Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Achtes Kapitel

Auf Lindenstein angekommen, hub Alethes in der feierlichen Herbstesabendstille wieder einmal in dem alten Büchlein zu blättern an, das ihm mit seinen einfachen Sprüchen nun schon so manchesmal Trost und Freude in die Seele geredet hatte. Er schlug folgende Worte auf:

»Wenn Gott Nein spricht zu irgend einem Wunsche, der Dir sehr lieb ist, so glaube nur, daß er noch tausendmal lieber Ja gesagt hätte, dafern es Dir irgend hätte taugen wollen. Und es kann auch wohl gar seyn, das er Dir Dein Geschenk nur blos aufhebt, um es Dir ein andermal zu geben, wenn es Dir noch viel, viel mehr Freude macht. Aber fußen mußt Du Dich darauf nicht etwa im Voraus; sonst thust Du eine Sünde, und es wird auch dann ganz gewiß nichts draus.«

Sehr hell und getröstet ging er zur Ruhe, und begann mit dem nächsten Morgen ein recht wirksames, frisches Leben. Schon früher pflegte er den Angelegenheiten seiner Unterthanen und seinen eignen mit ehrbarer Thätigkeit vorzustehn, aber es war ihm dabei zu Muth, wie etwa einem vertriebnen Heldenfürsten, der in Verkleidung und Unerkanntheit Schafe hütet. Die Träume künftiger großer Thaten und Tage redeten und weheten dazwischen, und mühsam verhaltne Seufzer der Ungeduld und Sehnsucht schwellten ihm den stolzen Busen. Jetzt fand er sich schon besser darin. Er hielt sich so ruhig im Innern, als es irgend anging, und wenn gar nichts mehr helfen wollte, half doch wohl jenes alte einfältige Buch. Dann mußte er oft lachen in Erinnerung des ehemaligen Hochmuthes, womit er vordem einen solchen unscheinbaren Helfer über die Seite geworfen haben würde.

Er hatte auf diese Weise schon einige Wochen verlebt, und die Stürme begannen wilder und schneidender durch die fast laublose Waldung zu heulen; da saß er eines Abends, von einem thätigen, mühevollen Tage anmuthig erschöpft, an der Flamme des hellen Kamines. Mit stiller, unbesiegbarer Gewalt stieg Emiliens Bild in seiner Seele auf. – »Wäre nun sie Deine Hausfrau geworden, dachte er, und säße in frommer Lieblichkeit an Deiner Seiten, und kredenzte Dir den Wein, oder rührte die Zither und sänge anmuthig dazu, so anmuthig wie letzthin im Gemäuer der Abtei –«

Die getrennten Strophen ihres Liedes umtönten ihn. Unwillkürlich nahm er seine längst schon ungebrauchte Laute von der Wand, stimmte, und phantasirte dann nach Emiliens Klängen umher. Da fügte sich ihm nach und nach auf eine seltsame Weise das Ganze wieder zusammen. Er wußte nun bestimmt, es war das Lied, das Erwin einst bei nächtlicher Weile dem argen Using vorsang in Paris, und das bisher in Alethes geschlafen zu haben schien, um jetzt in tiefer Wehmuth zu erwachen. Auch jedes Wortes, das damals von den Zweien gesprochen ward, erinnerte er sich wieder, und voll verwundender Süßigkeit ging es aus Allem hervor: seit dem ersten Erblicken auf dem Weiher hatte ihn Emiliens ganze Seele geliebt in holder Reinheit und schmerzlicher Entsagung. Mit fast überströmenden Thränen sang er zu der Laute:

»Sollt' ich doch Dich missen,
Ach, warum Dich schau'n?
Ach, warum zerrissen
Mir mein Dämm'rungsgrau'n?
Leis' und träumend lebt' ich
In der Still' Umfang,
Manchmal nur erbebt' ich,
Wenn Dein Name klang.

Doch auf Wassers Spiegel,
Tief in stiller Nacht,
Brach der Ferne Riegel
Vor geheimer Macht.
Wiegend schwamm auf Wogen
Mir Dein Bild heran,
Abwärts bald gezogen,
Königlicher Schwan!

Weh, gingst mir verloren,
Bliebst mein eigen nicht,
Hast Dir Gluth erkoren
Für das stille Licht!
Und mein Sinn, zerrissen,
Kann sich selbst nicht trau'n.
Sollt' ich doch Dich missen,
Ach, warum Dich schau'n!«

Die Thüre ging rasch auf, und herein trat, beinahe othemlos, der bei Emilien gebliebne Diener, ein gesiegeltes Blatt in der Hand. Fast eben so othemlos riß es der Graf zu sich, und las folgende Worte:

»Der Freiherr von Thurn weint nach seinem Organtin. Vergeblich ist mein Bemühen gewesen, all diese Zeit über, ihm seinen Traum auszureden. Wenn er sich auch für Augenblicke zur Ruhe gab, wachte ihm doch das heiße, schmerzliche Sehnen immer zerreißender wieder auf. Jetzt grade weint er so recht herzinnig. Mir ist, als könne ihm sein edles, krankes Herz darüber brechen. Eilt denn, Graf Alethes, eilt! Es kann und soll ja nun einmal nicht anders seyn.«

»Emilie.«

Und eilig rief Alethes nach seinem Rosse, und ungesäumt sprengte er in die sturmestosende Nacht hinaus.


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