Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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19. An meine Schwester

Beirut, Sonnabend, Oktober 21, 1843

»De las cosas mas seguras, la mas segura es dudar.« Diese vortreffliche spanische Behauptung findet hier ihre volle Anwendung, liebes Clärchen. Hier ist man immer im Zweifel ob man dieses oder jenes wird tun können, ob es zu Stande kommt, ob es diesem oder jenem, der für schweres Geld dabei behilflich sein soll, gefallen wird zur rechten Zeit den kleinen Finger zu bewegen. Den Wert der Zeit kennt man hier gar nicht. Heute? Warum denn heute? Warum nicht übers Jahr? Es ist eine Indolenz, die man begreifen könnte, wenn sich die Gleichgültigkeit auf Gelderwerb erstreckte. Doch mit nichten! Bei diesem Punkt hört sie auf! Geld wollen sie möglichst viel, nicht sowohl verdienen als abpressen, und dafür so wenig tun als ihnen beliebt. Mir fällt dabei Eulenspiegels Axiom ein: »Gib mir was dein ist – (Geld) – ich will behalten was mein ist – (die Dienste)«. – Nun, ich hoffe als eine echte Philosophin nach Europa zurückzukehren; echt nenne ich praktisch, von der spekulativen Philosophie halt' ich fürs Leben nicht viel. Aber ich hoffe in dieser praktischen Schule gelassen, langmütig, ruhig zu werden – lauter Dinge an denen ich starken Mangel leide, wie Du wohl weißt. Gott, in Deutschland! da reise ich mit der Uhr in der Hand, und fahre ich auf der Eisenbahn von Dresden nach Leipzig fünf Minuten über das Gewöhnliche, so sage ich: Man hat auch keinen großen Zeitgewinn durch die Eisenbahnen! – Und zögern die Postpferde eine halbe Minute beim Umspannen, so sage ich sehr verdrießlich: Was das für eine schlechte Postverwaltung ist! – Um Eisenbahnen und Postpferde in ihrer ganzen Glorie zu sehen, muß man sie von hier aus betrachten. Auf dem Antilibanon hat man grade den richtigen Standpunkt.

