Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Warum Pinnebergs nicht wohnen, wo sie wohnen. Bilderzentrale Joachim Heilbutt. Lehmann ist abgesägt!

Zwei Stunden später hat Pinneberg für sich und den Murkel Essen gekocht, sie haben es gemeinsam verspeist, dann ist der Murkel ins Bett gebracht worden, und nun steht Pinneberg hinter der angelehnten Küchentür und wartet, daß das Kind einschläft. Es will noch nicht, immer wieder ruft und lockt es: »Pepp-Pepp!«, aber Pinneberg steht stockstill und wartet.

Es wird langsam Zeit, daß er zur Bahn kommt, den Ein-Uhr-Zug muß er fassen, wenn er pünktlich zur Auszahlung seiner Krisenunterstützung sein will, und der Gedanke, unpünktlich zu sein, und sei es mit dem besten Grunde der Welt, ist einfach grotesk.

Immer noch ruft der Murkel: »Pepp-Pepp!«

Natürlich könnte Pinneberg gehen. Er hat das Kind ja angebunden in seinem Bettchen, es kann ihm gar nichts passieren, aber ruhiger geht man doch, wenn der Murkel schläft. Es ist nicht ganz leicht, sich vorzustellen, daß das Kind so den ganzen Nachmittag weiter ruft, fünf Stunden lang, vielleicht sechs Stunden lang, bis Lämmchen kommt.

Pinneberg späht durch die Tür. Der Murkel ist still geworden, der Murkel schläft. Pinneberg schleicht leise aus der Laube, er schließt ab, einen Augenblick steht er am Fenster und lauscht, ob der Murkel nicht vom Schließen wach geworden ist. Nichts. Stille.

Pinneberg setzt sich in Trab, er kann den Zug noch kriegen, aber wahrscheinlich ist es nicht. Jedenfalls muß er ihn kriegen. Ihr Hauptfehler war es natürlich, daß sie noch ein ganzes Jahr nach seinem Arbeitsloswerden die teure Wohnung bei Puttbreese behalten haben. Vierzig Mark Miete, wenn man neunzig Mark Einnahmen hat. Es war ein Wahnsinn, aber sie konnten sich nicht entschließen ... Das letzte Eigene aufgeben, das Alleinseinkönnen, das Beisammenseinkönnen ... Vierzig Mark Miete – und das letzte Gehalt ging drauf und Jachmanns Geld ging drauf, und dann ging es nicht mehr und mußte doch gehen. Schulden – und Puttbreese stand da: »Na, junger Mann, wie ist es mit dem Kies? Wollen wir gleich jetzt den Umzug machen? Gratis-Umzug habe ich versprochen, bis auf die Straße ...«

Lämmchen war es, die den Meister immer wieder besänftigte. »Sie zahlen, junge Frau«, sagte Puttbreese. »Na ja, aber was der junge Mann ist – ich hätte längst Arbeit gefunden ...«

Krampf und die Rückstände wachsen, ein ohnmächtiger Haß gegen den Mann in der blauen Bluse. Schließlich hatte sich Pinneberg nicht mehr heimgetraut, den langen Tag saß er in irgendwelchen Parks oder bummelte ziellos durch die Straßen und sah in den Läden, wie viel gute Dinge es für gutes Geld gab. Dabei fiel ihm einmal ein, daß er ja ebensogut einmal auch nach Heilbutt suchen könnte. Er hatte damals nur einen Versuch bei Frau Witt gemacht, aber schließlich gab es Polizeireviere, Meldebüros, ein Einwohnermeldeamt. Es war nicht nur, um sich zu beschäftigen, daß Pinneberg auf den Heilbutt-Fischfang ging, ein ganz klein bißchen dachte er an ein Gespräch, das er einmal mit Heilbutt gehabt hatte, es war darin von Heilbutts eigenem Geschäft und dem ersten Mann, den er darin beschäftigen würde, die Rede gewesen.

Nun also, Heilbutt zu finden, das hatte sich als nicht sehr schwierig herausgestellt. Er wohnte noch immer in Berlin, er hatte sich ganz ordnungsmäßig umgemeldet, nur hauste er nicht mehr im Osten, er war ins Zentrum der Stadt gedrungen. »Joachim Heilbutts Bilderzentrale« stand an der Wohnungstür.

