Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Zweites Kapitel

Sinnend wandelte Alethes am folgenden Morgen unter den Laubengängen des Schloßgartens. Die gestrigen Worte der geliebten Frau zogen in seinem Gemüthe auf und nieder, gleich vielfach gestalteten Wolken, die ihm verworrne Ahnungen der Zukunft anregten, und vor denen sich das schauervolle Gestirn, welches aus Reinald's Erscheinung zu drohen schien, fast gänzlich verbarg. Bei einer Wendung des Ganges trat ihm Yolande entgegen; sie faßte nach einigen unbedeutenden Worten seine Hand, und ging anfänglich auch schweigend neben ihm her; bald aber fing sie an, die Melodie des Liedes zu singen, welches schon am vorigen Abend so wunderlich auf den Grafen gewirkt hatte. Von den nächtlichen Schauern frei, empfand er in diesem Augenblick eine Sehnsucht, es ganz zu hören, und bat Yolanden darum. Sie sah ihn verwundert an, und sagte: woher kennst Du denn dieses Lied? – Aus dem Garten Deines Schlosses her, entgegnete Alethes, wo ich es am Weiher von Dir vernahm. Er erzählte ihr hierauf ausführlich, was ihm damals begegnet sey, und fragte, ob sie ihn nicht auf dem Gewässer bemerkt habe? Es sey ihm doch vorgekommen, als entweiche sie vor ihm in das Gebüsch. – Yolande hörte der Geschichte mit einem ungläubigen Lächeln zu, und sagte zuletzt: Du wirst wie Eugenius, der auch immer mehr von mir wußte, als ich selbst. Es kann indeß wohl seyn, daß ich an jenem Abende im Garten gewesen bin. Ich halte kein Tagebuch. Was aber das Lied betrifft, so kenn' ich es von meiner frühsten Jugend an. Wir sangen es damals oft zusammen, in einem sehr trüben Familienkreise. Es hat daher einen solchen Character des tiefen Ernstes für mich angenommen, daß es mir wohl bisweilen unwillkürlich von den Lippen klingen mag, wenn ich recht ernster Dinge gedenke. Macht es Dir Freude, so höre, was ich davon weiß. Sie sang:

Frisch auf aus dunkelm Bade,
Du neues Menschenbild!
Des Lebens Lustgestade
Blühn reich für Dich und mild;
Erst Kinderlebens Spielen
Auf frühstem Blumenplan,
Dann süßer Liebe Zielen
Auf ros'gen Hoffens Bahn.

Sie trifft mit goldnen Pfeilen,
Und weckt ein holdes Weh,
Des Lebens Wogen eilen,
Und's scheint ein stiller See;
Du bist schon weit geschwommen,
Und wähnst Dich noch zu Haus, –
Dann muß Dir plötzlich kommen
Der ungeahnte Graus.

Gestorben sind die Treuen
Aus Deiner Kinderzeit,
Und die geliebten Neuen
Stell'n sich auf einmal weit.
Fahrwohl, fahrwohl, sagt Minne,
Ich hab' Dich nie gemeint.
Du stehst im trüben Sinne,
Die Augen ganz verweint.

Du ziehst am Seil der Schwermuth
Den matten Nacken wund;
Dann speist mit bitterm Wermuth
Die Reue Deinen Mund.
Bist nicht zum Leben tüchtig,
Das doch nicht von Dir läßt –
Die Freuden Dein sind flüchtig,
Und Deine Leiden fest.

Liegst Du in solchen Ketten,
Horch' auf des Liedes Lauf;
Es ruft, um Dich zu retten,
Aus Dir ein Mittel auf:
Laß Deine Augen schwellen,
Laß los der Thränen Band,
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand.

Komm, Wandrer, fromm und traurig,
Komm, Wandrer, treu und weich.
Sie duften wohl was schaurig
Doch bester Labung reich.
Was Du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.

Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrei'nd aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schmelzen's lieb und lind,
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind.

Ich weiß die Worte nicht mehr, sagte Yolande innehaltend. Mich dünkt doch, entgegnete Alethes, Du hättest am See weiter singen wollen. Der folgende Vers fing an:

Nicht blind dem –

Ja, ja, ganz recht! rief Yolande, und versuchte fortzusingen, sagte aber endlich: nein, hier ist's wie verschlossen. Ich kann nicht darüber hinaus.

Reinald konnte das Lied auch nicht weiter, sprach Alethes, und erschrack vor seinen eignen Worten, während Yolande erbleichend ausrief: o laß den furchtbaren Alten ruhn. Ich werde das Lied nie wieder singen, nun ich weiß, daß er es gesungen hat.

