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Zwölftes Kapitel

Um Weihnachten herum begab sich allerlei, was die Gemüter erregte, tiefer oder nur an der Oberfläche, je nachdem sie den Ereignissen nahe standen. Emmi Kiekebusch verlobte sich mit Oberlehrer Liesegang, und alle amüsierte es, daß auch Peter Witt ungefähr um dieselbe Zeit um ihre Hand angehalten und sich natürlich einen Korb geholt hatte.

»Diese Frechheit!« sagte Frau Melitta. »Ein Mann, der mir und mich verwechselt.«

Peter Witt hatte darin anders gedacht. »So n gemachten Mann,« wie er, brauchte es mit mir und mich nicht so genau zu nehmen. Gut hätte sies bei ihm gehabt. Peter Witt hatte drei Häuser. Frau Witt konnte sich mal alles nach Wunsch einrichten. Aber zu seinem Glück soll man niemand zwingen, dachte Peter Witt und heiratete bald darauf die Witwe des Fischhändlers Thorrensen, die auch drei Häuser hatte.

Kamen hier Häuser zu Häuser, so sollte anderswo Haus von Haus lassen. Man war mit den Sanierungsarbeiten in der engbebauten Altstadt so weit vorgerückt, daß nun auch Ohlsens Gang zu Ostern geräumt werden sollte. Das war keine fröhliche Weihnachtsbotschaft für die Bewohner, die nun das letzte Tannenbäumchen in den alten liebgewordenen Räumen schmückten. Sie alle hatten hier lange gehaust. Asmus Andreas Ohlsen war ein gerechter und menschenfreundlicher Hauswirt, nachsichtig gegen gute, ehrenwerte Mieter, unduldsam gegen schlechte Elemente. So hatte sich eine Ruhe und Stetigkeit in den Wohnungsverhältnissen entwickelt, die allen Teilen zugute kam. Das sollte nun alles aufhören.

Die Frage, wohin jetzt, beschattete die Festfreude. Eine andere Wohnung würde man schon finden, aber doch eben nur eine andere. In ganz neue Verhältnisse sollte man sich schicken, neue Hauswirte, neue Räume, neue Wege und neue Nachbarn und Kunden. Ach, man hing so am Alten, das mit hundert Erinnerungen, frohen und traurigen, verknüpft war. Man war hier gar nicht für das Neue, für den Fortschritt. Man war so konservativ bei dem langen Hocken im Winkel geworden. Warum konnte es nicht immer so bleiben. Man war ja zufrieden mit dem bißchen Glück, was man hier im Verborgenen genoß, mit dem bißchen Licht, das hier in Ohlsens Gang hineinfiel, und mit dem bißchen Luft, was man dort hatte.

Mutter Krautsch hatte es gut, die konnte bleiben. Durfte man nicht wirklich neidisch auf diese bevorzugte Frau sein? Was stand die aus? Freilich, ihren Mann hatte sie ja auch verloren. Und dann das mit dem Anton, die dumme Geschichte damals mit dem kleinen Mau. Es wünschte ihr ja niemand was Schlechtes deshalb, bewahre. Aber sie könnte recht gut dann und wann mal daran denken und einsehen, wie gut sie es hatte und wie böse es sein könne, wenn sie, die Frauen in Ohlsens Gang, schlecht sein wollten und die alte Geschichte wieder aufrühren, da sollte der Anton wohl mal ein anderes Gesicht machen. Ja ja, da war Glück dabei, für ihn und seine Mutter. Nun wurde alles hier abgerissen, kein Stein blieb auf dem anderen, sie alle zogen fort und über die Geschichte wüchse Gras.

Tilde Mau war eigentlich am schlimmsten daran. Die hatte hier ihre Kundschaft. Für die Winsemann war es nicht so schlimm, die arbeitete nur für ein bestimmtes Geschäft. Ob die nachher eine halbe Stunde länger auf der Elektrischen führe, das machte so viel nicht aus. Die alte Cyriaks fände schon leicht ein Zimmer. Die hatte überhaupt Taler im Strumpf. Die konnte sich in eine Pension geben. Da hätt sie's ja viel besser. Warum die sich wohl noch mit Wirtschaften plagte.

Aber die anderen, die Meiers mit dem blinden Großvater, und die Lösers mit den vielen Kindern und die Suhrs. Na ja, jeder muß am Ende für sich sorgen und sehen, wo er abbleibt. Da waren wohl noch ein paar mit der Miete rückständig. Von Meiers wußte man es wenigstens bestimmt. Für die war es denn ja unangenehm. Aber Ohlsen war ja ein Christenmensch, viel mehr als seine Frau, die immer mit dem Gesangbuch lief. Die sollte ihm ja manchmal Szenen machen, wenn er zu nachsichtig war.

»Miete muß prompt bezahlt werden. Das ist eine Forderung der Moral.«

»Ja, Lieten, aber wenn nix da ist.«

»Warum ist nichts da? Sie sollen sich einrichten.«

»Die Zeiten sind schlecht!«

»Warum sind sie schlecht? Von all den Streiks kommt das und von der ganzen Gottlosigkeit –«

»Sagt Pastor Brügge.«

Damit pflegte Asmus Andreas Ohlsen solche Unterhaltungen abzubrechen. Es gab dann kein Wort mehr für Frau Melitta, denn Ohlsen war mit diesem mit trockner Ironie ausgespielten Trumpf auch schon draußen und schloß gelassen die Tür.

*

Bald nach Neujahr starb Tetje Butts Mutter an einer Lungenentzündung. Pastor Collasius und Herr Heinrich nahmen sich der Familie an. Tetje senior kam in ein Trinkerasyl, und Tetje Butt bekam eine Schlafstelle bei seinem Prinzipal. Das Kind kam in ein Säuglingsheim, und die junge Mutter, die einen leichtsinnigen Lebenswandel führte, von dieser plötzlichen Auflösung ihrer Familie doch erschüttert und von Collasius' eindringlichen Worten zu Tränen gerührt, willigte ein, sich in die Zucht eines Asyls für ihresgleichen zu geben.

So stand Tetje Krahnstövers Keller leer. Der letzte, der die Treppe herauftorkelte, war Jan Tüt, der dem Lumpensammler half, den letzten Unrat aus diesen dumpfen Löchern ans Tageslicht zu befördern. Er warf den Sack auf die Karre, nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche des andern und sagte, sie gegen das Licht haltend, langsam und bedächtig wie zu sich selber: »Tetje, wat hev ick di seggt. Jümmers mit Maßen. Denn kann de Minsch veel verdregen.«


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