Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Fünftes Kapitel

Die Vorbereitungen zu dem entscheidenden Tage griffen rasch vorwärts, und dennoch so geheim, daß sich auch kein Schatten von Verdacht bei dem Feinde regte, die ängstliche Besorglichkeit ausgenommen, welche jedes tyrannischen Verfahrens unabtrennliche Gefährtin ist. Berthold war, seinem Begehren nach, von geheimen Aufträgen und Gesandtschaften frei geblieben; seine Waffen aber hatte er unter allerhand Vorwand in trefflichen Stand gesetzt. Als eines Morgens Alethes von einer wichtigen Reise wieder zurück kehrte, tönte ihm, wie am Tage seiner Ankunft, die Orgel aus dem verfallnen Gotteshause entgegen. Er trat hinein, und hörte, wie Berthold mit begeisterter Stimme folgende Worte in die Töne des gewaltigen Instrumentes sang:

Du Urquell aller Güte,
Du Urquell aller Macht,
Lindhauchend aus der Blüthe,
Hochdonnernd aus der Schlacht,
Allwärts ist Dir bereitet
Ein Tempel und ein Fest,
Allwärts von Dir geleitet,
Wer gern sich leiten läßt.

Du siehst in dies mein Herze,
Kennst seine Lust und Noth:
Mild winkt der Heimath Kerze,
Kühn ruft glorwürd'ger Tod;
Mit mir in Eins zusammen
Schmiegt hier sich Kindleins Huld,
Und draußen leuchten Flammen,
Abbrennend Schmach und Schuld.

Bereit bin ich, zu sterben
Im Kampf, der Ahnen werth
Nur sichre vor Verderben
Mir Weib und Kind am Heerd.
Dein ist in mir die Liebe,
So diesen Beiden quillt,
Dein auch sind muth'ge Triebe,
Davon die Brust mir schwillt.

Kann es sich mild gestalten,
So laß es, Herr, geschehn,
Den Frieden künftig walten,
Und Sitt' und Ruh' bestehn.
Wo nicht, so gieb zum Werke
Uns Licht in Sturmesnacht.
Du ew'ge Lieb' und Stärke,
Dein Wollen sey vollbracht.

Wohin Du mich willst haben,
Mein Herr, ich steh' bereit,
Zu frommen Liebesgaben,
Wie auch zum wackern Streit.
Dein Bot' in Schlacht und Reise,
Dein Bot' im stillen Haus,
Ruh' ich auf alle Weise
Doch einst im Himmel aus.

Den Gesang endigend, bemerkte Berthold seinen Freund, der sich in eine Nische des Baues gesetzt hatte. Er kam herunter zu ihm, und sagte, indem er neben ihm Platz nahm: wenn Du auf die Worte meines Liedes Acht gegeben hast, Alethes, liegt mein ganzes Innres vor Dir. So ist dessen wahrhafte Gestaltung. Mir hat sich der allerbeste, unvergänglichste Trost erschlossen, und ist zum Mittler geworden zwischen dem tiefen Schmerze, der mich über die Gefahr meiner Lieben durchzuckt, und zwischen meiner neubelebten Lust an den Waffen. Der Eine Gute macht Alles gut, und gießt jedesmal, daß ich mit der rechten Innigkeit vor ihn trete, Ruhe und Zuversicht, wie zwei Paradiesesflüsse, durch mein gestörtes Gemüth aus. – Wie steht es denn, Alethes, mit unsrer guten Sache? Und auf wann ist der feierliche Opfertag bestimmt?

Alethes wollte ihm eben antworten, als der Knabe, in Berthold's Diensten, welchen dieser bei seines Freundes Erblickung gleich von der Orgel und aus der Kirche entfernt hatte, wieder herein gelaufen kam, mit allen Zeichen des Erstaunens und der Freude. Sie marschiren, rief er, lieber Herr! Lieber Herr, sie marschiren! Unten in der Stadt ist Alles voll Jubel!

Wer marschirt? Was für ein Jubel in der Stadt? fragten die beiden Freunde, in der höchsten Ueberraschung nach dem Rande des Hügels hineilend. – Die Croaten marschiren ab, erwiederte der Knabe. Warum so mit einmal, und wohin, das weiß ich nicht, aber das Glück fällt ja immer ganz unerwartet vom Himmel.

In der That vernahm man lautes Gejauchz aus der Stadt herauf, und sah die kaiserlichen Truppen mit Wagen und Packpferden unter lustiger Musik aus dem Thore ziehn. Der Zug bewegte sich in ruhiger Ordnung, beiher liefen Kinder, jauchzend, und die Hüte empor werfend.

Bei Gott, sie ziehn ab, und in Frieden! sagte Alethes, und Berthold hob sein Töchterchen, das über den Lärmen herbei gekommen war, in die Höhe, um es das bunte Gewimmel sehn zu lassen, und küßte und herzte es dabei mit ungleich freudig'rer Inbrunst, als an jenem ersten Abende nach Alethes Ankunft.