Am siebzehnten hielten wir erst gegen acht Uhr unseren Abzug aus dem Kloster, denn da die Pferde und Knechte eine andere Herberge hatten, so war es unmöglich sie um sechs auf dem Platz zu finden. Sie kamen um sieben, und packten so schlecht, daß die ganze Bagage immer drauf und dran war in den engen Bazars auf irgend einen Laden zu stürzen und ihn zu zertrümmern. Unter anderem kamen wir durch den der Fleischer – eine abscheuliche Partie! – da wurden die Hammel für ganz Damaskus geschlachtet, gehäutet, gevierteilt, und unsre Pferde schritten durch die rinnenden Blutbäche und über die zuckenden Tiere. Ich war froh als wir nach dreiviertelstündigem Ritt das Tor endlich hinter uns hatten, obzwar nun sogleich wieder Halt gemacht und das ganze Gepäck umgelegt werden mußte. Wo die Gärten von Damaskus aufhören, ist die Vegetation wie abgeschnitten, und über steinige und steile Wege zieht man in die kahlen weißlichen Berge hinein. Da spricht sich der Oasencharakter der Stadt recht deutlich aus. Bis halb drei Uhr ritten wir durch die bergigen Wüsteneien des Antilibanon ohne durch ein Dorf oder an einen Bach zu kommen. Endlich fanden wir beides vereint und die Mukéri wollten für die Nacht Halt machen. Eigentlich heißen die Maultiertreiber so und wir hatten nur Pferde; aber man braucht für diese ganze Klasse von Leuten dieselbe Bezeichnung ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit ihrer vierbeinigen Pfleglinge. Wir fanden es langweilig am frühen Nachmittag und bei dem schmutzigen Dorf zu campieren, und wollten weiter. Sie gehorchten auch, aber unter fortwährendem Gezänk – und was das heißt ein arabisches Gezänk, dies Schreien, Brüllen, Toben, Hantieren, so daß sie ganz atemlos und heiser werden: das kann man sich sogar in Neapel nicht vorstellen. Dann hielten sie den Zug geflissentlich auf, bald um die Pferde zu tränken, bald um das Gepäck zu ordnen, das jetzt durchaus nicht dessen bedurfte. Giorgio der eben auch keine Lammsnatur hat, verlor endlich dermaßen die Geduld, daß er dem Seïs einen Schlag mit der Gerte gab, und dieser warf um sich zu rächen das ganze Gepäck eines Pferdes in den Bach durch den wir eben gingen. Nun waren wir genötigt zu bleiben, denn es mußte herausgezogen und getrocknet werden; und so schlugen wir denn um halb 4 Uhr auf freiem Felde, in einer öden Felsenschlucht die Zelte auf – aber unter welchem Lärm, das bin ich unfähig zu beschreiben! Ich gab denn auch zuletzt mein Wort dazu, oder eigentlich zwei, und sehr gewichtige. Ich sagte majestätisch: »Mafisch Bakschisch«, d. h. es gibt kein Trinkgeld. Eigentlich hätte ich sagen müssen: Es wird keins geben, – aber bis zum Konjugieren hab ichs noch nicht im Arabischen gebracht. In dem Tumult des Augenblicks schien es ungehört zu verhallen, aber am andern Morgen suchten mich die Mukéri zu versöhnen, indem sie an das Zelt kamen und die Hand auf die Brust gelegt: »Buon giorno, Signora« sagten, um mich ihrer Ergebenheit zu versichern. Ich ließ ihnen durch Giorgio sagen, daß ich im Khan Murad schlafen und am andern Tage in Beirut sein wolle: darauf möchten sie sich einrichten. Damit waren sie einverstanden und der Friede gemacht. Was das aber für ein kalter Morgen war, der des achtzehnten Oktobers im Antilibanon bevor die Sonne aufging, das ist hier in dem sommerlichen Beirut gar nicht zu glauben. Meine Finger waren so erstarrt, daß ich sie am Halse meines Pferdes zu wärmen suchte, während das arme Tier selbst zitternd und mit eingeklemmtem Schweif dastand. Sobald die Sonne über die Berge kam wurde es erträglicher, und in den Mittagsstunden war es warm; heiß nie. Wir ritten von halb sieben Uhr bis ein Viertel nach Eins um den Khan el Merdschi in der Bekaa zu erreichen. Bis dahin kein Dorf, kein Tropfen Wasser, kein Khan – nichts! Der Antilibanon hat etwas unerhört Ungastliches auf diesem ganzen Wege. Doch begegneten wir einigen größeren und kleineren Maultierzügen, die mit Warenballen bepackt nach Damaskus zogen, bis zu vierzig und fünfzig Tiere hintereinander. Später im Jahr, wenn Stürme und plötzliche Gewitter häufig sind, ist dieser Weg gar nicht zu machen, denn auf sieben bis acht Stunden Entfernung gibt es kein Obdach, keinen Schutz, kein Unterkommen. Der Khan el Merdschi liegt am Leontes und grade da, wo eine Brücke über ihn führt. An anderen Stellen könnte man ihn wohl auch getrost durchwaten, allein seine Ufer sind sehr morastig, daher nehmen alle Reisezüge ihren Weg über die Brücke und der Khan ist des zahlreichen Zuspruchs wegen ungewöhnlich groß und so brillant eingerichtet, daß ich Lebben bekommen konnte, so heißt saure Milch. Ein großer Kamelzug hielt Mittagsruh; da betrachtete ich mir diese Tiere, die mich vermutlich nach Ägypten bringen werden. Einladend sehen sie keineswegs aus, und das gurgelnde Gebrüll womit sie wiedertrinken – ich denke man kann so sprechen, da man ja wiederkäuen sagt – ist wirklich erschreckend. Nach halbstündiger Rast brachen wir auf und begannen bald den Libanon zu erklimmen, dessen Pfade wenn nicht halsbrecherisch, doch gewiß beinbrecherisch genannt werden müssen. Unsre armen Pferde, die so schrecklich schlecht gefüttert und gar nicht gepflegt wurden, die als einziges Nahrungsmittel alle Abend eine kleine Portion gehackten Strohes mit etwas Gerste bekamen, waren denn auch natürlich nicht übermäßig kräftig, und ich freute mich recht, daß im Khan Murad, den wir in drei Stunden erreichten, eine Art von Stall sie aufnahm; denn der Wind pfiff schneidend über die Berge. Unser Zelt wurde aufgeschlagen – rate wo? Auf dem flachen Dach des Khans. Das war die einzige ebene Stelle. Die Stricke wurden um schwere Steine gewickelt, welche die Zeltpflöcke vertreten mußten, und da oben campierten wir, allerdings sehr luftig, aber doch besser als eine Gesellschaft von Engländern, die nach uns anlangten und, ohne Zelt reisend, im Khan selbst zwischen dessen menschlichen und tierischen Bewohnern die Nacht zubrachten.

