie durchwühlten wie Maulwürfe, daß das Unterste nach oben kam: da merkte ich wohl welche Fortschritte zur europäischen Kultur dies Land mache. Endlich saßen wir auf unserem Kamel, aber nicht auf dem, welches uns von Gaza nach El-Arisch transportiert hatte, und welches jetzt zwei Tage geschont werden sollte, sondern auf einem anderen größeren, mit einem so harten Tritt, daß ich Lust hatte Ach und Weh zu schreien. Zum Glück war es tückisch, und warf sich zweimal mit uns zu Boden, so daß ich durchaus ein anderes verlangte; denn man kann allzuleicht herunter fliegen, wenn das Tier sich unversehens niederstürzt. Wir bekamen ein drittes, das in seiner Art hübsch genug war, ganz weiß, und einen leichten, sicheren Tritt hatte. Das wechselte täglich mit dem ersten ab; und wenn es nur nicht so grenzenlos langweilig wäre, so könnte man es wohl aushalten; allein die Langeweile ist tödlich, die man bei dem pedantisch geregelten Schritt dieses Tieres aussteht. Ein Pferd kann man doch treiben und aufhalten und lenken, es hat doch nicht diese vernichtende Maschinenbewegung, die früh um 7 Uhr in Bewegung gesetzt erst nachmittags um 5 stockt. Nun, diese Stunde war die angenehmste des Tages! Um 2 fragten die Kameltreiber schon nach der Uhr und ob es nicht Zeit sei Halt zu machen. Ununterbrochen von früh bis spät mußte der Dragoman sie treiben, ermuntern, ermahnen, zanken – es war schrecklich! Und wär er nicht so ein tüchtiger und unermüdlicher Mensch, wir säßen noch in der Wüste. So gern ich auch nun schon um 2 Uhr von meinem erhabenen Sitz zur Erde herabgestiegen wäre, so überwog doch der Wunsch die Majestät der Wüste möglichst bald im Rücken zu haben und ich trieb nach Kräften vorwärts! Vorwärts! Aber die Wonne wenn die Uhren und die Sonne zu Rat gezogen wurden und endlich mit dem Verlangen der Kamelführer übereinstimmten, wenn der Lagerplatz gewählt war, wo möglich mit einem Sandhügel im Rücken der den Wind abhielt wenn das Kamel sich nach vielen Zeremonien zum Niederknien bequemt hatte, und wenn ich nun endlich auf meinen Füßen stand! Sie war aber nur aus dem vorhergehenden Unbehagen geboren und durchaus nicht mit irgend einer wirklichen Annehmlichkeit verbunden. Indessen, in den ersten Augenblicken gewährte das Lager doch ein wenig Unterhaltung. Die Kamele waren abgepackt und gingen die Heidekräuter fressen so lange es noch Tag war, später bekamen sie einen Beutel voll gehacktem Stroh mit ein wenig Gerste vermischt. Mein erster Schritt war immer zu den Hühnern, die ich erlöste und die grade so vergnügt wie ich ihre Füße zu brauchen eilten. Wie sie aber scharren und picken mochten, der Wüstensand gab ihnen nicht ein einziges Körnchen; daher entfernten sie sich nie von ihrem Reisekorb und gingen zur Nacht immer von selbst hinein.

