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Erbsensuppe wird angesetzt und ein Brief geschrieben, aber das Wasser ist zu dünn

Zuerst am Morgen hat Lämmchen eingekauft, nur schnell die Betten zum Lüften ins Fenster gelegt, und ist Einkaufen gegangen. Warum hat er ihr nicht gesagt, was es zum Mittagessen geben soll? Sie weiß es doch nicht! Und sie ahnt nicht, was er gerne ißt.

Die Möglichkeiten verringern sich beim Nachdenken, schließlich bleibt Lämmchens planender Geist an einer Erbsensuppe hängen. Das ist einfach und billig, das kann man zwei Mittage hintereinander essen.

»Oh Gott, haben's die Mädchen gut, die richtige Kochstunde gehabt haben! Mich hat Mutter immer vom Herd weggejagt. Weg mit dir, Ungeschickt läßt grüßen!«

Was braucht sie? Wasser ist da. Ein Topf ist da. Erbsen, wie viel? Ein halbes Pfund reicht sicher für zwei Personen, Erbsen geben viel aus. Salz?Suppengrün? Bißchen Fett? Na, vielleicht für alle Fälle. Wieviel Fleisch? Was für Fleisch erst mal? Rind, natürlich Rind. Ein halbes Pfund muß genug sein. Erbsen sind sehr nahrhaft und das viele Fleischessen ist ungesund. Und dann natürlich Kartoffeln.

Lämmchen geht einkaufen. Herrlich, an einem richtigen Alltagsvormittag, wenn alles in den Büros sitzt, über die Straße zu bummeln, die Luft ist noch frisch, trotzdem die Sonne schon kräftig scheint.

Über den Marktplatz tutet langsam ein großes, gelbes Postauto. Dort hinter den Fenstern sitzt vielleicht ihr Junge. Aber er sitzt nicht dort, sondern zehn Minuten später fragt er sie über die Schulter, was es mittags zu präpeln gibt. Die Schlächterfrau hat sicher was gemerkt, sie ist so komisch, und für Suppenknochen verlangt sie dreißig Pfennig das Pfund, so was muß sie doch eigentlich zugeben, bloße blanke Knochen, ohne ein Fitzelchen Fleisch. Sie wird Mutter schreiben und fragen, ob das richtig ist. Nein, lieber nicht, lieber allein fertig werden. Aber an seine Mutter muß sie schreiben. Und sie fängt auf dem Heimweg an, den Brief aufzusetzen.

Die Scharrenhöfer scheint nur ein Nachtgespenst zu sein, in der Küche, als Lämmchen Wasser holt, sieht sie keine Spur, daß dort etwas gekocht ist oder wird, alles blank, kalt, und aus dem Zimmer dahinter dringt kein Laut. Sie setzt ihre Erbsen auf, ob man das Salz gleich reintut? Besser, sie wartet bis zum Schluß, dann trifft man es richtiger.

Und nun das Reinmachen. Es ist hart, es ist noch viel härter, als Lämmchen je gedacht hat, oh, diese ollen Papierrosen, diese Girlanden, halb verblaßt und halb giftgrün, diese verschossenen Polstermöbel, diese Winkel, diese Ecken, diese Knäufe, diese Balustraden! Bis halb zwölf muß sie fertig sein, dann den Brief schreiben. Der Junge, der von zwölf bis zwei Mittagspause hat, wird kaum vor dreiviertel eins hier sein, er muß erst aufs Rathaus zur Anmeldung.

Um dreiviertel zwölf sitzt sie an einem kleinen Nußbaumschreibtisch, ihr gelbes Briefpapier aus der Mädchenzeit vor sich.

Erst die Adresse: »Frau Marie Pinneberg – Berlin NW 40 – Spenerstraße 92 II.«

Seiner Mutter muß man schreiben, seiner Mutter muß man mitteilen, wenn man heiratet, zumal als einziger Sohn, als einziges Kind sogar. Wenn man auch nicht einverstanden mit ihr ist, weil man nämlich mit ihrem Lebenswandel nicht einverstanden ist, als Sohn.

»Mutter sollte sich was schämen«, hat Pinneberg erklärt.