Wirklich, Heilbutt hatte sein eigenes Geschäft, hier war der Mann, der sich nicht auf den Kopf hauen ließ und doch vorwärts kam. Und Heilbutt war auch ganz bereit gewesen, seinen einstigen Freund und Kollegen bei sich zu beschäftigen. Es war keine Stellung mit Gehalt, es war ein Provisionsposten, den Heilbutt zu vergeben hatte. Eine anständige Provision wurde vereinbart, und nach zwei Tagen gab der erwerbslose Pinneberg seine Bestallung wieder in Heilbutts Hände zurück.

Oh, er bestritt gar nicht, daß damit Geld zu verdienen war, nur er konnte es nicht verdienen, es lag ihm nicht. Nein, von Zimperlichkeit konnte keine Rede sein, es lag ihm einfach nicht.

Seht, Heilbutt war seinerzeit über ein Aktfoto gefallen, wegen eines Aktfotos hatte er einen vorzüglich ausgefüllten, nicht aussichtslosen Posten aufgeben müssen. Andere Leute hätten nun Aktfotos wie die Pest gemieden, Heilbutt machte den Stein des Anstoßes zum Grundstein seiner Existenz. Da hatte er nun diese unerhört abwechslungsreiche Kollektion wertvoller Aktfotos, keine käuflichen Modelle mit verbrauchten Körpern, nein, junge frische Mädel, temperamentvolle Frauen – Heilbutt vertrieb Aktfotos.

Er war ein vorsichtiger Mann, ein bißchen Retusche, ein neu montierter Kopf, das kostet nicht die Welt, niemand konnte auf ein Foto tippen und sagen: »Das ist doch aber ...« Mancher aber konnte zweiflerisch dastehen und meinen: »Ist das aber nicht ...?«

Heilbutt inserierte seine Kollektion zum Versand, aber auf dem Gebiete war die Konkurrenz zu groß, es ging zwar, aber es ging nicht glänzend. Glänzend ging der direkte Verkauf. Heilbutt hatte drei junge Leute durch die Stadt laufen (der vierte war zwei Tage lang Pinneberg gewesen), sie verkauften diese Bilder an gewisse Mädchen, an gewisse Wirtinnen, an die Portiers gewisser kleiner Hotels, an die Toilettenmänner und -frauen gewisser Lokale. Es war eine große Sache, sie wurde immer größer, Heilbutt lernte, was die Kundschaft brauchte. Es war nicht zu sagen, wie groß der Appetit einer Vier-Millionenstadt in diesen Dingen war, es gab unendliche Möglichkeiten.

Ja, Heilbutt bedauerte, daß sein Freund Pinneberg sich nicht hatte entschließen können mitzumachen. Die Sache hatte eine große Zukunft. Heilbutt dachte, daß manchmal auch die beste Frau, grade die beste Frau, ein Hemmschuh sein kann. Pinneberg kotzte es einfach an, wenn ihm so ein Toilettenonkel erzählte, was seine Kundschaft zu der letzten Kollektion gesagt hatte, wo man unbedingt deutlicher sein mußte und warum und wieso. Heilbutt war einst für Frei-Körper-Kultur eingetreten, er bestritt es nicht, er sagte: »Ich bin ein praktischer Mensch, Pinneberg, ich stehe mitten im Leben.«

Er sagte aber auch: »Ich lasse mich nicht treten, Pinneberg. Ich bleibe ich, die andern mögen sehen, wo sie bleiben.«

Nein, es hatte keinen Streit zwischen den beiden gegeben. Heilbutt hatte den Standpunkt seines Freundes wohl verstanden. »Nun schön, es liegt dir nicht. Aber was machen wir nun mit dir?«

So war Heilbutt doch, helfen wollte er, da war sein Freund, sie gehörten nicht mehr so recht zusammen, sie hatten wohl nie recht zusammengehört, aber geholfen mußte werden.

Und da fiel dem Heilbutt diese Laube ein, im Osten Berlins, etwas weit ab, vierzig Kilometer, gar nicht mehr Berlin, aber mit einer Ecke Land dabei. »Ich habe sie geerbt, Pinneberg, vor drei Jahren, von irgend einer Tante. Was tu ich mit einer Laube? Wohnen könnt ihr da und euer Gemüse und eure Kartoffeln werdet ihr euch wohl auch bauen können.«

»Es wäre herrlich für den Murkel«, hatte Pinneberg gesagt. »So in der frischen Luft.«

»Miete braucht ihr nicht zu zahlen«, hatte Heilbutt gesagt. »Das Ding steht ja doch leer und ihr bringt mir den Garten in Ordnung. Nur, was ich so an Lasten darauf habe, Steuern und die Pflasterkasse, ich weiß nicht, was alles, immerzu muß ich zahlen ...«