Die Araber machten sich daran Brot zu backen, und zwar folgendermaßen. – Einige von ihnen hatten, zuweilen über dem Rücken, zuweilen auf der Brust je nach Richtung von Regen und Wind, Ziegenfelle mit der behaarten Seite nach innen. Waren diese tags Dolman gewesen, so verwandelten sie sich abends in Backtröge. Die Araber wühlten mit den Händen im lockeren Sande eine Grube, legten das Ziegenfell mit Mehl und Wasser gefüllt wie einen Beutel hinein, und kneteten den Teig wie in einem Napf. Hatte er die gehörige Konsistenz erreicht, so war auch schon ein Reisigfeuer prasselnd und flackernd zu Kohlen und Asche ausgebrannt. Dann wurde der Teig in flache Brote zerteilt auf die glühende Asche gelegt, und nach zehn Minuten halb verkohlt halb ungar in Fetzen gerissen und mit Zitronen verspeist. In diese bissen sie hinein, daß es krachte, und obgleich die kleinen Zitronen des Landes von köstlichem Saft und Aroma sind, so schmecken sie doch besser in Tee oder Limonade, als zum Brot. Aber Gott weiß daß diese Leute nicht verwöhnt sind! Eines Tages kam während des Marsches einer von ihnen atemlos gelaufen und bat den Dragoman um sein großes Küchenmesser. Wozu? Er hatte auf der anderen Seite des Hügels einen herrlichen Braten gefunden! Ein Kamel das ganz frisch, vielleicht erst gestern da gefallen war; dem würde er ein tüchtiges Stück Fleisch ausgeschnitten haben, wenn der Dragoman nicht mit Abscheu sein Messer verweigert hätte. Einmal wurde ihnen ein Hühnchen ausgeliefert, das ein Bein gebrochen hatte und auf dem Lagerplatz im Verscheiden anlangte; sie köpften und rupften es, und behandelten es hernach genau wie ihr Brot. Nie backten sie dies gemeinschaftlich, sondern immer an zwei oder drei Feuern, wozu denn auch das unsere kam, sodaß die Wüste ganz zigeunerhaft belebt aussah. In El-Arisch hatte der Dragoman ihnen eine große Wasserflasche geschenkt, damit sie sich unterwegs schöpfen und zum Lagerplatz mitnehmen könnten, denn es finden sich in der Wüste Brunnen und Quellen, doch sämtlich mit einem morastigen oder salzigen Geschmack, sodaß Europäer die nicht daran gewöhnt sind, es nicht trinken können, die Araber hingegen sehr gut. Am dritten Tage gibt es erst einen reinen Quell, also mußte wir das Wasser von El-Arisch bis dahin vorrätig haben. Das Entsetzen des Dragoman war nicht gering, als er gleich im ersten Nachtquartier plötzlich die Araber bei unsern Schläuchen sieht. Sie hatten es zu unbequem gefunden zehn Minuten abwärts mit dem Kruge zu gehen, obgleich sie zu ihrem Vergnügen beständig herumvagabundierten und nie bei den Kamelen blieben. Was war zu machen? Man mußte ihnen Wasser geben! Aber diese Fahrlässigkeit und Trägheit, die sich beständig auf andere verläßt, ist mir tödlich zuwider, weil sie auf der einen Seite als Frechheit und auf der andere an stumpfe Gedankenlosigkeit grenzt.

Sehr lange blieb es nicht munter im Lager. Man war vielleicht noch mehr erfroren als müde, denn der scharfe Wind verließ uns nicht, und nur jedem Regenguß ging momentan drückende Luft vorher. Die Sonne schien fast immer, aber nur unbequem stechend, nicht erwärmend, die weiche syrische Luft war gänzlich verschwunden. Ein sehr unbehaglicher Moment war der, wenn am Morgen uns das Zelt über dem Kopf abgebrochen wurde und wir nun unter dem dämmernden, naßkalten Himmel warten mußten bis die Kamele fertig waren. Anfangs fürchteten wir uns zwischen den Hügeln zu verirren, wenn wir voraus gingen, doch bald wurden wir dreist und gingen immer zwei bis drei Stunden um uns zu erwärmen und den Ritt selbst etwas abzukürzen. Ich gehe außerordentlich gern und leicht; aber auf gutem Wege. Im Wüstensand wurde es mir sehr schwer, weil ich nicht einen steigenden Schritt, sondern mehr einen schleifenden habe, folglich den Sand um meine Füße herum aufwühlte. Zweimal langten wir durchnäßt auf dem Lagerplatze an, aber gründlich, sodaß die wollenen Kleider über Nacht nicht trockneten, Zelte und Teppiche feucht wie sie waren am Morgen aufgepackt und die Kapots eben so umgehangen werden mußten. Da war denn der Morgenmarsch eine Notwendigkeit und ich nahm meinen Burnus um, zog den Capuchon über den Kopf, hing den Hut über die Schulter und wanderte tapfer, sodaß ein paar Stunden nach Sonnenaufgang die Sachen getrocknet waren. Ich dachte recht an Euch, was das für ein Glück ist, daß niemand von Euch solch eine Wanderlust hat, denn Ihr würdet gar nicht Körperkraft haben um immer gesund zu bleiben. Ich bin hier nun freilich in einem lieblichen Zustand angelangt, rot und braun im Gesicht marmoriert von Sonne und Wind, die Augen zu- die Lippen aufgeschwollen von der scharfen Luft, die Hände rauh für ewige Zeiten – aber während ich aus einem Weltteil in den anderen pilgerte, hatte ich nicht Zeit zu diesen Beobachtungen, und sie stören mich auch jetzt nicht. Wenn ich nach Nubien gehe, werde ich wohl ganz braun werden. Aber das sage ich jedem zur Warnung: wer keine starke Gesundheit hat und wem an seiner Schönheit etwas liegt, gehe nicht durch die Wüste!

