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Zweiter Teil
Berlin

Frau Mia Pinneberg als Verkehrshindernis. Sie gefällt Lämmchen – mißfällt ihrem Sohn und erzählt, wer Jachmann ist

Eine Autodroschke fährt die Invalidenstraße hinauf, schiebt sich langsam durch eine Wirrnis von Fußgängern und Elektrischen, erreicht den freieren Platz vor dem Bahnhof und eilt, wie erlöst hupend, über die Auffahrt am Stettiner Bahnhof. Sie hält.

Eine Dame steigt aus. »Wieviel?« fragt sie den Chauffeur.

»Zwei sechzig, meine Dame«, sagt der Chauffeur.

Die Dame hat schon in ihrem Täschchen gekramt, nun zieht sie die Hand zurück. »Zwei sechzig für die zehn Minuten Fahrt? Nee, lieber Mann, ich bin keine Millionärin, soll mein Sohn die Sache bezahlen. Warten Sie.«

»Jeht nicht, meine Dame«, sagt der Chauffeur.

»Was heißt: geht nicht? Ich bezahl's nicht, also müssen Sie warten, bis mein Sohn kommt. Vier Uhr zehn mit dem Zug von Stettin.«

»Darf ich nicht«, sagt der Chauffeur. »Wir dürfen hier nicht halten in der Auffahrt.«

»Dann warten Sie eben da drüben, Männeken. Wir kommen rüber, wir steigen da drüben ein.«

Der Chauffeur legt den Kopf auf die Seite und blinzelt die Dame an. »Sie kommen, meine Dame«, sagt er. »Sie kommen so sicher wie der nächste Lohnabbau. Aber wissen Se, lassen Se sich das Jeld von Ihrem Herrn Sohn wiedergeben. Das ist doch für Sie ville einfacher.«

»Wie ist das hier?« fragt ein Schupo. »Weiterfahren, Chauffeur.«

»Die Dame will, ich soll warten, Herr Hauptwachtmeister.«

»Weiterfahren, Chauffeur.«

»Die zahlt ja nicht!«

»Zahlen Sie bitte, meine Dame. Das geht hier nicht, auch andere Leute wollen abreisen.«

»Will ich ja gar nicht. Ich komme gleich wieder zurück.«

»Mein Geld will ich, Sie olle angestrichene ...«

»Ich schreib Sie auf, Chauffeur!«

»Mensch, fahr vor, oller Dussel, oder ich rassele dir in deinen Bugatti ...«

»Also, gnädige Frau, bitte zahlen Sie doch! Sie sehen doch selbst ...« Der Schupo macht in seiner Verzweiflung eine Art Tanzstundenverbeugung, die Absätze knallen.

Die Dame strahlt. »Aber natürlich zahle ich. Wenn der Mann nicht warten darf, ich will doch nichts Verbotenes. Diese Aufregung! Gott, Herr Schupo, wir Frauen sollten so was regeln. Alles ginge so glatt ...«

Bahnhofsvorraum. Treppe. Automat mit Bahnsteigkarten. »Nehme ich eine? Sind auch wieder zwanzig Pfennig. Aber nachher sind ein paar Ausgänge da und ich verpasse sie. Laß ich mir einfach wiedergeben von ihm. Teebutter muß ich auf dem Rückweg noch mitnehmen, Ölsardinen. Tomaten. Den Wein schickt Jachmann. Blumen für die junge Frau? Nee, lieber nicht, kostet alles Geld und verwöhnt bloß.«

Frau Mia Pinneberg wandert den Bahnsteig auf und ab. Sie hat ein weiches, etwas volles Gesicht mit merkwürdig blassen, blauen Augen, wie ausgebleicht sehen sie aus. Sie ist blond, sehr blond, hat gemalte, dunkle Brauen, und dann ist sie ein ganz klein wenig geschminkt, nur gerade für das Abholen von der Bahn. Sonst ist sie um diese Zeit nie unterwegs.

»Gott, der gute Junge«, denkt sie gerührt, denn sie weiß, sie muß jetzt etwas gerührt sein, sonst ist die ganze Abholerei nur lästig. »Ob er noch immer so töricht ist? Sicher. Wer heiratet denn ein Mädchen aus Ducherow? Und ich könnte so nett was aus ihm machen, wirklich gut könnte ich ihn gebrauchen ... Seine Frau ... helfen kann sie mir schließlich auch, wenn sie ein Puttchen ist. Grade, wenn sie ein Puttchen ist. Jachmann sagt immer, mein Haushalt ist viel zu teuer. Vielleicht schaff ich die Möller ab. Mal sehen. Gott sei Dank, der Zug ...«

»Guten Tag«, sagt sie strahlend. »Siehst glänzend aus, mein Junge. Kohlenhandel scheint 'ne gesunde Beschäftigung. Du hast nicht mit Kohlen gehandelt? Warum schreibst du es mir dann? Ja, gib mir ruhig einen Kuß, mein Lippenstift ist kußecht. Du auch, Lämmchen. Dich hab ich mir nun allerdings ganz anders vorgestellt.«

Sie hält Lämmchen in Armeslänge von sich.

