Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Erstes Kapitel

Es giebt Schmerzen, die für aufrichtig gottsuchende Menschen nur in der Möglichkeit da sind, niemals aber in unser wirkliches Leben hereinbrechen, denn auch selbst auf Irrwegen gängelt der unsichtbare Vater die Kinder, welche sein nicht ganz vergaßen, und ladet ihnen nie mehr auf, als sie tragen können.

So ward es auch jetzt unserm armen, enttäuschten Alethes nicht zugemuthet, Yolanden sprechen zu müssen. Wohl dachte er – einige schlaflose Stunden lang schmerzhaft im Park umherirrend – mit seltsamer Verwirrung daran, wie denn das nun werden solle, wenn die im tollen Irrthum Geliebte ihm freundlich und glühend entgegen trete, – sie, auf deren Schuldverzeichniß er nicht einmal eine absichtliche Täuschung schreiben konnte; – das ewige Erbarmen hatte ihn derweil schon darüber hinweggehoben.

Ein Diener, der ihn schon lange mit ängstlicher Eil gesucht hatte, meldete, die Gräfin sey so eben nach Schloß Lindenstein abgereist, und händigte ihm ein zurückgelaßnes Briefchen ein. Das enthielt in wenigen, flüchtig hingeworfnen Zeilen die Nachricht von einer entscheidenden Wendung des angefangnen, hochwichtigen Geschäftes, weshalb Yolande in jener Gegend unentbehrlich sey, Alethes aber schnell nach Wien eilen müsse, um öffentlich als kaiserlicher Rath und Feldoberster aufzutreten.

Alethes, alle frühere Kraft und Selbständigkeit wiederfindend in der Ueberzeugung, daß nicht ein gottgesendetes Geschick, sondern nur eine dämonische Verblendung ihn geleitet habe durch Yolandens Erscheinung, ging voll der ehemals oft bewiesenen Heldenruhe in sein Gemach hinauf, und während man auf sein Gebot Alles zur Abreise nach Wien schleunig ordnete, schrieb er folgende Worte:

»Yolande! Es ist heute sehr anders mit mir, als es gestern war, und wird fortan nie wieder anders werden. Furchtbare Entdeckungen sind in mein Ohr gekommen, die Dich betreffen. Aber frage nicht, und fürchte nichts. Du bleibst die Gräfin Lindenstein nach wie vor, bleibst meine Gemahlin und die Gebieterin über meinen Geist und über mein Schwerdt, sofern dir das als meiner Gattin zusteht. Nur mein unbedingt leitendes Gestirn zu seyn, hast Du aufgehört. Deswegen untersage ich Dir alles Ernstes, auch nur den mindesten Schritt in der bewußten Angelegenheit fürder zu thun, welches ohnehin mit dem Benehmen, daß ich mir von jetzt an unwiderruflich vorgesetzt habe, schlecht zusammen passen, und nur dazu dienen würde, Dich wie mich in den Abgrund zu reißen. Du weißt, eine Fahrt, wie die durch uns begonnene, verträgt keine doppelte Lenkung. Doch ziehe ich auf allen Fall den zerschmetterndsten Sturz der mindesten Abweichung von meinen jetzt gefaßten Entschlüssen vor. Also rathe ich Dir wohlmeinend: halt! – Das Uebrige wird sich finden, wann die Hauptsache abgethan ist. Für jetzt reisest Du aus Burg Lindenstein nach Deinem Schlosse zurück, und erwartest mich hier.«

»Alethes.«

Der herbeigerufne Using wollte seinen gewohnten Trotz wieder einmal auf mannigfache Weise geltend machen, vielleicht sich noch furchtbarer wähnend durch die in dieser Nacht enthüllten Schrecken, aber vor des Grafen ruhiger Heldenkraft fühlte er sein verworrnes Treiben und Ringen wie gelähmt. Im ehrerbietigen Schweigen empfing er den Befehl, Yolanden alsbald mit dem gesiegelten Briefe nachzueilen, zugleich aber den alten Burgvogt von Schloß Lindenstein zu Fräulein Emiliens ausschließlicher Pffege und Dienst hierher zu bescheiden, und sich in's künftige diesem ehrwürdigen Greise in jedweder Angelegenheit unbedingt unterzuordnen. Zähneknirschend, aber stumm flog Using den Weg nach Lindenstein auf seinem wilden Rappen entlang; schmerzerfüllt, doch ruhig, trabte Alethes in der Richtung nach Wien der höher steigenden Morgensonne entgegen.