Heilbutt rechnete. »Also sagen wir monatlich zehn Mark. Ist dir das zu viel?«

»Nein, nein«, sagte Pinneberg. »Es ist herrlich, Heilbutt.« Pinneberg denkt an dies alles, während er in seinem Zuge sitzt, seinem richtigen Zuge, er hat ihn wirklich noch erwischt, und auf seine Fahrkarte starrt. Die Fahrkarte ist gelb, sie kostet fünfzig Pfennig, die Rückfahrt kostet wieder fünfzig Pfennig, und da Pinneberg zweimal wöchentlich zum Arbeitsamt in die Stadt muß, gehen von seinen achtzehn Mark Unterstützung gleich zwei Mark Fahrgeld ab. Jedesmal, wenn Pinneberg dies Fahrgeld ausgeben muß, wütet er.

Nun gibt es zwar Siedlerkarten, sie sind billiger, aber um eine Siedlerkarte zu bekommen, müßte Pinneberg dort wohnen, wo er wohnt, und das darf er nicht. Auch gibt es ein Arbeitsamt an dem Orte, wo er wohnt, dort könnte er ohne alles Fahrgeld stempeln gehen, aber das darf er nicht, da er nicht wohnt, wo er wohnt. Für das Arbeitsamt wohnt Pinneberg bei Meister Puttbreese, heute, morgen, in alle Ewigkeit, ob er nun die Miete zahlen kann oder nicht.

Ach, Pinneberg mag gar nicht daran denken, aber er denkt viel daran, wie er in den Monaten Juli und August von Pontius zu Pilatus gelaufen ist, um die Erlaubnis zu bekommen, von Berlin in jene Siedlung außerhalb Berlins zu verziehen, vom Arbeitsamt Berlin an das dortige Arbeitsamt überwiesen zu werden.

»Nur, wenn Sie nachweisen können, daß Sie dort Aussicht auf Arbeit haben, sonst nehmen die Sie nicht.«

Nein, das kann er nicht. »Aber ich kriege hier ja auch keine Arbeit!«

»Das wissen Sie nicht. Jedenfalls sind Sie hier arbeitslos geworden und nicht dort.«

»Aber ich spare dreißig Mark Miete im Monat.«

»Damit hat das nichts zu tun. Das geht uns nichts an.«

»Aber der Wirt wirft mich hier raus!«

»Dann besorgt Ihnen die Stadt eine andere Wohnung. Sie brauchen sich nur auf der Polizei als obdachlos zu melden.«

»Aber ich habe sogar Land bei der Laube! Ich könnte mir mein Gemüse selbst bauen und meine Kartoffeln!«

»Laube – das wissen Sie ja wohl, daß es gesetzlich verboten ist, in Lauben zu wohnen?!«

Also, es ist nichts zu machen. Pinnebergs wohnen offiziell immer noch in Berlin bei Meister Puttbreese, und Pinneberg muß zweimal jede Woche für sein Geld in die Stadt fahren. Und zu dem verhaßten Puttbreese gehen und mit sechs Mark alle vierzehn Tage seinen Mietrückstand abtragen.

Ja, wenn Pinneberg so eine Stunde in der Bahn sitzt, so hat er alle möglichen Scheite zusammenzutragen, und es gibt alles in allem ein ganz hübsches Feuerchen aus Wut, Haß und Erbitterung. Aber es ist doch nur ein Feuerchen. Wenn er sich dann mit dem grauen, eintönigen Strom der andern durch das Arbeitsamt schiebt, so viele verschiedene Gesichter, so viel verschiedene Kleidung und alle die gleichen Sorgen, alle der gleiche Krampf, alle die gleiche Erbitterung ...

Ach, was hat es für einen Sinn? Er ist drin in diesem Betrieb, einer von sechs Millionen, schiebt er sich an den Schaltern vorbei, warum sich aufregen, Zehntausenden geht es schlimmer, Zehntausende haben keine tüchtige Frau. Zehntausende haben nicht ein Kind, sondern ein halbes Dutzend – weiter Mann Pinneberg, nimm dein Geld und hau ab, wir haben wirklich keine Zeit für dich, du bist nichts so Besonderes, daß wir uns mit dir aufhalten könnten.

Nun, Pinneberg geht weiter, an den Schaltern vorbei, er kommt auf die Straße und geht seinen Weg zu Puttbreese. Puttbreese steht in seiner Werkstatt und baut ein Fenster.

