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Wie Pinneberg mit dem Engel und Mariechen Kleinholz ringt und wie es doch zu spät ist

Jedem Sonntag folgt sein Montag auf dem Fuße, man kann am Sonntag vormittag um elf noch so fest glauben, er sei noch zwei Ewigkeiten ab.

Aber er kommt, er kommt sicher, alles geht seinen alten Trott, und an der Ecke vom Marktplatz, wo Pinneberg immer den Stadtsekretär Kranz trifft, sieht er sich um. Siehe da, dort naht auch schon Kranz, und als die beiden Herren beinahe auf gleicher Höhe sind, greifen sie an die Hüte und grüßen sich.

Sie sind aneinander vorbei, Pinneberg hält seine rechte Hand vor sich hin: der goldene Trauring funkelt in der Sonne. Langsam dreht Pinneberg den Ring vom Finger, langsam greift er nach seiner Brieftasche, und dann steckt er ihn trotzig und rasch wieder an. Aufrecht, den Trauring an der Hand, marschiert er seinem Schicksal entgegen.

Es läßt auf sich warten, dieses Schicksal. Nicht einmal der pünktliche Lauterbach ist an diesem Montag da, und von Kleinholzens läßt sich auch niemand sehen.

»Wird im Stall sein«, denkt Pinneberg und macht sich auf dem Hof zu schaffen. Da steht das rote Auto und wird gewaschen. »Wärest du doch gestern um zehn mit einer Panne zusammengebrochen!« denkt Pinneberg. Und sagt laut: »Der Chef noch nicht auf?«

»Schläft noch allens, Herr Pinneberg.«

»Wer hat denn gestern eigentlich Futter ausgegeben?«

»Der olle Kube, Herr Pinneberg, Kube.«

»Na also«, sagt Pinneberg und geht wieder auf's Büro.

Dort ist Schulz eingetrudelt, es ist auch schon acht Uhr fünfzehn, ein grüngelber Schulz, sehr mißgelaunt. »Wo ist denn Lauterbach?« fragt er böse. »Spielt das Schwein krank, heute, wo wir so viel Arbeit haben?«

»Sieht so aus«, sagt Pinneberg. »Lauterbach kommt doch nie zu spät. – Guten Sonntag gehabt, Schulz?«

»Oh verdammich!« bricht Schulz aus. »Verdammich! Verdammich!« Er versinkt in Brüten. Dann wild: »Weißte, Pinneberg, ich habe dir mal erzählt, du wirst nicht mehr wissen, vor acht oder neun Monaten bin ich mal in Helldorf zum Schwoof gewesen, so 'nem richtigen Kuhschwoof mit den Bauerntrampeln. Und die behauptet jetzt, ich bin der Vater von dem Kind und soll blechen. Also ich denke gar nicht daran! Ich mache sie meineidig, die!«

»Wie willste denn das machen?« sagt Pinneberg und denkt, der hat auch Sorgen.

»Ich bin gestern den ganzen Tag in Helldorf rum und hab mich erkundigt, mit wem sie noch ... Diese Bauerntöffel, alles hält zusammen. Die soll aber nur ihren Meineid schwören, wenn sie den Mut hat!«

»Und wenn sie den Mut hat?«

»Ich werd' dem Richter schon Bescheid stoßen! Glaubst du denn das, Pinneberg, nun sag mal ehrlich, zweimal hab ich mit ihr getanzt und dann hab ich gesagt: ›Gnädiges Fräulein, es ist hier so rauchig, wollen wir mal rausgehen?‹ Na, und da gleich, einen Tanz haben wir nur versäumt, verstehst du, und da soll ich der alleinige Vater sein? So doof!«

»Wenn du nichts beweisen kannst.«

»Ich mach sie meineidig! Der Richter wird es ja auch einsehen. Wie kann ich denn das auch, Pinneberg? Du weißt doch selber, bei unserem Gehalt?«

»Heut ist Kündigungstag«, sagt Pinneberg, still und beiläufig.

Aber Schulz hört gar nicht, er stöhnt: »Und mir wird immer so schlecht von Alkohol ...!«

Acht Uhr zwanzig, Lauterbach tritt ein.

Oh Lauterbach! Oh Ernst! Oh du mein Ernst Lauterbach!

