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Achtes Kapitel

Während Anton sich auf dem Dom vergnügte, saßen seine Mutter und Lene Lerch zu Hause und weinten; Mutter Krautsch in der Sofaecke im Wohnzimmer und Lene Lerch in der Küche.

Es waren nur noch einzelne Tränen, die durch Lenens Finger tropften; sie saß, die Ellbogen auf die Kniee gestützt, das Gesicht in beiden Händen vergraben. Aber ihr Gemüt war ganz verstört und trostlos. Ihren Kummer konnten keine Tränen erleichtern oder gar wegspülen.

Mutter Krautsch hatte Lenen mal ordentlich zusprechen wollen, sie waren nun so nett allein, und Weihnachten war ja auch noch.

»Das is ümmer so n besonderes Fest. Ich fühl mich dann ümmer so eigen gestimmt, als ob ich allen Leuten was Gutes tun müßte.«

Und dann hatte Mutter Krautsch auch Lenen was Gutes tun wollen.

»Sieh mal Kind, das mit dem dummen Bengel mußt du dir nich zu Herzen nehmen. Ja – sag nichts, Lene. Is ja auch kein Verbrechen. Er is ja auch n ganz schmucken Menschen. Wird sich auch noch manch eine in ihn vergucken. Aber – was sagst du?«

»Du sollst nicht davon sprechen, Mutter.«

»Ja, Kind, laß mich man mal ruhig davon sprechen. Es ist zu deinem Besten. Du wurmst und quälst dich rum und denkst am Ende ja noch, er nimmt dich. – Was hast du, Lene. Was is? Mußt dich doch nicht so haben.«

Sie stand auf und wollte Lene aufrichten, die sich mit einem krampfhaften Schluchzen über den Tisch geworfen hatte. Und dann, ihr den Scheitel streichend, brachte sie Lene dazu, das volle Maß ihres Unglücks tropfenweise vor ihr auszuschütten.

»Deern!«

Mutter Krautsch schlug die Hände zusammen und sah' wie erstarrt auf das Mädchen nieder, das sich nicht rührte. Dann, mit einem plötzlichen Ausbruch des Zornes, schüttelte sie die Faust gegen das Fenster, als ginge der Verführer gerade dort vorüber.

»De Hund! O de teinmal verfluchte Hund,« rief sie, »de Schuft de! Und en Kind hett he ok all, de Hund!«

Ein Aufschrei Lenens ließ sie ihre übereilten Worte bereuen.

»Dats nich wohr, Mutter, bat lügst du. Wer seggt dat?« schrie Lene.

»Kind, Kind.«

»Is dat wohr? Is dat wohr?«

»Se seggen dat ja. Ick har dat man hört.«

»Wer seggt dat? Hett Anton dat seggt?«

Lene war aus ihrem tiefen Jammer zu einer plötzlichen Energie aufgewacht. Sie sprach kurz und heftig und schoß haßerfüllte Blicke auf Mutter Krautsch.

»He mag sick ja verhört hebben,« sagte diese kleinlaut.

Wie Lene zur Tür hinaus gekommen war, wußte Mutter Krautsch nicht mehr; sie saß jetzt allein in der Sofaecke und Lene draußen in der Küche.

Und heute ist nun der erste Weihnachtstag, dachte Mutter Krautsch. Auf dem Schrank neben dem ausgestopften Affen stand die Schale mit Äpfeln und Nüssen, und im Schrank stand der Arak, von dem sie noch eine Bowle machen wollte, wenn Anton vom Dom nach Hause kam. Lange würde er ja nicht bleiben. Und nun blieb er doch lange. »Das is ja nu auch man ebenso gut. Dieser Jammer! Nein, dieser Jammer!«

Hätte sie doch nur nicht erlaubt, daß Lene mit dem Hund ausging! Sie hatte doch immer das richtige Gefühl. Nun war das Malheur da.

Aber Anton war doch mitgewesen. Wie war das nur möglich? Aber wenn so n Hund das darauf ablegt? Und Lene war ja zu dumm, zu dumm war die Deern ja noch.

Was nun machen, wenn Anton nach Hause kam? Der durfte nichts wissen. Gar nichts durfte er merken. Sie hätte sich ja vor ihrem eigenen Sohn geschämt. Wenn er erst wieder fort war, würde sich das Weitere schon finden. Sie atmete jetzt ordentlich auf bei dem Gedanken, daß Anton sobald wieder abreiste, sie, die so zärtlich an ihm hing.

Sie ging hinaus und schickte Lene ins Bett.

»Was soll Anton denken? Er darf nichts wissen, nichts merken. Du bist wieder nich ganz wohl. Du hast Kopfweh. Morgen mußt du dir zusammennehmen, hörst du? Dann reist er ja wieder ab. Daß er mir nichts merkt. Ich will mir nich vor meinem Sohn schämen.«

Sie bedauerte schon dieses Wort, aber es schien Lene gleichgültig zu lassen oder sie hatte es überhört.

