Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Sechstes Kapitel

Vor allem schien es nöthig, Yolandens Schreibtisch durchzusehen, um den etwa noch von selbst weiterschwirrenden Fäden ihrer heillosen Entwürfe bei Zeiten Einhalt zu thun. Unser Freund gab sich entschlossen an das ihm auf so manche Art sehr wehvolle Geschäft, wo wir ihm seine Wunden nicht weiter Schnitt vor Schnitt und Stich vor Stich nachzählen wollen. Er litt geduldig und kräftigen Muthes. Da fuhr er plötzlich zornentflammt in die Höhe, und rief nach Pferden, denn er hatte folgenden Brief Dondonis' gelesen:

Wie es auch seyn mag mit den fernhinlockenden Hoffnungslichtlein, die Euer Blättchen mir kund giebt, schöne, ach nur zu schöne Yolande, – glauben kann ich daran nicht, denn wie oft ich durch dergleichen irre geleitet und verhöhnt ward, ist Euch ja selbst am besten bewußt. Und dennoch muß ich thun, was Ihr wollt. Gut denn; ich breche los mit meinen Croaten; mögen die klugen Herrn und Räthe dann sehn, wie sie's wieder entwirren, oder vielmehr, möge Eure schöne kluge Hand den Faden zu allgemeiner Verwirrung so kühn durch das Gewebe hinwerfen, als es Euch beliebt. – Ach, Yolande, wenn doch der pathetische und pedantische Reichsgraf Alethes in der tollen Verblendung beharren wollte, die ihn seit kurzem zum Widersacher Eurer Heldenentwürfe macht! Könnte nicht da vielleicht nach rühmlichen Thaten in Euerm Dienste der arme, glühende Dondoni hoffen? – Ihr verbotet mir, davon zu reden, und ich schweige und ziehe hinaus. Aber da Ihr mir die Wahl freilaßt, wo ich den Funken einwerfen will, berge ich's Euch nicht, daß ich mit ganz absonderlicher Lust auf jene theure Reichsstadt losfahre, von der Ihr mich einstmalen wegfopptet, um Euerm Alethes die Gelegenheit zu Händeln abzuschneiden. Für Yolanden und meine Rache, – o schöne Eumenide, Ihr seyd ja wohl Beides zugleich, meine Rache und meine Hoffnung, – für Dich, o meine glühende Hoffnung, in's Feld!«

»Graf Dondoni.«

Alethes hatte Gründe des Gefühls wie der Klugheit, nur als unerkannter Warner bei den ihm jetzt entfremdeten Freunden aufzutreten. In den ledernen Koller eines Reiters also gekleidet, ein rostiges Panzerhemd drüber, die tiefe, altväterische Jagdmütze tief in sein Antlitz hereingezogen, trat er auf einem kräftigen und schnellen, aber unschönen Klepper ganze einsam die eilige Reise an. –

Er war schon manchen Tag hindurch geritten, und erkannte bereits in schmerzlich lieber Bewegung manchen ehemals wohlbekannten Gegenstand wieder; über die Thürme der Reichsstadt dämmerte schon im Morgendufte das verfallne Kirchengemäuer, Berthold's wunderbar friedlicher Wohnort, – da schmetterte der Knall eines Flintenschusses durch die stille Gegend hin, von zwei, drei andern, wie von einem Echo begrüßt. Hörner bliesen, Feldruf schallte. Das war keine Jagd; das galt ein ernsteres, wohl von theuerm Blute besprühtes Thun und Lassen. Alethes spornte sein Roß einen freigeleg'nen Hügel hinauf.