Ein blaues Auge, eins. Die linke Hand in einem Verband, zwei. Das Gesicht voll Schmarren, drei, vier, fünf. Am Hinterkopf so ein schwarzes Seidenfutteral und über dem Ganzen ein Chloroformgeruch, sechs, sieben. Und diese Nase, diese verschwollene blutrünstige Nase! Acht! Und diese Unterlippe, halb gespalten, dick, negerhaft. Neun! Knockout, Lauterbach! Kurz gesagt, am gestrigen Sonntag hat Ernst Lauterbach unter den Bewohnern des Landes eifrig und mit Hingabe für seine politischen Ideen geworben.

Die beiden Kollegen tanzen aufgeregt um ihn.

»Oh Mensch! Oh Manning! Dich haben sie aber in der Mache gehabt.«

»Oh Ernst, oh Ernst, daß du es niemals lernst!«

Lauterbach setzt sich, sehr steif und vorsichtig: »Das, was ihr seht, ist noch gar nichts. Meinen Rücken sollt ihr erst mal sehen.«

»Mensch, wie ist es nur möglich ...?«

»So bin ich! Ich hätte ja heute ganz gut zu Haus bleiben können, aber ich hab an euch gedacht, daß heute so viel zu tun ist.«

»Und heute ist immerhin Kündigungstag«, sagt Pinneberg.

»Und wer nicht da ist, den beißen die Hunde.«

»Hör mal, das verbitt ich mir! Wir haben doch unser Ehrenwort ...«

Emil Kleinholz tritt ein.

Kleinholz ist an diesem Morgen leider nüchtern, er ist sogar so nüchtern, daß er bis zur Tür Schulzens Schnaps- und Biergeruch riecht. Er gibt einen Auftakt, er macht einen Anfang, er sagt: »Na, wieder mal ohne Arbeit, meine Herren? Gut, daß heute Kündigungstag ist, einen von Ihnen werde ich abbauen.« Er grinst. »Arbeit ist knapp, was?«

Er sieht auf die drei, triumphierend, sie schleichen betreten zu ihren Plätzen. Schon fährt Kleinholz dahinter her: »Nee, mein lieber Schulz, das könnte Ihnen so passen, Ihren Rausch für mein teures Geld auf dem Büro ausschlafen. Feuchtes Familienbegräbnis gehabt, was? Wissen Sie?« Er sinnt. Dann hat er es. »Wissen Sie, Sie können mal auf den Anhänger von dem Lastwagen krabbeln und nach der Weizenmühle fahren. Und daß Sie mir fein die Bremse bedienen, es geht ganz hübsch bergauf und bergab, ich werd dem Chauffeur Bescheid sagen, daß er ein bißchen auf Sie aufpaßt und Ihnen eine klebt, wenn Sie's Bremsen vergessen haben.«

Kleinholz lacht, er hat einen Witz gemacht, darum lacht er. Denn das mit dem Kleben ist natürlich nicht ernst gemeint, auch wenn es ernst gemeint ist.

Schulz will raus.

»Was wollen Sie denn ohne Papiere? Pinneberg, machen Sie dem Schulz die Bestellscheine fertig, der Mann kann ja heute nicht schreiben, hat 'nen Tatterich.«

Pinneberg schmiert los, froh, eine Arbeit zu haben.

Dann gibt er Schulz die Papiere: »Hier hast du, Schulz.«

»Einen Augenblick noch, Herr Schulz«, sagt Emil. »Sie können nicht bis zwölf zurück sein und bis zwölf kann ich Ihnen nur kündigen, nach unserem Vertrag. Wissen Sie, ich weiß noch immer nicht, wem von Ihnen dreien ich kündigen will, ich muß mal sehen ... Und da kündige ich Ihnen vorsorglich, wissen Sie, da haben Sie zu kauen dran während der Fahrt, und wenn Sie dann noch tüchtig bremsen, ich denke mir beinahe, Sie werden nüchtern, Schulz!«

Schulz steht und bewegt lautlos die Lippen. Wie gesagt, er hat ein gelbes, faltiges Gesicht und diesen Morgen sieht er an und für sich nicht sehr gesund aus, aber was da jetzt für ein Haufen Elend und Asche steht ...

»Ab dafür!« sagt Kleinholz. »Und wenn Sie wiederkommen, melden Sie sich bei mir. Dann sage ich Ihnen, ob ich die Kündigung zurücknehme oder nicht.«

Also ab dafür, der Schulz. Die Tür geht zu und langsam, mit zitternder Hand, an der der Ehereif blitzt, schiebt Pinneberg den Löscher von sich. Komme ich jetzt dran oder Lauterbach?