»Guten Tag, Meister«, sagt Pinneberg und will höflich sein zu dem Feind, »Sind Sie nun auch Bautischler geworden?«

»Ich bin alles, langer Mann«, sagt Puttbreese und zwinkert. »Ich bin nicht wie andere.«

»Nein, das sind Sie nicht«, stimmt Pinneberg zu.

»Was macht der Sohn?« fragt Puttbreese. »Was soll er eigentlich werden?«

»Kann ich Ihnen noch nicht genau sagen, Meister«, erklärt Pinneberg. »Hier ist das Geld.«

»Sechs Mark«, bestätigt der Meister. »Sind noch zweiundvierzig Rest. Aber die junge Frau ist in Ordnung.«

»Die ist in Ordnung«, sagt Pinneberg auch.

»Das sagen Sie, als wenn Sie sich darauf was einbilden könnten. Aber Sie müssen sich darauf nichts einbilden, mit Ihnen hat das nichts zu tun.«

»Ich bilde mir auch nichts ein«, sagt Pinneberg friedfertig. »Post gekommen?«

»Post!« sagt der Meister. »Für Sie Post! Wohl ein Stellenangebot? Ein Mann ist dagewesen.«

»Ein Mann?«

»Ein Mann, jawohl, junger Mann. Jedenfalls denke ich, es war ein Mann. – Ruhe in der Stadt?«

»Wieso Ruhe in der Stadt?«

»Die Schupo hat's mal wieder mit den Kommunisten. Oder den Nazis. Die haben Schaufenster eingeschlagen in der Stadt. Nichts gesehen?«

»Nein«, sagt Pinneberg. »Habe nichts gesehen. – Was wollte der Mann?«

»Keine Ahnung. – Sie sind kein Kommunist?«

»Ich? Nein.«

»Komisch. Wenn ich Sie wäre, ich wäre Kommunist.«

»Sind Sie Kommunist, Meister?«

»Ich? Keine Bohne. Ich bin doch Handwerker, wie kann ich da Kommunist sein?«

»Ach, so. Was hat denn der Mann gewollt?«

»Welcher Mann? Lassen Sie mich zufrieden mit dem Kerl. Gequatscht hat er hier eine halbe Stunde. Ihre Adresse habe ich ihm gegeben.«

»Die draußen?«

»Jawohl, junger Mann. Die draußen. Die drinnen kannte er schon, weil er nämlich hierher kam.«

»Aber wir hatten ausgemacht ...«, fängt Pinneberg mit Nachdruck an.

»Geht in Ordnung, junger Mann. Die Frau wird einverstanden sein. In Ihrer Laube haben Sie keine Leiter, was? Ich käme sonst mal raus. Feine Schinken hat Ihre Frau ...«

»Ach, Sie können mir ...«, sagt Pinneberg wütend. »Sagen Sie mir nun endlich, was der Mann gewollt hat?«

»Machen Sie sich doch den Kragen ab«, höhnt der Meister. »Das Ding ist ja ganz dreckig. Über'n Jahr arbeitslos und läuft noch mit 'nem Gipsverband. Solchen ist wirklich nicht zu helfen.«

»Sie können mir im Monde ...!« schreit Pinneberg und schrammt die Tür der Werkstatt von außen zu.

Schon steckt der Meister seinen roten Kopf heraus: »Kommen Sie her, Jüngling, trinken Sie einen Korn mit mir! So einer wie Sie macht mir Laune für ein Dutzend!«

Pinneberg zottelt so vor sich hin, er ist sauwütend, daß er sich vom Meister wieder durch den Kakao hat ziehen lassen. So geht es jedes Mal, immer nimmt er sich vor, er schwatzt nur ein paar Worte mit ihm, und immer wird es so. Er ist ein dämlicher Hund, er lernt nichts mehr zu, jeder kann machen mit ihm, was er will.

Pinneberg bleibt vor einem Modewarengeschäft stehen, da ist ein schöner großer Spiegel, Pinneberg sieht sich in ganzer Figur, nein, gut sieht er nicht mehr aus. Die hellgrauen Hosen haben viele schwärzliche Stellen von dem Dachteeren, der Mantel ist so abgeschabt und verschossen in der Farbe, die Schuhe sind voller Riester –, eigentlich hat Puttbreese recht, ein Kragen dazu ist Quatsch. Er ist ein heruntergekommener Arbeitsloser, jeder sieht ihm das auf zwanzig Schritte an. Pinneberg greift nach seinem Hals und macht den Kragen ab, er steckt ihn mit dem Schlips in die Manteltasche. Viel anders sieht er nun auch nicht aus, es ist nicht mehr viel zu verderben an ihm. Heilbutt wird nichts sagen, aber Heilbutt wird doch Augen machen.

