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Lämmchen bekommt Besuch und sieht sich im Spiegel. Am ganzen Abend wird nicht von Geld gesprochen

Lämmchen sitzt im Fürstengemach und stopft Strümpfe. An sich ist Strümpfestopfen eine der deprimierendsten Beschäftigungen auf der Erde. Nichts führt den Frauen so den toten Amoklauf ihres Tuns vor Augen wie Strümpfestopfen. Denn, wenn es erst einmal wirklich reißt, ist es doch nutzlos und muß doch immer wieder getan werden, von einer Wäsche zur andern. Die meisten Frauen werden darüber traurig.

Aber Lämmchen ist nicht traurig. Lämmchen merkt kaum, was ihre Hände tun. Lämmchen rechnet. Zweihundertfünfzig bringt er, fünfzig wird man Mama geben, das ist eigentlich schon viel zu viel, wo sie täglich fünf bis sechs Stunden für sie arbeitet, hundertdreißig müssen für alles andere langen, bleiben sechzig ...

Lämmchen legt sich einen Augenblick etwas zurück und ruht das Kreuz aus. Das Kreuz tut ihr jetzt meistens weh. Also für sechzig Mark hat sie im Kadewe Babyausstattungen gesehen, für achtzig Mark, für hundert Mark. Das ist natürlich Unsinn. Sie wird eine Menge selbst nähen, schade, daß hier im Haushalt keine Nähmaschine ist, aber zu Frau Mia Pinneberg paßt freilich keine Nähmaschine.

Gleich heute abend will sie mit Pinneberg darüber sprechen und morgen einkaufen gehen, sie ist erst ruhig, wenn sie alles im Haus hat. Sie weiß gut, er hat andere Pläne, sie hat gemerkt, er will irgend etwas kaufen, sicher denkt er an ihren schäbigen blauen Wintermantel, nein, das hat Zeit, alles hat Zeit, das aber, das muß fertig daliegen.

Frau Emma Pinneberg läßt die Wollsocke des Jungen sinken und lauscht. Dann faßt sie ganz leise nach ihrem Leib. Sie legt einen Finger hierhin, dann dorthin. Hier ist es. Hier hat es sich eben gerührt. Der Murkel, es ist das fünfte Mal in diesen Tagen, es ist das fünfte Mal, daß er sich gerührt hat. Mit einem verächtlichen Blick sieht Lämmchen zu jenem Tisch hinüber, auf dem das Buch »Die heiligen Wunder der Mutterschaft« liegt. »Quatsch«, sagt sie sehr deutlich und sie meint es auch. Sie denkt dabei an die Sätze, gemischt aus Gelehrsamkeit und Sentimentalität: »Genau zur Hälfte der Schwangerschaft setzen die ersten Kindesbewegungen im Mutterleib ein. Mit freudiger Rührung und immer neuem Staunen lauscht die werdende Mutter dem zarten Pochen des Kindleins ...«

»Quatsch«, denkt Lämmchen wieder. »Zartes Pochen. Die ersten Male hab ich immer gedacht, da kneift mich eine, die nicht raus kann ... Zartes Pochen ... so ein Quatsch!«

Aber sie lächelt dabei, während sie daran denkt. Es ist ja ganz egal, wie es ist. Schön ist es doch. Herrlich ist es. Also nun ist er wirklich da, der Murkel, und nun muß er fühlen, daß er erwartet wird und gerne erwartet wird, daß alles für ihn bereit ist ...

Lämmchen stopft weiter.

Die Tür tut sich einen Spalt auf und Frau Marie Pinnebergs ziemlich verwuschelter Kopf schaut herein: »Hans noch nicht da?« fragt sie heute zum fünften oder sechsten Mal.

»Nein. Noch nicht«, sagt Lämmchen kurz, denn sie ärgert sich.

»Es ist aber schon halb acht. Er wird doch nicht –?«

»Er wird doch nicht was?« fragt Lämmchen etwas scharf.

Aber die Alte ist schlau. »Werde mich hüten, teure Schwiegertochter!« lacht sie. »Du hast natürlich einen Mustermann, bei dem kommt es nicht vor, daß er am Lohntag ausbleibt und einen kippt.«

»Der Junge kippt nie einen«, erklärt Lämmchen.

