Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Sechstes Kapitel

Das Dankfest der Bürger war vorüber; heitrer, als er es gehofft hatte, kehrte Alethes davon mit Berthold und Similden nach dem Hügel zurück, den sie bewohnten. Einige Waffenübungen, mit Keckheit, und nicht ohne kriegrischen Anstand ausgeführt; hatten dem Grafen Erwartungen von diesen Bürgern gegeben, die, wenn auch nicht jetzt, doch wohl in Zukunft durch einen andern Anstoß der unruhigen Zeit in Erfüllung gehen konnten. Ueberhaupt ward es ihm ganz deutlich, wie die deutsche Nation noch immer den Waffen nicht ganz entfremdet sey, und man sie fortdauernd als ein großes Feldlager betrachten dürfe, wo zwar Disciplin und Uebung etwas verfallen, unter den mannhaften Völkern aber leicht wieder herzustellen sey.

Der Abend lag röthlich über der Ebne, in seinen Schimmern hüpfte Flörchen den heimkehrenden Eltern entgegen, erzählend, wie sie artig gewesen sey, und mit zarter Anmuth Vater und Mutter liebkosend, und deren Liebkosungen empfangend. Man lagerte sich unter die Jasminlaube am sanftesten Hange des Hügels.

Ein schlankes Mädchen in Zigeunertracht wandelte die Höhe herauf, wohl ohne der droben Sitzenden gewahr zu werden. Es schien sehr ermüdet, daher es auch das Gesicht ganz gegen den Boden neigte, und endlich, sich wieder umwendend, und in das Gras niedersinkend, vor sich hin flüsterte: kann nicht mehr fort; nein, nein! Und wer weiß, nehmen sie Einen da oben auf in dem hübschen Hause. Will hier schlafen. Rasen ist kühl, Himmel ist hell.

Sie hatte ihr Lager ganz nahe vor der Gesellschaft genommen, und indem Flörchen die Mutter fragte, ob sie das arme Mädchen nicht mit in ihr Bettchen nehmen dürfe, wandte sich die Zigeunerin nach der Laube um: von ihrem Hute wallte ein grüner Taffent, wie über das Gesicht einer Augenkranken herab.

Ueberrascht versuchte sie sich wieder auf die wankenden Füßchen zu stellen, und sagte fast weinerlich: nehmt's doch ja nicht übel, meine goldigen Herrschaften. Weit, weit schon Heut gelaufen bin ich armes Kind. Und kann auch nicht um mich sehn, die armen kranken Augen thun mir gar zu weh, wenn ich ihnen ihr grünes Zelt losmache. Da hab' ich Euer nicht gewahrt.

Similde beschäftigte sich freundlich um die Reisemüde, und ließ sie ihre erste bequeme Stellung wieder annehmen. Flörchen wollte nach dem Hause, ihr Milch zu holen und Zucker und weißes Brod. Hungrig bin ich nicht, sagte sie, dem Kinde schmeichelnd und es zurückhaltend, auch durstig nicht, aber ein Lager für die Nacht! – Ich hab' wohl schon in weichen Betten geschlafen, doch gönnt mir nur ein Obdach und ein wenig Heu, drauf zu liegen. Libussa behilft sich mit Allem.

Du sollst ein gutes Bett haben, sagte Similde, und heilendes Wasser für Deine kranken Augen.

Schön' Dank! Viel tausendmal! entgegnete Libussa. Der Himmel soll's Euch vergelten, soll herab regnen reiche Geschenke auf dies Haus: Gold und Juweelen und all' zeitlich Gut; vornehmlich der lieben Gesundheit edle Gabe. Libussa hat vor der Hand nichts, als ein armes Liedchen. Wollt Ihr das zur Vergeltung annehmen, so hört.

Sie sang mit höchst anmuthiger Stimme:

Früh' am Morgen,
Gold'n und blau,
Ziehn mich Sorgen
Durch die Au.
»Lieb' Mädchen, was willst? Braun Mädchen, was weinst?«
Um nichts von Allem, was Du meinst.
Ich suche, such' wohl auf und ab,
Find' nicht, was ich verloren hab'.

Falke wilde,
Falke schnell,
Lock' Dich milde,
Lock' Dich hell.
»Lieb' Mädchen, kommt mit; braun Mädchen, dort flog er.«
Sey still, Du Narr. Auch Dich betrog er.
Ich suche, such' wohl auf und ab,
Find' nicht, was ich verloren hab'.

Falk', Du Schlauer,
Sonst so hold,
Ließt mir Trauer,
Nahmst mein Gold.
»Lieb' Mädchen, den laß! Braun Mädchen, ich frei' Dich.«
Holzhäher fort, Dein'sgleichen meid' ich.
Ich suche, such' wohl auf und ab,
Find' nicht, was ich verloren hab'.

Falk', was fliehst Du
Weit und breit?
Nirgend siehst Du
Solche Maid.
»Lieb' Mädchen, ich schenk' Dir, braun Mädchen, 'nen Ring.«
Behalt' ihn, s'ist ein ärmlich Ding.
Ich suche, such' wohl auf und ab,
Find' nicht, was ich verloren hab'.

Falke, nimmer
Raubst Du Dir
Schönheits-Schimmer,
Wie bei mir.
»Lieb' Mädchen, ich schenk' Dir, braun Mädchen, ein Haus.«
Wär' eines mein, ich würf' Dich 'naus.
Ich suche, such' wohl auf und ab,
Find' nicht, was ich verloren hab'.

Falke, zeuch nur
Bis zum Rhein,
Eil' und fleuch nur,
Hol' Dich ein.
»Lieb' Mädchen, ich lass' Dich, braun Mädchen, nicht los.«
O weh, das ist ein Uebel groß.
Doch willst Du mich, such' auf und ab
Nach dem, was ich verloren hab'.