Aber beim ersten Wort merkt er: das ist Lauterbach. Dem Lauterbach gegenüber hat Kleinholz einen ganz anderen Ton: Lauterbach ist dumm, aber stark, wenn Lauterbach zu sehr gereizt wird, haut er einfach, Lauterbach kann man nicht so zwiebeln, bei Lauterbach muß man es anders machen. Aber Emil kann auch das.

»Wenn ich Sie so ansehe, Herr Lauterbach, das ist doch ein wahrer Jammer. Auge blau, Neese Mohn, mit dem Mund können Sie kaum reden und der eine Arm –: das soll nu 'ne vollwertige Arbeit sein, die Sie bei mir leisten. Vollwertiges Gehalt wollen Sie wenigstens, da lassen Sie nicht dran tippen.«

»Meine Arbeit klappt«, sagt Lauterbach.

»Sachte, Herr Lauterbach, sachte. Wissen Sie, Politik ist ganz gut, und Nationalsozialismus ist vielleicht sehr gut, werden wir sehen nach den nächsten Wahlen und uns danach richten, aber daß ausgerechnet ich die Kosten tragen soll ...«

»Ich arbeit'«, sagt Lauterbach.

»Na ja«, sagt Emil sanft. »Werden wir ja sehen. Glaub nicht, daß Sie heute arbeiten, die Arbeit, die ich habe ... Sie sind ja 'n kranker Mann.«

»Ich arbeite – – – alles«, sagt Lauterbach.

»Wenn Sie es sagen, Herr Lauterbach! Nur, ich glaub's nicht ganz. Die Brommen hat mich nämlich im Stich gelassen und wir müssen die Wintergerste noch mal durch die Klapper jagen, und da dacht ich eigentlich, ich wollt Sie bitten, daß Sie die Klapper drehen ...?«

Dies war selbst für Emil eine hohe Höhe von Gemeinheit. Denn erstens einmal war das Drehen der Klapper alles andere, nur keine Angestelltenarbeit, und zweitens brauchte man eigentlich zwei sehr gesunde und kräftige Arme dazu.

»Sehen Sie«, sagt Kleinholz. »Ich hab's ja gedacht, Sie sind invalide. Gehen Sie nach Haus, Herr Lauterbach, aber Gehalt zahl ich Ihnen nicht für die Tage. Das ist keine Krankheit, was Sie haben.«

»Ich arbeite«, sagt Lauterbach trotzig und wütend. »Ich dreh die Windfege. Haben Sie man keine Angst, Herr Kleinholz!«

»Na schön, ich komme dann mal vor zwölf zu Ihnen rauf, Lauterbach, und sage Ihnen Bescheid wegen der Kündigung.«

Lauterbach murrt was Unverständliches und haut ab.

Nun sind sie beide allein. Nun geht es über mich her, denkt Pinneberg. Aber zu seiner Überraschung sagt Kleinholz ganz freundlich: »Das sind Kerle, Ihre Kollegen, ein Haufen Dung und ein Haufen Mist, einer wie der andere, Unterschied gibt's nicht.«

Pinneberg antwortet nicht.

»Na, Sie sehen ja heute festlich aus. Ihnen kann ich wohl keine Dreckarbeit geben? Machen Sie mir mal den Kontoauszug für die Gutsverwaltung Hönow per einunddreißigsten August. Und passen Sie vor allem bei den Strohlieferungen auf. Die haben da mal Haferstroh statt Roggenstroh geliefert und der Waggon ist beanstandet.«

»Weiß Bescheid, Herr Kleinholz«, sagt Pinneberg. »Das war der Waggon, der an den Rennstall in Karlshorst ging.«

»Sie sind einer«, sagt Emil. »Sie sind richtig, Herr Pinneberg. Wenn man alles solche Leute wie Sie hätte! Na, machen Sie das dann. Guten Morgen.«

Und raus ist er.

»Oh Lämmchen!« jubelt es in Pinneberg. »Oh, du mein Lämmchen! Wir sind sicher, wir brauchen keine Angst mehr zu haben wegen der Stellung und wegen dem Murkel!«

Er steht auf und holt sich die Mappe mit dem Sachverständigen-Gutachten, denn der Strohwagen ist damals von einem Sachverständigen taxiert worden.