»Eben. Ich sagte es ja, bei deinem Mann kommt das nicht vor.«

»Kommt auch nicht.«

»Nein. Nein.«

»Nein.«

Der Kopf von Frau Mia Pinneberg verschwindet, Lämmchen ist wieder allein.

›Olle Ziege‹, denkt sie böse. ›Immer hetzen und stänkern. Dabei hat sie nur Angst um ihre Miete. Na, wenn sie auf hundert rechnet ...‹

Lämmchen stopft weiter.

Draußen geht die Klingel. ›Der Junge‹, denkt Lämmchen. ›Hat er seine Schlüssel vergessen? I wo, das ist doch wieder jemand für Mutter, mag sie selber aufmachen.‹

Aber die macht nicht auf. Es klingelt wieder. Mit einem Seufzer geht Lämmchen auf den Flur. In der Tür des Berliner Zimmers taucht das Antlitz ihrer Schwiegermutter auf, schon halb in Kriegsbemalung. »Wenn es jemand für mich ist, Emma, ins kleine Zimmer. Ich bin gleich fertig.«

»Natürlich ist es jemand für dich, Mama«, sagt Lämmchen. Der Kopf verschwindet und gleichzeitig mit dem dritten Klingeln öffnet Lämmchen die Tür. Da steht ein dunkler Herr vor ihr in einem hellgrauen Mantel, er hat den Hut in der Hand und lächelt. »Frau Pinneberg?« fragt er.

»Kommt sofort«, sagt Lämmchen. »Wenn Sie bitte so lange ablegen wollen. Hier, in dies Zimmer.«

Der Herr ist etwas verwirrt, er sieht aus, als verstände er etwas nicht ganz. »Herr Pinneberg ist nicht da?« fragt er, während er in das kleine Zimmer geht.

»Herr Pinneberg ist doch lange ...«, tot, will Lämmchen sagen. Aber dann fällt ihr ein ... und sie sagt: »Ach, Sie wollen zu Herrn Pinneberg. Der ist noch nicht hier. Er muß aber jeden Augenblick kommen.«

»Komisch«, sagt der Herr, aber nicht beleidigt, sondern ganz vergnügt. »Er ist nämlich schon um vier Uhr bei Mandel weggegangen. Nicht ohne mich für heute abend eingeladen zu haben. Mein Name ist nämlich Heilbutt.«

»O Gott, Sie sind Herr Heilbutt«, sagt Lämmchen und verstummt, wie vom Donner erschlagen. ›Abendessen‹, denkt sie. ›Um vier weggegangen. Wo bleibt er bloß? Was habe ich im Haus? Gleich kommt Mama auch noch reingerasselt ...‹

»Ja, ich bin Heilbutt«, sagt der Herr noch einmal und ist sehr geduldig.

»Gott, Herr Heilbutt«, sagt Lämmchen. »Was müssen Sie von mir denken. Aber es hat natürlich gar keinen Zweck, daß ich Ihnen etwas vorkohle. Also erstens habe ich gedacht, Sie wollen zu meiner Schwiegermutter, die heißt nämlich auch Pinneberg ...«

»Richtig«, sagt Heilbutt und lächelt vergnügt.

»Und zweitens hat mir der Junge gar nicht gesagt, daß er Sie heute einladen will. Darum war ich so perplex.«

»Nicht sehr«, sagt Herr Heilbutt beruhigend.

»Und drittens verstehe ich nicht, wie er um vier dort weggehen kann – wieso denn schon um vier? – und jetzt noch nicht hier ist.«

»Er wollte noch etwas besorgen.«

»O Gott, nun kauft er womöglich einen Wintermantel für mich!«

Heilbutt denkt einen Augenblick nach: »Glaube ich nicht«, sagt er dann. »Den bekäme er doch mit Angestelltenrabatt bei Mandel.«

»Aber was dann –?«

Die Tür tut sich auf und freudig lächelnd geht Frau Mia Pinneberg auf Heilbutt zu. »Ich nehme an, Sie sind Herr Siebold, der heute auf mein Inserat anrief. Wenn ich bitten dürfte. Emma ...«

Aber Emma beharrt: »Das ist Herr Heilbutt, Mama, ein Kollege von Hannes, er besucht mich.«

Frau Mia Pinneberg lächelt strahlend: »Oh natürlich, Entschuldigung. Sehr angenehm, Herr Heilbutt. Sie arbeiten auch in der Konfektion?«

»Ich bin Verkäufer«, sagt Heilbutt.

