Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Siebentes Kapitel

Ueber die Zugbrücke des Lindensteins fahrend, von den herbstlichen Bäumen des Burghofes angerauscht, kam sich Alethes unbeschreiblich einsam vor. In der ehedem so traulichen Veste war ja nun nichts Liebes und Vertrautes mehr, das ihn empfing, und wenn er auch – voll klaren Bewußtseyns, das Rechte muthvoll und verständig gethan zu haben – nicht mehr vor dem Standbilde seines Ahnherrn die Augen niederschlug, fühlte er doch nur zu lebhaft, dieser Ahnherr sey ja von Stein, Vater und Mutter verhülle das Grab, Liebe und freudige Lebenshoffnung habe sich ihm in Entfremdung abgekehrt. – »Auch auf den Schlummer in der Gruft darf sich ein müdes Menschenkind freuen;« dachte er, das einsame Gemach betretend; »und so läßt ja doch die Hoffnung nie ganz und gar von ihren vielgetäuschten Pfleglingen los.« – Beim Auskleiden gerieth ihm wieder jenes einfache Spruchbüchlein in die Hand, und es öffnend, las er folgende Worte:

»Alles Irdische lügt: Dein Hoffen sowohl, als Dein Verzweifeln. Nur Einer sagt immer die Wahrheit, und Der hat Dich lieb.«

Ein altes Kreuzesbild sah im Schimmer der Nachtlampe sanft und tröstend von der gegenüberstehenden Wand hernieder. Auf wundersame Weise gestillt und beruhigt, sank Alethes, wie ein kränkelndes, holdgepflegtes Kind am Mutterbusen, lächelnd in den Schlaf.

Nach einigen Tagen war die Wunde seiner Schulter so gut, als geheilt, und beinah eben so gut verhielt es sich mit der seines Gemüthes. Wenn diese auch manchmal sehr herbe brannte, und ihm das rechte Heilmittel nur wie in dunkler, ungewisser Ferne lag, konnte er doch das müde Herz recht zuversichtlich der ewigen Hoffnung entgegen heben, wissend, das Alles müsse besser werden, vermuthlich schon hier, auf jeden Fall aber im Erwachen aus dem wunderlichen und seltsam anmuthigen Traum, welchen man Erdenleben zu nennen pflegt.

So ritt er einstmalen in warmer, herbstlicher Mittagstunde heiter in das Feld hinaus, einen getreuen Knecht hinter sich. Er konnte der Lust gar kein Ende finden, so lieblich hauchten die linden Scheidegrüße des Jahres ihn an, aus Wolk' und Flur und Bach und See, und aus dem gelbenden und röthelnden Hain. Wo dieser in all seiner farbigen Laubespracht den Hügel hinabstieg, um sich in einen immergrünen Tannenwald zu verlieren, fand Alethes einen Pfad, dessen er sich aus seinen Knabenjahren sehr wohl erinnerte, ohne ihn seitdem betreten zu haben. Es führte dort zu den Trümmern einer alten Abtei, wo einige noch recht gut erhaltne Zimmer von Niemanden mehr bewohnt wurden, weil die Sage von Geisterspuk und allerlei Wunderlichkeiten die Menschen zu keinem ruhigen Ansiedeln daselbst kommen lassen wollte. Als Kind hatte sich Alethes bisweilen dahin geschlichen, aber nur am hohen Mittage, wenn, wie auch jetzt, die Sonne recht schön und klar am Himmel stand. Zwar kannte er wohl von frühauf die Sage, daß alsdann die Geister so gut ihre Macht üben könnten, als in der schauerlichen Mitternacht. Doch konnte sich der fröhliche Knabe dabei nicht so gar sehr fürchten, und meinte, auf den schlimmsten Fall Muth genug zur Begegnung zu behalten. Jetzt kamen all jene seltsam gemischten Gefühle in seinen Sinn zurück, so wenig er auch an die Gespenstersage aus den Trümmern noch glaubte. Voll süßer, wehmüthiger Erinnerung lenkte er sein Roß auf den ehemals oft betretenen Pfad.