Hier in Battistas Gasthof gab es eine große Überraschung für mich. Als der Druse Francesco mich in mein ehemaliges Zimmer führte, erkannte ich es nicht, so vorteilhaft hatte es sich verändert: Wände und Decke frisch überkalkt, und die Vorhänge meiner sechs Fenster und meines Bettes so weiß wie gefallener Schnee, sämtliche Spinnen verschwunden – kurz, ein Zimmer wie ein Lilienkelch so hell und rein. Ich bin ganz vergnügt darüber, umsomehr als die Casa nova kein Lilienkelch war. Gestern war Rasttag, und heute früh wollten wir über Tyrus und Sidon nach dem Karmel abreisen, nahmen also gestern vom Generalkonsul und seiner Frau Abschied bis zum Wiedersehen in Deutschland – oder hier! Denn die Unruhen in der Landschaft Samaria sollen nach den letzten Nachrichten so bedeutend sein, daß es schwer fällt nach Jerusalem zu kommen, und ob nun gar durch die Wüste – davon hat hier niemand auch nur die geringste Ahnung. Da ists heut sicher und morgen unsicher, wie die Beduinen grade gesinnt sind – so scheint es. Ich bin aber gesonnen die unbequemste Reise zu Lande der zu Wasser vorzuziehen; denn da hier die Dampfschiffslinien aufgehört haben, so muß man sich einem Segelschiff anvertrauen, und dazu fehlt mir denn doch die Geduld. Heut morgen, als ich bereits ganz reisefertig gekleidet war, kam Giorgio mit der angenehmen Nachricht, daß, da er gestern mit dem Pferdevermieter keinen festen Kontrakt abgeschlossen habe, derselbe heute mehr und Ungebührliches verlange. Da dieser Zank natürlich den ganzen Morgen ausfüllen wird, so gaben wir freiwillig die Abreise für heute auf, um nicht von einer Stunde zur andere vergeblich hingehalten zu werden. Hatte ich aber nicht Recht zu Anfang meines Briefes zu sagen: vor allen Dingen sei der Zweifel das sicherste? Der Mohammedaner spricht auch nie: dies oder das werde ich morgen tun, ohne hinzuzufügen »Inschallah«, d. h. so Gott will. Es ist ausdrücklich eine Lehre des Korans und begründet sich darauf, daß Mohammed über die Geschichte der Siebenschläfer befragt, sagte: er wolle ihnen morgen die Sache mitteilen; aber erst später eine Offenbarung darüber erhielt. »Maschallah«, d. h. was Gott will! hört man auch sehr häufig, am allerhäufigsten aber »Ya Allah«, ausgesprochen Yallah, d. h. o Gott. Mit Yallah! kann man schon eine kleine Konversation machen, denn es ist ein freudiger wie ein schmerzlicher Ausruf, drückt Staunen, Überraschung, Zorn aus, und bedeutet Vorwärts!, gut gut!, recht so!, meinetwegen! – Yallah ist ein eben solches vieldeutiges Proteuswort wie das spanische Vaya vaya und man hört es auch eben so viel. Der arabische Gesang erinnert ebenfalls an den des spanischen Volkes, ist wie jener für unser Ohr unharmonisch. Die Mukéri sangen wenn sie guter Laune waren den ganzen Tag, d. h. sie stießen mit aller Kraft ihrer Lunge ein wildes lautes Getön aus, das wirklich mehr Ähnlichkeit mit Gezänk als mit Gesang hatte. Fielen sie aus diesem in jenes, so war der Unterschied wenigstens nicht groß.