Schon brannte der Mittag recht heiß sengend auf die schroffe Gebirgstraße herab, da that des Grafen edles Roß einen Fehltritt zwischen dem glatten, zum Theil ganz lose liegenden Gestein, und erlahmte so plötzlich, daß man es nur kaum weiter führen konnte. Die Diener sprengten mit Handpferden herbei, aber Alethes hatte grade dieses treffliche Thier zu lieb, um es, bevor man im nächsten Orte genau erkunde, wie dessen Uebel beschaffen sey, zurückzulassen. Vielleicht kam auch noch eine gewisse, unwillige Laune hinzu, in welcher man bisweilen sich Unbequemlichkeiten noch unbequemer macht damit man im eignen Geiste gehörig darüber schelten kann. So behielt er den Gaul selbst am Zügel, und ging schweigend neben ihm her, fast von dem Glauben befangen, irgend ein wundersames Zauberstücklein Yolandens oder Using's hemme und störe auf diese feindliche Weise seine Fahrt. Ueberhaupt schien das eben so langsame als mühevolle Bergansteigen, nach angestrengten Viertelstunden ihn fast noch immer an derselben Stelle lassend, ein Bild seines jetzt neu begonnenen Strebens. Verhehlen konnte er es sich nicht, daß, wo er bisher mit Yolandens fast magisch kräftiger Hülfe flog, es nun ein trübes, langwieriges Ringen gelte um jedweden einzelnen Schritt, vorzüglich, da er auf den Beistand aller früher gleichgesinnten Freunde so bald nicht wieder zählen durfte. Die Kraft und Strenge seines Entschlusses blieb dabei unangefochten; doch war es ihm, als lösche die Hoffnung auf irgend einen günstigen Erfolg, wie ein trübverglimmendes Leuchten, vor seiner Seele aus. Da hörte er den Liedesklang einer freudigen Mannsstimme, die, wie er im Näherkommen bemerkte, in mannigfachen Veränderungen des Tons und der Weise immerfort diese Worte sang:

»Die Tage kommen und ziehn vorbei;
Ich bin im Herzen so frisch und frei,
Denn unser Herrgott ist mit dabei.«

Und um eine Ecke des Felsens biegend, sah er einen alten, freundlichen Mann, der mit Anstrengung all seiner Kräfte einen Korb, mit Erde gefüllt, auf einen Klippenvorsprung oberhalb des Weges trug. Jetzt leerte er ihn aus, und stand, tiefaufathmend, still. Seine Kniee zitterten ein wenig, seine Brust hob sich in großer Erschöpfung, aber das Lächeln auf seinen ehrwürdigen Zügen blieb unverändert dasselbe.

Liebreich nach ihm hinauf grüßend, sagte Alethes: »wie laßt Ihr es Euch doch so gar sauer werden, guter alter Vater?«

Jener nahm das Mützchen von dem greisen Haupt, und kam, den leeren Korb sich nachziehend, vertraulich zu Alethes herab. »Es ist nur, sagte er, daß ich das Plätzchen da oben gern urbar haben möchte. Liegt es ja doch so günstig gegen die Mittagseite, und, wenn Eins droben gutes Erdreich zum Festliegen brächte, müßte man einen herrlichen Wein dorten ziehn können. Das hab' ich nun bereits manch liebes Jahr versucht, und es sah auch Alles schon recht gut aus, aber die Regengüsse im vergangnen Frühling haben mir das Erdreich wieder beinah gänzlich heruntergespült. Da fang' ich denn zur Abwechslung wieder einmal von vorn an.«

