Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Mit den frischen Lüften des Morgens wallte von dem hochgelegnen, im Frühroth glänzenden Gottesacker ein Strom feierlicher Klänge hernieder. Berthold sey wohl schon in der verfallnen Kirche, schloß Alethes hieraus, und begrüße die Sonne mit den Melodieen der Orgel. Durch die schön gepflanzten duftenden Sträucher näherte er sich dem Gemäuer, und trat in die unverschloßne Thür. Er ward sogleich Berthold's ansichtig, der lang gehaltne, süß verhallende Töne des reinsten Friedens aus dem Instrument hervorlockte. Die Treppe leis hinangeschlichen, umfaßte Alethes mit inniger Lieb' und Begeisterung plötzlich den Spielenden, welcher aufblickend, und das Antlitz seines Meisters und Freundes erkennend, die Umarmung erwiederte, während die Orgel im noch unaufgelösten Accorde feierlich nachklang.

Nach den ersten freudigen Begrüßungen sandte Berthold einen artigen Knaben, der ihn beim Spielen unterstützt hatte, in das Haus, um Anstalten zu Alethes Aufnahme zu treffen. Similden solle man, sobald sie erwache, ansagen, wie ihres Mannes liebster und geehrtester Freund eingetroffen sey.

Der Knabe eilte fort, und die Beiden traten Arm in Arm aus der Kirche gegen den Abhang des Hügels vor, von wo man die Stadt und weithinaus die fruchtbare Gegend überschaute. Durch die lange Entfernung fühlten sich die Freunde einander mehr genähert, als entfremdet. Berthold's reifere Jahre, sein Hausvaterstand und manches Wackre, seither durch ihn ausgeführt, hatte ihn dem ältern Freunde ähnlicher gemacht, und ohne weitre Verabredung strömte ihnen das vertrauliche Du gegenseitig von den Lippen.

Wie glücklich ich bin, lieber Alethes! rief Berthold aus. Wie sehr glücklich! Du würdest es in dieser halb ausgebrannten Welt kaum für möglich halten, aber komm und siehe, welche himmlische Blumen der alten Lava entblühen. Laß Dich's nicht irren, daß so nahe bei uns die rohen Croaten ihr Wesen treiben. Simildens sittige Huld, mein Ernst, und mehr noch die Engel der Liebe und Treue halten unserm Leben die frechen Störer fern. O wie lieb und heimlich sich's hier in der süßen Beschränkung ruht! Du hast den Reiz eines Daseyns wohl noch nicht empfunden, Alethes, das sich genügsam und genügend immer wieder in derselben Gestaltung erneut, wie das Jahr, aber eben so reich an immer neuer Lust. Du sollst es kennen lernen. Einführen will ich Dich in den seeligen, heiligen Frieden.

Nicht also, sagte Alethes sehr ernst. Vielmehr einführen will ich Dich in den heiligen Krieg.

Berthold starrte ihn verwundert an, und von Alethes Munde quoll nun in hoher, zuversichtlicher Freudigkeit der ganze Entwurf, den diese Nacht in seinem Geiste geboren hatte. Der Bürger Noth, ihr deutscher Freimuth, die Gesinnung der Nachbarn, seiner ehemaligen Verbündeten Unterstützung, Rettung dieser edlen Stadt, vielleicht von hier aus Erwachen eines neuen Lebens durch das ganze Vaterland hin –, dies Alles blitzte seine Rede wie ein herrliches Ungewitter über seinen Freund aus. Er schloß mit dem Auftrage: Berthold solle umherreisen, die Nachbarn vorzubereiten und zu ermuthigen, die fernen Gleichgesinnten zu benachrichtigen.

Das kann ich nicht, lieber Alethes, sagte Berthold.

Nicht? fragte Alethes überrascht, und sich zu ihm wendend sah er sein Antlitz bleich und verstört.

