Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Erstes Kapitel

Von rauschender Musik erscholl die alte Veste Lindenstein, und glänzte im Schimmer vielfacher Lichter. In den Monaten, seit deren Verlauf Alethes Yolandens Gemahl war, hatte sich fast jeglicher Tag durch ein neues Fest ausgezeichnet; der einst so mäßige und ernste Graf genoß in rauhen Zügen, was ihm Liebe, Wollust, und in deren Gefolge noch andere Lockungen darreichten. Heute war man eben von einer glänzenden Wasserfahrt heimgekommen, und tanzte nun der Mitternacht entgegen. Alethes Augen wandten sich gar nicht von seiner schönen Frau ab, und auch sie ließ die leuchtenden Blicke oftmals durch die Windungen des Reigens nach ihrem Liebling hinüberblinken. Wie sie auf- und niederschwebend die Reize ihrer himmlischen Bildung entfaltete, fühlte sich der liebetrunkne Alethes auf eine erquickende Weise an den Abend erinnert, wo er diese Zauberin zum erstenmale sah. Die Fläche des schönen Landsee's, den sie den Tag hindurch beschifften, hatte ihm schon früher die Erscheinung am Weiher hervorgerufen, und nun drehte sich auch Yolande in eben so unnachahmlich lieblichen Schwingungen vor ihm hin, wie damals. Er dachte mit stolzer Behaglichkeit daran, daß nun diese Schönste aller Frauen ihm angehöre, und spottete über die Thorheit, welche ihn ehedem von ihr zurückgetrieben habe.

Ein heftiges Husten, dicht neben ihm, zog seinen Blick von den Bewegungen des Tanzes ab. Es war Erwin, der jetzt auf dem Schlosse, ein kranker, hinwelkender Jüngling, wohnte. Noch als Yolandens Page hatte er dem tollen Reinald bei jener Entführung muthigen Widerstand geleistet, und dafür von ihm einen Stoß vor die Brust empfangen, der ihn auf sein ganzes Leben siech machte, oder ihm noch wahrscheinlicher ein nahes Grab bereitete.

Armer Erwin, sagte Alethes freundlich, will es sich noch immer mit Deinem Uebel nicht geben?

Geben? entgegnete Erwin; es wird sich geben, wenn ich mich selber gebe, ehr nicht, und ich bitte Euch, mein edler Graf, redet nicht von derlei verdrießlichen Dingen. – Bei diesen Worten überzog sich sein Antlitz, so bleich es auch eben wieder nach der gewaltsamen Röthe des Hustens geworden war, mit einem höchst anmuthigen Lächeln, und er begann von heitern Gegenständen zu sprechen, den lebhaftesten Witz über manches, was Heut in der Gesellschaft vorgefallen war, aussprühend.

Alethes konnte das tiefe Mitleid, welches ihm dieses fröhliche Aufflammen eines schon fast verloschnen Lichtleins erweckte, nicht gänzlich bergen, so lebhaft er auch in Erwins Scherze einzugehn versuchte. Der Jüngling sah ihn kopfschüttelnd an, und sagte: wie mögt Ihr Euch nur meinen Zustand so zu Herzen nehmen, da ich doch selber von allem Unnöthigen grade dieses Unnöthige am wenigsten thue. Daß ich sterben muß! Es ist wohl eine rechte Seltenheit. Und hinter dem Wann steht bei mir so gut ein Fragzeichen, als bei Andern. Lustigere Späße sind mir aber niemals gelungen, als seitdem mir der tolle Herr aus Caroli Magni Zeiten den Stoß auf die Brust versetzte. Denn diese bleichen, verfallnen Wangen, dieser kurze Othem und hectische Husten, – das Alles hilft mir besser, als es Brief und Siegel vom Papste könnte, oder von irgend einem weltlichen Potentaten, den Leuten einzureden, was mir nur Tolles durch den Sinn fährt. Sie denken, mir müsse eben so erbärmlich zu Muth seyn, als es ichnen seyn würde in gleichem Falle. Ja, ich habe schon welche gefunden, die ganz andächtig zuhörten, wenn ich ihnen weiß machte, ich hätte wirklich bereits einmal hinter den Vorhang gekukt, und es nähme sich jenseits so und so aus. Neulich bestellte mir ein sehr höflicher Mann ein Paar Dutzend Komplimente an seine werthen Bekannten und Verwandten in der andern Welt, und an Alle, die sich dort seiner Wenigkeit gütigst erinnern möchten. Ich sagte ihm, es würde mir sehr angenehm seyn, unter seiner Empfehlung dort aufzutreten, und so schieden wir mit vielen Reverenzen und hübschen Redensarten von einander. Kurz, ich mache ein ordentliches Mittelglied beider Welten aus. Ich habe mir wohl sonst gewünscht Posthalter zu seyn, um allerhand tolles Zeug mit Briefverwechslungen und dergleichen anzufangen. Jetzt treibe ich solche Späße recht im Großen, und lüge viel ungenirter, denn es giebt keinen Correspondenten, der selbst herreisen könnte, um mich für einen Falsarius zu erklären. Und zum Hinreisen haben die Wenigsten Lust, so Vielen ich's auch schon angeboten habe, Parthie mit mir zu machen.