Und wie an jenem Tage, wo er mit Berthold und dessen Töchterlein die Croaten zum Exerzieren ausrücken sah, breitete die wilde, buntgeputze Schaar Dondoni's sich über das Feld aus; nur daß sie jetzt von der entgegengesetzten Seite heranrückte. Ihr in's Gesicht hatten sich die wackern Städter auf einen Hügel gestellt, Heerd und Weib und Kind, vor allem die heilige Kirchenfreiheit mit Blut und Leben zu beschützen. Vor einem gut ausgerüsteten, aus jungen Bürgersöhnen bestehenden Reitergeschwader erkannte Alethes, scharfen Blickes, alsbald seinen Freund Berthold, wie er ein schönes, schlankes Rothroß hin und wieder tummelte, bald den Feind, bald seinen eignen kleinen Heerhaufen sorgsam und schlachtfreudig zu überschauen bemüht. Dondoni hatte gar keine Reiterei, die paar türkisch geputzten Knechte ausgenommen, die hinter ihm herjagten, während er, gleichsam spielend, auf einem schlanken, arabischen Schimmel, hinter der Reihe seiner so eben sich ausbreitenden Schützen vom linken nach dem rechten Flügel trabte. Er sah höchst blank und wunderlich aus, ganz festtäglich mit vielen Schärpen, Ordenszeichen und Federn geschmückt. Drei Feldschlangen besetzten hinter der Croatencolonne einen beherrschenden Hügel. Die Städter führten zahlreicheres, aber sehr unbeholfenes Geschütz gegenüber auf. Aus allen Kirchen des Ortes stieg feierlicher Orgelruf und Gesang der Weiber und Greise und Kinder himmelan. Die Glocken läuteten drein. Das knatternde Plänkelfeuer der beiderseitigen Schützen entzündete sich mehr und mehr. Blutfarb überstrahlte die aufgehende Sonne das Feld.

Um nicht auf des Feindes linken Flügel zu stoßen, mußte Alethes einige Zeit lang über buschige Höhen einen Umweg nehmen. Die Gesträuche aber, die ihn dem Feinde verbargen, hinderten seinem eignen krieggeübten Auge das Ueberschauen des beginnenden Treffens nicht. Unverkennbar suchte Dondoni mit kühner Neckerei das kleine Reitergeschwader in das verderbliche Feuer der Feldschlangen und einiger im Hügelgebüsch versteckten Schützentrupps zu locken, um nach dessen Vernichtung im desto verderbendern Entscheidungsangriff vorzubrechen. Berthold hielt sich lange gut und besonnen. Aber als seine Reiter vor einzelnen Plänkelschüssen bluteten und fielen, als hin- und herjagende Hauptleute ihn aufzumuntern schienen, er solle doch nicht thatlos sein schönes Geschwader dem feindlichen Feuer aufopfern, – da mochte wohl das ungestüme Ritterblut der mühsam behaupteten Klugheit einen plötzlichen Sieg abgewinnen. Mit einer fast wilden Erhebung seiner kühnen Soldatenstimme kommandirte er zum Abschwenken, und trabte den Hügelhang hinunter, zwischen einengenden Hecken fort, auf den Feind los. Alethes konnte von dem ihm zufällig beschiednen Standpunkte deutlich sehn, das müsse in's Verderben führen, nicht nur für Berthold und dessen Geschwader, sondern auch bald für die ganze umflügelte, durch die Reiterniederlage erschreckte reichsstädtische Schaar. Das Herz brannte ihm wie in lichten Flammen. Auf die Gefahr hin, von einzelnen Croaten im Hügelgebüsch umzingelt oder heruntergebirscht zu werden, sprengte er gestreckten Fluges nach Berthold's Schwadron hinunter. Kugeln pfiffen ihm dicht vorbei, wüstes Geschrei von rechts und links kreischte ihm nach, – er mußte noch zu was Besserm und Seeligerm aufbehalten seyn, denn über einen Heckenzaun hinsetzend, sah er sich plötzlich neben Berthold's fröhlich fortrasselndem Trupp. – »Halt da!« rief es aus vielen Stimmen. »Halt da, Du wilder, unbekannter Reiter! Und bist Du Feind oder Freund?« – Berthold sprengte heran. Seiner Frage zuvorkommend, gab Alethes ein Zeichen, welches in dem frühern Bundesverhältniß auf Leben und Tod nur ausgezeichnete Mitglieder gekannt hatten. Staunend sah Berthold an der hohen, unbekannten Gestalt hinauf. Alethes, auf dem Schlachtfelde immer von ganz eigenthümlicher, wunderbar gebietender Gewalt und Ruhe durchströmt, wies nach dem tiefern Thalgrunde, sprechend: »dort streift der Feind!« dann wieder nach einem Hügelwege empor, mit den Worten: »da geht's um die feindlichen Streifer herum, grad' in den Rücken der Croaten und auf ihr Geschütz!«

Berthold, nur augenblicklich durch die vielen Anfragen und Anmahnungen verstört, hatte alsbald vor diesen schnellkräftigen Andeutungen das ihm angeborne Soldatenauge wiedergewonnen.-  »Wer Ihr auch seyn mögt, erwiederte er, für diesmal, mein unbekannter Reisiger, habt Ihr sonder Zweifel recht.«

