Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Fünftes Kapitel

Das Fest im Garten von Fontainebleau hatte mit einbrechendem Abend seinen Anfang genommen. Durch viele farbige Lampen, die an den Bäumen brannten, ward der blumenreiche Rasen auf das mannigfaltigste erleuchtet und über diese bunten Lichter hin zog der Fackelschein, und hüpften die Tanzenden, die sich meist in allerlei Vermummungen, halb schreckenden, halb lustigen, darstellten. Alethes gehörte zu den Wenigen, die jede Maske verschmäht hatten, welches man ihm als Stolz auslegte, da fast nur der König und die vornehmsten Prinzen unverkleidet geblieben waren. Er aber, weder diese, noch sonst eine mögliche Auslegung beachtend, stand reich geschmückt, hoch und still unter der bunten Menge, die mit den heutigen Späßen sich ihm weniger noch als sonst ungerufen zu nahen wagte. Nur die Musik des Festes drang zu seinen Sinnen; mit Blick und Geist weilte er oben an des mächtigen Sternenhimmels Gewölb, oder glitt auch die mächtigen Baumwipfel entlängst, welche nur hin und her ein loderndes Fackellicht streifte, da die Menschlein mit ihren bunten Lampen nicht wohl so hoch hatten hinaufgelangen können. Zwar Anfangs war Alethes der Meinung gewesen, seine Lust an der mannigfachen Maskenwelt zu finden, aber dergleichen Erwartungen sah er bald gestört, durch die Aermlichkeit des Geistes, welche hier ein Jeder auch noch den Larven aufgedrückt hatte. Sie wollten Zaubrer seyn, Ritter, Feien, wilde Männer, und Gott weiß was sonst noch mehr, aber mit so wenig Liebe und Innigkeit für das Spiel, daß Keiner nur das Unbedeutendste an seinem theuern Selbst aufzuopfern geneigt gewesen war. Es gab daher blos eine burleske Vermischung des prätendirten Scheines mit der gemeinen Wirklichkeit, so, daß gegen dies Gemengsel die papierne Nase eines Knaben, womit er seine Spielgefährten zu erschrecken denkt, als viel höhere, ja ganz vollendete Verwandlung gelten konnte. Nur einer einzigen Gestalt war Alethes ansichtig geworden, auf die sich unwillkürlich seine Augen eine Zeitlang richten mußten, so wenig anlockend sich auch die Furchtbare kund gab. Es war eine Eumenide, nicht sowohl schreckend durch eine gräßliche Larve, sondern vielmehr dadurch, daß man diese nur ahnte, als etwas für menschliche Augen Allzugräßliches, von dem faltigen, dunkeln Gewande überhüllt. Eine düsterbrennende Fackel in ihrer Hand verlosch oft gänzlich, und flammte alsdann auf eine unbegreifliche Weise wieder auf, mehr Finsterniß jedoch, schien es, als Helle verbreitend. Die ganze Gestalt schritt voll seltsamer Gewandtheit auf hohen Cothurnen daher, wodurch sie, ohne sichtlich zu eilen, im Umsehn bald an diesen, bald an jenen Ort gelangte. Was ihr in Alethes Augen eine ganz eigne Furchtbarkeit gab, war, daß sie in ihrem einfachen Gewande von den Gästen im Ganzen so wenig beachtet ward, und doch jeder Einzelne, dem sie nahe trat, immer unfehlbar auf das heftigste zusammenschrack. Der Graf wünschte nicht, sie sich näher kommen zu sehn; auch schien sie ihr lautloses, grauvolles Treiben nur unter den Verlarvten zu spielen, ohne sich an die vornehmen Unverkleideten zu wagen. Es gelang ihm daher um so leichter, von dem unwillkommnen Eindruck loszukommen, und sich wieder in die Bahnen des Gestirns, in das Rauschen der Baumwipfel zu verlieren. Ueber die hohen, grünen Kronen hin zog das goldne Gebild des Wagens, daran sich Alethes schon in seinen frühsten Jahren gern ergötzt hatte, und das ihm im reifern Leben eine bedeutende Darstellung des ernst über uns hin lenkenden und hoch triumphirenden Schicksals geworden war. Rollt nur, Ihr glänzenden Räder, dachte er bei sich; Euer Führer lebt auch in dieser Brust. – Es klopfte ihm Jemand leis auf die Schulter; umblickend erkannte er die Eumenide. Er hoffte sie durch einen der fremden, gebietenden Blicke wegzuweisen, die er in seiner Gewalt hatte. Sie aber, durch die hohen Cothurne fast bis zu Alethes ansehnlicher Größe erhoben, flüsterte ihm in's Ohr: wann geht's los mit dem Krieg in Deutschland? Lassen sich die Franzen bethören und in Harnisch bringen für Deine Parthei? Ha Du blutiger Graf! Du Schlachtensäer Du! Hast umgefurcht Dein Gefahren treibendes Feld? – So gern es Alethes wegen der umstehenden Franzosen sah, daß ihm diese Worte von der heisern, tiefen Stimme auf Deutsch gesagt wurden, so überraschend war ihm hier in Verbindung mit der Kenntniß seiner Entwürfe solch ein vaterländischer Laut. In der Hoffnung, die fremde Gestalt von ihrer Meinung abzulenken und zu gleicher Zeit etwas Bestimmtes von ihrer Persönlichkeit zu erforschen, ließ er sich wider seine Gewohnheit auf allerhand Maskeradenscherze ein; es schlug aber nichts davon an. Die Eumenide blieb hoch und still hinter seinem Rücken stehn, bisweilen eines der frühergesagten Worte wiederholend, ohne im geringsten auf irgend eine von Alethes Reden zu merken, bis er endlich, schon ziemlich ernsthaft, sie befragte, ob man nicht ein Wort außerhalb dieses Gewimmels mit ihr reden könne. Sie nickte bejahend, und wandte sich sogleich. Ihr Gang richtete sich nach dem allerfinstersten und abgelegensten Theil der Gärten; schon begegnete Alethes, ihr nachfolgend, immer wenigern und ärmlichern Theilnehmern des Festes, schon brannten die Lampen an den Bäumen einzelner und verloschner, als er die still vor ihm Hinwandelnde endlich ansprach, ob sie ihm nun ihren Namen sagen wolle? Sie schüttelte aber so heftig mit dem Kopf, daß der dunkle Schleier wie ein Gewölk, vom Sturmwind gejagt, hin und her flatterte. Auf eine wiederholte Anfrage entgegnete die heisre Stimme: laßt Euch nicht gelüsten nach meinem Anblick. Wer weiß, ob er Euch lieb seyn wird! Gedenkt Ihr noch der Burg, aus der Ihr Eugenius Braut holen wolltet? Da kam eine Alte aus den Gewölben des Hauses –; die Rede der Verhüllten stockte bei diesen Worten, und ihr leiser Husten rief in Alethes Gemüth jene erwähnte Gräuelgestalt noch lebendiger zurück. Er war fast überzeugt, die wahnsinnige Alte schreite vor ihm her, und hätte sich gern zum Rückweg gewandt, nur daß ihn die Worte festhielten, welche die Erscheinung vorhin von seinen Entwürfen fallen ließ, und deren Erklärung für ihn von der allerhöchsten Wichtigkeit seyn mußte. Die Lampen waren nun gänzlich verschwunden, man befand sich vermuthlich schon außerhalb des Parks, im Dickicht des Forstes, als die Eumenide ihre Fackel einigemal zum kühnern Anflammen wild um's Haupt schwenkte, und dann die helllodernde dicht neben ihren Fuß in die Erde stieß, während sie selbst sich auf einen großen Stein niedersetzte. Wenn Ihr Herz habt, sollt Ihr nun sehn, wer ich bin, sagte sie, und rückte an den Schleiern. In der That empfand Alethes, daß er vielleicht vor dem Schrecken dieser Erscheinung des Muthes mehr bedürfen könne, als vor irgend einer rühmlichen Gefahr des Kriegs, und rief die männliche Fassung seines Geistes angestrengt herauf. Die Schleier sanken, das ganze Gewand der Eumenide wallte, die Fackel sprühte helles Licht umher, und plötzlich offenbarte die fallende Verkleidung Yolanden im reichen, hellfarbigen Schmuck, alle Gewalt ihrer siegenden Schönheit auf den Ueberraschten ausstrahlend.