»Aber, Jungchen, wenn sie doch nun schon zwanzig Jahre Witwe ist!«

»Egal! Und es ist nicht einmal immer derselbe gewesen.«

»Hannes, du hast doch auch schon mehr Mädchen als mich gehabt.«

»Das ist ganz was anderes.«

»Was soll denn der Murkel sagen, wenn er sich mal ausrechnet, wann er geboren ist und wann wir geheiratet haben?«

»Das ist noch gar nicht raus, wann der Murkel geboren wird.«

»Doch. Anfang März.«

»Aber wieso denn?«

»Laß schon, Jungchen, ich weiß. Und an deine Mutter schreib' ich, das gehört sich so.«

»Tu, was du willst, aber ich mag nichts mehr davon hören.«

»›Sehr geehrte gnädige Frau‹ – furchtbar dumm, nicht wahr? So schreibt man doch nicht. ›Liebe Frau Pinneberg‹ – aber das bin ich doch selbst, und gut klingt es auch nicht. Der Junge liest sicher den Brief.«

»Ach was«, denkt Lämmchen, »entweder ist sie so, wie der Junge denkt, und dann ist es ganz egal, was ich schreibe, oder sie ist 'ne richtige nette Frau, und da schreibe ich lieber so, wie ich möchte. Also –:

»Liebe Mutter! Ich bin Ihre neue Schwiegertochter Emma, genannt Lämmchen, und Hannes und ich haben vorgestern geheiratet, am Sonnabend. Wir sind glücklich und zufrieden, und würden ganz glücklich sein, wenn Sie sich mit uns freuen würden. Es geht uns gut, nur hat leider der Hannes die Konfektion aufgeben müssen und arbeitet in einem Düngemittelgeschäft, was uns nicht so gefällt. Es grüßen Sie

Ihre Lämmchen ...«

Sie läßt den Raum frei. »Und du schreibst doch deinen Namen hin, mein Junge!«

Und weil nun noch eine halbe Stunde Zeit ist, kriegt sie ihr Buch, vor vierzehn Tagen gekauft, beim Wickel: ›Das heilige Wunder der Mutterschaft‹.

Sie liest mit gerunzelter Stirne: »Ja, die glücklichen, sonnigen Tage sind da, wenn das Kindchen kommt. Das ist der Ausgleich, den die gottgewollte Natur den menschlichen Unvollkommenheiten schafft.«

Sie versucht, dies zu verstehen, aber es entwischt ihr immer, es scheint ihr schrecklich schwierig, und direkt auf den Murkel bezieht es sich wohl auch nicht. Aber nun kommen ein paar Verse, sie liest sie langsam, ein paar Male:

»O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,
Vogelsprache kund, Vogelsprache kund
Wie Salomo.«

Auch das versteht Lämmchen nicht ganz. Aber es ist so fröhlich, sie lehnt sich ganz zurück, es gibt jetzt Minuten, in denen sie ihren Schoß so schwer fühlt, reich, und sie wiederholt es in sich mit geschlossenen Augen: »Vogelsprache kund, Vogelsprache kund wie Salomo.«

»Es muß ungefähr das Fröhlichste sein, was es gibt«, fühlt sie. »Fröhlich soll er sein, der Murkel! Vogelsprache kund ...«

»Mittagessen!« ruft der Junge, schon draußen auf dem Flur.

Sie muß ein wenig geschlafen haben, manchmal ist sie jetzt so müde.

»Mein Mittagessen«, denkt sie und steht langsam auf.

»Noch nicht gedeckt?« fragt er.

»Einen Augenblick, Jungchen, gleich«, sagt sie und läuft zur Küche. »Darf ich den Topf auf den Tisch bringen? Aber ich nehme auch gerne die Terrine!«

»Was gibt's denn?«

»Erbsensuppe.«

»Fein. Na bring schon den Topf. Ich decke unterdessen.«

Lämmchen füllt auf. Sie sieht etwas ängstlich aus. »Scheint etwas dünn?« fragt sie besorgt.

»Wird schon so richtig sein«, sagt er und schneidet das Fleisch auf dem Tellerchen.

Sie probiert. »Oh Gott, wie dünn!« sage sie unwillkürlich. Und es folgt: »Oh Gott, das Salz!«

Auch er läßt den Löffel sinken, über dem Tisch, über den Tellern, über dem dicken braunen Emailletopf begegnen sich beider Blicke.

»Und sie müßte so gut sein«, klagt Lämmchen. »Ich hab alles richtig genommen: ein halbes Pfund Erbsen, ein halbes Pfund Fleisch, ein ganzes Pfund Knochen, das müßte eine gute Suppe sein!«

Er ist aufgestanden und bewegt nachdenklich den großen Auffüllöffel aus Emaille in der Suppe. »Ab und an begegnet man 'ner Schluse? Wieviel Wasser hast du denn genommen, Lämmchen?«

»Es muß an den Erbsen liegen! Die Erbsen geben rein gar nichts aus!«

»Wieviel Wasser?« wiederholte er.