»Nun, Mama«, fragt Lämmchen lächelnd, »was hattest du denn gedacht?«

»Ach, weißt du, vom Lande und Emma heißt du und Lämmchen nennt er dich ... Ihr sollt ja in Pommern noch Flanellunterwäsche tragen. Nein, Hans, wie du das fertig gebracht hast, dies Mädchen und Lämmchen ... Eine Walküre ist das, hohe Brust und stolzer Sinn ... Oh Gott, nun werde bloß nicht rot, sonst denk ich gleich wieder: Ducherow.«

»Aber gar nicht werde ich rot«, lacht Lämmchen. »Natürlich hab ich 'ne hohe Brust. Und einen stolzen Sinn habe ich auch. Heute besonders. Berlin! Mandel! Und so 'ne Schwiegermutter! Nur Flanell, Flanell habe ich nicht.«

»Ja, apropos Flanell – wie ist es denn mit Euern Sachen? Am besten laßt ihr sie durch die Paketfahrt kommen. Oder habt ihr Möbel?«

»Möbel haben wir noch nicht, Mama. Zum Möbelanschaffen sind wir noch nicht gekommen.«

»Eilt auch nicht. Ihr kriegt bei mir ein fürstlich möbliertes Zimmer. Ich sage euch: kuschlig. Geld ist besser als Möbel. Hoffentlich habt ihr recht viel Geld.«

»Woher denn?« brummt Pinneberg. »Woher sollen wir denn was haben? Was zahlt Mandel denn?«

»Wer? Mandel?«

»Na, das Warenhaus Mandel, wo ich Stellung habe.«

»Habe ich Mandel geschrieben? Das wußte ich gar nicht mehr. Mußt du heute abend mal mit Jachmann sprechen. Der weiß das alles.«

»Jachmann –?«

»Also nehmen wir schon ein Auto. Ich habe heute abend eine kleine Gesellschaft, sonst wird mir das reichlich spät. Lauf doch, Hans, da ist der Schalter von der Paketfahrt. Und sie sollen nicht vor elf schicken, ich mag nicht, daß bei mir vor elf geklingelt wird.«

Die beiden Frauen sind einen Augenblick allein.

»Du schläfst gern lange, Mama?« fragt Lämmchen.

»Natürlich. Du etwa nicht? Jeder vernünftige Mensch schläft gern lange. Ich hoffe, du kriechst nicht schon um acht in der Wohnung rum.«

»Natürlich schlaf ich gern lange. Aber der Junge muß ja rechtzeitig ins Geschäft.«

»Der Junge? Welcher Junge? Ach so, der Junge. Du sagst Junge? Ich sage Hans: Wirklich heißt er ja Johannes, das hat der olle Pinneberg noch gewollt, der war so. – Deswegen brauchst du aber doch nicht so früh aufzustehen! Das ist so ein Aberglaube von den Männern. Die können sich ihren Kaffee ganz gut alleine kochen und ihre Stullen selbst schmieren. Sag ihm nur, daß er ein bißchen leise ist. Früher war er immer schrecklich rücksichtslos.«

»Bei mir nie!« sagt Lämmchen entschieden. »Bei mir ist er immer der rücksichtsvollste Mensch von der Welt.«

»Wie lange verheiratet –? Red nicht, Lämmchen. Ach was, Lämmchen, ich muß mal sehen, wie ich dich nenne. – Alles erledigt, mein Sohn? Also Auto!«

»Spenerstraße zweiundneunzig«, sagt Pinneberg zum Chauffeur. Und als sie sitzen: »Du gibst heute eine Gesellschaft, Mama? Doch nicht –?« Er pausiert.

»Na was?« ermuntert die Mama. »Genierst du dich? Euch zu Ehren, wolltest du sagen, nicht wahr? Nein, mein Sohn, erstens habe ich für so was kein Geld, und zweitens ist es gar keine Gesellschaft, sondern ein Geschäft. Nur ein Geschäft!«

»Du gehst abends nicht mehr –?« Aber Pinneberg fragt wieder nicht zu Ende.

