Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Dreizehntes Kapitel

In den ersten Frühlichtern des andern Tages öffnete Yolande die Pforten der Burg. Alethes, Emilie und der alte Freiherr traten herein. Er wußte nichts mehr von seinen Balisandraträumen; vielmehr Yolanden freundlich zunickend, sagte er:

»Die da ist auch ein Kind des wunderlichen Reinald von Montalban, und sie ist einstmalen verhext gewesen, aber nun fällt aller Zauber mehr und mehr ab von der immer heller aufleuchtenden Welt. Man sieht doch an dem schönen Wesen nun gar nichts Verstelltes mehr, sondern die lautre Herrlichkeit Gottes und seiner Natur.«

Yolande beugte sich tiefgerührt über seine Hand, und er streichelte ihr liebkosend die nur von leisem Rosenschimmer angehauchten Wangen. Dann flüsterte sie leise in Emiliens Ohr:

»Meine Mutter ist in dieser Nacht mit einem sanften Tode begnadigt worden, und mir ist immer, als müßte ich den Vater an ihre entseelte Hülle führen, aber wie ich ihn nun so alt und wehmüthig vor mir sehe, wag' ich es kaum. Rathe Du mir, was ich thun soll, mein liebes, frommes Schwesterlein.« Emilie sann einige Augenblicke schweigend nach, da sagte der Freiherr:

»Ich merke schon, Ihr redet von meiner verstorbnen Gemahlin Claricia, die im Gram über das von Carolo Magno an mir verübte Unrecht entschlafen ist. Es geziemt sich sehr wohl, daß ich ihre Leiche besuche. Und vielleicht ist es auch nur magisches Blendwerk damit, und wenn ich an sie herantrete, und ihre Hand fasse, wacht sie wohl wieder auf.«

Und feierlich festen Trittes schritt er voran, die Treppen hinauf, als wisse er schon, wo die Todte liegen müsse. Staunend und schauernd, und der seltsamsten Ahnungen voll, traten die beiden Schwestern und Alethes ihm nach.

Er öffnete die Thür eines kleinen, hellen Gemaches. Blumen dufteten an den Fenstern, wie mit holder Feier einige fromme Bücher umrankend. Auf den schneeweißen Decken eines niedern Lagers, in eben so weiße Schleiergewande gehüllt, lag Isidorens Leichnam. Das stille, verklärende Leben ihrer letzten Monate, und dann vollends ein seeliger Tod hatte alle die Schrecken ihres frühern, gräuelhaften Treibens abgestreift von der edlen Gestalt. In stiller, freundlicher Schönheit lächelte sie durch ihren endlosen Schlaf.

Der Freiherr blieb lange schweigend vor ihr stehn. Seine anfänglich starr und fragend auf sie gehefteten Blicke wurden immer freundlicher, immer holder. Er faßte ihre Hand, und hielt sie, wie liebkosend, zwischen den seinigen, indem er sich auf ein Knie vor ihr niederließ. Dann hub er sich wieder empor, und sagte gelassen: »sie ist dennoch todt, und mit dem Erwecken wird es nichts. Aber es ist gut so. Denn es ist nicht Reinald von Montalban's Claricia, sondern die höchst unglücklich gewesene Isidore, des alten, wilden, wahnwitzigen Freiherrn von Thurn Gemahlin, und Gott hat ihr eine große, recht unschätzbare Gnade damit erwiesen, daß er sie so mild und friedlich, und, wie man deutlich sehen kann, auch in vollkommner Versöhnung zu sich rief.«

Abermals blieb er eine Weile still. Endlich, erstaunt um sich her blickend, sagte er beinahe stammelnd:

»Kinder – Ihr Kinder – ich erfahre ja noch viel Mehr – noch viel Seltsameres – Kinder, ich bin ja der alte Freiherr von Thurn selbst, und Gott hat mir gänzlich verziehen, und ihr seyd meine beiden herzlieben Töchter, seyd Emilie und Yolande!«