Da fahren sie hin in ihrem Polizeiflitzer. Also Krach hat es wieder mal mit den Kommunisten gegeben oder den Nazis, die Brüder haben doch Courage. Eine Zeitung würde er auch gerne mal wieder lesen, man weiß nicht mehr, was passiert. Womöglich ist alles schon in schönster Ordnung in deutschen Landen, und er merkt nur nichts da draußen in seiner Laube.

Nee, nee, wenn das in Ordnung kommt, das merkt er doch, vorläufig sieht es auf dem Arbeitsamt noch nicht so aus, als ob sie da viel Leute einsparen könnten.

Man kann so seinen Stremel immer weiter denken, sehr amüsant ist es nicht, aufgekratzter wird Pinneberg nicht dabei, aber was soll man sonst tun in einer Stadt, die einen nichts angeht, als hübsch bei sich zu Haus zu bleiben, bei den eigenen Sorgen? Läden, in denen man nichts kaufen kann, Kinos, in die man nicht rein kann, Kaffees für Zahlungsfähige, Museen für Anständiggekleidete, Wohnungen für die andern, Behörden zum Schikanieren –, nee, Pinneberg bleibt hübsch bei sich zu Haus. Und ist doch froh, als er die Treppe zu Heilbutts Büro und Wohnung hinaufklettert. Es geht immerhin stark auf sechs, hoffentlich ist Lämmchen jetzt zu Haus, und hoffentlich ist dem Murkel nichts passiert ...

Aber nun drückt er den Klingelknopf.

Ein Mädchen macht auf, ein sehr nettes junges Mädchen in Rohseidenbluse. Die war vor einem Monat noch nicht da. »Bitte schön?«

»Ich möchte zu Herrn Heilbutt. Mein Name ist Pinneberg.«

Und als das junge Mädchen zögert, sehr ärgerlich: »Ich bin der Freund von Herrn Heilbutt.«

»Bitte schön«, sagt das junge Mädchen wieder und läßt ihn auf den Vorplatz. »Wenn Sie einen Augenblick warten wollen?«

Das will er, und das junge Mädchen verschwindet durch eine weißlackierte Tür mit der Aufschrift »Büro«.

Es ist ein sehr anständiger Vorplatz, mit rotem Rupfen bespannt, an Aktphotos ist kein Gedanke, sehr anständige Bilder, Stiche, denkt Pinneberg, oder Holzschnitte, schön, es ist nicht auszudenken, daß sie beide noch vor anderthalb Jahren bei Mandel Anzüge verkauft haben und Kollegen waren.

Aber da ist Heilbutt schon: »Guten Abend, Pinneberg, schön, daß du dich mal wieder sehen läßt. Komm rein. – Marie«, sagt er, »bringen Sie uns den Tee in mein Arbeitszimmer!«

Nein, sie gehen nicht auf das Büro, es erweist sich, daß Heilbutt seit dem letzten Besuch außer dem jungen Mädchen auch ein Arbeitszimmer bekommen hat, mit Bücherschränken und Persern und einem riesigen Diplomat, genau das Herrenzimmer, das Pinneberg sich sein Lebtag gewünscht hat und das er nie kriegen wird.

»Setz dich«, sagt Heilbutt. »Hier sind Zigaretten. Ja, du siehst dich um. Ich hab mir ein paar Möbel gekauft. Man muß schon. Ich selbst lege gar keinen Wert darauf, du weißt noch, bei der Witten ...«

»Aber schön ist dies doch«, sagt Pinneberg bewundernd. »Ich finde es fabelhaft. Alle diese Bücher ...«

»Ja, weißt du, mit den Büchern ...«, fängt Heilbutt an. Aber er überlegt es sich anders. »Nun, kommt ihr draußen zurecht?«

»Ja doch, sehr. Wir sind sehr zufrieden, Heilbutt. Meine Frau auch, sie hat ein bißchen Arbeit gefunden, Stopfen und Flicken, weißt du. Es geht uns jetzt besser ...«

»So, so«, sagt Heilbutt. »Das ist ja schön. Setzen Sie alles hin, Marie, ich mache es schon. Danke, nein, weiter nichts.«