Nicht mächtig genug über die langgehegte, sich selbst bestrittne Liebe war Alethes Gemüth, um in einem solchen Augenblicke den süßen Gast zu verhehlen. Niederknieend faßte er Yolandens Hand, und stammelte einige Worte der Leidenschaft und Bewundrung. Die schöne Frau sagte lächelnd: ich werde Euch nicht verrathen, lieber Alethes, so widerwärtig mir Eure hochfahrenden Pläne auch sind, und so genau ich sie durchschaue. – Diese Erklärung wirkte auf ihn, wie ein elektrischer Schlag auf den Nachtwandler. Er fuhr in die Höhe, beschämt, daß ein nur wider bessern Willen von ihm gehegtes Gefühl so offenbar habe ausbrechen können, und versuchte, sich zu der sichern Fassung von neuem aufzurichten, die noch vor einigen Augenblicken sein Eigenthum war. Yolande aber plauderte auf's allerlieblichste und unbefangenste von jener frühern schnellen Abreise des Grafen, die man beinah Flucht heißen könne, von dem artigen Frühstück, daran man sich bei der Heimkehr von der Burg in ihrem Schlosse erquickt habe, und von tausend andern Dingen, während sie in einer sehr angenehmen Stellung die Cothurne von ihren zarten Füßchen los gürtete. – Dachtet Ihr denn wirklich, fuhr sie lachend fort, ich sey die abscheuliche Alte aus der Burg? – Ach, von der könnt' ich Euch allerhand Wunderliches erzählen. Sie behauptet sich ganz allein in dem verlaßnen Gebäu; niemals erschließt sie die Thore, und wäre schon verhungert, wenn sie nicht oftmals drohende, sinnverwirrende Lieder von den Mauern herab sänge, davor sich das abergläubische Landvolk fürchtet, und ihr, wie einer feindlichen Gottheit, zur Versöhnung allerhand Speis' und Trank vor die Burg hinlegt. Das angelt sie sich dann mit einem rostigen, eisernen Haken herauf, daß es recht wunderlich soll anzuschauen seyn. – Aber was will ich damit! Ich habe schon wieder so viel von ihr gesprochen. Es geht mir mit dem häßlichen Dinge wie den Vögeln mit der Klapperschlange. Einmal erblickt, will mich immer das Grausen nicht wieder loslassen. Zu was Anderm! Es wird wohl endlich einmal Zeit, daß ich mich dem Hofe geziemend vorstelle. – Darf ich Euch zurückführen? fragte Alethes. – Was denkt Ihr! entgegnete sie. Ich wäre doch wohl nicht so allein in den dichten Forst gegangen, wenn ich nicht meine Gestalten getroffen hätte. Diener und Wagen harren meiner hier im Gehölz. –

