Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Elftes Kapitel

Dem gegebnen Worte, ach nur zu gern! treu bleibend, besuchte Alethes wenigstens zweimal in jeder Woche die Abtei, und schmerzenvoll und feierlich, aber unaussprechlich läuternd, und zuletzt wahrhaft seelig in frommer Entsagung, zog auf diese Weise der Winter an Alethes und Emilien vorbei. Der Freiherr hielt sich still und heiter. Mit holder Kindlichkeit folgte er den Bitten und Rathschlägen seines Kindes, das er wohl nicht ganz mit Unrecht einen Engel nannte, und ihren Vorlesungen aus der Schrift und sonst frommen Büchern und Geschichten hörte er voll inniger Andacht zu. Aber die Bilder von Karl des Großen Hofhalt, und die feste Ueberzeugung, er seye Reinald von Montalban und Alethes sein Neffe Organtin, – daran durfte Niemand rühren, ohne den alten, wilden Geist in ihm zu wecken, der jedoch immer vor Emiliens Sang und Harfenspiel wieder von ihm ließ. Oft mußte Alethes von seinen Kriegsthaten erzählen, und das waren die schmerzhaftesten Stunden, wenn auch zugleich die freudigsten, für die zwei Liebenden, denn immer ging es damit, wie wir es im vorigen Kapitel ersehn haben. - Da sagte in einer solchen Stimmung einmal der Freiherr, Beide voll anmuthiger Behaglichkeit anlächelnd: »wenn es überhaupt anginge, daß ein Mensch sich ein Englein zur Braut gewönne, so wüßt' ich wohl, wer meinem herrlichen Neffen Organtin angehören sollte.« – Aber Emilie griff in die Harfe, und sang diesmal nicht sowohl das Herz des Greisen, sondern zwei andre, sehr glühend schlagende Herzen zur Ruhe und Geduld. –

Nach und nach begann der Schnee von den Hügeln zu verrinnen vor dem Hauchen neuerwachender Frühlingsluft, und wo er auch noch hin und wieder ziemlich hoch in den Thälern lag, diente er doch mehr zu einem abstechenden Rahmen des schönen, jungen Wiesengrüns an den Berghängen, als daß er sein eigenthümliches Winterrecht behauptet hätte.

An einem hellen Mittage hatten einstmalen der Freiherr, Emilie und Alehtes {Alethes} unter einer knospenden Linde vor dem Trümmerhause Platz genommen. Sie waren sehr vergnügt mitsammen, stimmten hübsche, sanfte Lieder an, und erzählten Eins dem Andern sinnvolle Geschichten vor.

Da scholl ein eiliger Rossestrab durch das Gezweig, und ein Reiter ward zwischen den noch unbelaubten Sträuchern sichtbar, den Alethes alsbald für den von ihm auf Yolandens Schloß angestellten Burgvogt erkannte. Heftig in ängstlicher Erwartung schlug ihm das Herz; er fühlte seine Wangen erbleichen. Wohl nicht viel anders mochte Emilien zu Muthe seyn, derweil der halbverwilderte Greis frisch und freundlich dem neuen Gebild in dieser Einsamkeit entgegen sah, als könne gar keine andre, als eine ausnehmend hübsche und erwünschte Botschaft kommen.

Ob diese, ob Alethes und Emiliens Ahnung gelten werde, – man konnte es dem näherkommenden Burgvogt nicht ansehn. Eine seltsame Mischung von Betrübniß und freudiger Rührung lag auf seinem Angesicht. In einiger Entfernung von den Dreien hielt er sein Roß an, sprang ab, und, es an einen Baumstamm bindend, winkte er den Grafen ehrerbietig, aber eilig zu sich heran. Alethes, sobald er dicht zu ihm getreten war, vernahm folgende seltsame Worte:

»Ich habe mich anzuklagen, lieber Herr, daß mich eine beinah unbezwingliche Scheu sehr lange nicht nach der Burg der wahnsinnigen Alten hinkommen ließ, obgleich es doch recht eigentlich meine Schuldigkeit gewesen wäre, oft nach der kranken Gräfin zu sehn. Aber ich gab in banger Zerknirschung Alles dorten so gut als verloren. Da geschah es, daß ich vor einiger Zeit einem Landmanne begegnete, der Speise und Trank hinaufgetragen hatte, und ich gab ihm die von Euch bestimmte Vergütung, die sonst immer der Meier im Thalhofe auszahlt, diesmal gelegentlich selbst. Dabei mußte ich mit Verwundrung merken, daß auch nicht die mindeste Spur des Grausens, das ein Menschenkind doch wohl bei solchen Gängen überschleichen sollte, auf seinem Gesichte lag. – »Was doch die Gewohnheit thut!« dachte ich, und schämte mich ein Bischen meiner Schwäche, und sagte es dem guten Manne auch. Der sahe mich ganz verwundert an, und meinte, es sey dabei so wenig zu fürchten und zu überwinden, daß gewöhnlich seine Frau oder seine Tochter den leichten, freigebig bezahlten Dienst für ihn verrichten, und so sey es in den andern Haushaltungen der Gegend auch. Erst nach und nach konnte er sich auf das Entsetzen besinnen, mit welchem die Lieder der zwei verwirrten Frauen noch vor wenig Monaten die Gegend erfüllt hatten. Nun erstaunte er selbst, wie sich das seither so unmerklich und so ganz und gar habe verlieren können; aber dem seye nicht anders; mit tiefem Mitleid wohl müsse jedes Herz die ernste Trauer der zwei Burgsiedlerinnen erfüllen, aber ihre Gesänge belebe ein frommer, tröstlicher Geist, und man bleibe oft gerne stundenlang droben, um ihnen zuzuhören.«