Berthold beachtete das Staunen seines Freundes, und fuhr fort: werde nicht irr an mir, Alethes. Ich kann es nicht, weil mein eingezognes Leben ändern eben soviel hieße, als der ganzen Welt sagen, es gehe etwas Ungewöhnliches mit mir vor. Zudem solltest Du von Paris her wissen, wie schlecht ich mich zum Gesandten schicke, und zu jedem Geschäft, wo man der Feinheit und des Zurückhaltens bedarf. Ich rede entweder gar nicht, oder es strömt mir von Herzen aus, was mich belebt.

Schade! Sehr schade! sagte Alethes, etwas erkältet. Ich hatte sehr auf Dich gerechnet.

Ich hoffe auch, Du sollst Dich nicht verrechnet haben, fiel Berthold ein, indem ein schnelles Erglühen seine gebleichten Wangen wieder überflog. Probe mich in der Schlacht, und gnüge ich Dir da nicht, so wende Dich auf immer von mir ab, als von einem nichtsnutzigen Plaudrer.

Das Dreinschlagen thut's denn freilich nicht allein, murmelte Alethes vor sich hin, und hörte im selben Augenblick ein leichtes Rauschen durch die Büsche hinter sich. Ein blühendes kleines Mädchen von etwa drei Jahren kam hervor gesprungen, und lief mit einem hellen Jubelgeschrei: Vater! Vater! Guten Morgen, mein lieber Vater! auf Berthold zu. Dieser nahm das Kind in seine Arme, küßte es inbrünstig, und fragte, ob die Mutter schon wach sey. Ja wohl, antwortete die Kleine; Mutter wird gleich kommen; Mutter ist sehr vergnügt, sagte sie; daß Vater so einen lieben Gast hat. Nun wird sich Vater einmal recht freuen. Nicht? – Dabei schmiegte sie das Köpfchen sehr anmuthig an Berthold's Brust, der ihr auftrug zurückzugehn, und zu bestellen, daß man das Frühstück unter die Jasminlaube bringe. – Darf Flörchen nicht bleiben? fragte die Kleine im wehmüthig bittenden Ton. Flörchen ist so gern bei Vatern, und will recht still und artig hier spielen. – Ja, mein liebes, liebes Kind, rief Berthold bewegt, bleib nur bei Vatern. Hier stehn schöne Blumen. Da pflücke Dir –

Er ließ sie vom Arm und wandte sich ab. Blumen! Ei viele schöne Blumen! lachte das Kind. Vatern ein Sträußchen suchen. Nicht? Berthold war ein Paar Schritte seitwärts getreten, und kehrte sein Angesicht nach einem dichten Busch, als beschaue er achtsam dessen Gezweig. Da faßte Alethes seine Hand, und sagte sehr gerührt: verzeih, lieber Berthold, wenn ich Deine Bewegung vorhin auf einen Augenblick misdeutete. Jetzt verstehe ich Dich.

Die Unschuldigen können mit leiden, sprach Berthold, mit der Hand über die Augen fahrend, und das ist ein herzzerreißender Gedanke.

Nicht doch; laß mir die Sorge, ihnen eine sichre Freistatt zu finden, sagte Alethes.

Sicher? entgegnete Berthold. Wenn unsre Sache gut geht, ja. Verunglücken wir aber, so giebt diese Gegend keinen Zufluchtsort für die Familie eines Rebellen an Kaiser und Reich. Oder soll ich Weib und Kind jetzt fortsenden, den Argwohn der Feinde geflissentlich weckend, und ihm, gleich nach Deiner Ankunft, seine Richtung gebend? – Genug davon, Alethes. Meine vorige Zusage halte ich, und ich bitte Dich, urtheile erst nach dem Schlachtgetümmel über mich ab.

Nein, Du wackrer Freund, rief Alethes. Schon jetzt urtheile ich über Dich, und erkenne den in Dir, den ich suchte, oder noch einen Bessern. Glaube nur, ich fühle mit Dir.

Laß nur, sagte Berthold. Du weißt, wie oft ich dergleichen Begebenheiten herbeigewünscht habe, und vergeblich. Nun kommt mir's ungebeten und unerwünscht. Es scheint des Schicksals Weise so zu seyn, uns mit der Erfüllung unsrer eignen Wünsche seltsam zu necken. Aber ich erkenne das Rechte, und werde es thun.