Von El-Arisch bis Kairo hatten wir nur noch sieben Nachtlager und sieben und eine halbe Tagesreise, sodaß wir trotz der fünftägigen Quarantäne mit nichts zu kurz kamen, nur die Zitronen fingen an zu verderben, und am letzten Abend wurden die letzten Hühner an dem Feuer ihres Reisekorbes gekocht, weil die Kohlen verbraucht waren. In den letzten Tagen hörte auch die Sparsamkeit mit dem Wasser auf, die mir so lästig war, daß ich schon daran dachte das Jordanwasser zu verbrauchen, das ich mit dem Siegel der Terra santa verpetschaftet mit mir führe. Zum Glück war es so wenig heiß, daß man gar keinen Durst hatte und das Wasser zum Waschen verbrauchen konnte. Wie man das in der großen Wüste anfängt, begreife ich nicht! Wir hatten ein eigenes Kamel bloß für unsre Wasserschläuche und reichten doch nur knapp von einer Wasserstation zur anderen. Sand, vom Mittelmeer an den Höhenzug geschwemmt, der sich aus Arabien nach Ägypten zieht, das ist die Landenge von Suez, die wir an ihrer nördlichen Küste durchschnitten. Nie hat der Fuß eines Fremdlings hier anders geweilt als um sie in möglichstes Eile zu verlassen und wieder zu menschlichen Stätten zu gelangen; und die großen Karawanen, sowohl die andächtige, welche alljährlich nach Mekka pilgert, als die handeltreibenden, lassen keine andre Spur zurück, als Gräber und Gebeine. Kamele in allen Stadien der Verwesung, vom frisch gefallenen bis zum weißen Gerippe, bezeichnen den Weg dermaßen, daß wir uns zur Not ihrer als Wegweiser hätten bedienen können. Gräber der Menschen, die hier vor Mangel, Krankheit und Erschöpfung umgekommen sind, durch kleine Sandhaufen mit Tierknochen umsteckt bezeichnet, sind etwas Gewöhnliches. Langsam kreisen große Raubvögel in den Lüften; Krähen mit wildem Gekrächz und schwerem Flügelschlag versammeln sich in großen Scharen; katzenähnliche Raubtiere schleichen zwischen dem niedrigen Gestrüpp, alle machen Jagd auf Leichen! Die Wüste ist ein Totenacker in seiner trostlosesten Gestalt. Eine fantastische Luftspiegelung, diese Zauberei der Wüste, ist mir leider nicht erschienen. Auch keine reißenden Tiere. Nur einmal schlich ein dunkelbraunes, katzenhaftes um einen Hügel, und katzenähnliche Fußstapfen, nur viel größer, bemerkten wir bei unseren Morgenwanderungen, auch die niedliche Spur der Gazellenfüße, zart und bestimmt wie Blumenblätter im feuchten Sande ausgedrückt. Ein Trupp von vier dieser allerliebsten Tiere jagte einmal munter an uns vorüber. Das ist ein Kontrast! Die graziöse Leichtigkeit von Formen und Bewegungen der Gazelle, und die abgemessene Steifheit des Kamels, jene ist wirklich die Grazie des Tierreiches, und dieses ein kompletter Spießbürger: trocken, langweilig, pedantisch, maschinenhaft pünktlich in seiner Pflichterfüllung.

