Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Neuntes Kapitel

Es geschah um diese Zeit, daß Alethes, während er mit dem Kaiserlichen Hofe in fest geschloßnen Verbindungen stand, und schon Unterschiedliches darin ausgeführt hatte, folgenden Brief von Berthold erhielt.

O Du, wie soll ich Dich nennen! Freund, oder Feind, oder Abgefallner! Es kommt mir noch immer wie ein verkehrter Traum vor, daß ich also an Dich schreiben darf, Du mein ehmals hochgeehrter Meister, oder vielmehr, daß ich es muß. Denn am liebsten hätte ich mich in trauerndes Schweigen gehüllt, und das Auge gänzlich abgewendet, welches nicht mehr mit Wohlgefallen auf Deiner Gestalt verweilen kann. Du tratest das letztemal zu mir ein, wie die furchtbare, aber herrliche Erscheinung eines Todesengels, der auf dunkeln, ja blutbenetzten Pfaden dennoch in die ewige Freiheit hinüber führt. Ein mildres Leuchten sah zwischen die drohenden Wolken herein, und Du eiltest in Deinem Unmuth weiter, suchend, wo es Gewitter gebe, aber seegensschwangre, heilbringende Gewitter, in denen Du Dich ausblitzen könntest. Wie ist es nun anders gekommen! – Laß mich's nicht ausführen, Es muß Dir wohl selbsten im Herzen weh thun, wofern Du noch irgend eine Ader behalten hast von Allem, was Du ehmals warst. Ich wollte Dir überhaupt ganz anders schreiben, als diese Zeilen lauten, und da ich nun ansetzte, rissen mich Wehmuth und Zorn so gewaltig mit sich fort. Worauf es eigentlich ankommt, ist dies: die Stadt, welche Du ehemals frei machen wolltest vom Kaiserlichen Joch, dieselbe Stadt wird nun mit neuer Aengstigung bedroht von den Kriegsvölkern Deines jetzigen Herrn – oder hast Du noch einen höflichern Titel für Dich, als den eines Dieners? – und bedroht werden wir im Verfolg Deiner Pläne. Du hast uns gewiß nur übersehn, im Hinausblicken auf größre Dinge, denn sonst bist Du doch wohl noch viel zu gut, um zerstören zu wollen, was Dir vormals lieb war, und auch Dich aus ganzem Herzen lieb hatte. In dieser Voraussetzung und weil es meine Mitbürger wollen, schreib' ich Dir diese Worte; sonst, wie gesagt, wär' ich lieber still geblieben. Auch verdenken's mir alle die trefflichen Männer, mit welchen Du mich bei jener Gelegenheit bekannt machtest. Sie meinen, man müsse Dich als einen Todten betrachten, in dessen einst geliebten Leib ein feindlicher Geist gefahren sey. Ich habe Dich noch immer lieb, aber sieh um Gotteswillen diesen Brief nicht als eine Vorbitte an. Er ist nur eine Erinnerung, und schließt mit der Versicherung, daß unsre Weiber und Kinder schon bereit sind, nach sichern Zufluchtsörtern aufzubrechen, und daß, wenn Du Deine Kaiserlichen Satelliten anrücken läßt, wir Männer fertig stehn, in Behauptung unsrer Freiheit auf den Brandstätten unsrer Häuser zu sterben,

Berthold.

So weit wär's gekommen? sagte Alethes zu sich selbst. Steh' ich denn wirklich schon auf der Widerpart, und, ehr ich's noch ahnte, sind die Guten von mir abgefallen? –

Er fühlte sich sehr beunruhigt, und mit so vielfachen Gründen er sich auch zu überzeugen bemüht war, es liege nur an der Schwäche Andrer, daß man seine glänzenden und künftig Allen heilsame Pläne verkenne, blieb dennoch ein tiefer, verletzender Schmerz in seinem Gemüthe zurück. Nachdem er die schleunigsten und sichersten Anstalten getroffen hatte, die Stadt, darin Berthold wohnte, vor jedweder Gefahr zu schützen, (denn wirklich hatte er sie nur im Gedränge größrer Entwürfe übersehn,) eilte er Beruhigung bei Yolanden zu finden, bei ihr, an welche er, seit der Erscheinung am See, innerlich immer wie an einen Genius hatte glauben müssen, bestimmt, ihm seine Schritte vorzuzeichnen, und welche ihn für jetzt so weit von seinen gewohnten und höchst geliebten Bahnen abgelenkt hatte.

