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Ein Brief kommt und Lämmchen läuft in der Schürze durch die Stadt, um bei Kleinholz zu heulen

Es ist der sechsundzwanzigste September geworden, ein Freitag, und an diesem Freitag ist Pinneberg wie jetzt noch üblich auf dem Büro. Lämmchen aber macht sauber. Und als sie da nun so rumbastelt, klopft es an die Tür und sie sagt »Herein«, und der Postbote kommt und sagt: »Wohnt hier Frau Pinneberg?«

»Das bin ich.«

»Hier ist ein Brief für Sie. Müßte ein Schild draußen an der Tür sein. Ich kann das nicht riechen.«

Und damit entschwindet dieser Jünger Stephans.

Lämmchen aber steht da mit ihrem Brief in der Hand, einem großen Briefumschlag, lilafarben, mit einer großen krakeligen Hand. Es ist der erste Brief, den Lämmchen in ihrer Ehe bekommt, mit den Platzern schreibt sie sich nicht.

Dieser Brief kommt auch nicht aus Platz, dieser Brief kommt aus Berlin. Und als Lämmchen ihn umdreht, steht sogar ein Absender darauf, genauer eine Absenderin.

»Mia Pinneberg. Berlin NW 40, Spenerstraße 92 II.«

»Die Mutter vom Jungen. Mia, nicht Marie«, denkt Lämmchen. »Sehr beeilt hat sie sich eigentlich nicht.«

Den Brief aber macht sie nicht auf. Sie legt ihn auf den Tisch, und während sie weiter rein macht, sieht sie manchmal zu ihm hin. Da liegt er und bleibt liegen, bis der Junge kommt. Mit dem wird sie ihn gemeinsam lesen, das ist das beste.

Aber plötzlich tut Lämmchen das Staubtuch fort. Sie hat eine Vorahnung, es ist eine große Stunde, sie ist dessen gewiß. Sie läuft ganz schnell in die Küche der Scharrenhöfer und wäscht sich unter der Leitung die Hände ab. Die Scharrenhöfer sagt irgend etwas zu ihr, und Lämmchen sagt mechanisch ja, hat aber nichts gehört. Sie ist schon vor dem Spiegel, richtet sich das Haar, ob sie auch ein bißchen nett aussieht.

Und dann setzt sie sich in den Sofawinkel mit dem verbotenen energischen Rucks (die Feder macht Haaa-jupp!) und nimmt den Brief und macht ihn auf.

Und liest ihn.

Sie begreift etwas langsam.

Sie liest ihn zum zweiten Mal.

Aber dann ist sie auch auf den Beinen, sie zittern ein bißchen, macht nichts, bis Kleinholz kommt sie doch, sie muß gleich mit dem Jungen sprechen.

Oh Gott, sie darf sich nicht zu sehr freuen, das schadet dem Murkel.

»Allen heftigen Gemütsbewegungen ist unbedingt aus dem Wege zu gehen«, verordnen die ›Wunder der Mutterschaft‹

»Oh Gott, wie kann ich dem aus dem Wege gehen? Will ich dem denn aus dem Wege –?«

Auf dem Büro bei Kleinholz ist eine gewissermaßen düsige Stimmung, die drei Buchhalter sitzen herum, und Emil sitzt auch herum. Es ist heute nichts Rechtes zu tun. Aber während die Buchhalter so tun müssen, als täten sie was, und zwar mit fieberhaftem Eifer, sitzt Emil nur so rum und erwägt, ob Emilie wohl noch mal einen sausen läßt. Zweimal ist es heute früh schon geglückt.

Und in diesem gelangweilten Büro fliegt plötzlich die Tür auf und eine junge Frau stürzt herein mit wehenden Haaren, blitzenden Augen, die Backen angenehm gerötet, aber, aber mit einer richtigen Haushaltsschürze um und ruft: »Jungchen, komm mal gleich raus! Ich muß dich sofort sprechen.«

Und als die vier etwas sehr erstaunt und blöde blicken, sagt sie plötzlich gefaßt: »Entschuldigen Sie, Herr Kleinholz. Mein Name ist Pinneberg, ich muß meinen Mann mal dringend sprechen.«

Und plötzlich schluchzt diese gefaßte junge Frau auf und bittet: »Jungchen. Jungchen, komm ganz schnell. Ich ...«

Emil brummt etwas, der doofe Lauterbach quietscht. Schulz grinst frech und Pinneberg geniert sich wahnsinnig. Er macht eine hilflos entschuldigende Handbewegung, während er zur Tür geht.

Im Torweg vor dem Büro, dem breiten Torweg, durch den die Lastautos mit ihren Getreide- und Kartoffelsäcken fahren, fällt Lämmchen noch immer schluchzend ihrem Mann um den Hals: »Junge, Junge, ich bin so irrsinnig glücklich! Wir haben 'ne Stellung. Da lies!«

Und sie steckt ihm den lilafarbenen Brief in die Hand.

Der Junge ist ganz verdattert, er weiß gar nicht, was los ist. Dann liest er:

»Liebe Schwiegertochter, genannt Lämmchen, der Junge ist natürlich immer noch genau so töricht und du wirst deine liebe Last mit ihm haben. Was für ein Unsinn, daß er, den ich so gut habe ausbilden lassen, in ›Düngemitteln‹ arbeitet! Er soll sofort hierher kommen und am ersten Oktober eine Stellung im Warenhaus von Mandel antreten, die ich ihm besorgt habe. Für den Anfang wohnt ihr bei mir. Gruß Eure Mama. Nachschrift: Ich wollte euch das schon vor vier Wochen schreiben, aber – ich bin nicht dazu gekommen. Nun müßt ihr telegraphieren, wann ihr kommt.«

»Oh Jungchen, Jungchen, was bin ich glücklich!«

»Ja, mein Mädchen. Ja, meine Süße. Ich ja auch. Trotzdem Mama, mit ihrer Ausbildung ... Na ja, ich will jetzt nichts sagen. Geh gleich hin und telegraphiere.«

Es dauert aber noch einen Augenblick, bis sie sich trennen können.

Dann tritt Pinneberg wieder ins Büro, er setzt sich steif, schweigend und geschwollen.

»Was Neues vom Arbeitsmarkt?« fragt Lauterbach.

Und Pinneberg sagt gleichgültig: »Habe Stellung als erster Verkäufer im Warenhaus von Mandel, Berlin. Dreihundertfünfzig Mark Gehalt.«

»Mandel?« fragt Lauterbach. »Natürlich Juden.«

»Mandel?« fragt Emil Kleinholz. »Passen Sie man auf, daß das auch 'ne anständige Firma ist. Ich an Ihrer Stelle würde mich erst mal erkundigen.«

»Ich hatte auch mal eine«, sagt Schulz nachdenklich, »die heulte immer gleich, wenn sie ein bißchen aufgeregt war. Ist deine Frau immer so hysterisch, Pinneberg?«


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