»Bediene dich bitte, Pinneberg. Diese Kuchen, bitte, es sollen die richtigen sein zum Tee, ich weiß nicht, ob sie dir schmecken, ich verstehe nichts davon. Ich mache mir auch nichts daraus.«

Plötzlich: »Ist es schon sehr kalt draußen?«

»Nein, nein«, sagt Pinneberg hastig. »Nicht sehr. Der kleine Ofen heizt sehr gut. Und die Räume sind ja nur klein, es ist meistens mollig. Hier ist übrigens die Miete, Heilbutt.«

»Ach so, ja, richtig, die Miete. Ist es schon wieder so weit?«

Heilbutt nimmt den Schein in die Hand und knifft ihn, aber er steckt ihn nicht ein. »Du hast doch das Dach geteert, Pinneberg?« »Jawohl«, sagt Pinneberg. »Das habe ich. Und es war sehr gut, daß du mir das Geld dafür gegeben hast. Wie ich es geteert habe, habe ich erst gesehen, wie undicht es war. Es hätte böse durchgeregnet jetzt bei den Herbstregen.«

»Und jetzt ist es dicht?«

»Gottlob, ja, Heilbutt. Ich habe es ganz dicht gekriegt.«

»Weißt du, Pinneberg«, sagt Heilbutt, »ich muß dir etwas sagen, ich habe da was gelesen ... Heizt ihr wohl den ganzen Tag?«

»Nein«, sagt Pinneberg zögernd und versteht nicht ganz, was Heilbutt will. »Wir heizen morgens ein bißchen und dann nachmittags wieder, damit es zum Abend warm ist. – Es ist ja jetzt noch nicht sehr kalt.«

»Und weißt du, was jetzt Briketts bei euch draußen kosten?« fragt Heilbutt.

»Ja, ich weiß nicht genau«, sagt Pinneberg. »Nach der letzten Notverordnung sollen sie ja billiger geworden sein. Vielleicht eins sechzig? Oder eins fünfundfünfzig? Nein, ich weiß es nicht genau.«

»Ich habe«, sagt Heilbutt und spielt mit dem Schein, »neulich in einer Bauzeitschrift gelesen, daß in solche Wochenendhäuser bei Nässe leicht der Schwamm kommt. Und ich würde dir empfehlen, recht tüchtig zu heizen.«

»Ja«, sagt Pinneberg. »Wir können ja ...«

»Siehst du«, sagt Heilbutt. »Darum wollte ich dich bitten. Es wäre mir doch leid, wenn das Haus verkäme. Sei so freundlich und heize den ganzen Tag, daß die Wände gut austrocknen. Ich gebe dir erst einmal diese zehn Mark. Du kannst mir vielleicht nächsten Ersten die Kohlenrechnung als Beleg bringen –?«

»Nein, nein«, sagt Pinneberg hastig und schluckt. »Du sollst das nicht, Heilbutt. Du gibst mir jedes Mal die Miete wieder. Du hast uns genug geholfen, schon bei Mandel ...«

»Aber Pinneberg!« sagt Heilbutt und ist sehr erstaunt. »Helfen – das ist doch in meinem Interesse, das Teeren vom Dach und das Heizen. Von Helfen kann gar keine Rede sein. Du hilfst dir schon selbst ...«

Heilbutt schüttelt den Kopf und sieht Pinneberg an.

»Heilbutt!« stößt Pinneberg hervor. »Ich versteh dich schon, du ...«

»Höre einmal«, sagt Heilbutt. »Habe ich dir eigentlich schon erzählt, wen ich von Mandels getroffen habe ...?«

»Nein«, sagt Pinneberg. »Aber ...?«

»Nein? Nicht?« fragt Heilbutt. »Du rätst es nie. Lehmann habe ich getroffen, unsern ehemaligen Herrn und Personalchef Lehmann.«

»Und?« fragt Pinneberg. »Hast du mit ihm gesprochen?«

»Natürlich habe ich«, sagt Heilbutt. »Das heißt, er hat immerzu gesprochen. Er hat mir sein Herz ausgeschüttet.«

»Weswegen denn?« fragt Pinneberg. »Der hat doch wahrhaftig nicht zu klagen.«

»Abgesägt ist er«, sagt Heilbutt mit Nachdruck. »Von Herrn Spannfuß abgesägt. Genau wie wir abgesägt worden sind!«

»Oh, Gott«, sagt Pinneberg fassungslos. »Lehmann abgesägt! Heilbutt, das mußt du mir alles ganz genau erzählen. Ich bin so frei, ich nehm mir noch eine Zigarette.«


 << zurück weiter >>