Und alsbald sein Geschwader wieder rechts und dann etwas rückwärts leitend, hatte er die buschige Höhe erreicht, während die feindlichen Schützen noch immer fortschlichen im Thal, selbst umgangen, indeß sie sich einbildeten, ihren Feind zu umgehn. Rasch trabten die munteren Jünglinge weiter, nur kaum durch Berthold's frühbegründetes Ansehn vom übereilten Hervorbrechen abgehalten. Alethes sprengte in schlauer Kühnheit zwischen den Hügelgewinden durch, ganz dicht an des Feindes linkem Flügel her, mit bezeichnenden Winken dem Reitergeschwader seinen Weg andeutend. Wilder derweil erhub sich das Geschieß. Die Feldschlangen Dondoni's blitzten und donnerten los, und bezeichneten, wie durch Signale, den Weg, den man zu verfolgen hatte. Immer weiter ging's um den Flügel der Croaten herum, immer entscheidender in ihren Rücken hinein. –

Da schwenkte plötzlich Alethes die Klinge über sein Haupt, und zeigte gegen den Feind hin, als wolle er sprechen: »nun ist es Zeit!« – Berthold flog einen Abhang hinauf. Mit Staunen sah er, daß der fremde Reisige den entscheidenden Augenblick in klarer Feldherrnkraft abgepaßt habe, und seinem Geschwader winkend, flog er auf der rühmlichen Bahn voraus. Im Augenblick waren die Reiter bei dem Geschütz; schwerverwundet oder gefangen starrten die entsetzten Kanoniere; Alethes, windschnell aus dem Sattel springend, richtete kunsterfahren die drei Feldschlangen tiefer, grade in den Rücken der Croaten hinein. Jetzt hieb er auf, und wilde Verwirrung erfaßte das Centrum von Graf Dondoni's umringter Schaar. Wieder schon saß Alethes zu Rosse, und sprach: »nun eingehauen, mein edler Herr, und die erschreckten Gegner sind verloren!«

Da mußte Berthold an die Helden des Alterthums denken, denen in gewichtigen Augenblicken, bald warnend, bald beflügelnd, eine schützende Gottheit an die Seite trat. Unbedingt gab er sich der Leitung des eben so weisen als kühnen Fremdlings hin. Hoch über das Haupt schwang er sein leuchtendes Schwerdt, ein donnerndes: »Marsch! Drauf!« klang aus seiner tapfern Brust, und im stürmigen Fluge, von Pulverdampf und Staub umnebelt, hieb man, noch ehe man sich nahe genug glaubte, schon in die wild durcheinander laufenden Croaten ein.

Es war ein tolles Gefecht. Die gegenüberstehenden Bürger, noch gar nicht begreifend, was eigentlich vorgehe, schossen blind in den ganzen stäubenden Haufen hinein; das konnte aber die jungen Reiter nicht mehr irren; sie waren einmal handgemein mit dem verhaßten Feind, und woher und wohin die Kugeln pfiffen, kümmerte sie nicht mehr.

Da sprengte, kühn und unbändig, wie ein prachtvolles Tiegerthier, der junge, geschmückte Graf Dondoni in seinem Zorne zwischen den deutschen Reitern hin und her, und zeichnete, wen er antraf, mit gewaltigem Hiebe zum Tode. Doch sah ihn endlich Alethes durch das Gewirr herüberblitzen, und fuhr mit gehobner Klinge auf ihn ein, lautrufend: »wir finden uns wieder, Graf Dondoni!« Nur wenige Streiche wurden gewechselt, und der junge Coratenführer lag tödtlichächzend am Boden. Mitleidig beugte sich Alethes nach ihm hinab. »So von dunkler Reisigenhand zu fallen, – murmelte der Sterbende, – ich hab' es mir anders vorgestellt.« – Alethes rückte das Jagdbarett aus der Stirn, und flüsternd: »ah, Graf Lindenstein! Dennoch ein sehr ritterliches Ende!« schloß der überkühne Jüngling sein flammendes Adlerauge zum letztenmale.

Die Croaten vermißten alsbald ihren mächtigen Führer, und die Muthlosigkeit nahm der trotzigen Verzweiflung Stelle ein. »Pardon!« hörte man von allen Seiten rufen, und die Gewehre flogen auf den Boden, und man führte fast eben so viele Gefangne, als man vor kurzem der siegsgewissen, hohnlachenden Feinde sich gegenüber sah.