Es kamen zwei Bürger den Hügel herauf, dieselben, welche Alethes vormals im Garten angetroffen hatte. Sie bestätigten die unerhörte Botschaft, dankten dem Grafen für seine so tapfer bewilligte Hülfe, die ein höchst günstiges Schicksal nun unnöthig gemacht habe, und luden ihn nebst Berthold und dessen Familie zu einem Dankfest ein, wodurch man Morgen dieses glückliche Ereigniß zu feiern gedenke. Berthold sagte zu, für sich sowohl, als seinen gedankenvollen Freund, der nach langem Schweigen in die Frage ausbrach: ob denn Niemand die Veranlassung dieses plötzlichen Abmarsches wisse?

Jedermann, sagte der eine Bürger, weiß sie, denn der Obrist hat sein Glück Gestern Nachts bei einem, Gottlob dem letzten Trinkgelage in unsrer guten Stadt, seinen Offizieren kund gethan, und die haben es Heute früh vor dem Abmarsche ihren Wirthen erzählt. Der Obrist ist nämlich schon seit langer Zeit in die weltberühmte schöne Gräfin Yolande verliebt gewesen, ohne, daß sie das Geringste von ihm hätte wissen wollen. Gestern Abends aber bekommt er einen Brief, worin sie ihm so gut als das Jawort giebt, und ihn nur mit seinem Regiment zu irgend einem Ritterdienste vorher nach der Tyrolischen Gränze bescheidet. Da war denn Lesen und Befehl zum Abmarsch geben beinah Eins. Morgen um diese Zeit sind sie schon neun Meilen von uns. Vivat die Gräfin Yolande!

Die Bürger hatten sich kaum entfernt, als schon Similde herbeitrat, in stiller, lieblicher Freude leuchtend. Die letzte Wolke, welche ihr häusliches Glück verdunkelt hatte, zog ja eben vor ihren Augen ab, scheidend nach den östlichen Bergrücken zu, und verschwand nach wenigen Minuten ganz in deren Schluften. Sie ahnte zwar nicht, welch ein gräßliches Unwetter zugleich damit abwärts zog, auch war ihr Berthold's tiefe Rührung, und die freudige Wehmuth, mit der er bald sie, bald das Kind in seine Arme schloß, unerwartet und unerklärlich; dennoch freute sie sich in gleicher Herzlichkeit mit, und ließ gern ihre strahlenden, theilnehmenden Blicke auf der erlösten Stadt verweilen. Sie lud die beiden Freunde zu einer Vorfeier des morgenden Festes, und hatte ein heitres Mahl mit so zartem Sinn und so stiller Gemüthlichkeit geordnet, daß Alethes erkünstelte Heiterkeit oftmals dadurch in eine wahrhafte überging. Die beiden Freunde konnten indeß keine Zeit zum einsamen Besprechen des Vorgefallnen gewinnen, bis Similde gegen Abend das Kind zur Ruhe brachte, dem Berthold mit freudiger Sicherheit und Liebe gute Nacht sagte.

Schilt mich nicht, Alethes, sagte er mit noch von heitern Thränen glänzendem Auge, schilt mich nicht, daß ich so froh bin. Ich weiß, daß unser Kampf mehr wollte, als nur die Stadt erretten, ich weiß, daß vieles Herrliche und Gründliche, für das mein Busen glüht, daraus hervorgehn sollte, und daß mit dem stillen Beendigen unsrer Noth ein schon glimmender Brennpunkt zu großen Thaten verschwindet, und dennoch muß ich mich freuen. Auch dieses mein kleines Reich ist ja mit in der ewigen Welt, und gern gesehn vor Gottes Augen. Friede mit den zwei holden Engeln, von denen jetzt Einer den Andern einwiegt.

Friede, sagst Du! entgegnete Alethes halb unwillig. Was nennst Du doch Frieden! Daß die nächste Noth gehoben ist, und es Morgen vielleicht einem andern Croatenobristen einfällt, sich Eure Ringmauern zum Weidebezirk zu erwählen?

Nicht also, mein Freund, sagte Berthold. Wir haben den Druck fremder Gewalt empfunden, und wer bereit stand, die anwesende zu verjagen, wird sich noch wackrer finden lassen, die etwa neu hereinbrechende abzutreiben.

Dann kommt es doch wieder auf dasselbe hinaus, meinte Alethes, was für jetzt verschoben ist. Der Kriegswürfel entscheidet.

Gewiß, sagte Berthold. Aber Weib und Kind bleiben mir im Rücken, ihre Sicherheit kann festgestellt werden, ohne Furcht, die gute Sache zu verrathen. Zudem beginnt der ganze Krieg gleich offen und brav, ohne heimlichen Ueberfall, und freundliche Gesichter, wo der Zorn im Herzen wacht.

Du hast doch wohl Recht, sprach Alethes, lieber Berthold, und mich verstimmt vielleicht nur das Fehlschlagen meines Entwurfes allzu sehr, und ach! noch viel ein andres Unheil.

Berthold errieth gar wohl, daß von Yolanden die Rede war. Similde aber, zurückkommend, benahm ihm die Zeit, darauf zu antworten, und legte durch ihre Gegenwart den beiden Freunden Stillschweigen über alle betrübenden Erinnerungen auf. Man verbrachte den Abend theils in der verfallnen Kirche, wo man zu den feierlichen Orgelklängen Danklieder sang, theils durchwandelte man die blühenden Gebüsche, bis die Nacht in heiliger Stille ihr Sternengewand über die friedliche Gegend ausbreitete.


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