»Ich eilte hin, lieber Herr, und fand Alles, wie er es gesagt hatte. Still und ernst schritt Gräfin Yolande neben der greisen Isidore auf dem Mauergange umher. Sie waren in ein tiefes Gespräch wie ganz versenkt. Auf einmal blieben sie stehn, richteten Augen und Hände nach dem heitern Frühlingshimmel empor, und sangen im wunderholdesten Einklange ein lateinisches Lied. Nun freilich, die Worte konnte ich nicht verstehn, aber der Ton durchdrang mir die ganze Seele, und ich betete leise und fröhlich mit.«

»Als sie ausgesungen hatten, bemerkte mich Gräfin Yolande. Sie grüßte mich voll herzrührender Anmuth und Freundlichkeit, und wohl noch niemalen hatte ich sie so wunderschön gesehn. Indem ich aber in meiner großen Freude auf das Schloßthor zuschritt, winkte sie mich sehr ernst zurück, und hatte mir es früher ein fürchterliches Entsetzen gewehrt, wider ihren Willen einzutreten, so hinderte mich nun mit wohl noch weit mächtigerer Gewalt ihre unbeschreibliche Erhabenheit und Huld.«

»Und das Euch zu berichten, mein theurer Herr, bin ich hergeeilt, und stehe für die Wahrheit jedes meiner Worte ein, ob mir gleich selbst dabei immer zu Sinne wird, wie Einem, der unlängst erwacht ist aus einem halb entsetzlichen, halb recht englisch lieblichen Traum.

Emilie hatte, während der Burgvogt zu Alethes sprach, den kranken Greis mit ihren süßen Harfenklängen in den Schlaf gewiegt, so, daß nun der staunende Graf ihr Alles ungehindert mittheilen konnte, was des neuen Wunderbaren in sein Leben getreten war. Ein Abglanz himmlischer Freudigkeit überstrahlte ihr schönes Gesicht.

»Nun eilt, o theurer Graf Lindenstein, nun eilt, und rettet meine Schwester und ihre Mutter vollends aus dem Nachtdunkel, dem sie schon so hold und herrlich zu entleuchten beginnen. O nun muß ja Alles sehr gut werden! Alles!«

Eine halbzerdrückte Thräne an ihren langen, sanft schattenden Wimpern schien den Glanz ihrer Heiterkeit nur noch zu erhöhen. Alethes blickte fragend nach dem schlummernden Freiherrn. »Er wird, er muß sich trösten;« entgegnete Emilie dringend. »Und – setzte sie mit gesenkter Stimme hinzu – und wenn Ihr auch niemals wieder zu uns kommt, – wie das denn wohl gar leicht das Beste seyn könnte –«

»Ihr habt des Reinald von Montalban zu wenig geachtet, mein Ritter und mein Fräulein;« sagte, sich stolz emporrichtend, der Alte. »Durch meinen Schlaf sind Worte gefallen und Ahnungen von Abreisen und Nichtwiederkommen. Das leide ich aber nicht. Nehmt Euch in Acht.«

Doch schnell vor einem sänftigenden Blicke Emiliens in die ihm jetzt eigenthümliche Kindlichkeit zurückgewandt, sprach er:

»Ach Du mein schöner, freundlicher Engel, ich habe sehr großes Unrecht gethan an Dir. Nein, ich will gewiß recht demüthig bleiben und recht mild. Aber ich möchte so sehr, sehr gerne, so aus ganzem Herzen gerne mit. Und geht denn das gar nicht an?«

Alethes glaubte einen leitenden Wink des Himmels hierin zu entdecken, und ohnehin wäre es ja wohl fast unmöglich gewesen, den rührenden Bitten des kindgewordnen greisen Helden zu widerstehn. Er zeigte Emilien die Leichtigkeit, den Freiherrn und sie, bis sich Alles entscheide, in Yolandens Schloß, oder wenn sie es so wolle, auf einer der nahgelegnen Meiereien still und abgeschieden zu bewirthen, und unfähig, einen Gegengrund aufzubringen oder doch auszusprechen, gab sie sich und den theuern Vater unbedingt in des edlen Freundes Leitung und Schutz.


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