»Lieber Herr, wo geht's hin?« rief ihn der Knecht an. »Ihr werdet doch nicht in die graunvollen Trümmer hineinreiten wollen? Sie sind zwar seit einiger Zeit bewohnt, aber kein Mensch noch hat ergründen können, ob es Menschen oder Geister sind, die dorten hausen. Einige Landleute wohl sprechen von lieblichen Erscheinungen, Andre aber wollen fürchterlichen Gestalten begegnet seyn, und stürzten im wilden, sinnverwirrenden Entsetzen nach ihren Wohnungen zurück.«

»Das hätte mir weit eher gemeldet werden sollen;« entgegnete Alethes mit einiger Unzufriedenheit. »Da ich nun aber einmal hier bin, will ich's auch gleich auf der Stelle untersuchen. Ich weiß von Alters her noch sehr guten Bescheid um Weg und Steg.«

Ein gebietender Wink verschloß des staunenden Knechtes Mund, und gebot ihm, hier mit den Pferden auf den Grafen zu warten. Alethes schwang sich aus dem Sattel, und ging einsam, wie von wundersamer Ahnung fortgezogen, in das anmuthig schattende Gebüsch hinein.

Zitherklang aus den halbverfallnen Mauern scholl immer deutlicher ihm entgegen. Eine unaussprechlich süße Stimme sang dazu.

»Sollt' ich doch Dich missen –«

Diese Worte noch vernahm er. Dann schien die Singende sich entfernt zu haben.

Im Bestreben, sie zu erreichen, war Alethes bis an die epheubewachsne Hauptwand der Abtei gedrungen, da sang eine andre, eine sehr tiefe, männliche Stimme dicht neben ihm:

»Frisch auf aus dunkelm Bade,
Du neues Menschenbild!«

Und ehe sich noch Alethes besinnen konnte, wo er dieses ach, einst so wohl gekannte Lied zum letztenmale gehört hatte, sah ein bärtiges, schwerbenarbtes, von schloßweißen Haaren umlocktes Angesicht aus nahen Tannenzweigen hervor. Es galt keinen Zweifel, – der alte, wahnsinnige Reinald stand da.

Aber sanft und anmuthig lächelten diese einst so furchtbaren Züge, fast wie ein scharfes Klippengebirg in der sanften Umhüllung des sonndurchblichensten, weich sich anlegenden Schnees. Der alte Mann streckte seine Hand in kindlicher Freundlichkeit dem unerwarteten Gast entgegen, sprechend:

»Ach so, Organtin! Also gekommen bist Du denn doch wirklich einmal im Wachen zu mir. In Träumen hab' ich Dich oft gesehn, denn ich halte Dich sehr innig lieb am Herzen. Nur, weil Du immer und immer ausbliebst, – da ward ich zuletzt wieder böse, und bin dann oftmalen spuken gegangen auf Dein altes Schloß, und bin zu der Bildsäule Deines Ahnherrn hinaufgekrochen, und habe mich mit der besprochen: ganz leise, – leise; Aber Du mußt ja nicht bleich werden, Du tapfrer Organtin, denn ob zwar die mehrsten Leute sich einbilden, ich sey an jenem Sturz in den Ardennen gestorben – damals, als ich die schöne Balisandra ermorden wollte, weißt Du noch? – nun siehe, Freund, ich bildete mir's selber ein, und dachte, ich wär' ein Spuk, – da ist seitdem ein Engel hier zu mir gekommen; der meint, ich lebte noch, und was der Engel meint, glaub' ich ihm unbedingt. Horch einmal – da singt er. – St! Wenn mein Englein singt, darf es Niemand stören, auch nicht einmal der Wind im Tannengezweig.«

Und wieder tönte Zitherlaut und zarter, lieblicher Gesang:

»Wiegend schwamm auf Wogen
Mir Dein Bild heran,
Abwärts bald gezogen,
Königlicher Schwan.«

Alethes stand wie verzückt. Als trete sein ganzes Leben mit einmal auf ihn zu; jene unseelig liebliche Verirrung, da er am Weiher Emilien für Yolanden hielt, und dann sein trübes Ringen in Paris, das wilde Treiben in den Ardennen, und zugleich auch die Enttäuschung an eben jenem Weiher, – als dringe das Alles zugleich gegen ihn heran, und umwinde ihn zermalmend mit streitender, unwiderstehlicher Kraft, – so ward ihm zu Sinne, und er fürchtete zu erliegen in Zorn und Wehmuth und Zweifel. Wie hülfesuchend schaute er umher. Wunderlich redete Reinald dazwischen. Nur Eines, meinte Alethes, könne ihn selbst erretten vor wahnsinnigem Schwindel, das müsse aber auch kommen: Emilie müsse jene Singende seyn.