Und Lämmchen, da draußen geschlossen wird: »Sicher ist das der Junge.«

Allerdings ist es der Junge, da steht er auf dem Flur, das eine Ende der Frisiertoilette in der Hand und der Lehrling von »Betten-Himmlisch« mit dem anderen Ende. »Guten Abend, Mama. Guten Abend, Heilbutt, fein, daß Sie schon da sind! 'n Abend, Lämmchen. Ja, da guckst du, unsere Frisiertoilette. Auf dem Alexanderplatz sind wir beinahe unter den Autobus gekommen. Ich sage euch, Blut und Fett habe ich geschwitzt, bis wir hier waren. Macht mir einer die Tür zu unserem Zimmer auf?«

»Aber Junge!«

»Haben Sie das Ding selbst hergefahren, Pinneberg?«

»Höchstpersönlich«, strahlt Pinneberg. »I myself with this – how do you call him? – Lehrling?«

»Frisiertoilette«, sagt Frau Pinneberg heiter. »Ihr müßt es ja sehr dicke haben, Kinder. Wer braucht denn heute beim Bubenkopf noch eine Frisiertoilette?«

Aber Pinneberg hört nichts. Er hat sich dies Dings, stützend und schiebend, im Berliner Straßentrubel erst richtig erkämpft. Keine Etat-Bedenken beschatten ihn zur Stunde.

»Da in die Ecke, Meister«, sagt er zu der Rotznase von Lehrling. »Etwas über Eck. Dann ist das Licht besser, 'ne Lampe müßten wir darüber anbringen. So, Meister, nun wollen wir runter und noch den Spiegel holen. Entschuldigt mich noch einen Augenblick ... Das ist meine Frau, Heilbutt«, sagt er strahlend. »Gefällt sie Ihnen?«

»Den Spiegel schaff ich ooch alleene, Herr«, sagt der Lehrling.

»Ganz ausgezeichnet«, antwortet Heilbutt.

»Aber Junge!« lacht Lämmchen.

»Der ist ja rein verdreht heute«, erklärt Frau Mia Pinneberg.

»Ausgeschlossen! Daß du mit dem teuren Ding die Treppe rauffällst!« Und in geheimnisvollem Flüsterton: »Der Spiegel, echt Kristall, geschliffen, kostet alleine fünfzig Mark.«

Er entschwindet mit dem Jungen. Die Zurückbleibenden sehen sich an.

»Ich will dann im Moment nicht länger stören«, sagt Frau Pinneberg. »Du wirst auch mit dem Abendessen zu tun haben, Emma. Wenn ich dir irgendwie aushelfen kann?«

»O Gott, mein Abendessen«, sagt Lämmchen ganz verzweifelt.

»Wie gesagt«, bemerkt ihre Schwiegermutter abgehend. »Ich helfe dir gerne aus.«

»Machen Sie sich doch keine Gedanken«, sagt Heilbutt und legt seine Hand auf Lämmchens Arm. »Ich bin ja nicht wegen des Essens hergekommen.«

Die Tür öffnet sich wieder und es erscheint von neuem Pinneberg mit dem Jungen.

»Also, nun paßt auf, jetzt kommt er erst richtig zur Geltung. So, ein bißchen anheben, Junge. Haben Sie die Schrauben? Warten Sie ...« Er schraubt und schwitzt und redet dabei ununterbrochen: »Mach noch eine Flamme an. So – es muß ganz hell sein, nein, bitte, Heilbutt, tun Sie mir einen Gefallen, gehen Sie jetzt nicht ran. Zuerst von uns allen soll sich Lämmchen in dem Spiegel spiegeln. Ich habe auch noch nicht reingesehen, immer die Decke drumgelassen. – Hier, Jung, hast du einen Taler. Einverstanden? Na, hau ab, Haus wird ja noch offen sein, 'n Abend. – Lämmchen, tu mir eine Liebe. Bitte, du brauchst dich doch vor Heilbutt nicht zu genieren. Was, Heilbutt?«