»Wie war also der Saldo per einunddreißigsten März? Debet. Dreitausendsiebenhundertfünfundsechzig Mark fünfundfünfzig. Also dann ...«

Er schaut auf wie vom Donner gerührt: »Und ich Ochse habe mit den anderen ehrenwörtlich ausgemacht, daß wir kündigen: wenn einem von uns gekündigt wird. Und ich habe das selber angestiftet, ich Idiot, ich Hornvieh! Ich denke doch gar nicht daran ... Der schmeißt uns ja einfach alle drei raus!«

Er springt auf, er läuft hin und her.

Dies ist Pinnebergs Stunde, seine Spezialstunde, in der er mit seinem Engel ringt.

Er denkt daran, daß er in Ducherow bestimmt keine Stellung wieder bekommt. Und sonst bei der jetzigen Konjunktur auf der ganzen weiten Welt auch keine. Er denkt daran, daß er, ehe er zu Bergmann kam, mal ein Vierteljahr arbeitslos war, und wie schrecklich das damals schon war, allein, und jetzt erst zu zweien, ein Drittes erwartend! Er denkt an die Kollegen, die er im Grunde nicht ausstehen kann, und die beide viel eher eine Kündigung tragen können als er. Er denkt daran, daß es gar nicht einmal sicher ist, daß die ihr Wort halten werden, wenn er gekündigt würde. Er denkt daran, daß, wenn er kündigt und Kleinholz läßt ihn gehen, er erstmal eine ganze Zeit kein Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung hat, zur Strafe dafür, daß er eine Arbeit aufgegeben hat. Er denkt an Lämmchen, den ollen Textiljuden Bergmann, an Marie Kleinholz, plötzlich an seine Mutter. Dann denkt er an ein Bild aus den »Wundern der Mutterschaft«, ein Embryo im dritten Monat darstellend, so weit ist der Murkel jetzt, so ein nackter Maulwurf, gräßlich auszudenken. Daran denkt er ziemlich lange.

Er läuft hin und her, ihm ist schrecklich heiß.

»Was soll ich nur tun –? Ich kann doch nicht ... Und die andern würden es bestimmt nicht machen! Also –? Aber ich will nicht lumpig sein, ich will mich nicht vor mir schämen müssen. – Wenn doch Lämmchen da wäre! Wenn ich die fragen könnte! Lämmchen ist so grade, die weiß genau, was man verantworten kann vor sich, ohne Gewissensbisse ...«

Er stürzt zum Bürofenster, er starrt auf den Marktplatz. Wenn sie doch vorbeikäme! Jetzt! Sie muß doch heute früh vorbeikommen, sie hat gesagt, sie will Fleisch einholen. »Liebes Lämmchen! Gutes Lämmchen! Ich bitte dich, komm jetzt vorbei!«

Die Tür tut sich auf und Marie Kleinholz kommt herein.

Es ist ein altes Vorrecht der Frauen aus der Familie derer von Kleinholz, daß sie am Montag vormittag, wo doch niemand auf das Büro kommt, auf dem großen Tisch im Büro ihre Wäsche legen dürfen. Und es ist weiter das Recht dieser Damen, von den Angestellten verlangen zu können, daß sie diesen Tisch abgeräumt vorfinden. Das aber ist heute in der großen Aufregung nicht getan worden.

»Der Tisch!« sagt Marie Kleinholz mit Schärfe.

Pinneberg springt: »Einen Augenblick nur! Bitte um Entschuldigung, wird gleich bereit sein.«

Er wirft Getreidemuster in Schrankfächer, stapelt Schnellhefter auf die Fensterbank, weiß einen Augenblick nicht, wo er mit dem Getreideprober hin soIl.

»Trödeln Sie sich aus, Mensch«, sagt Marie streitsüchtig. »Ich steh hier mit meiner Wäsche.«

»Einen Augenblick noch«, sagt Pinneberg sehr sanft.

»Augenblick ... Augenblick ...«, nörgelt sie. »Das hätte längst gemacht sein können. Aber freilich, zum Fenster nach den Flittchen raussehen ...«

Pinneberg antwortet lieber nicht. Marie packt mit einem Avec ihren Stoß Wäsche auf den frei gewordenen Tisch. »Ein Dreck ist das! Grade reingemacht und wieder alles dreckig. Wo haben Sie's Staubtuch?«

»Weiß nicht«, sagt Pinneberg ziemlich brummig und tut, als suche er.

»Jeden Sonnabend abend hänge ich ein frisches Staubtuch her, und am Montag ist es schon weg. Es muß doch einer direkt die Staubtücher klauen.«

»Das verbitte ich mir«, sagt Pinneberg ärgerlich.