Von El-Arisch bis zur Wasserstation Catya braucht man fast drei Tagesmärsche. Da ist die Wüste zuerst stärker, dann schwächer gehügelt und mit stachligem Gestrüpp bewachen, das zuweilen halb, zuweilen ganz versandet ist, und im letzteren Zustand wie ein immenser Maulwurfshaufen aussieht. Catya ist ein Palmenwäldchen, das sich schon einige Stunden vorher durch ein paar Palmenbüsche ankündigt. Ein großer Brunnen und lange Tröge bezeichnen es als eine Oase für Karawanen und durchziehende Truppen. Zuweilen ist da ein Dorf – wenn man ganz niedrige Mauern von Lehm und Kameldünger, mit Palmenzweigen gedeckt, so nennen will – jetzt war da keines, denn nach der Dattelernte wird die Abgabe von anderthalb bis zwei Piastern für jede fruchttragende Palme eingefordert, und da laufen die Bewohner in die tiefere Wüste um sie nicht zu entrichten. Doch waren Menschen in der Nähe, denn ein Mann verkaufte Datteln an einen unserer Kameltreiber, und nachdem der sich satt gegessen, gab er den Korb zurück, behauptend die Datteln taugten nichts und wollte nichts bezahlen. Dieser Lärm! – Hier zum ersten Mal wurden unsere Kamele getränkt. Es war am 26. November. – Jenseits Catya passierten wir am andern Morgen ein Sandgebirge, eine hohe Hügelkette, die sich quer über unsere Weg legte, von blendendem Sand, so lief, daß die Kamele bis zum Knie versanken und sehr mühselig aufwärts stiegen, und so nackt und blank wie ein kahler Schädel. In einigen tiefen Gründen am Fuß der Hügel, wo sich zur Regenzeit einige Feuchtigkeit sammeln mag, standen Bouquets von Palmen, gegen den grellen Sand dunkel abstechend wie Büschel von schwarzen Federn. Jenseits dieses kleinen Gebirges lagerte sich ein Palmenwäldchen, wo man eben mit der Dattelernte beschäftigt war, und nun breitete sich eine unabsehbare Ebene aus mit festerem Boden und mit etwas strauchartigerem Pflanzenwuchs, und von ganz desolater Öde. Eine große Karawane von zahlreichen Kamelen und einigen Eseln, Männer, Weiber und Kinder, Mohren, alle buntfarbig gekleidet, reitend, gehend, in den Kamelfesseln hängend, die Tiere selbst auf jede Weise und mit allem möglichen Gerät bepackt, zum Beispiel eins mit drei Frauen, sodaß die mittlere auf dem Höcker thronte: erheiterte in ihrer Art das graue monotone Bild, und glich einem Schattenspiel, das über die kahle Wand fortgleitet und sie kahl zurückläßt.

Am 28. November näherte sich die triste Ebene dem Meer, und die Landschaft war so, daß wenn jemand im Schlaf dahin versetzt und bei seinem Erwachen gefragt würde, ob er sich in der arabischen Wüste oder in einer Ebene Schottlands oder am Kurischen Haff befände, er schwerlich die Wüste nennen dürfte. Zur Rechten hatte das Meer bei früheren Überschwemmungen Teiche gebildet, wie sie im südlichen Frankreich bei Sète und Narbonne sehr häufig sind. Dort gewinnt man Salz aus ihnen, und auch hier könnte man es; auf manchen Stellen des Weges lag Salz ganz weiß und klar. Jetzt war der Weg sehr morastig, besonders da, wo ein kleiner Meeresarm sich tief ins Land hineinschiebt. Eine Brücke führt hinüber, und Dämme haben früher die Wasser eingefangen; alles ein Werk Ibrahim Paschas, um die Verbindung zwischen Syrien und Ägypten zu erleichtern, das jetzt verfällt. Um Mittag sah man am Horizont eine dunkle Linie. Als die Kameltreiber sie gewahrten, fingen sie an vor Freude zu tanzen, und ihre monotonen Gesänge noch lauter als sonst erschallen zu lassen. Jene Linie war der große Palmenwald von Salahyeh, hinter welchem ein Arm des Nils fließt, und wir waren nun in Unter-Ägypten. Es dauerte aber noch fast vier Stunden bis wir ihn erreichten. Einzelne Lehmhütten mit Zäunen von Palmblättern für Ziegen, Schafe und Hühner, lagen am Saum des Waldes, der regelmäßig gepflanzt und mit Bewässerungsgraben durchfurcht ist. Die Menschen sahen gar nicht elend aus, und hatten Milch, Datteln, Hühner zum Verkauf. Die Weiber trugen hier allgemein die Verschleierung, welche ich seit Ramla bei einzelnen bemerkt hatte, nämlich ein Stück Zeug, das einer Halbmaske mit Florbart ähnlicher als einem Schleier ist. Blanke Häkchen halten es über der Nase und unter den Schläfen fest, und unter dem Kinn endigt es mit bunten Fransen oder kleinen blanken Zieraten besetzt. Augen und Stirn sind frei. Der große dunkelblaue Schleier der hinterwärts herabfällt, dient mehr als Shawl, und die Ärmel des ebenfalls dunkelblauen Kleides sind so lang und weit, daß die Weiber, um die Hände frei zu haben, sie ganz eigentümlich halten, nämlich bis zu den Schultern emporgehoben. Die Gewohnheit, alle Lasten auf dem Kopf zu tragen, mag vielleicht diese Haltung der Arme hervorgerufen haben, teils um mit ihnen eine Art von Gleichgewicht des Körpers zu bezwecken, teils um die Hände immer zur Hilfe in der Nähe zu haben.