Und sie war es. Besorgt, ihren bethörenden greisen Pflegling zu einem Fremden reden zu hören, eilte sie die Steigen herab, und stand plötzlich in der grünumkränzten, wundersam gewölbten Klosterthür, von langen, weißen Gewanden umwallt, regungslos und ganz bleich im Schreck über Alethes Erscheinen, – ganz wie ein schönes Heiligenbild aus Marmorstein.

»Da ist der Organtin gekommen, lieber Engel; sagte Reinald, sich ihr vertrauensvoll nähernd. »Er darf doch bei uns bleiben, nicht wahr? Denn ich freue mich ja so sehr über ihn, und meine es ja nun auch recht von Herzen gut mit ihm und mit der ganzen Welt, und mein lieber Engel schlägt mir nicht leicht eine Freude ab.«

Emilie hatte sich hold erbebend auf einen Sitz in der Thürhalle niedergelassen. Reinald nahm auf den Quaderstufen zu ihren Füßen Platz, und legte wie ein sanftes, liebkosendes Kind sein greises, vordem so furchtbares Heldenhaupt in ihren Schooß. – »Die anmuthige Ueberraschung hat mich ordentlich matt gemacht; sagte er. Ich will ein Bischen ausruhen.« – Und indem er leise und lächelnd und nach und nach immer leiser sang: »Organtin bleibt hier, Organtin bleibt hier!« fielen ihm die Augenlieder zu, und er athmete im erquikkenden Schlummer ruhig und still.

Emilie beugte sich lauschend über ihn. Als sie gewiß war, er schlafe fest und süß, hub sie das thränenfeuchte Auge ernst gegen Alethes auf, und sagte mit sanfter Feierlichkeit: »wir hätten uns nicht wiederfinden sollen, Herr Graf. Da es denn aber doch einmal geschehen ist, – meinen herzlichen Dank für all die edle Gastlichkeit, die ihr an mir bewiesen habt. Daß dieser kranke Heldengreis der Freiherr Thurn, mein Vater, ist, brauche ich Euch wohl nicht erst zu sagen. Einer meiner Boten brachte mir die Nachricht, er hause hier ganz verwildert in den Trümmern, und das rief mich denn natürlich so schnell aus der Pflege Eures alten, treuen Burgvogtes ab.«

»Das ganz allein?« fragte der bebende Alethes.

Glühend wie eine Mairose, schwieg Emilie einen Augenblick. Dann – einen ganzen Himmel der seeligsten Unschuld auf ihrem schönen Angesicht – sprach sie sehr gefaßt: »ich kann nicht lügen. Es war noch sonst ein Etwas, das mir verbot, Eure Rückkehr abzuwarten. Aber wenn ich Euch recht kenne, verschont ihr mich mit weitern Fragen, und tretet sogleich Euern Rückweg an, um nie wieder die Stille dieses Aufenthaltes zu stören. Eilt Euch, Graf Alethes, ehe der kranke Greis erwacht. Wenn er Euch dann nicht sieht, meint er, es sey damit ein Traum gewesen, und findet sich schon sanft und geruhig drein.«

»Und Euch soll ich so hier allein lassen? fragte Alethes. Wenn nun des Freiherrn wilderer Geist wieder über ihn kommt –«

»Das thut er nicht, seit ich wieder bei ihm bin;« sagte Emilie mit stiller Zuversicht. »Ueberdem noch ist der Diener bei mir geblieben, den Euer Burgvogt mir mitgab, und thut redlich und freundlich Alles, was ich schwaches Wesen nicht allein besorgen kann.«

»Es möchte aber doch einmal anders werden mit irgend einer äußern Zufälligkeit; erwiederte Alethes. An wen dann wollt Ihr Euch wenden?« »An Niemand anders, als an Euch;« sagte sie, und winkte ihn freundlich fort. Der heitersten und süßesten Wehmuth voll that er nach ihrem Gebot.


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