Der alte Diener Yolandens, dem Alethes die furchtbare Rettung aus den Mauern von Paris verdankte, trat herzu, und schien den Grafen sprechen zu wollen. Ein unaustilgbares Grauen vor ihm empfindend, und nur durch Yolandens Fürsprache vermocht, ihn täglich um sich zu leiden, wollte Alethes ihm ausweichen, und wandte sich ab, um sich in's Getümmel des Festes zu verlieren. Aber Using, so hieß der Alte, schritt ihm nach, und sagte: der greise Thor, der Burgvogt, hat Euch was zu erzählen. Es wird wohl nicht viel Tröstliches seyn, denn er sieht ganz bleich aus; doch konnt' ich ihn nicht abhalten, Euch noch Heut Abend damit zu stören. Zwischen meinen Scheltworten, ja, unter meinem drohenden Arm hin, ist er bis in's Vorzimmer gedrungen.

Using, sagte Alethes leise, aber in heftigem Zorn erglühend, Du bist der frechste Kerl auf dem ganzen Erdenrunde. Wagst Du's, meinen getreuen Burgvogt zu schmähen, den lieben Altvater, der mich hat aufziehn helfen von Kindesbeinen her! Auf seinen Armen getragen hat er mich durch dieselben Hallen, drin Du Dich unterstehst ihm zu drohen! Ich schmeiße Dich aus dem Fenster über den Burgwall hinaus, wenn das noch einmal begegnet.

Ich will mich schon in Acht nehmen, antwortete Using ganz ruhig.

Der Bursch fürchtet mich wohl nicht einmal, sprach Alethes. Aber er könnte sich verrechnen.

Nicht leicht, meinte Using. Wenigstens jetzt habt Ihr die Gräfin viel zu lieb, um einen alten Diener zu tödten, oder auch nur fortzujagen, dem sie wohl will.

Alethes kehrte sich unwillig von ihm. Er mußte der Nacht gedenken, wo ihm Using gesagt hatte, sie Beide zögen an demselben Wagen, und die Reise gehe nach der Hölle.

Draußen fand er den alten Burgvogt. Dessen demüthige und sehr betrübte Miene rührte ihn innig. Er legte freundlich seine Hand auf des Greisen Schulter, und fragte: was hast Du mir vorzubringen, lieber, getreuer Vater?

Ihr seyd so gut, lieber Herr, sprach der alte Mann bewegt, und Heute auch so mild. Ich dachte, Ihr würdet sehr ungehalten werden, dieweil ich mich unterstehe, Euch vom Schmause abzurufen.

Des Greisen Schüchternheit griff verklagend an Alethes Herz. Er empfand in diesem Augenblick, wie er in seinem jetzigen Taumelleben oft achtlos, ja wohl hart an der ehrwürdigen, einst so fromm und kindlich geliebten Gestalt vorüber getost sey, und strebte im erwachenden Gefühl beßrer Vergangenheit, durch die Freundlichkeit des Augenblicks alles Unrecht wieder auszutilgen.

Laßt nur, lieber Herr, sagte der Alte lächelnd, laßt's nur gut seyn. Ich wußte immer, daß Ihr mich im Grunde Eures Herzens lieb hättet, aber die Kunde, so ich Euch Heute bringe, ist des günstigen Empfanges nicht werth. Die Geister der Burg regen sich aus ihrer Grabesruh, o Herr, und bringen nahen Unheils Botschaft herauf. Gott gebe, es gelte Andre und nicht Euch.

Was meinst Du denn? fragte Alethes lächelnd. Hast Du etwas Unheimliches gesehn?