Am Morgen des 29. gingen wir vor Sonnenaufgang in den Wald, der durch seine Regelmäßigkeit mit dem schönsten Portikus zu vergleichen war: die Stämme der Palmen bildeten die Säulen und die Kronen das Gewölbe. Ein einsames Weib kniete in diesen einsamen halbdunklen Hallen und verrichtete das Morgengebet. Mir war wirklich zu Mut als träte ich durch diesen Portikus in den uralten Weisheitstempel Ägypten. Doch die Wüste trat sogleich wieder in ihre Rechte, und die Kamele mußten, was sie höchst ungern und unsicher tun, drei jener großen Teiche mit uns passieren, die nicht zu umgehen waren. Sie hatten drei bis vier Fuß Wasser, sodaß die Führer sich fast ganz entkleideten um durchzugehen. Darauf folgte ein fester mit glänzenden Quarzen und bunten Kieseln bestreuter Kiesboden, der, sich selbst überlassen, kein Hälmchen trug, und aus dem doch der große schöne Palmenwald von Kerya emporwuchs, den wir gegen zwei Uhr erreichten. Volk aus benachbarten Dörfern war in ihm zusammengekommen und hielt Markt – hauptsächlich mit Datteln, Zitronen, baumwollenem Garn, Brot und Eiern. Da sah ich viele Weiber, und manche die außer ihren Körben auf dem Kopf noch ein Kind auf der Schulter reitend trugen, welches mit seinen Armen ihren Hals umklammerte. Hatten sie sonst keine Last, so saß das Kind ihnen auf dem Nacken reitend und hielt den Kopf der Mutter umschlungen. Der Mann ritt häufig sehr gemächlich auf dem Esel nebenher. Bei dem Dorf Abuhamed nahmen wir Nachtquartier, das von Morasten und Überschwemmungen umgeben war, und uns ein schrecklich ungesunder Ort zu sein schien, umsomehr als wir bei einem tüchtigen Regenguß anlangten. Der nächste Morgen, der 30. November, war aber wunderhübsch! Von hier an verändert das Land seinen Charakter, oder eigentlich der Mensch verändert ihn, denn ganz Ägypten würde eine tote Wüste sein, wenn die Überschwemmungen des Nils nicht durch Kanäle, Dämme, Schleusen, Gräben über den Boden verbreitet würden, auf dem die allmählich zurücktretenden Gewässer ihren befruchtenden Schlamm absetzen oder dessen Pflanzungen sie ernähren. Wo kein Wasser hindringt, nimmt die Wüste ungestört Boden ein, und so kommt es, daß sie unmittelbar, ohne Übergang an ein Paradies stößt. Es war ein herrlicher Morgen, klar, sonnig und warm. Wir gingen drei Stunden, von halb sieben Uhr an, und zuerst neben einem Baumwollfeld in Blüte, dessen Staude mir etwas Niegesehenes war. Auf der andern Seite standen Überschwemmungswasser, flach und unbeweglich wie unsre Waldwasser, und Palmen, Nabekbäume und Sykomoren spiegelten sich still und klar in ihnen. Allerlei Gevögel flog um mich herum, der Wiedehopf ging am Ufer spazieren, der Kiebitz flatterte kreischend vor mir her, hübsche marmorweiße Wasservögel saßen in Scharen beisammen; Tauben, rötlichbraun von Gefieder