Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Zehntes Kapitel

In der ersten Morgenfrische öffnete der Freiherr seine Augen. Sie waren wieder hell geworden vom sanften Schlaf, auch wohl von anmuthig verheißenden Träumen. Er sahe freundlich um sich her, und wie das Frühroth hinleuchtete über sein emporgehobenes Antlitz, war es fast, als würde dieses von einem sanften Nachschimmer der verflogenen Jugend, oder von einem Vorschimmer der ewigen Jugend verklärt.

Sich in seinen Jagdmantel hüllend, stand er von dem Ruhebette auf, that die Fensterflügel von einander, und schaute mit gefalteten Händen in die stillgewordne, duftige Gegend hinaus.

Dann zu den beiden befreundeten Gestalten rückgewandt, sagte er:

Wir wollen uns an den runden Tisch in der Vorhalle setzen, und mein Lieblingslied mitsammen anstimmen.«

Ein leises Erröthen flog bei diesen Worten über Emiliens Wange, und auch Alethes fühlte sich gestört und verlegen in des zarten Mädchens Seele, denn er dachte, es sey von jenem Liede die Rede, das er selbst beim Eintreten des Boten zu Ende gesungen hatte, und das Emiliens zartverschwiegne Neigung für ihn so deutlich verrieth.

Das war es denn nun freilich nicht. Vielmehr stimmte der Greis, am Rundtische Platz nehmend, den wohl allen Lesern dieser Geschichte noch erinnerlichen Sang an:

»Frisch auf aus dunkelm Bade,
Du neues Menschenbild!«

und tönte ihn eben so kräftig fürder, als er es ehemals in der Ardennenhöle gethan hatte, und Emiliens Nachtigallenstimme flötete ihn sanft über die Stellen, wo er zu stocken begann, hinaus, – aber das Lied vom Weiher her war es ja doch, und also immer wieder ein Lied verfehlter Liebe, und Alethes und Emilie wagten es nicht, nacheinander hinzusehn.

Als jetzt Emilie einen neuen Vers begann, mit den Worten:

»Von wonnigem Erbarmen –«

winkte ihr der Alte mit der Hand, innezuhalten, und sagte: »nein, Kind, das kann ich wohl noch nicht hören. Aber mit der Zeit geht es vielleicht.«

Nun saßen die Dreie wieder ganz still beisammen.

»Vom Carolus Magnus und seinem Hofhalte weißt Du wohl jetzt nicht viel zu berichten, Organtin?« fragte endlich der Freiherr. »Laß es auch nur seyn. Mir hängt mein Herz nicht mehr daran. Zudem hat es mein Englein nicht eben gern, wenn ich davon anfange. Nur das Eine sage mir: – Hirten erzählten sich jüngsthin von einem herrlichen Gefecht, das ein fremder Graf gehalten haben sollte, und gewissermaaßen durch seinen einzigen Arm und Geist eine ganze Stadt errettet. Aber sie wußten's nur sehr confuse. Und dennoch, und ob sie auch gleich den Sieger mit dem falschen Namen Alethes nannten, – dennoch verstand ich, daß jener schützende Held Niemand anders gewesen seyn kann, als Du, mein Organtin. Und erzähle mir nun recht ausführlich diese schöne That. Es hört sich doch nichts in der Welt lustiger zu für ein tapfres Herz, als Kriegsgeschichten.«

Dem Grafen kam es seltsam vor, seine eignen Lorbeern hier zur Schau zu legen. Er suchte mit einer freundlichen Wendung auszuweichen. Da lächelte der Alte: »ja so! Du meinst, weil wir zu Kaiser Carols Zeiten die Donnerbüchsen noch nicht kannten, würde ich eben nicht sonderlich verstehn, wie Alles zugegangen sey. Aber doch, lieber Organtin, doch! Ich weiß wohl gut genug Bescheid damit. Und – im Vertrauen gesagt – mir kommt es vor, als hätt' ich meine wildesten und kühnsten Schlachten – blieb auch immerdar meine Leibwaffe das Schwerdt – in Gesellschaft solcher Donnerbüchsen ausgefochten. O, bitte, lieber Organtin, erzähle! O, bitte gar zu schön!«

Und wie ein Kind schlug er die Hände zusammen, und schaute freundlich zu Alethes hinüber, und dieser hub, unwiderstehlich getrieben, seine Erzählung an.

Aber nicht nur der Freiherr hörte ihm mit glühender Theilnahme zu; auch Emiliens Augen funkelten in jedem Augenblick begeisterter, und ließen von denen des tapfern Alethes nicht mehr ab. Der hohe Geist ihres Stammes war in ihr aufgewacht, und wie er schon frühe die Neigung zu dem niegesehnen Helden in ihr entzündet hatte, schaute er nun sichtbar aus den leuchtenden Pforten auf den gegenwärtigen in unendlicher Liebe und Bewund'rung hin. – Alethes fühlte, was geschah. Auch wenn er Emilien nicht anblickte, war es, als brennten die Sonnenstrahlen ihres Auges flammend und verklärend auf seine Stirn. In tiefer Wehmuth, in schmerzlichem Stolz erglühend, endete er seinen Bericht, und fühlte nun wohl, er müsse fort von dieser Stätte, wo sein liebstes Erdenheil wohnte, und sich ihm entgegen neigte, und dennoch nie sein werden durfte, wenn es nicht aufhören sollte, ein Heil zu seyn. Er rief nach seinem Pferde. Emilie, ihm im Herzen dafür dankend, und ihn noch inniger und höher darum liebend, konnte ihn auch nicht mit dem leisesten Worte hindern wollen, doch sahe sie sich still besorgt nach ihrem kranken Vater um.

Der richtete sich feierlich ernst empor, sprechend:

»Ich weiß aus Erfahrung, was es ist um den Ritterdienst an Kaiser Caroli Magni Hof, junger Organtin, und denke Euch keinesweges von Eurer Pflicht zurückzuhalten, aber das Wiederkommen müßt Ihr mir versprechen, mit Hand und Mund, und zwar wenigstens um den dritten Tag. Und dagegen kann ja auch mein Engel nichts haben, denn sonst weinte ich mir im wehmüthigen Zorne die alten, großen Augen aus, und würde blind und rasend zugleich – hu!«

Er verzerrte sein Gesicht fast auf die ehemalige furchtbare Weise, und zitternd winkte Emilie dem Grafen, ihm zu willfahren. Kaum hatte der wunderbare Greis seines Gastes Wort, so war ihm auch der dräuende Anfall spurlos vorübergegangen. »Auf nahes, schönes Wiedersehn!« nickte er noch freundlich aus dem Fenster herab, als Alethes im seltsamen Zwischengefühl von Jammer und Glück zu Rosse stieg, und grüßend davon trabte. Emilie war in diesem Augenblicke nicht zu sehn. Leise, ganz leise und wehmüthig schwirrte ihre Harfe aus einem innern Gemache herüber.


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