»Kein Gedanke! Wegen meiner ...«

»Also zieh deinen Bademantel mal über. Nur überziehen. Bitte. Bitte. Ich habe immer gedacht, wie das ist, wenn du dich in deinem Bademantel drin spiegelst. Ich möchte es als erstes drin sehen ... Bitte, Lämmchen ...«

»Junge, Junge«, sagt Lämmchen, aber gerührt ist sie natürlich doch von soviel Eifer. »Sie sehen, Herr Heilbutt, da kann man nichts machen.« Und sie nimmt aus dem Kleiderschrank ihren Bademantel.

»Von mir aus«, sagt Heilbutt. »Ich sehe so etwas gerne. Und übrigens hat Ihr Mann ganz recht: Jeder Spiegel sollte zu Anfang etwas besonders Hübsches spiegeln ...«

»Lassen Sie man«, winkt Lämmchen ab.

»Aber ich versichere Ihnen ...«

»Lämmchen«, sagt Pinneberg und betrachtet abwechselnd seine Frau in persona und im Spiegel, »Lämmchen, davon habe ich geträumt. Weißt du, daß mir das in Erfüllung gegangen ist! Heilbutt, die mögen uns schlecht behandeln und saumäßig bezahlen und wir mögen nur Dreck für sie sein, für die Bullen da oben ...«

»Sind wir auch nur«, sagt Heilbutt. »Auf uns kommt es doch nicht an.«

»Natürlich«, sagt Pinneberg. »Hab ich immer gewußt. Aber so was können sie uns doch nicht nehmen. Die sollen doch bloß abhauen mit ihrem ganzen Gerede. Aber daß ich hier meine Frau mit ihrem Bademantel im Spiegel sehe, das können sie mir doch nicht nehmen.«

»Habe ich lange genug Parade gesessen?« fragt Lämmchen.

»Ist er gut, der Spiegel? Ist er günstig?« Und erklärend zu Heilbutt: »In manchen Spiegeln sieht man aus wie eine Wasserleiche so grün, habe aber noch keine gesehen. In manchen ganz breit, und in manchen so angestaubt ... Aber dieser Spiegel ist gut, was Lämmchen?«

Es klopft, die Tür öffnet sich einen Spalt und Frau Pinnebergs Kopf erscheint: »Hast du einen Augenblick Zeit, Hans?«

»Gleich, Mama.«

»Aber bitte, wirklich gleich, ich muß dich dringend sprechen.« Die Tür schließt sich wieder.

»Mama will sicher die Miete«, bemerkt Lämmchen erklärend.

Pinneberg sieht merkwürdig verdüstert aus. »Mama kann mir!« sagt er.

»Aber Junge!«

»Sie soll sich nicht so haben«, sagt er ärgerlich. »Sie wird ihr Geld schon mal kriegen.«

»Na, Mama denkt natürlich, wir haben einen Haufen Geld, wo wir die Toilette gekauft haben. – Und man muß ja wirklich gut verdienen bei Mandel, nicht wahr, Herr Heilbutt?«

»Gut?« sagt Heilbutt zögernd. »Na ja, die Auffassungen sind verschieden, was gut ist. Immerhin sollte ich denken, solche Frisiertoilette, sechzig Mark kostet die doch sicher ...«

»Sechzig ... Sie sind ja verrückt, Heilbutt«, sagt Pinneberg aufgeregt. Dann, als er merkt, daß Lämmchen ihn beobachtet: »Entschuldigen Sie, Heilbutt, Sie können ja nicht wissen ...« Sehr laut: »Und nun erkläre ich, es wird den ganzen Abend überhaupt nicht von Geld geredet, sondern wir gehen alle drei in die Küche und sehen, daß wir was zum Abendessen finden. Ich wenigstens habe Hunger.«

»Schön, mein Junge«, sagt Lämmchen und sieht ihn sehr an. »Ganz wie du willst.«

Und sie gehen in die Küche.


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