wie Karneol, wiegten sich gurrend und lachend auf den langen Palmzweigen – alle so zahm und furchtlos, und so fröhlich in ihren Tönen redend, wie bei uns die ewig gescheuchten und gejagten Vögel gar nicht mehr den Mut haben. Menschen gab es nicht. Diese stillbelebte kindliche Welt, die üppig und reich aus den Wassern auftauchte und nur von harmlosen Tieren bevölkert war, kam mir vor wie am Schöpfungsmorgen: so merkwürdig friedlich und unentwickelt. Ich stand zuweilen still und sah mich um; eine solche Kindlichkeit unserer alten Erde kann man sich unmöglich vorstellen! Wie über Nacht geboren und in der Wiege liegend. Ich sage gar nicht, daß es wunderschön war. Ein Kind in der Wiege ist keineswegs schön, nur merkwürdig, weil es die erste Stufe des Menschenlebens ist, und hier war die erste des Naturlebens. Einen so eigentümlich frappanten Eindruck macht selten der Eintritt in ein neues Land. Doch bitte ich Dich, daß Du nicht den Wüstencharakter aus den Augen läßt, liebe Mutter. Von Abuhamed bis Kairo sind noch anderthalb Tagesreisen, und Du legst sie fast ohne Unterbrechung so zurück, daß Du zur Linken die völlig tote, tagelange Ebene bis Suez hast, und zur Rechten Palmenwälder, Wasserflächen, Baumwoll- und Maisfelder abwechselnd, und mit Sand- und Kiesstrecken durchschossen; – links die Wüste, rechts ein Garten Gottes; – links ein grelles, hartes Gelb, rechts ein Grün funkelnd und glänzend wie Email; und dieser schneidende Kontrast durch nichts bewirkt, als durch den kleinen Graben, der hier gezogen ist und da aufhört. Zur Rechten war das Land an manchen Stellen noch so überschwemmt, daß ganze Dörfer und Palmenhaine wie Inseln darin lagen, sodaß man einen schmalen Erdwall quer durchs Wasser aufgeworfen hatte, auf dem die zahlreichen Schaf- und Ziegenherden abends zu ihren Ställen gelangten. Die Dörfer, mögen sie nun groß oder klein sein, sind immer in gleicher Weise gebaut, wie Salahyeh: Lehm ist das Material der rohen Wände, und zuweilen sind sie ganz dachlos, zuweilen mit Palmenzweigen gedeckt. In den größeren finden sich Moscheen und Minarette, und bei allen die traurigen, zerfallenen Gottesacker der Mohammedaner, bei deren Gräbern manchmal Weiber in ihren dunkelblauen Gewändern wie Schatten der Verstorbenen sitzen. Erst um halb sechs Uhr, nach einem elfstündigen Tagesmarsch und nach Sonnenuntergang, erreichten wir Abuzabel, ein Dorf, in welchem Mehemed Ali Arzneischule und Militärhospital, die jetzt nach Kairo versetzt sind, in einem großen stattlichen Gebäude, von Gärten umringt, anlegen ließ. An der Gartenmauer, neben den Zelten der Wache, campierten wir zum letzten Mal für lange Zeit im Freien. Der heiße Duft der Akazien quoll aus dem Garten zu uns herüber, während vom Dorf der widerliche Rauch des bewußten Brennmaterials uns anwehte.