»Nun, den Topf voll.«

»Fünf Liter – und ein halbes Pfund Erbsen. Ich glaube, Lämmchen«, sagt er geheimnisvoll, »es liegt an dem Wasser. Das Wasser ist zu dünn.«

»Meinst du«, fragt sie betrübt. »Hab ich zu viel genommen? Fünf Liter. Es sollte aber für zwei Tage reichen.«

»Fünf Liter – ich glaube, es ist zu viel für zwei Tage.« Er probiert noch mal. »Nee, entschuldige, Lämmchen, es ist wirklich nur heißes Wasser.«

»Ach, mein armer Junge, hast du schrecklichen Hunger? Was mache ich nun? Soll ich ganz schnell ein paar Eier raufholen und uns Bratkartoffeln und Spiegeleier machen? Spiegeleier und Bratkartoffeln kann ich bestimmt.«

»Also los!« sagt er. »Ich lauf selbst nach den Eiern.« Und ist fort.

Als er dann zu ihr in die Küche kommt, laufen ihre Augen nicht von der Zwiebel, die sie für die Bratkartoffeln geschnitten hat. »Aber Lämmchen«, sagt er, »es ist doch keine Tragödie!«

Sie wirft beide Arme um seinen Hals. »Jungchen, wenn ich nun eine untüchtige Hausfrau bin! Ich möchte es gerne alles so nett für dich machen. Und wenn der Murkel kein richtiges Essen kriegt, kommt er auch nicht vorwärts!«

»Meinst du jetzt oder nachher?« fragt er lachend. »Glaubst du, du lernst es nie?«

»Siehst du, du veräppelst mich auch noch.«

»Mit der Suppe, das habe ich mir eben schon auf der Treppe überlegt. Der Suppe fehlt doch gar nichts, nur zu viel Wasser. Wenn du sie noch mal aufsetzt und ganz lange richtig kochen läßt, daß alles Wasser richtig auskocht, was zuviel ist, dann haben wir doch 'ne richtige gute Erbsensuppe.«

»Fein!« sagt sie strahlend. »Da hast du recht. Mach ich gleich heute nachmittag, dann essen wir noch einen Teller zum Abendessen.«

Sie ziehen mit ihren Bratkartoffeln plus je zwei Spiegeleiern ins Zimmer. »Schmeckt es? Schmeckt es ganz richtig, wie du es gewöhnt bist? Ist es auch nicht zu spät für dich? Kannst du dich nicht noch einen Augenblick hinlegen? Du siehst so müde aus, Jungchen.«

»Nee. Nicht weil es zu spät ist, nein, ich kann heute doch nicht schlafen. Dieser Kleinholz ...«

Er hat sich lange überlegt, ob er es ihr überhaupt erzählen soll.

Aber jedenfalls haben sie in der Sonnabendnacht verabredet, es soll keine Geheimnisse mehr geben. Und darum erzählt er ihr. Und dann tut es so gut, wenn man sich aussprechen kann! »Und was mach ich nun?« fragt er. »Wenn ich ihm nichts sage, kündigt er mir doch bestimmt am Ersten. Wenn ich ihm einfach die Wahrheit sagte? Wenn ich ihm sagte, daß ich verheiratet bin, daß er mich nicht auf die Straße setzen soll?«

Aber darin ist Lämmchen ganz die Tochter ihres Vaters: von einem Arbeitgeber hat ein Angestellter nichts zu erwarten. »Das ist ja dem so piepe«, sagt sie empört. »Früher, ja vielleicht, da gab's noch ab und an ein paar anständige ... Aber heute ... wo so viele arbeitslos sind und durchkommen müssen, kann's auf meine Leute auch nicht ankommen, denken die!«

»Schlecht ist der Kleinholz eigentlich nicht«, sagt Pinneberg. »Nur so gedankenlos. Man müßte es ihm richtig auseinandersetzen. Daß wir den Murkel erwarten und so ...«

Lämmchen ist empört: »Das willst du dem erzählen! Dem, der dich erpressen will? Nein, Junge. Das tust und tust du nicht.«

»Aber was soll ich denn tun? Ich muß ihm doch was sagen.«

»Ich«, sagte Lämmchen nachdenklich, »ich spräch mal mit meinen Kollegen. Vielleicht hat er denen auch so gedroht wie dir. Und wenn ihr dann alle zusammenhaltet, allen dreien wird er ja nicht kündigen.«

»Das mag angehen«, sagte er. »Wenn sie einen nur nicht reinlegen. Lauterbach betrügt nicht, der ist schon viel zu doof dazu, aber Schulz ...«

Lämmchen glaubt an die Solidarität aller Arbeitenden: »Deine Kollegen werden dich doch nicht reinreißen! Nein, Jungchen, es wird schon werden. Ich glaub immer, es kann uns gar nicht schlecht gehen. Warum denn eigentlich? Fleißig sind wir, sparsam sind wir, schlechte Menschen sind wir auch nicht, den Murkel wollen wir auch, und gerne wollen wir ihn – warum soll es uns da eigentlich schlecht gehen? Das hat doch gar keinen Sinn!«


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