Ich saß oben in meiner kleinen Kammer, begann der Alte, und schaute so in allerhand Gedanken auf den Schloßhof hinunter, –

Wie doch auf den Schloßhof? unterbrach ihn Alethes. Die Fenster Deines Gemaches gehn ja nach der Feldseite hinaus.

Using, entgegnete der Burgvogt, kam vor etwan acht Tagen, und brachte Befehl von der gnädigen Gräfin, ich solle ausziehn. Er werde das Zimmer künftig bewohnen, und brauche es zu der gnädigen Gräfin Dienst.

Konntest Du nicht erst fragen, ehr Du ihm den Platz räumtest? sprach Alethes unwillig.

Mein hoher Herr hat seine schöne Gemahlin sehr lieb, sagte der Greis mit herzlicher Freundlichkeit, und da ist's ja nicht mehr als billig, daß wir Alle im Schloß ohne weitres Zögern thun, was die gnädige Frau befiehlt. Und oben im Süderthurme stand noch die alte Kammer leer. Ob ich die müden Augen da oder anders zum letztenmale schließe, thut nichts zur Sache. Die Erde ist allwärts des Herrn. – Nun, ich sah so aus dem Fensterlein hinunter und hörte auf die Musik, die halbverschollen aus Euern Sälen zu mir empor klang. Ich dachte auch an nichts Uebles, sondern pries vielmehr den lieben Gott, daß er so erquickenden Ton in Metall und Holz gelegt, – da wird mir's zu Muth, als rege sich das Standbild Eures Ahnherrn unter der Linde. Ja wahrlich, edler Graf, es regte sich, und nicht der Mondenschimmer trog mich, oder eine gleitende Wolke, – das Standbild regte sich, schwankte vorwärts, von dem alten Lindenstamme ab, an den es sich nun schon seit so vielen, vielen Jahren unbeweglich gelehnt hat. Das hohe Moos auf seinem Haupte wankte vor der Bewegung hin und her. Und wie ich noch achtsamer drauf blicke, – ach Gott, mein lieber Herr, – zum Ungeheuer wird das theure Heldenbild, zweiköpfig seh' ich's – ein gräulich Angesicht mit langem Barte ragt auf der Schulter neben dem ehrwürdigen Haupt. – Durch solch ein Teufelsspuken ward der Stein entstellt, der Eurer Väter Züge, Eure eignen Züge trägt, mein lieber Herr, der ja auch Lindenstein geheißen ist, wie Ihr, – ich weiß mich nicht zu finden.

Alethes wollte in seinem Gemüthe die ganze Erscheinung für einen Traum des Alten ausgeben, und sich überreden, er gehe nur aus Schonung für den getreuen Burgvogt mit nach der Linde hinab, aber immer gewaltig're Schauer beschlichen ihn, als sie nun den einsamen, vom Mondlicht dämmernden Schloßhof betraten, und nur unsichre Töne der fernen Tanzmusik durch die Stille ihnen nachdrangen.

Seht da, seht da! flüsterte der Alte, seinen Herrn beim Kleide zurückhaltend, und nach dem Standbilde hindeutend. Wirklich schien es sich zu regen, und zwar durch etwas, das am Stamme der Linde sein Wesen trieb, unten am Postamente des Bildes zusammen gekauert. Plötzlich erhob es sich, klomm an dem Stein empor, und nickte über die Achsel des moosigen Helden herunter. Ein durch die Lindenzweige brechender Mondstrahl fiel auf das Gesicht der Erscheinung, und zeigte dem entsetzten Alethes Reinald's Züge, nur durch einige tiefe Narben entstellt. Das bleiche Antlitz grinzte den Grafen drohend an, und während sich dieser an des Burgvogts Arm im überraschenden Schrecken zu halten genöthigt war, schritt die riesige Gestalt dicht an ihm vorbei, aus tiefer Brust ächzend: hüth' Dich, Organtin! und ging langsam zu dem offnen Thore hinaus. Sie sahen noch von fern, wie sich der Furchtbare draußen auf der Brücke wieder umdrehte, und den Arm drohend gegen die Burg aufhob. Dann verschwand er am Abhang der Berges.

Ja, es war ein böser Geist, treuer Alter, sagte Alethes zum Burgvogt. Aber so lieb Dir mein Frieden ist, verschweige vor den Leuten, was wir sahn.