Ihr Gespräch ward durch Simildens Erscheinung unterbrochen. Eine schlanke, zarte Gestalt in sittiger Schönheit, trat sie zu Alethes, und bewillkommte ihn als den Freund ihres Gemahls mit froher Innigkeit, als den geehrten Grafen Lindenstein mit einiger achtungsvollen Scheu. Ihr ganzes Benehmen verrieth, wie oft Berthold zu ihr von dem Helden seiner Jugend, dem Freunde seines reifern Mannsalters, gesprochen hatte, und wie lebhaft sein Gefühl in sie übergegangen war. Höher und schmeichelhafter geehrt, als je zuvor, fand sich Alethes durch ihr Bezeigen; dennoch fühlte er auch oftmals im Verlaufe des Tages bittre Schmerzen darüber, daß der Ausbruch eines so bedrohlichen Vulkans dicht an dieser lieblichen Wohnung geschehn müsse, vielleicht die holde Frau samt ihrem Kinde unter die Trümmer ihrer friedlichen Sicherheit begrabend. Er konnte seiner Bewegung bei diesem Gedanken fast weniger Herr bleiben, als Berthold, der mit Anstrengung seiner ganzen Kraft sich selbst bemeisterte und durchaus frei und gesetzt erschien. Nur als Similde einmal sehr ausführlich und mit süßem Behagen erzählte, wie sie Flörchens Bett für den künftigen Winter einrichten wolle, und wie sorgsam es stellen, daß keine Zugluft das liebe Kind berühren möge, und dabei Flörchen in froher Zuversicht von den Geschenken zu plaudern anfing, die ihr der Weihnachtsabend bringen solle – nur da zog eine Wolke der tiefen Wehmuth über Berthold's Stirn, und er sah sich genöthigt, dem Gespräche schnell eine andre Wendung zu geben.

Als gegen Abend Alethes und Berthold sich ernst und schweigend unter den Gebüschen ergingen, die den Rand des Hügels bekränzten, sahen sie einen Theil der Croaten zu kriegerischen Uebungen aus der Stadt rükken, und sich auf der Ebne formiren. Freudig und stolz klang die reiche militärische Musik herauf, laut riefen die Führer, und die beiden Männer wandten kein Auge von diesem Schauspiel ab. Jetzt traten einzelne Schützen aus der Reihe, und begannen hinter Gräben und Hecken wie mit einem Feinde zu scharmuzieren; der Haufe unterstützte sie, man drang vor, und schon knallte das Geschieß häufiger und rascher, als Berthold ausrief: sieh doch, Alethes, wie schlecht der linke Flügel angelehnt ist! Mit zwanzig Reitern um den Hügel dort, und man haut sie zusammen! Alethes war erfreut über seines Freundes treffenden Blick, noch mehr fast über die kriegrische Begeistrung, die ihn entflammte. Du freust Dich dennoch auf das Gefecht, Berthold, sagte er. – Wie sollte ich nicht? entgegnete dieser. Ein herrliches Leben wird für mich wach, wenn ich daran gedenke, daß der Name meiner Väter auch in mir wieder aufleuchten kann. Ich hatte solchen Gedanken entsagt, nun erstehn sie in mir voll neuer Kraft, und die alten Ritter meines Stammes neigen sich zu mir, und hauchen ihr Erbtheil in meiner Brust zu hellen Flammen an. Ja, Alethes, schön ist die Schlacht für das Heiligste des Menschen, und jeglicher Ausgang ein Sieg.

Vater! rief Flörchen, die sich zu ihm herangeschlichen hatte, sieh doch, schöne Soldaten! Nimm mich auf den Arm, Väterchen, bitte. Kann nicht recht sehn.

Das Kind küssend und emporhebend sagte Berthold: sieh, Alethes, wie es mir ergeht. Nun gilt es wieder die andre Hälfte meines Herzens. Schaffe nur daß diese Zwischenzeit bald vorüberzieht. Mein Schiff treibt vor streitender Strömung um, und zehrt mehr der Kräfte auf, als in den Wettern der heißesten Schlacht.


 << zurück weiter >>