Es rauschte hinter ihnen durch die Zweige. Beide sahen sich erschrocken um, erblickten aber nur einige Unterthanen des Grafen, ehemalige Bewohner eines abgebrannten Dorfes, die bei ihrem Herren Hülfe suchten, und ihm hier in den Garten waren nachgewiesen worden.

Die betrübten Leute schilderten ihr Unglück sehr ausführlich. Wie eines Jeden Haus und Hof und Gärtchen so behaglich und wohlhabend gewesen sey, ward erzählt, und wie die unerwartete Flamme drüber hingehaucht habe, und nun alles in der Asche liege, daß man nur kaum die Stätte erkenne. Alethes hörte aufmerksam zu, die Wehmuth der Verunglückten ging in sein Gemüth über, er ließ sich mit ihnen über alle die Einzelnheiten ihrer verlornen Habe freundlich ein. Da mischte sich Yolande mit einem seltsamen Lächeln in's Gespräch. Kurze, bestimmte Fragen richtete sie an die Leute, welche vor ihr in ehrerbietigem Staunen zurücktraten, und nicht um eine Sylbe mehr erwiederten, als die Anrede heischte. Dann schlug sie ihrem Gemahl heitern Angesichts vor, wie den Klagenden dauernd zu helfen sey, und entwarf den Plan dazu so klar und fertig, daß Alethes darüber erstaunen mußte. Er bewilligte Alles, und es war nun über die Sache nichts mehr zu reden. Die Bauern traten unter tiefen Verbeugungen zurück, ohne Zeit oder Muth zu Danksagungen zu finden.

Du hast die Leute doch nicht mit recht erleichterten Herzen von uns gesandt, Yolande, sagte Alethes nach einigem Schweigen. Sie hatten noch Unterschiedliches zu sprechen.

Zu sprechen! fiel Yolande ein. Gethan ist, und gethan wird, was ihnen helfen konnte. Wie sollten sie nicht zufrieden seyn!

Der Mensch redet sich doch gern über solche große Hauptereignisse seines Lebens gänzlich aus, meinte Alethes. Und Du brachst ihnen die Rede von dem Munde ab.

Sie mögen sich desfalls bei ihren Nachbar'n und Gevattern entschädigen, erwiederte Yolande. Ihres Gleichen sind dazu gut, dem Herrn aber können sie wohl nicht anmuthen, daß er sich ihren ganzen ehmaligen und zukünftigen Hausstand vorrechnen läßt. Der Herr hilft, und damit genug.

Nicht ganz, sagte Alethes. So lang' es Männer meines Stammes gegeben hat, sind sie ihren Unterthanen nicht nur hülfreich, sondern auch freundlich und hold geblieben, wie es sich für Deutsche Oberherren geziemt, und in alten, ehrwürdigen Sprüchen und Eidesformeln von ihnen gefordert wird. Man soll ein Herz mit an die Verwaltung des Landes bringen, wenn man herzhafte und fromme Unterthanen will.

Es möchte hinreichen für Einen, der eben nicht mehr werden wollte, als Graf von Lindenstein, sagte Yolande. Aber, Alethes, das ist es ja eben. Deine Väter sind geblieben, was sie waren, und Dir geziemt ein höherer Platz.

Darin irrst Du wohl, unterbrach sie Alethes. Wenigstens fühl' ich mich eben so lebhaft in tiefer, inniger Theilnahme, ja in wehmüthigem Kummer beim Unheil meiner Treuen ein Enkel der alten Lindensteine, als in dem Kriegsmuth, der unser Haus seit Jahrhunderten ehrt.

O diese Weichheit! diese Wehmuth! rief Yolande. Das sind die Hemmungen manches großen Thuns gewesen, welches Du ohne sie vollbracht hättest. Es ist Dir auch nicht angeerbt, Alethes; angebildet und eingeredet ist es Dir, von Deinem greisenden Vater, von dem alten Burgvogt, oder sonst von Leuten, denen das Blut in den Adern zu versiegen begann. Helfen soll der Herr! Und wie thut er das, und wie kann er das, wenn er jedwedem Nothleidenden mit bloßem Anhören die Zeit schenkt, in welcher man noch Dreien mehr geholfen haben könnte. O Du edle Heldenflamme, ersticke, verflücht'ge das weichliche Naß, welches Dein herrlicheres Auflodern stört! Alethes fühlte sich von ihren kühnen Worten beschämt und angespornt zugleich. Er verließ sie eilig, um alsbald thätige Anordnungen für der Abgebrannten Hülfe zu treffen.


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