»Oh Gott, Lämmchen!« ruft seine Mutter verzweifelt aus. »Wie komme ich zu dem Jungen? Nun geniert er sich schon wieder. Er will mich fragen, ob ich nicht mehr in die Bar gehe. Wenn ich achtzig bin, wird er mich das noch fragen. Nein, mein Sohn, schon viele Jahre nicht mehr. Dir hat er doch sicher auch erzählt, daß ich in die Bar gehe, daß ich ein Barmädchen bin? Na, hat er nicht? Erzähl schon!«

»Ja, er hat so was ...«, sagt Lämmchen zögernd.

»Also!« sagt Mama Pinneberg triumphierend. »Weißt du, mein Sohn Hans läuft sein halbes Leben lang herum und weidet sich und andere an seiner Mutter Lasterhaftigkeit. Ordentlich stolz ist er auf seinen Kummer. Ganz glücklich unglücklich wäre er erst, wenn er auch unehelich wäre. Aber da hast du kein Glück, mein Sohn, du bist ehelich und treu bin ich dem Pinneberg auch gewesen, ich Schaf.«

»Na, erlaube mal, Mama!« protestiert Pinneberg.

»Oh Gott, ist das schön«, denkt Lämmchen, »Das ist ja alles viel besser, als ich gedacht habe. Sie ist ja gar nicht schlimm.«

»Also, paß auf, Lämmchen. Wenn ich nur erst einen andern Namen für dich wüßte. Mit der Bar war es ganz anders. Erstens ist es schon mindestens zehn Jahre her und dann war es eine ganz große Bar mit vier oder fünf Mädchen und einem Mixer. Und weil die immer Schmuh mit den Schnäpsen machten und falsch anschrieben und die Flaschen stimmten nie am Morgen, da hab ich den Posten angenommen, aus Gefälligkeit für den Besitzer. Eine Art Aufsicht war ich, Repräsentation ...«

»Aber, Jungchen, wie kannst du da ...«

»Das will ich dir sagen, wie er kann. Er hat mal durchgeschielt am Eingang durch den Vorhang ...«

»Gar nicht geschielt habe ich!«

»Doch geschielt hast du, Hans, schwindle nicht. Und natürlich habe ich auch manchmal mit den Gästen, die ich kannte, ein Glas Sekt getrunken ...«

»Schnaps«, sagt Pinneberg finster.

»Einen Likör trinke ich auch mal. Wird deine Frau auch trinken.«

»Meine Frau trinkt überhaupt keinen Alkohol.«

»Klug bist du, Lämmchen. Die Haut wird lange nicht so schlaff. Und für den Magen ist es auch besser. Und dann nehme ich zu von dem Likör – ein Grauen!«

»Und was ist das für eine Geschäfts-Gesellschaft, die du heute hast?« fragt Pinneberg.

»Sieh ihn dir an, Lämmchen. Wie ein Untersuchungsrichter! So war er schon mit Fünfzehn. ›Mit welchem Herrn hast du Kaffee getrunken? Es lag ein Zigarrenstummel im Aschenbecher.‹ Ich hab einen Sohn ...«

»Aber du hast ja selbst von der Gesellschaft angefangen, Mama.«

»So, habe ich? Und jetzt will ich eben nicht mehr. Wenn ich deine Miene sehe, habe ich schon gar keine Lust mehr. Ihr seid jedenfalls dispensiert.«

»Aber was ist denn los?« fragt Lämmchen verblüfft. »Wir waren doch eben alle so vergnügt.«

»Immer muß der Bengel mit dieser ekelhaften Bargeschichte anfangen«, sagt Frau Pinneberg senior wütend. »Das geht nun schon Jahre und Jahre.«

»Bitte! Ich habe nicht angefangen. Du hast«, sagt Pinneberg zornig.

Lämmchen sieht von einem zum andern. Diesen Ton kennt sie bei ihrem Jungen nicht.

»Und wer ist Jachmann?« fragt Pinneberg ungerührt von all diesen Ergüssen, und seine Stimme klingt gar nicht nett.

»Jachmann?« fragt Mia Pinneberg, und ihre blassen Augen funkeln gefährlich. »Jachmann, das ist mein augenblicklicher Liebhaber, mit dem geh ich schlafen. Das ist dein augenblicklich stellvertretender Vater, mein Sohn Hans, vor dem hast du Ehrfurcht zu haben.« Sie schnauft. »Oh Gott, da ist mein Delikatessengeschäft! Halt, Chauffeur, warten!«

Und schon ist sie aus dem Wagen.

»Siehst du, Lämmchen«, sagt Johannes Pinneberg tief befriedigt. »Das ist meine Mutter. Ich wollte sie dir doch gleich richtig zeigen. So ist die.«

»Wie konntest du aber auch, Junge!« sagt Lämmchen und ist zum ersten Mal wirklich ärgerlich auf ihn.


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