Die Mäßigkeit dieser Leute beschämte mich wirklich. Ich dachte Wunder wie mäßig auf dieser Reise zu sein, und hatte doch alles was ich brauchte reichlich und aufs Beste, nur nicht mit vielfacher Abwechslung. Die Mukéri, die täglich acht bis neun Stunden abscheulichen Weges zu Fuß machen mußten, lebten von einem Stück Brot groß wie meine Hand, und kamen wir an einem Weingarten oder einem Maisfelde vorüber, so fouragierten sie darin und nahmen eine Traube oder einen Kolben mit auf die Reise. Das war die ganze Zehrung. Wenn im Wasser nährende Stoffe sind, so ist es begreiflich, daß sie wenig Speise brauchten, denn sie tranken es wie ein Schwamm es einsaugt, und übergingen keinen Bach, keinen Brunnen, keine Pfütze. Nährt es nicht, so müssen sie die Fähigkeit der Kamele besitzen, welche im voraus trinken können. Mit leerem Magen wickelten sie sich alle Abend in ihre jämmerlich dünnen Mäntel, aus denen die nackten Beine fröstelnd hervorkamen, streckten sich über dem steinigen Erdboden aus, und schliefen unter Gottes schönem, aber eiskalten Himmel den Schlaf der Gerechten, so daß Giorgio sie jeden Morgen wecken mußte. Zähneklappernd packten sie die Pferde; so wie aber die Sonne kam sangen sie, daß die Berge bebten. Zuweilen lief einer oder der andere eine Strecke vorweg um sich dann bis zu unsrer Ankunft ausruhen zu können. Das bewerkstelligte er, indem er sich auf seine eigenen Fersen niederhockte. So sitzt der Araber; mit unterschlagenen Beinen sitzt der Türke. Mir scheint jenes noch bei weitem unbequemer als dieses. In unserem letzten Zelt-Nachtlager beim Khan Murad starrte ich unseren Seïs mit meinen größten Augen um seiner Geschicklichkeit willen an: er hockte auf den Fersen und schrieb in dieser Stellung auf seiner linken Hand mit Tinte und Feder die Rechnung, die er in Beirut seinem Herrn vorlegen mußte. Diese Schriftgelehrsamkeit bei einem arabischen Seïs setzte mich wirklich in tiefes Erstaunen. Bei uns, wenn ein junger Mensch es so weit gebracht hat, wird er flugs Schriftsteller; hier bleibt er Maultiertreiber. Diese gesunde Selbstbeurteilung spricht doch sehr für den Araber. Indessen soll er sie nicht in allen Stücken haben, vielmehr höchst eitel sein und sich den Europäern für unendlich überlegen halten. Da er glaubt, nichts von ihnen lernen zu können, so lernt er auch nichts, während seine Talente ihn doch sehr dazu befähigen. Daher ist es unerhört schwer mit ihm zu leben, und für Handwerker, Dienstboten und dergleichen an ein Volk gewiesen zu sein, das alles besser zu wissen meint, nichts tun mag, und von dem Europäer Vorteil haben will. Aus eigener Erfahrung kann ich dies natürlich nicht wissen; aber so erzählt man mir. Dennoch, wenn man aus Damaskus kommt, erscheint Beirut höchst zivilisiert. Durch die Konsuln ist eine kleine europäische Gemeinschaft gebildet; zweimal im Monat kommen Dampfboote mit Briefen und Zeitungen ziemlich regelmäßig an; andre Schiffe, französische und englische besonders, bringen Nachrichten und Menschen aus anderen Ländern und setzen mit ihnen in Verkehr; in zwei Gasthöfen findet der Reisende Unterkommen, bei europäischen Kaufleuten kann man sich mit manchem versehen was man zur ferneren Reise braucht. Bei längerem Aufenthalt genügt das alles unsere Ansprüchen an Gesellschaft, Verkehr, Leben und Bewegung durchaus nicht; aber jetzt, seit ich zum zweiten Male hier bin, fällt es mir auf.

Beirut ist übrigens eben so alt, wenigstens urkundlich, als seine beiden berühmten Nachbarinnen Tyrus und Sidon, denn die Bibel führt es an unter dem Namen Berytus. Wir gingen heute in der Stadt umher. Nimmermehr könnte man sie nach ihrem gegenwärtigen Aussehen zu schließen für so alt halten. Ganz mittelalterlich festungsähnlich ist sie, jedes Haus eine kleine Burg für Kreuzfahrer oder für Sarazenen, wo man sich vom Turm herab verteidigen, und inwendig zwischen den Türmen Licht und Luft genießen und ungestört leben kann. Nun, welche Zeit es auch gewesen sein möge, die das jetzige Beirut erbaut hat: unsicher war sie, wie man heutzutag spricht; aber man muß nicht vergessen hinzuzufügen, daß sie zugleich voll der individuellsten Freiheit war, wie eben es auch diese Häuser bezeugen. – Jetzt, mein liebes Clärchen, sage ich Dir Lebewohl. Von wo ich meinen nächsten Brief schreiben werde, weiß ich in der Tat nicht. Der Karmel ist unser nächstes Ziel; aber es sind fast vier Tagesreisen bis dahin. Vielleicht finde ich unterwegs Zeit.


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