Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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1. An meine Mutter

Wien, August 22, 1843

Heute nur zwei Zeilen, Herzensmama, um Dir zu sagen, daß meine Abreise definitiv auf übermorgen früh um 5 Uhr angesetzt ist. Wundre Dich nicht, daß ich Dir aus dem schönen, reichen, fröhlichen, bunten Wien fast nichts sage als: ich bin angekommen und reise ab. Mein Hauptgedanke in diesen vierzehn Tagen war ja der an meine Abreise, und des Verkehrs mit Handwerkern und Kaufleuten war kein Ende, da man sich zu einer solchen Reise mit einer Menge von Notwendigkeiten versehen muß, die man am Libanon und bei den Pyramiden nicht findet. Ich spreche gar nicht von Luxus oder Bequemlichkeit sondern nur von Notwendigkeiten. Es ist aber wirklich keine kleine Plage so lange voraus bedenken zu müssen, ob man mit Schuhen und Handschuhen reichlich versorgt sein werde. Der Hauptzweck, weshalb ich hierher kam, um mir Briefe für den Orient zu sammeln, ist erfüllt. Im zivilisierten Europa, wo der Reisende alles findet, ja wo ihm angeboten und aufgedrungen wird, was er nur irgend bedarf, sind Empfehlungsbriefe fast immer unbequem, weil man durch sie in gegebene Beziehungen tritt, während man, besonders auf Reisen, die selbstgewählten vorzieht. Aber für den Orient stelle ich sie mir unerläßlich vor, weil man in den Fall kommen kann, nicht bloß Gastfreiheit sondern auch Schutz, Rat, Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Diesem Wunsche ist man hier mit der größten Freundlichkeit entgegen gekommen, und reich ausgestattet ziehe ich von dannen.

Indessen habe ich doch nicht ganz wie mit verbundenen Augen in Wien gesessen. Ich war in Baden und in Vöslau; ich habe Strauß im Volksgarten und in Dommeiers Casino zwischen Illumination, Feuerwerk und Tausenden von Menschen gehört; ich habe die Theater besucht, und den St. Stephan bewundert; die Gemäldegalerien betrachtet und bei Dehne Abends Gefrorenes gegessen; – kurz, ich habe alles getan was der Fremde hier zu tun pflegt und es hat mir auch Vergnügen gemacht, nur freilich nicht so, als wie wenn Wien das Ziel meiner Reise gewesen wäre. Und doch sind das fast lauter Dinge, woran ich kaum unter Jahresfrist mich wieder erfreuen kann, und wonach ich vielleicht in den fremden Ländern Sehnsucht haben werde. Aber ich kenne sie, und was ich noch nicht kenne – grade das möchte ich kennenlernen; denn kennen ist wissen, und Wissen ist eine noch schönere Sache als die Freude über den St. Stephan, über die bacchantischen Jubelwalzer von Strauß und über die Venetianischen Meistergemälde im Belvedere. Allein ich kann nun einmal nicht anders als streben und immer streben, und daher geht mir der Drang zur Erkenntnis über das, was ich bereits erkannt habe. Bald nun werde ich wissen, wie der Orient sich im Auge einer Tochter des Okzidents abspiegelt.

Und was ist denn leben anderes, als seine Kräfte gebrauchen und mit dem Leibe die Seele nähren? Was die wunderschöne Fabel vom Phönix erzählt daß er sich einen Scheiterhaufen baue aus dessen Flammen er verjüngt erstehe: paßt auf den Menschen, nur daß der nicht so selten als der Phönix ist. Der Abschnitt unsrer Existenz, welcher auf der Erde verläuft, ist ja im Grunde nichts als ein Scheiterhaufen, den wir mit Leib und Leben, mit himmlischen und irdischen Gaben nähren; aber freilich meistens ohne es zu wollen, bewußtlos, und erst wenn wir darüber nachdenken, fällt es uns ein, wie es ist. Ein Dasein, das sich nicht in dem Gebrauch seiner Kräfte üben und verzehren kann, darf man nicht mehr ein Leben nennen.