Nun erst fühlte Alethes, daß seine linke Schulter von einem Streifschusse blutete. Mit einiger Anstrengung sich auf dem Pferde festhaltend, fragte er einen der beritt'nen Bürgerjünglinge, wo er Labung und Ruhe finden könne, und dieser, den wunderbar herrlichen Kampfgesellen freudig auch unter der unscheinbaren Umhüllung ehrend, führte ihn in seines Vaters, eines sehr angesehnen Rathsherren, Wohnung ein.

Halb entschlummert lag der müde Sieger auf einem bequemen Ruhebette; ihm zur Seite saß ein alter Diener des Hauses, und standen köstliche, wohlbereitete Tränke und Erfrischungen auf einem zierlichen Gestelle. Da drang aus dem Nebenzimmer ein leises, aber eifriges Reden herüber. Alethes unterschied deutlich Berthold's Stimme.

»Wie wir's den kaiserlichen Räthen vorbringen und kaiserlicher Majestät selbst, – sagte er, – und den evangelischen Reichsfürsten Bericht thun, – das ist ein wesentliches Stück des Sieges, und am Ende gar das allerwesentlichste von Allem.«

Viele Stimmen baten ihn, daß er auch dieses Geschäft zum Besten der Stadt noch übernehmen wolle, und Berthold hub zu dictiren an.

Aber sehr bald bemerkte Alethes, daß sein jüngerer Freund zwar von einer sehr ächten und edlen Staatsklugheit oder vielmehr Staatsweisheit durchdrungen sey, sehr wenig Bescheid aber um die eigenthümlichen Wege und Stimmungen wisse, worauf es bei diesem Geschäft vorzüglich ankomme. Darum ließ er sich Schreibzeug reichen, und alle Warnungen seines gutmüthigen Pflegers überhörend, brachte er die Hauptpunkte der zu führenden Verhandlung mit klarer Besonnenheit auf's Papier, siegelte es, und übergab es dem Diener zur eiligsten Beförderung an den Hausherrn. Dann fielen ihm die Augen in sehr anmuthiger Erschöpfung zum tiefen, erquickenden Schlafe zu.

Als er erwachte, stand Berthold neben ihm, und die Sonne des andern Tages sah bereits frisch und fröhlich durch die Scheiben. Alethes lächelte seinen Freund im schönen, zuversichtlichen, und eben deshalb recht fromm demüthigen Bewußtseyn an. Große Thränentropfen rollten aus Berthold's Augen.

»O, hub dieser endlich an, wie wir Euch so schrecklich verkannt haben! Und in so toller Verstocktheit, und so ganz durch und durch! Könnt Ihr uns denn nun jemals wieder verzeihn, mein überherrlicher Ritter?«

»Ich bin gar nicht überherrlich, lächelte Alethes zurück, und ihr habt mich auch gar nicht verkannt. Denn damals, Berthold, als Du mir den strafenden Brief sandtest, – nicht wahr, nun sind wir doch wieder nach der frühern schönen Weise auf Du und Du?« Berthold neigte sich in wehmüthiger Freude über Alethes Hand.

»Nun dann, fuhr dieser fort, als Du mir Deinen strengen Brief sandtest, war ich auch wahrhaftig keines bessern Grußes werth, denn ganz und gar hatte ich mich in die Schlingen einer fremden und höchst feindseeligen Macht begeben. Erst vor kurzem ward ich vollkommen daraus errettet, aber freilich unter ungeheuern Schmerzen, und die werden auch wohl nicht von mir lassen, bis an mein vielleicht sehr nahes, so Gott will, zur Seeligkeit leitendes Grab. Frage mich nicht über das Nähere, lieber Berthold, denn ich bin wohl noch zu schwach, um Dir die rechte Auskunft geben zu können. Und überhaupt, wenn ich Similden werde gesehn haben und Dein liebes Kind, sorge mir alsbald für einen Wagen und einen guten Diener, damit ich auf Burg Lindenstein komme. Rede mir ja nichts ein, denn es ist nun einmal so, daß ich nur dort in stiller Entsagung und Einsamkeit meinen Frieden wiederfinden kann. Sollte mich jedoch die gute Sache irgend brauchen, so weiß mein Berthold, wo sein Alethes zu finden ist.«

Wehmüthig, und voll der innigsten Zärtlichkeit und Verehrung, that Berthold nach seines Freundes Begehr, und schon am dritten Tage nach dem Treffen begann der Graf die Heimreise in sein väterliches Schloß.


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