Gestern, am 1. Dezember, war die ganze Karawane um halb sieben Uhr marschfertig, und ich sehr entschlossen mich nicht wieder auf mein Kamel zu setzen. Schon in Salahyeh hatten wir Esel verlangt, doch keine bekommen können. Jetzt gingen wir zu Fuß, vielleicht eine halbe Stunde, nach dem großen Dorf Kankah, um welches sich weite Wasserspiegel und üppige Gärten ausbreiteten. Die Esel fanden sich auch – und erlöst von meinem Spießbürger, ging es nun munter vorwärts, neben und unter Palmen, in solcher Masse und Fülle, daß ich ganz beschämt bin von denen in Gaza einiges Aufheben gemacht zu haben, – dann durch eine prächtige, fast ganz zugewölbte Akazienallee, auf einem gemachten festen Wege; – und plötzlich hört das alles auf! Man findet sich mit einigem Schreck auf der alten, wohlbekannten wüsten Ebene wieder, die Gott weiß wie lang und wie breit ist, wieder zur Rechten ihre einzelnen bebauten Stellen, und wieder zur Linken – nichts hat als eben auch den bekannten Höhenzug des arabischen Gebirges, welcher hier der Mokkatam heißt. Indessen war die Ebene nicht mehr menschenwüst. Die Dorfbewohner brachten Orangen und Zitronen, Datteln und Bananen zur Stadt und aus ihr kamen Reisende, Geschäfts- und Handelsleute, Kamel- und Eselzüge, Soldaten die ihre Pferde einritten; – kurz, der ganze Verkehr, der eine große Stadt umkreist, gab sich kund je näher wir kamen. Endlich auch Wagen! Europäische Spazierfahrten – welch ein ungewohnter Anblick! In einer kleinen Droschke Ibrahim Pascha, in einem Coupé mit vier Pferden Abbas Pascha. Laufer rennen voran – das ist in Europa eine verschollene Mode. Am Abhang des Mokkatam erhebt sich die Zitadelle, die Residenz der Herrscher Ägyptens; zu ihren Füßen liegt die große, große Stadt wie ihr gehorsames Volk. Eine Menge zierlicher Minarette schießen klar aus dem unklaren Häusergewühl empor, das mit Palmen und anderen Bäumen umgeben und durchwachsen ist. Mehr im Vordergrund präsentiert eine ganze Reihe von Windmühlen ihre disgraziöse Form auf Sandhügeln erhoben, und einzelne große Grabmäler lösen sich von der Masse der weitläufigen Totenfelder ab. Aber im Hintergrund, jenseits der Stadt, erheben sich ein paar mächtige Gebilde – sind's Hügel? Sie sind zu regelmäßig; sind es Gebäude? Sie sind zu gigantisch; – die Pyramiden von Gizeh sind es. Sie dominieren und beherrschen das Bild, und ziehen magnetisch den Blick an. Mit Recht! Wie die Gemälde der Urahnen in einem langen Ahnensaal, beginnen sie den Reigen der Entwicklung, den das Menschengeschlecht in jener Sphäre zu durchwandern hat, wo die übersinnliche Idee sich in ein sinnliches Gewand hüllt um den bezweckten Eindruck zu machen, und welche wir die Kunst nennen. Bei diesen Schöpfungen haben Urkräfte tätig sein müssen, nicht bloß materielle, sondern auch geistige. Nun, davon später! – – Wir ritten nicht zum Tor hinein, in welchem unser Weg mündete, denn es war gegen Mittag, wo das Volksgewühl in den schmalen Gassen groß ist, sodaß die bepackten Kamele schwer durchkommen. Wir bogen rechts ab, und ritten an den Mauern fort, zwischen ungeheuren Schutthaufen, zwischen Gärten voll der herrlichsten Bäume, zwischen jungen Saatfeldern; vorüber an ein paar Toren, an Kaffeehäusern fürs Volk, unter mächtigen Sykomoren aufgeschlagen, endlich durch eine Vorstadt, die von Soldaten und ihren Familien bewohnt sein soll, wo die dörflichen Lehmkasten wie Schwalbennester an der Stadtmauer kleben, und wo ein betäubendes Gewimmel von Weibern und Kindern uns umschwirrte, wie es schien in Staub gebadet und mit Schmutz gesättigt – ein Anblick der sich zum Eindruck des Ganzen verhielt wie ein ekelhafter Fleck auf einem prachtvollen Kleide. Endlich ritten wir durch ein kleines enges Tor, und befanden uns auf dem immensen Esbekyeh-Platz, der europäisch promenadenartig mit Kanälen, schattigen Alleen und weißen Häusern umgeben ist. Eins dieser Häuser ist l'Hôtel d'Orient. – Ich war in Kairo und hatte den Wüstenzug hinter mir.


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