Er lachte recht herzlich dabei, und wollte zu seiner Arbeit wieder nach dem Thale, wo er bereits Erde und Rasen ausgestochen hatte, hinab. Alethes hielt ihn zurück. »Seyd Ihr denn so arm, Vater, fragte er, daß Ihr Euch in Euerm hohen Alter noch mit dergleichen mühsamen Arbeiten plagen müßt?«

»Hm, kam die Antwort zurück, reich bin ich eben nicht, aber mein Bischen täglich Brod fände sich wohl auch ohnedem. Es ist nur, daß man gern etwas hinter sich ließe, zum Andenken auf der Erden, wenn sie einen einmal hineinlegen.«

»Und wenn es nun dennoch immer und immer wieder misglückt?«

»Nun, Herr, so hat man doch das Seinige gethan, und ergiebt sich übrigens in Gottes Willen.«

»Vater, wer hat Euch diese Geduld und Freudigkeit gelehrt?«

»Gottes Wort, lieber Herr, und dann die lange Uebung des Lebens. Es giebt auch sonst manche hübsche Bücher, worin Anweisung zu so etwas ausgetheilt wird. Zum Beispiel, – da!« – Er holte aus seinem Brustlatz eins jener alten, einfältigklaren Volksbücher hervor, die in allgemein faßlichen Geschichten und Ermahnungen den rechten Weg zum Himmel zeigen, und damals sehr häufig gedruckt und gelesen wurden. Alethes nahm es tiefsinnig in die Hand, und ließ die Blätter voll ernster Rührung auf und nieder fallen. Es war sehr reinlich gehalten, aber man sah ihm an, wie lange und fleißig der Besitzer darin gelesen hatte.

»Wenn Ihr mir's nicht verübeln wollt, und mich auch nicht auslachen, hub der Alte wieder an, so möchte ich Euch das Büchlein schon als eine freundliche Verehrung anbieten, guter Herr. Mir ist beinah, als thät' es Euch nöthig, für manchen sauern Schritt und Tritt, den Ihr noch im Leben vor Euch habt, und ich kann es nun schon ganz auswendig, Ihr habt ohne Zweifel der schönern und klügern Bücher sehr viele gelesen, aber da soll es manche drunter geben, die nicht so ganz aus Herzensgrund kommen, und, edler Herr, wenn's nun innen im Schreiber anders aussieht, als haußen auf seinem Buch, – was kann mir denn da das ganze Ding helfen? Grundehrlicher giebt es nichts auf der Welt, als hier dies Büchlein, und deshalb hilft es auch sehr gewaltig. Nehmt's nur getrost, und macht nicht viele Umstände mit meiner schlichten, gutherzigen Meinung.«

Alethes nahm das Geschenk mit ernstem Dank. Darüber freute sich der Alte sehr. Als er aber ein Goldstück in des Grafen Hand blitzen sah, sprach er in sichtlicher Kränkung: »ich hoffe doch, daß Ihr mir mein Büchlein nicht etwa zu bezahlen denkt?«

»Gott behüte, Vater; entgegnete Alethes. Das kann ich nicht. Aber ich möchte Euch gern eine kleine Freude machen.«

»Ihr könntet's freilich Aermern geben; sagte Jener nachsinnend. Nur freylich, – man sieht wohl, Ihr gebt gern, und habt viel zu geben. Also immer her damit. Uebermorgen hält meine zweite Enkeltochter Hochzeit; da wollen wir fein auf Eure Gesundheit trinken.«

Und freundlich grüßend klomm er das Thal hinab, und sang wieder sein Liedchen:

»Die Tage kommen und ziehn vorbei;
Ich bin im Herzen so frisch und frei,
Denn unser Herrgott ist mit dabei.«

Alethes aber gab einem Diener das kranke Roß zur sorgfältigen Pflege, schwang sich auf ein frisches, und trabte sehr heiter des Weges fürder, dem Alten immer im Herzen sein Liedchen nachsummend.


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