Sie klopfte in die Hände, und ein bildschöner Edelknabe trat aus dem Gezweig, eine Laterne in der Hand. Alethes erkannte in ihm denselben, welcher ihm zuerst in Yolandens Schloß die Treppen hinangeleuchtet hatte.

Erwin, der Wagen ist doch in der Nähe? fragte Yolande. Der Jüngling verneigte sich anmuthig, und sie folgte ihm, Alethes freundlich grüßend, durch die dunkle Baumnacht. Bald darauf tönte das Rollen des abfahrenden Wagens in Alethes Ohr. Er nahm die Fackel, welche Yolande vorhin hier eingestoßen hatte, und leuchtete sich damit nach dem Schauplatze des Festes zurück. Als er dort ankam, fand er bereits Alles in Bewegung, um die eben erschienene Yolande zu sehn, und von ihr gesehn zu werden. Sie stand in Mitten der Vornehmsten des Hofes, die ihr gebrachten Huldigungen als eine nicht zu weigernde, gewohnte Gabe annehmend, herrschend und sorglos hier wie in ihrem eignen Schlosse. Indem Alethes näher hinzutrat, wollte Gaston die Gelegenheit, sich dem Grafen werth zu machen und auch ihn selbst zu erfreuen, nicht außer Acht lassen; ohne Alethes erst darüber zu befragen, faßte er dessen Hand, und stellte ihn Yolanden als seinen geehrtesten und geliebtesten Freund vor. Eine würdige Empfehlung, erwiederte sie verbindlich; hinreichend, mich für den Herrn Grafen zu interessiren, auch wenn ich noch nicht die Ehre hätte, ihn persönlich zu kennen. So aber sind wir in der That schon ältre Bekannte. – Sie sprach nun einige Worte zu Alethes, höflich und fremd, worauf sie sich sogleich wieder abwandte, um das ganze Fest hindurch nicht weiter auf ihn zu achten, während sie Gastons ausgezeichnete Huldigungen mit großer Freundlichkeit annahm. Alethes schalt sich sehr über die Unruhe, welche ihn dabei ergriff. Er hatte das Gefühl eines Fieberkranken, der sich gern des gefährlichen Anfalls überhoben glauben möchte, und dennoch Frost und Hitze gewaltig auf sich eindringen fühlt. Am unwidersprechlichsten jedoch empfand er sein Uebel und das rettungslose Erliegen darunter, als Yolande am Schlusse des Festes, indem sie an eines Andern Hand zum Wagen ging, einen Blick auf ihn, den Einsamstehenden, fallen ließ, aller Liebe und Innigkeit voll, wie ihn keiner ihrer Anbeter empfangen hatte, und sein thörichtes Herz in Freuden darüber zu ungestümer Regung empor schwoll.


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