Ich war in Schönbrunn, in dem schönen Garten, der alle Arten von Gärten in sich schließt. Feierlich und majestätisch ist er mit seinen unendlichen Hecken und Alleen bis zur Gloriette, wo man einen hübschen Aussichtspunkt hat; dann nimmt er einen ungenierten, freieren, parkähnlichen Charakter an. Ein lieblicher Pflanzengarten, in welchem die hölzernen Etiketten an Bäumen und Blumen nicht dominieren, schließt sich an ihn, und eine Menagerie mit ausländischen und wilden Tieren liegt ganz vertraulich zwischen den Promenaden. Ich habe nun gar keine Sympathie für diese Bestien. Man sagt immer: wie klug ist der Elefant, wie majestätisch der Löwe etc., und in der Freiheit mögen sie es sein; aber in der Haft finde ich sie nur unbehaglich, und den Elefanten wahrhaft scheußlich durch seine Unform. Aber ein Tier rührt mich ganz unsäglich, und das ist der Adler, denn er gibt im Käfig das schmerzlichste Bild von dem namenlosen Leid der Gefangenschaft. Unbeweglich sitzt er da, kein Federchen regt sich, er scheint sich versteinert zu haben gegen sein Schicksal; nichts lebt an ihm, als sein Auge, und das ist ein wunderschönes, menschenähnliches Auge, nicht kugelrund wie bei anderen Vögeln, sondern das obere Augenlid etwas herabgedrückt und dadurch mehr oval. Und mit diesem melancholischen, metallisch glänzenden Auge, worin sich der Ausdruck seines Lebens konzentriert, und das in rastloser Bewegung ist, blickt er nie die Menschen, seine Peiniger an, sondern immer in einen freien Raum. Man kann nicht sagen, daß er den Blick des Menschen vermeidet, nein, er bemerkt ihn nicht. Es ist als fühle er, daß ihre Blicke nicht geschaffen sind um sich zu begegnen. Nun, dieser Adler so majestätisch und poetisch in seiner Schwermut, wird in der Haft uralt, weit älter als in der Freiheit, und zwar deshalb – weil man ihn reichlich mit Nahrung versorgt, während es oft nur schmale Bissen in seinem Horst gibt. Aber ist diese Existenz ein Leben für den Adler? Ich meines Teils bin für die Freiheit, für schmale Kost und ein kurzes Leben. – –

Gestern habe ich wie durch einen Zauberspiegel ein Stückchen Orient gesehen, und nicht etwa in einem Panorama oder auf dem Theater, liebe Mutter, sondern in der Wirklichkeit. Wir waren in Hietzing bei dem Baron Carl Hügel, der eine orientalische Reise im großen Stile gemacht hat, und nicht bloß in Ostindien – Syrien, Ägypten, Arabien ungerechnet – sondern auch in China, Neuholland und Neuseeland gewesen ist. Auf dieser sechsjährigen Reise hat er Sammlungen gemacht, von denen der Kaiser den größten Teil angekauft, und die ich bei meinem früheren Aufenthalt in Wien schon gesehen. Aber die Crême von allem hat er behalten und dadurch seine reizende Campagne zu etwas gemacht, desgleichen ich noch nie gesehen, und das auch nicht zu beschreiben ist.

Es war dunkler Abend als wir vom Diner aufstanden und unter die offene Halle traten, die sich an der Gartenseite des Hauses hinzieht. Amerikanische Schlingpflanzen umranken ihre Pfeiler; große glühende tropische Blumen wiegen langsam ihre schönen Häupter in der Abendluft, Papageien in allen Größen, in allen Farben, sitzen träumerisch und traulich zwischen diesen Blüten in einer fremden Zone, die ihre Heimat ist; feiner starker Arom, den südlichen Pflanzen eigen, erfüllt die Atmosphäre; und die ganze duft- und farbenreiche Szenerie war in das magische Licht von großen zierlich bemalten chinesischen Lampen getaucht, die an den Bogen der Halle wie schimmernde Leuchtkugeln zwischen den grünen Ranken schwebten. Wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht war es; und doppelt feenhaft erschien es neben all dem Komfort europäischer Zivilisation und Bildung. Eine volle fremde wunder- und sagenreiche Welt ging in einigen Stunden, wie ein Traum, an dem erfreuten und staunenden Auge vorüber. Mit diesem anmutigen Eindruck entläßt mich Wien. Heute ist Schreibetag, morgen Packtag. Der ist trostlos! – Denn wenn ich mich auch nicht unmittelbar um das Einpacken bekümmere, so macht es sich doch auf unbehagliche Weise bemerkbar, indem ich allmählich in einem ausgeräumten Zimmer sitze und die Sachen unter meiner Hand verschwinden sehe, die ich gewohnt bin zu brauchen.

Und nun, meine herzliebe Mutter, lebe tausend und abertausend Mal wohl, und sorge nicht um mich. Wer ungefährdet durch die Säulen des Herkules geschifft ist, wird auch wohl glücklich durch den Bosporus kommen, und schlechter als das Kattegatt ist das schwarze Meer auch nicht. Frisch an Leib und Geist trete ich die Reise an, und traue mir Kraft genug zu, um mir für die Zukunft einen Schatz von Erinnerungen gegen einige Mühsale und Beschwerden in der Gegenwart eintauschen zu können. Gott mit uns.


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