Als Anton nach Hause kam, lag Lene im Bett. Er kam fröhlich pfeifend, was er selten tat. Aber er verstummte sofort, als er seine Mutter sah.

»Was ist denn los?«

»Was soll los sein? Nichts ist los.«

Er sah sich im Zimmer um.

»Ist Lene krank?«

»Wie kommst du darauf?«

Er sah sich noch einmal um.

»Das kommt mir so sonderbar hier vor, so –«

Er sah seine Mutter forschend an.

»Lene liegt zu Bett, aber das kannst du doch –«

»An deinem Gesicht seh ich es,« unterbrach er sie.

»Sie hat mal wieder Kopfweh, is woll noch von gestern.«

»Dann soll sie man wieder Natron nehmen.«

Aber Mutter Krautsch sprach von Brausepulver, zwang sich zu unbefangener Munterkeit und braute Anton einen Arakgrog.

»So ne Bowle für uns beide, is mich doch nich der Mühe wert.«

Anton, noch voll von seinen Erlebnissen, war mit dem Grog zufrieden. Er saß gemütlich in der Sofaecke, schlürfte das heiße Getränk, knackte Nüsse dazu und erzählte vom Dom.

»Nu sieh mal an, mit Mariechen Mau bist du zusammen gewesen. Wie war sie denn?«

»Na, ganz nett,« sagte er möglichst gleichgültig.

»Und Hugo Winsemann? Das ist ja woll nu n Pott mit die Beiden, seit sie unter einem Dach wohnen.«

Anton nahm einen guten Schluck und sah seine Mutter dabei über das Glas hinweg fragend an.«

»Na, n ordentlichen Menschen is es ja,« sagte Mutter Krautsch. »Sonst soll sie sich man vorsehen.«

Anton lachte auf.

»Die sieht sich schon vor.«

»Um so besser, mein Jung. Setz du nie n Mädchen was in Kopf, da is schon viel Elend von her gekommen.«

Da wußte Anton, was es heute mit Lenens Kopfschmerz auf sich hatte, aber er dachte sich nichts arges. als nur, daß diesen Kopfschmerzen dann wohl mit Brausepulver und Natron nicht beizukommen wäre.

Dummes Weibervolk, hatte er gestern noch gedacht. Stellt sich immer gleich an, tun als ob sie sterben sollen und übermorgen vergucken sie sich in einen andern. Heute sah er nachdenklich ins Glas und empfand eine weiche Regung des Mitleids und des Verständnisses, und dazwischen irrten seine Gedanken immer zu Mariechen Mau ab, und er fühlte ihr Handgelenk in seiner großen Hand und machte einmal halb unbewußt eine greifende Bewegung mit den Fingern.

Anton war abgereist mit der Überzeugung, daß Natron doch das Richtige gewesen, und daß Lenens Unwohlsein entschieden dem unmäßigen Karpfengenuß am Weihnachtsabend zuzuschreiben wäre. So sehr hatte Lene Lerch sich am andern Tag beherrscht, und Mutter Krautschens niedergeschlagene Stimmung kam auf Rechnung des Abschieds.

Nun saß er im überheizten Eisenbahnabteil dritter Klasse mit ein Paar andern Urlaubern zusammen, war fröhlicher Stimmung und hörte zum erstenmal mit Interesse zu, wenn die andern von ihren Erlebnissen und von ihren »Deerns« erzählten. Er verstand sie jetzt, dachte an Mariechen, den Ritt auf dem gelben Löwen, und fühlte wieder ihr Handgelenk zwischen seinen Fingern. Was war er doch all die Zeit für ein Duckmäuser gewesen.

Fritz Kleesand hatte es ihm ja oft genug gesagt.

Der trieb es freilich ein bißchen arg. Allerdings setzen die Deerns sich ja immer gleich was in den Kopf; wenn man sie einmal spazieren führt, denken sie gleich ans Heiraten. Mit Lene war es ja jetzt auch so. Lächerlich, – Fritz, der mit der roten Karoline ausging, mit der kleinen dicken Alma ein Kind hatte und immer irgendeine Photographie von irgendeinem hübschen Frauenzimmer bei sich trug, der würde sich um Lene kümmern. Er kümmerte sich ja kaum um Alma und das Kind. Bezahlen mußte er ja freilich, konnte es ja auch. Er war immer bei Kasse. Vielleicht wußte der alte Kleesand gar von der Sache.

Wieder zu Mariechen Mau zurückkehrend, verweilten seine Gedanken nun auch bei Hugo. Aber auf einmal empfand er etwas wie Eifersucht, und das Gefühl wollte ihn nicht verlassen und machte ihn einsilbig, während die Andern Soldatenlieder zum offenen Fenster in die schnell vorüberfliegende winterliche Landschaft hinaussangen.


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