Also rief sie
Und er that's.
Da entlief sie
Schlauen Rath's.
»Lieb' Mädchen, wo bist Du? Braun Mädchen, sey heiter.«
Sie hört' ihn fern, zog schweigend weiter.
Und suchte fürder auf und ab,
Und fand zuletzt ihr kühlig's Grab.

Libussa beschloß ihren Gesang mit einem tiefen Seufzer, und sprach: wie schon gesagt, ich habe nichts als das, sonst gäb' ich's Euch gern, Ihr goldigen Herrschaften. Wahrsagen kann ich jetzt nicht. Es gehören scharfe, hellleuchtende Augen dazu, wenn man die Lineamente der Hand recht erspähen will, und meine armen Augen, ach, sind so weh, so weh!

Armes Mädchen, wovon denn? fragte Alethes, der sein ganzes Gemüth durch ihre Reden bewegt fühlte.

Ich [Ihr] habt wohl auf mein Liedchen gar nicht Achtung gegeben, antwortete Libussa sehr betrübt, sonst würdet Ihr's ja von selbst abnehmen können, daß ich mir die Augen um den Falken wund geweint habe. Er ist ein schöner Mann, ein holdseeliger Mann, und hat mich auch recht lieb.

Warum flieht er denn vor Dir, Du schönes, zärtliches Kind? fragte Alethes weiter.

Weil er ein Narr ist, ein rechter Erznarr, entgegnete Libussa, in sich hinein lachend. Er hätte mich schon mit seinem thörichten Entsagen todt gekränkt, wenn er mich nicht manchmal mit eben dieser Narrheit herzlich zu lachen machte, so wie jetzt. Denn seht, Libussa ist treu, Libussa ist schön, wie wenig Mädchen auf der Welt, – scheint nur die Sonne nicht so grad mehr her, will ich Euch den Schleier lüften, und Ihr sollt mich loben, so krank auch meine Augen sind, – und er hat in der Welt nichts gegen mich, als daß ich mich vielleicht ein bischen anders erzeige, als seine Muhmen und Basen mögen gethan haben. Drum zerbricht er sich und mir das Herz, läuft weit fort durch die Welt, fängt tausend tolle Streiche an, – ich bin ihm doch so gar innig gut, und es zieht meine Lieb' und meine Treu' ihm nach, über Berg und Wald, durch Feld und See, – ach herzenslieber Freund!

Sie neigte in sehr zierlicher Stellung das Haupt zu ihrem Knie herab, und blieb wie in tiefes Nachsinnen versunken.

Ich bin ihm immer auf der Spur, fing sie plötzlich mit vieler Lebhaftigkeit wieder an, und hab' doch nimmer den Muth, vor ihn hinzutreten, und zu sagen: Lieber, da bin ich. Es hülfe auch wohl zu nichts.

Gewiß, sagte Alethes, es müßte Dir helfen, Du reizende Erscheinung.

Meint Ihr? sprach Libussa. Manchmal denke ich selbst, es könnte eigentlich nicht fehlen. Und aus was für verdrießlichen Händeln ich ihn schon gezogen habe! Hier mit den Croaten wollte er auch Lärm anfangen.

Du hast sie wohl gar wegmarschiren heißen, artiges Kind, sagte Berthold lachend.

Ja wohl, entgegnete Libussa ganz ernsthaft. Er soll keine Händel mehr haben; ich bin ihm immer nah, und er mag es anfangen, wie er will, der Degen soll dem kampfgierigen Thoren dennoch in der Scheide verrosten, er müßte ihn denn gegen die Dornen und Disteln des Feldes zücken wollen. All' andre Feinde stäubt Libussa ihm auseinander, und seine Anschläge mit. Wohin hast Du denn die Croaten marschiren lassen? fragte Berthold, immer noch lachend, während es sich über Alethes Stirne wie ein dunkles Gewölk trüber Ahnungen lagerte.

In die Gegend von Asien, antwortete die Ziegeunerin. Da hab' ich gute Freunde, die den tollen Croatenobristen festhalten werden. Im Vertrau'n, der denkt mich dorten zu finden, ich komme aber nimmermehr dahin, bis man ihn weiter nach Ungern geschickt hat. Ach, ich bin ja hier, und suche meinen lieben, thörichten Falken.

Sie richtete sich empor, der grüne Taffent flog von ihrem Antlitz fort, Alethes, sie erkennend, rief in Zorn und Wehmuth: Eumenide! und floh nach der Höhe hinauf. Yolande aber lächelte in ihrer ganzen Schönheit aus der Zigeunertracht hervor, und sagte kopfschüttelnd: er wird wohl in seinem ganzen Leben nicht klug werden. Noch, seht Ihr wohl, leuchten meine Blicke in ihrem gewohnten Glanze, aber ich habe doch wirklich schon viel um ihn geweint, und wer weiß, wird es nicht zuletzt dennoch Ernst mit den kranken Augen.

Während dieser Worte, die Berthold und Similde vor Erstaunen nicht zu beantworten wußten, ließ Yolande ein weißes Flortuch, von ihrem Kopfputze losgewunden, hoch in die Luft wehen. Es schien ein verabredetes Zeichen zu seyn, denn alsbald rollte ihr Wagen aus einem Gebüsche herbei, und hielt in der Nähe, während der Page Erwin, die Höhe herauf, seiner Gebieterin entgegen kam. Berthold'en und Similden freundlich grüßend, hüpfte sie nach der Kutsche, trat hinein, und verschwand, durch ihre schnellen Rosse wie im Fluge davon geführt, aus den Augen der Ueberraschten.


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