Er drückte sie unter seeligen Thränen an seine Brust, und nach Alethes hinüberschauend, lächelte er:

»Das ist auch gar nicht der wunderliche Organtin. Das ist der herrliche Graf Alethes von Lindenstein. O wie hell scheint auf einmal wieder die Sonne! Es muß eine lange Zeit hindurch sehr dunkel gewesen seyn, daß ich so durchaus Niemanden zu erkennen vermochte.«

Er setzte sich an einen kleinen runden Tisch, und winkte den drei Andern sich auch niederzulassen. Als es geschehn war, sagte er: »Nun laßt uns das alte, schöne Lied singen, wie wir es vordem oft in unsrem Familienkreise sangen, das Lied vom Menschenbilde, das aus dunklem Ahnungsbade zum wechselnden Leben erwacht. Deine Mutter, liebe Emilie, ist zwar lange von hinnen gegangen, und ihre Engelsstimme wird uns sehr fehlen. Und auch Deine Mutter, Yolandchen, ist ja stumm geworden. Aber wie es auch gehe, lieben Kinder, laßt uns singen. Das wird mir sehr wohl thun.«

Und sie stimmten an, und sangen:

»Frisch auf aus dunkelm Bade,
Du neues Menschenbild!
Des Lebens Lustgestade
Blühn reich für Dich und mild:
Erst Kinderlebens Spielen
Auf frühstem Blumenplan,
Dann süßer Liebe Zielen
Auf ros'gen Hoffens Bahn.

Sie trifft mit goldnen Pfeilen,
Und weckt ein holdes Weh,
Des Lebens Wogen eilen,
Und's scheint ein stiller See;
Du bist schon weit geschwommen,
Und wähnst Dich noch zu Haus, –
Dann muß Dir plötzlich kommen
Der ungeahnte Graus.

Gestorben sind die Treuen
Aus Deiner Kinderzeit,
Und die geliebten Neuen
Stell'n sich auf einmal weit.»
Fahrwohl, fahrwohl,« sagt Minne,
»Ich hab' Dich nie gemeint.«
Du stehst im trüben Sinne,
Die Augen ganz verweint.

Du ziehst am Seil der Schwermuth
Den matten Nacken wund,
Dann speist mit bitterm Wermuth
Die Reue Deinen Mund.
Bist nicht zum Leben tüchtig,
Das doch nicht von Dir läßt;
Die Freuden Dein sind flüchtig,
Und Deine Leiden fest.

Liegst Du in solchen Ketten,
Horch' auf des Liedes Lauf.
Es ruft, um Dich zu retten,
Aus Dir ein Mittel auf.
Laß Deine Augen schwellen,
Laß los der Thränen Band;
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand.

Komm, Wandrer, fromm und traurig,
Komm, Wandrer, treu und weich;
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Labung reich.
Was Du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.

Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir Ihr Licht entquillt,
Befrei'nd aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schmelzen's lieb und lind,
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind.

Nicht blind dem ew'gen Strahle,
Dem Himmelsgast in Dir,
Der ird'sche Freudenmahle
Bekränzt mit ew'ger Zier.
Er liebt in den Krystallen
Der Thränen sich zu schau'n,
Läßt da die Nebel fallen,
Zeigt blüh'nde Himmelsau'n.

Emilie sah fragend auf den Freiherrn. »Weiter, Kind; lächelte er. Gottlob, jetzt darf ich Alles hören.« Sie sangen:

>Von wonnigem Erbarmen
Weichmüth'ger noch als Du,
Neigt dann mit offnen Armen
Sich Dir Dein Heiland zu.
Dann ist das Thor zersprungen,
Das Dich vom Seegen schied;
Du singst mit neuen Zungen
Ein ewig neues Lied!«

»Amen;« sagte der Freiherr, und lehnte sich zu einem ruhigen Schlummer in voller, süßer Gnüge des innern Lebens auf den Lehnsessel zurück. Nicht lange auch so neigte Yolande lächelnd das Köpfchen auf Emiliens Schulter, und schlief ein.


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