»Was verbitten Sie sich? Gar nichts verbitten Sie sich. Hab ich was gesagt, daß Sie die Staubtücher klauen? Einer hab ich gesagt. Ich glaub gar nicht, daß solche Mädchen Staubtücher anfassen, das ist viel zu gewöhnliche Arbeit für solche.«

»Hören Sie, Fräulein Kleinholz«, beginnt Pinneberg. Und besinnt sich. »Ach was!« sagt er und setzt sich an seinen Platz zum Arbeiten.

»Ist auch besser, Sie sind still. Sich auf offener Straße mit so einer abzuknutschen ...«

Sie wartet eine Weile, ob ihr Pfeil sitzt. Dann: »Ich hab wenigstens nur die Knutscherei gesehen, was sonst noch war ... Ich red nur von dem, was ich verantworten kann ...«

Sie schweigt wieder. Pinneberg denkt krampfhaft: »Nur Ruhe. Das ist gar nicht viel Wäsche, was die hat. Dann muß sie abnibbeln ...«

Marie nimmt den Faden ihrer Plauderei wieder auf: »Schrecklich gewöhnlich sah die Person aus. So aufgedonnert.«

Pause.

»Vater sagt, er hat sie schon in der Palmengrotte gesehen, da war sie Kellnerin.«

Neue Pause.

»Na, manche Herren lieben das Gewöhnliche, das reizt sie grade, sagt Vater.«

Neue Pause.

»Sie tun mir leid, Herr Pinneberg.«

»Und Sie mir auch«, sagt Pinneberg.

Ziemlich lange Pause. Marie ist etwas verblüfft. Schließlich: »Wenn Sie hier frech zu mir werden, Herr Pinneberg, sage ich es Vatern. Der schmeißt Sie gleich raus.«

»Wieso frech?« fragt Pinneberg. »Ich hab genau das gesagt, was Sie gesagt haben.«

Und nun herrscht Stille. Endgültige Stille scheint es. Ab und zu klappert der Wäschesprenger, wenn ihn Marie Kleinholz schüttelt, oder das Stahllineal schlägt gegen das Tintenfaß.

Plötzlich stößt Marie einen Schrei aus. Triumphierend stürzt sie zum Fenster: »Da geht sie ja! Da geht sie ja, die olle Schneppe! Gott! Wie die gemalt ist! Da kann man sich ja schütteln vor Ekel!«

Pinneberg steht auf, sieht hinaus. Was da draußen geht, ist Emma Pinneberg, sein Lämmchen, mit dem Einholnetz, das Herrlichste, was es für ihn auf der Welt gibt. Und alles, was die von »gemalt« gesagt hat, ist Lüge, das weiß er.

Er steht und starrt auf Lämmchen, bis sie um die Ecke ist, in der Bahnhofstraße untergetaucht. Er dreht sich um und geht auf Fräulein Kleinholz zu. Sein Gesicht sieht ziemlich ungemütlich aus, sehr blaß, die Stirn ganz zerknittert von Falten, aber der Blick der Augen recht lebhaft eigentlich.

»Hören Sie, Fräulein Kleinholz«, sagt er und steckt als Vorsichtsmaßregel die Hände fest in die Taschen. Er schluckt und setzt noch einmal an. »Hören Sie, Fräulein Kleinholz, wenn Sie so was noch einmal sagen, schlage ich Ihnen ein paar in Ihre Schandschnauze.«

Die will was sagen, ihre dünnen Lippen zucken, der kleine Vogelkopf macht einen Ruck auf ihn zu.

»Halten Sie das Maul«, sagt er grob. »Das ist meine Frau, verstehen Sie das!!!!« Und nun fährt die Hand doch aus der Tasche und der blitzende Ehering wird ihr unter die Nase gehalten. »Und Sie können froh sein, wenn Sie je in Ihrem Leben eine halb so anständige Frau werden, wie die!«

Damit aber macht Pinneberg kehrt, er hat alles gesagt, was er zu sagen bat, er ist herrlich erleichtert. – Folgen? Was Folgen? Rutscht mir doch den Buckel runter, allesamt! Pinneberg also macht kehrt und setzt sich an seinen Platz.

Eine ganze Weile ist es still, er schielt hin zu ihr, sie sieht ihn gar nicht, sie bewegt ihren kleinen, armen Kopf mit den dünnen, aschblonden Haaren gegen das Fenster, aber die andere ist weg. Sie kann sie nicht mehr sehen.

