Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Drittes Kapitel

Es mochten wohl beinah drei Jahre seyn, die Alethes einsam und heimlich auf dem Lindensteine verlebte. Er kam nicht aus der Burg, als um bisweilen einem Wilde nachzuspähen; die mehrste Zeit aber brachte er auf dem großen Büchersaale zu, welchen ein gelehrter Bischof, sein Oheim, mit vielen Legenden und weltlichen Historienbüchern angefüllt hatte. Nach den letztern griff Alethes vorzüglich. Seine Kenntniß der lateinischen Sprache, damals noch den Weltleuten vorzüglich eigen, führte ihn mit Leichtigkeit durch Alexanders, Cäsars und andrer großen Heerführer Feldzüge, und wenn er sich auch vor diesen Gebilden zwiefach klein erschien, so entglühte dennoch sein edler Geist oftmals zu freudigen Flammen, in denen die Erinnerung an sein beschränktes Selbst verflog, und er in den Strömen der menschlichen Größe und Herrlichkeit voll hohen Entzückens badete.

Von Yolanden vernahm er in dieser ganzen Zeit von außenher nichts; in seinem Innern lebte sie allzu gewaltig, als daß ihm die tiefe Einsamkeit Ruhe vor der schönen Feindin zu gewähren vermocht hätte. Selbst aus dem Meere uralter Heldenthaten stieg sie oftmals, eine stets neugeborne Liebesgöttin, herauf. Des Antonius Cleopatra, die holde, cilicische Königin des jüngern Cyrus, und jede von Heroen geliebte Frau nahm Yolandens Züge an, und den Zauber ihrer Mienen und Worte und Winke, davon Alethes oft lange schon beschlichen und durchglüht war, wenn erst das stechende Weh zum Herzen drang, und er mit Schrecken erkannte, von wem er doch eigentlich gelesen. In seinen Träumen vollends herrschte die Tyrannin voll siegender, unbestrittner Allgewalt. Oft freundlich, mit bittenden süßen Reden trat sie vor ihn hin: was er sie fliehe? ob er noch sonst in der Welt etwas lieben könne, als sie? – Dann wieder strömte sie zierliche Verhöhnung über ihn aus, und er stritt mit ihr, hart und streng, und zürnte, bis sie ihn schmeichelnd und demüthig umschlang, und die Verzeihung erbat, die des Verzeihenden heißestes Sehnen war.

Diese Kämpfe trieben ihn zuletzt aus dem stillen Alleinseyn auf, während ihn so manche wundervolle Mähr von fremden Landen, die er in seinen Geschichtsbüchern fand, in die weite Welt lockte. – Mit fast noch wunderm Herzen, als er die Burg betreten hatte, verließ er sie wieder, und begab sich zu einer großen Reise hinaus, von der er nicht sowohl Heilung und Vergnügen, als vielmehr Vergessenheit seines Grams, und vielleicht ein frühes, fernes, von Niemanden besprochnes und bekritteltes Ende erwartete.

Es schien kein günstiges Geschick über seiner Reise zu walten. Schon nach den ersten Tagen derselben brach bei andunkelndem Abend ein Rad des Wagens, und Alethes, der nur Einen Diener mit sich führte, ließ diesen beim Gepäck in der unreinlichen Dorfschenke zurück, um noch zu Fuß die nächste Stadt zu erreichen, deren ansehnliche Thürme in nicht großer Entfernung über die Ebne hervorragten. Er traf auch mit noch dämmerndem Tageslichte vor dem Thore an, welches aber fest verschlossen war, und auch dem Klopfenden nicht geöffnet wurde; vielmehr rief eine Schildwacht mit barscher Stimme und undeutschem Accent zurück: es sey schon Sperrzeit; wer noch hereinwolle, müsse besondre Vergunst vom Kommandanten haben.

Auch gut; dachte Alethes. Besser wird es sich immer hier irgendwo an der Mauer unter freiem Himmel schlafen, als dort im Dorfe zwischen den berauschten Wirthshausgästen.