Von Jenen, sagte er, indem er nach Yolandens Zimmern ging, von Jenen, die mich einst liebten, hab' ich nichts mehr zu erwarten, bis ich im vollen Glanze der herrlichen Erfüllung vor sie hin trete. Daß ich jetzt die Stadt gerettet habe, danken sie mir nicht, oder schreiben's wohl noch gar der Furcht zu. Meinetwegen! Ich weiß nichts mehr von ihnen, ich will auch nicht antworten. Sie mögen zuerst kommen und suchen, wenn sie mich dermaleinst wieder erkennen. – Und in diesem trotzigen Unmuth, der am wildesten da emporschießt, wo man die verlorne Liebe mit den wehmüthigsten innern Thränen bethaut, schritt er immer schnellern und festern Trittes durch die hallenden Säle und Vorzimmer nach Yolandens Gemache zu.

Ein beängstigendes Gefühl erwachte in ihm, als er sie nicht fand. Unwillkürlich mußte er daran denken, wie Eugenius Bertha's Zimmer an jenem Abende im Schlosse leer gefunden hatte, obgleich hier Alles, heiter und sorgfältig geschmückt, von selber zu sagen schien, die holde Bewohnerin sey nur auf wenige Minuten durch das hellglänzende Abendroth hinaus gelockt. Aergerlich, daß Keine von Yolandens Frauen den Weg anzugeben wußte, welchen sie nach des Parks Gewinden genommen habe, schritt er in die blühende Gartengegend hinaus, immer gepreßtern Herzens nach der Geliebten suchend, und die Buschlabyrinthe scheltend, daß sie mit ihren Blättern und Blüthen die freie Aussicht unterbrachen. Endlich – es war schon in der tiefer sinkenden Dämm'rung, – vernahm er eine weibliche Stimme, von der Zither begleitet, und erkannte Yolandens Gesang und Spiel. Den Eilenden hielten des See's Gewässer auf, von dessen anderm Ufer er die weiße, schlanke Gestalt unter den Zweigen der Erlen und Weiden gelagert sah. Ein Nachen schaukelte sich zu seinen Füßen, und erst, als er hineingesprungen war, und sich schon bis in die Mitte des Weihers hineingerudert hatte, ward es seinen aufgeregten Sinnen gänzlich klar, daß Alles wieder so sey, wie an jenem ersten Abende, ja, daß auch, wie er im Näherkommen vernahm, Yolande wieder das nämliche Lied singe. Wieder hielt er auf dem Weiher still, und erstaunte, sie unter den Melodieen zu finden, welche sie seit geraumer Zeit von sich verbannt hatte. Sie sang mit einer noch nie vernomm'nen Süßigkeit, und vermehrte Alethes Verwundrung, als sie an der Stelle, wo sie sonst, von ihrem Gedächtniß verlassen, stehn geblieben war, ganz ungestört weiter sang. Er hörte zuerst folgende Worte, die eben auch, wie damals, denselben Vers schlossen:

Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand.

Komm, Wandrer, fromm und traurig,
Komm, Wandrer, treu und weich,
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Ahnung reich.
Was Du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.

Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrei'nd aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Laß ab vom Trotz, und weine,
Du armes Menschenkind;
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind.

Nicht blind dem ew'gen Strahle,
Dem Himmelsgast in Dir,
Der ird'sche Freudenmale
Bekränzt mit ew'ger Zier.
Er liebt in den Kristallen
Der Thränen sich zu schau'n,
Läßt da die Nebel fallen,
Zeigt blüh'nde Himmelsau'n.

Von wonnigem Erbarmen –

Die Sängerin nahm den auf der Barke Staunenden wahr, und verschwand in's Gebüsch. Vergeblich rief er ihr zweimal nach: Yolande! Yolande! Sie war nicht mehr zu erblicken.


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