Und dann setzt sie sich auf einen Stuhl und legt den Kopf auf die Tischkante und fängt an zu weinen, richtig herzbrechend zu weinen.

»Oh Gott«, sagt Pinneberg und schämt sich ein wenig seiner Brutalität (aber nur sehr wenig), »so schlimm war es nun auch wieder nicht gemeint, Fräulein Kleinholz.«

Aber sie weint ihren richtigen Törn runter, wahrscheinlich tut ihr das irgendwie gut, und dazwischen stammelt sie etwas, daß sie doch nichts dafür kann, wenn sie so ist, und sie hat ihn immer für einen grundanständigen Kerl gehalten, ganz anders wie seine Kollegen, ob er ganz richtig verheiratet ist, ach so, ohne Kirche, und dem Vater sagt sie bestimmt nichts, er soll sich nicht ängstigen, und ob »Seine« von hier ist, so sieht sie nicht aus, und was sie vorhin gesagt hat, das hat sie nur gesagt, um ihn zu ärgern, sie sieht sehr gut aus.

So geht es immer weiter und so wäre es wohl noch eine ganze Weile so weiter gegangen, wenn nicht draußen die scharfe Stimme Frau Kleinholzens erschollen wäre: »Wo bleibste denn mit der Wäsche, Marie?! Wir wollen doch rollen!«

Und mit einem entsetzten »Ach Gott!« fuhr Marie Kleinholz hoch von Kante und Stuhl, riß ihre Wäsche zusammen und stürzte hinaus, Pinneberg aber saß da und war eigentlich ganz zufrieden. Er pfiff etwas vor sich hin und rechnete sehr eifrig und dazwischen schielte er ein bißchen, ob Lämmchen noch nicht zurückkäme. Aber vielleicht war sie schon vorbei.

Und so wurde es elf und so wurde es halb zwölf und so wurde es dreiviertel zwölf und Pinneberg sang sein »Hosianna, gelobt sei mein Lämmchen, einen Monat haben wir wieder sicher«, und alles hätte gut gehen können, da trat fünf vor zwölf Vater Kleinholz ins Büro, besah seinen Buchhalter, ging ans Fenster, starrte hinaus und sprach ganz menschlich: »Ich druckse hin und druckse her, Pinneberg. Am liebsten behielte ich Sie ja und ließe einen von den andern laufen. Aber daß Sie mir am Sonntag die Futterausgabe zugedacht haben, bloß damit Sie sich mit Ihren Weibern amüsieren, das kann ich Ihnen nicht verzeihen und darum will ich Ihnen kündigen.«

»Herr Kleinholz –!« setzte Pinneberg fest und männlich zu einer weit ausgreifenden Erklärung an, die bisher bis nach zwölf und damit über den möglichen Kündigungstermin hinaus gedauert hätte. »Herr Kleinholz, ich ...«

Aber in diesem Augenblick schrie Emil Kleinholz wütend: »Verdammich, da ist das Frauenzimmer ja schon wieder! Sie sind zum 31. Oktober gekündigt, Herr Pinneberg!«

Und ehe Johannes Pinneberg nur ein Wort sagen konnte, war Emil raus und unter Türgedonner verschwunden. Pinneberg aber sah sein Lämmchen um die Marktplatzecke verschwinden, seufzte tief auf und sah auf die Uhr. Drei Minuten vor zwölf. Zwei Minuten vor zwölf sah man Pinneberg in Fahrt über den Hof auf den Saatgetreideboden preschen. Dort stürzte er sich auf Lauterbach und sagte atemlos: »Lauterbach, sofort zu Kleinholz und kündigen! Denk an dein Ehrenwort! Er hat mir eben gekündigt.«

Ernst Lauterbach aber nahm langsam den Arm von der Kurbel der Windfege, sah Pinneberg erstaunt an und sprach: »Erstens ist es eine Minute vor zwölf und bis zwölf kann ich nicht mehr kündigen, und zweitens müßte ich ja auch erst mit Schulz sprechen und der ist nicht da. Und drittens habe ich vorhin von Mariechen gehört, daß du verheiratet bist, und wenn das wahr ist, bist du schön hinterlistig zu uns Kollegen gewesen. Und viertens ...«

Aber, was viertens war, erfuhr Pinneberg nicht mehr: die Turmuhr tat langsam, Schlag um Schlag, zwölf Schläge, es war zu spät. Pinneberg war gekündigt und nichts mehr zu machen.


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