Er ging die Mauer entlängst, sich eine Lagerstätte auszusuchen, fast jedoch seines Zweckes vergessend vor der höchst anmuthigen Gegend, welche die Stadt auf dieser Seite umgab. Ueber einen sanften Berghang, an blühenden Kornfeldern hin, die Aussicht über Fischteiche und Gärten und Gehölze, dran sich einzelne Häuser und Gehöfte lehnten, im Auge, schritt Alethes immer weiter fort, bis er durch ein halb offnes Pförtchen in der Mauer in einen schönen Garten sah, den der nun schon aufgegangne Mond mit seinem vollen Lichte bestrahlte. Alethes trat hinein, und nachdem er einige Bogengänge auf- und abgewandelt war, traf er ein Rasenplätzchen an, das ihm wie ein kühles, weiches Bett entgegengrünte. Hier beschloß er zu übernachten, und schon begannen dem ermüdeten Reisenden die Augen zuzufallen, als ihn Stimmen in einer nahen Laube ermunterten. Zwei Männer schienen mit einander im ernsten Gespräch begriffen, deren Einer plötzlich Alethes Namen aussprach. Der Graf erhob sich achtsam von seinem Lager, und überhörte während dieser Bewegung die nächsten Worte; dann aber vernahm er deutlich, wie die andre Stimme sagte:

Ja, wir sind den fremden Teufeln geliefert, dem undeutschen Kriegsvolk. Ist's nicht himmelschreiend! Friede, sagen sie, wär' in Deutschland. Und uns muß es dermaaßen ergehn.

An die hundert Flaschen Rheinwein haben sie Heute wieder verbankettirt, sagte der Erste, und dabei schelten und drohen sie immerfort, und ist ihnen nimmer was gut genug.

Wenn sie denn mindestens nur einen Schatten von Recht hätten, kam die Antwort zurück. Aber so! Kaiserliche Soldaten in unsrer reichsfreien Stadt, und wir haben abgezahlt, was man nur fordern durfte und mochte. Und ist wohl nur an einen Abmarsch zu denken? Der verdammte Croaten-Obrist hat Vettern und Basen in Wien, und weil's ihm leider hier gefällt, können wir klagen und klagen, ohne daß auch nur ein Schreiber drauf hört. Unsre Nachbarn – die kümmern sich um sich, und sehn unserm Elend mit untergeschlagnen Armen zu.

Sey nicht unbillig, sagte der Erste. Du weißt, unsre Nachbarn ständen uns gern bei, aber sie erwarten den ersten Schlag von uns, die wir die Gedrücktesten sind. Den ich vorhin nannte, der Graf Alethes von Lindenstein, der fehlt unsrer guten Sache; denn erstlich ist er ein herrlicher Kriegsmann, und sodann gehört auch ein großer Name dazu, um den ersten Aufruf zu thun für Freiheit und Recht. Viele Städte, ja viele Herr'n sind dieses friedlosen Friedens satt, und warten nur, wo ein Panner aufgesteckt werde, um sich festes, deutsches Daseyn zu erkämpfen, oder glorwürdiges Ende.

Unsre Bürger sind auch gestimmt, sagte der Andre. Aber freilich, auf den Heerführer können wir lange warten.

Er ist schon da, rief Alethes, hochschlagenden Herzens in die Mitte der beiden Männer tretend.

Ein Auflaurer! schrie der Eine; bohr' ihn nieder, knebl' ihn! der Andre. Aber Alethes hatte bereits mit seiner ganzen überlegnen Kraft die Arme der Erschreckten gefaßt, und zog sie aus der dunkeln Laube sich nach in das helle Mondenlicht.

Seht mich doch an, sprach er hier. Komm' ich Euch denn vor, wie ein Spion? Und kennt Einer von Euch den Grafen Alethes von Lindenstein?