Lieber Herr, entgegnete der Greis, unser Eins weiß wohl, wie man sich bei dergleichen Dingen zu verhalten hat. Dem Burgherrn soll man's ungesäumt berichten, vor andern Menschen stumm wie das Grab.

Alethes ging trübe nach dem Saal zurück. Im Vorbeikommen vor Yolandens Gemach hörte er drinnen auf der Zither spielen, und erkannte die Melodie des Liedes, welches die schöne Frau ehedem am Weiher gesungen, und er in den Ardennen oftmals, obzwar nur in Bruchstücken mit Reinald'en wiederholt hatte. Die letztre Erinnerung lag ihm in diesem Augenblicke näher. Furchtbar faßte ihn der Gedanke: Reinald's Gespenst sitze wohl drin, und spiele auf Yolandens Zither. Er wollte vorüber eilen, doch schalt er alsbald erröthend seine Zaghaftigkeit. Und, setzte er hinzu, ist er's, und will er mich fortan auf allen Wegen verfolgen, wozu hilft das Flüchten? Hinein, und dem in's Antlitz geschaut, was mich erschrecken darf!

Er fand Yolanden auf einem Sopha sitzend, und die Laute schlagend. Ihr reicher Putz, in welchem sie beim Feste glänzend erschienen war, gab in dieser Abgeschiedenheit der Gestalt etwas Seltsames und Hartes. Dazu starrte sie mit den blitzenden Augen gradaus, über das Instrument fort, worauf sich die Finger ganz unbewußt zu regen schienen. Bist Du's Yolande? fragte Alethes, fast ungewiß, ob nicht eine neue Erscheinung mit seinen Sinnen spiele. Sie nickte mit dem Haupte, machte ihm, seitwärts rückend, Platz auf dem Sopha, und rührte die Saiten nach wie vor achtlos fort. Die Melodie des geheimnißreichen Liedes schlug immer eindringender an Alethes Ohr; wie er Yolanden so starr und ernst und gedankenvoll neben sich sah, kam es ihm vor, als gewinne sie eine Aehnlichkeit mit Reinald'en; er gedachte an die Möglichkeit, diese könne sich plötzlich in das furchtbare Gespenst verwandeln, und, theils sich von ihrem äußern Daseyn zu überzeugen, theils die Töne des wunderlichen Liedes zu hemmen, hielt er mit Ungestüm ihre Rechte, die auf den Saiten weiter greifen wollte, fest.

Er fühlte die weiche, warme Hand in der seinigen, und auch ihre Augen wurden mild und freundlich. Sich zu ihm wendend, sagte sie: so fern von unserm Fest, mein holder Freund?

Ich könnte Dir die Frage zurück geben, sagte Alethes, nach und nach wieder zu der gewohnten Freude und Sicherheit in ihrer Nähe gelangend.

Nicht blos Dich zu ergötzen, ist mein Ziel, entgegnete sie ernsthaft. Alethes von Lindenstein muß ja ein Fürst werden, wie es seiner eingebornen Herrlichkeit geziemt. Und was man über solche Gegenstände ersinnen kann, faßt sich leichter im einsamen Gemach auf, als im Gewimmel anlockender Welt.

Alethes sah sie mit Erstaunen an; sie aber fuhr fort: ich sollte doch denken, eine gewisse ernste, ja fast schwere Beimischung all' meiner spielenden Lustigkeit, könne Dir nicht entgangen seyn, und müsse Dir die Hindeutung auf einen tiefern Grund gegeben haben. Alethes, wir Zwei sind noch nicht, was wir seyn sollen, aber wir gelangen dahin; verlaß Dich auf mich. Dazu gehört nichts, als daß Du vollkommen Du selbst werdest, und etliche seltsam kindische Angewohnheiten von Dir werfest, die Dich auf's äußerste plagen und entstellen. Es scheint, als käme ich Dir fremd vor mit diesen Reden, und doch, Alethes, bin ich eben in diesem Augenblick recht eigentlich die, welcher Du nachgestrebt hast durch so mannigfache Irrsale und Verwandlungen Deines Lebens. Morgen oder an irgend einem andern Tage mehr davon. Soviel glaube nur für jetzt, daß ich Deinen edlen Geist nicht zu bloßen Genüssen erniedern wollte; Heut' aber führe mich in die frohe Gesellschaft zurück, die ich verließ, seit Alethes Adlerblick sie nicht durchblitzte. Komm, mein Held. Ich bin sehr stolz, an Deinem siegreichen Arm zu gehn.


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