Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Still und klar sah der Lichtschein aus einem Bogenfenster der Abtei. O wie schlug des eilenden Alethes Herz ihm entgegen, und wie noch süßer zitternd schlug es, als er nun vorsichtig – den Alten und Emilien nicht zu erschrecken – die Wendeltreppe hinauf schritt! Emilie hatte bereits den Hufschlag gehört, und im Strahle des Lichtes den Herbeisprengenden durch das Fenster erkannt. Nun öffnete sie die Thür des Gemaches, mit einer hohen Wachskerze dem Grafen entgegenleuchtend. Gesenkten Auges und sanft erröthender Wange trat sie etwas seitwärts, und winkte ihn zu dem kranken Greise hin.

Der richtete sich von einem Ruhebett auf; noch immer rollten helle Zähren, aber ganz sanft und mildiglich, aus seinen Augen auf den nun schon ganz weißgewordnen, langen Bart herunter. Da erkannte er den so heiß ersehnten Freund, und mit einem Freudenruf streckte er ihm die Hand entgegen, und weinte nun noch viel mehr vor übergroßer Lust.

Alethes mußte sich neben ihn setzen, und ihm mit kosender Hand die Wange streichelnd, sagte der wahnsinnige Freiherr: »Was bist Du denn schon wieder von mir gelaufen, Organtin, und auf so gar lange Zeit? O pfui, mein Sohn, das war gar nicht hübsch, denn ich habe Dich ja aus ganzer, ganzer Seele lieb, und kann, seit ich Dich Einmal wiedersah, nicht wohl mehr fürder ohne Dich bestehn. Sieh doch nur, wie mir die Augen rothgeweint sind, – und – ach Organtin, wie schwach und kurz ist doch immer die menschliche Freude! – und nun kann ich die armen, krankgeweinten Lichter nur kaum mehr offen halten, um Dich zu sehn und mit Dir zu reden, mein sehr lieber Organtin –«

Und wirklich fielen ihm die Augenlieder in tiefer Ermattung zu, und schlummernd sank er auf die Kissen des Ruhebettes zurück.

Aber plötzlich fuhr er wieder auf, schaute wild und verstört um sich, und rief. »ist er fort? Ist er fort? Ach weh, er ist gewißlich wieder fort, und der Engel behauptet dann wieder, der arme, alte, kranke Reinald habe nur geträumt. Engel, das Eine, Eine mußt Du mir nicht wiederthun.«

Emilie schmiegte sich ihm liebkosend an die Brust; begütigend faßte Alethes seine Hand.

Tiefathmend sagte der Freiherr: »ich möchte nun so gern schlafen, denn ich bin todtmatt. Aber ich darf es nicht und kann es nicht, aus Furcht, Organtin laufe derweile fort. Lieber Neffe, gieb mir Dein Ritterwort drauf, daß Du nicht ehr von meinem Lager weichen willst, bis ich erwache.« Wie hätte ihm Alethes sein rührendes Begehr weigern dürfen! Sobald dem genügt war, streckte sich der Alte behaglich auf das Lager zurück, und lächelte mit kindlicher Freundlichkeit: »ah, nun wird sich's einmal recht schön und anmuthig schlafen. Denn, nicht wahr, lieber Engel, Du bleibst doch auch hier neben mir sitzen? – So! An dem Tischchen. So! dem Organtin gegenüber. Ach, wie lieblich nun kommt der Schlummer!«

Und mit dem Ausdruck des süßesten, reinsten Wohlseyns that er die müde geweinten Augen zu. Emilie milderte ihm den Kerzenschein durch einen vorgestellten kleinen Schirm. Das volle Licht strahlte nun auf ihre und Alethes Gestalt, wie sie einander tiefgerührt, mit gesenkten Augen, schweigend gegenüber saßen.

Nach einer Weile schlug Emilie ein frommes Buch auf, das vor ihr auf dem Tische lag, und hub daraus mit leise flüsternder Stimme vorzulesen an. Wie lieblich kühlende Thautropfen rieselten die Worte der göttlichen Ermahnung und Gnade, im frühern lauten Weltgewirre nur zu oft überhört, unter den holden Schauern dieser Stunden in Alethes Herz. So durchwachten Beide still und seelig am Lager des Kranken die Nacht.


 << zurück weiter >>