Beide wackre Bürger hatten ehemals unter Alethes Fahnen gefochten, und in der Freude, ihren großen Hauptmann zu begrüßen, in der Ueberraschung den heiß Gewünschten so plötzlich bei sich zu sehn, wären sie fast wie vor einer überirdischen Erscheinung in die Kniee gesunken.

Alethes aber hielt sie mit raschen, eindringlichen Fragen aufrecht, und erfuhr bald, wie hier ohne alle sein Zuthun, blos durch den unverschämten Druck der Croatenhorde von der einen, und der Kraft des ehrlichen deutschen Bürgersinn's von der andern Seite schon fast gereift sey, was er früher durch so viele vergebliche Anstrengungen hatte befördern wollen. Es ließ sich hier auf alle Weise ein guter Ausgang erwarten: entweder verschmerzte der Wiener Hof seine Croaten als ungefüge, wider Ordre handelnde Plündrer, oder er entzündete durch Strenge den Sinn vieler Benachbarten, und es konnte alsdann von hier das Reinigungsfeuer aufgehn, welches Alethes nebst seinen frühern Genossen schon längst herbeigewünscht hatte. Er beschloß, nur diese erst davon zu benachrichtigen, deren Aufenthalt ihm großen Theils noch bekannt war, und alsdann loszubrechen, im Namen der deutschen Freiheit und des Rechts.

Während er dies überlegte, sprachen die zwei Bürger, die Angesehensten ihrer Stadt, von allerhand Einzelheiten, wobei endlich der Eine sagte: schön wär' es doch, wenn wir den auf dem alten Kirchhof mit für die gute Sache gewinnen könnten.

Wer ist das? fragte Alethes. Ein junger Mann, kam die Antwort zurück, der sich etwa vor anderthalb Jahren mit einer schönen Frau und einem kleinen Kinde hier ansiedelte. Er kaufte einen ehemaligen Gottesacker von der Stadt, und erbaute sich dort ein Haus, nah an der halbverfallnen Kirche. In dieser steht noch eine Orgel, und die hat er sich zurecht machen lassen, und singt und spielt darauf wunderschön. Dabei hat er den Gottesacker mit vielen blühenden Sträuchern gar anmuthig bepflanzt, so, daß schon einmal ein Poet seine Wohnung mit dem Paradiese verglich, das über den Gräbern ausblühe, und drinnen er und Frau und Kind als eine seelige Familie wohne. Die Hauptsache aber ist, daß bald, nachdem er herkam, eine Räuberbande Schrecken und Noth in der ganzen Gegend verbreitete, ja selbst die Stadt bedrohte, und er mit ein Hundert junger Burschen, die seinem Zureden folgten, dem Unwesen ein Ende machte, durch eine so kühne Waffenthat, und wobei er sich so ritterlich benahm, daß all' unsre Bürger gern auf seine Kriegstugend hin wagen und tragen würden, was man nur verlangen kann.

Und warum ist er nicht Euer Anführer? fragte Alethes.

Herr, entgegnete der Bürger, seit die Croaten in die Stadt gerückt sind, lebt er so still und einsam, daß man ihn kaum außer seinem Hause antrifft, und nur im traulichen Sprechen gewinnt man Lust und Muth Jemandem dergleichen Anträge zu thun. Ueber das ist Berthold hohen und für uns etwas ungewohnten Wesens, so, daß man ihn nicht leicht zuerst anredet, obzwar er sich gegen alle Mitbürger freundlich erzeugt.

Alethes, durch den Namen Berthold aufmerksam gemacht, fragte weiter, und erfuhr bald, daß von seinem ehemaligen Gefährten in Paris die Rede sey. Er sagte daher den Bürgern unbedenklich dessen Beistand zu, und weil über ihrer Berathung der lichte Morgen bereits herauf gestiegen war, ließ er sich den Weg nach Berthold's Wohnung anzeigen, die außerhalb den Ringmauern der Stadt lag, und eilte, von der neuen rühmlichen Hoffnung, zugleich auch von der Freude des Wiedersehns begeistert, geflügelten Schrittes dahin.


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