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Drittes Kapitel

Christian hatte der Scherben wegen keinen guten Nachtwunsch von Frau Behrens bekommen. Ein Segen ging auf sein schuldiges Haupt nieder, den er gern jedem andern gegönnt hätte. Er stieg betrübt und gedemütigt ins Bett und lag lange wach in seinem Kummer, bis der Gedanke an Herrn Heinrichs Vorschlag, und die Aussicht, Anton Krautsch vielleicht kennen lernen zu sollen, sein Gemüt wieder erhellte und zuletzt in einen sanften Traum überleitete.

Am Montag morgen, als er die Laden vom Schaufenster nahm, sah er vergeblich nach Anton Krautsch aus. »Hinkefuß!« höhnte ihn ein kleiner Knirps. Er tat, als hörte er das nicht. Seine Gedanken waren bei Anton. Aber Anton machte zum erstenmal einen blauen Montag. Er hatte am Sonntag St. Pauli ein wenig gründlich genossen. Hellmann, der jüngste Geselle aus der Sichelmannschen Schlosserei, hatte ihn kräftig ermuntert. »Sei kein Stint! wärst doch n Glas Bier vertragen können.« Und dann die Karussellfahrt mit den Deerns. Die waren beide sehr laut und frech gewesen. Doch Hellmann wußte gut mit ihnen umzugehen, und Anton fühlte sich wirklich etwas geschmeichelt, als die Kleinere ihn auch schon für voll nahm und sich ungeniert an seinen Arm hing.

»Na, mein Süßen, nu sei man mal n bischen nett.«

Diese Anrede stieß ihn freilich ab, aber das Mädchen war munter, und er fand sie auch hübsch. Und sie hatte so eine freche Art, sich an ihn zu drängeln, die ihn verwirrte.

»Du büst n richtigen Feger,« hatte Hellmann zu ihr gesagt.

»Bün ick ok,« war die patzige Antwort gewesen.

Anton war spät heimgekommen, und hatte eine schlechte Nacht gehabt. Mit Ekel war er am Morgen aufgewacht. Sein Kopf schmerzte ihm, und er war nicht fähig, aufzustehen. Die Bilder des gestrigen Sonntagsbummels zogen wüst durch sein Hirn. Er hatte im Rausch das Mädchen geküßt; es hatte auf seinem Schoß gesessen. Und die andere, die lange Elsa, hatte in Hellmanns Armen gelegen. Sie hatten Grog getrunken, und die Mädchen Weinpunsch. Nie ginge er wieder mit Hellmann aus.

Frau Krautsch stand vor seinem Bett und schalt ihn aus, zwang ihn aber nicht, aufzustehen.

»Pfui! willst du so n Schwein werden? Schämst du dich nich? Wenn das dein Vater gesehn hält! Er war so n nüchternen Mann ümmer.«

Das beschämte ihn doch, um so mehr, als Mutter Krautsch ohne Rücksicht auf Lene Lerch ganz laut losschalt. Lene hatte gewiß alles gehört.

Mutter Krautsch wollte wissen, wo er gewesen sei. »Mit Hellmann zu Bier,« sagte Anton. Von den Mädchen sagte er natürlich nichts.

»Daß du mich nich wieder mit dem Lumpen gehst, hörst du?«

Anton machte einen schwachen Versuch, Hellmann zu verteidigen, aber er fühlte sich so elend, daß er gerne schwieg und die Mutter reden ließ.

Anton war ein fleißiger Arbeiter, und sein Beruf gefiel ihm. Er hatte keine flinke, aber eine ruhige und geschickte Hand, deren Fleiß und Sicherheit die »Fixigkeit« ersetzte. Er war gern in der Werkstatt, wenn es um ihn herum hämmerte und kreischte und surrte, die Eisenspäne flogen, die Funken sprühten, und der feurige Schein an den Wänden hinaufsprang und sich da mit den schwarzen Schatten der Arbeiter zu balgen schien. Alles machte ihm Vergnügen, ob er mit der leichten Feile am Schraubstock, oder ob er am Amboß stand und den wuchtigen Hammer schwang. Hatte er schwere Eisenstangen auf der Schulter über den Hof zu tragen, freute er sich der Kraftprobe. Es war ihm alles recht, schon als Arbeit an sich. Es war einmal der Drang in ihm, sich irgendwie zu beschäftigen, sich nützlich zu machen, etwas fertig zu stellen. Hier, in diesem großen Getriebe aber sah er, wie alles, auch das geringste, einen Zweck, eine Folge hatte, und wie die kleinste Niete an ihrem Platz nicht fehlen durfte, sollte das Ganze bestehen.

Natürlich philosophierte er nicht darüber, sondern erkannte diese Ordnung der Dinge unbewußt an, indem er sich darin wohl fühlte.

Jener St. Pauli-Sonntag mit Hellmann und den Mädchen lag gar nicht in seinen Liebhabereien. Er blieb nach Feierabend regelmäßig zu Hause bei seiner Mutter und Lene Lerch, denen er noch manche Handreichung tat. Und er kannte kein anderes Bedürfnis, als nach den Bratkartoffeln, die Mutter Krautsch ihrem Anton jeden Abend vorsetzte, fett gebraten und mit ein wenig Zwiebeln drin, noch auf dem Sofa zu sitzen und die kurze Pfeife zu rauchen, die die Mutter ihm aus dem Nachlaß des Vaters geschenkt hatte. Wenn die Pfeife leer war, war der ausgestopfte Affe auf dem Eckschrank in einen leichten Rauchschleier gehüllt, und Papchen fing an, sich vor dem Tabaksqualm auf das äußerste Ende seiner Stange zurückzuziehen, was ihm natürlich nichts half.

Eine zweite Pfeife gestattete Mutter Krautsch nicht im Zimmer. »Dann smök buten, min Jung. Rökern Fleesch salst nich ut mi maken.« Aber Anton verzichtete gern auf die zweite Pfeife. Er blieb lieber hinterm Tisch hocken, klöhnte, oder ließ sich von seiner Mutter aus dem »General-Anzeiger« vorlesen. Lene Lerch saß dann mit in der Stube, strickte an ihrem Strumpf und hörte mit dem eigentümlichen starren Ausdruck ihrer großen grauen Augen zu. Sie war noch einen halben Kopf gewachsen, war aber auch noch magerer geworden, als sie schon war, trotz der guten Kost, an der es ihr bei Mutter Krautsch nicht fehlte.

Anton kümmerte sich nicht viel um sie. Er war von klein auf an sie gewöhnt, eine Hausgenossin, die nun mal dazu gehörte, halb Schwester, halb Magd. Er hatte noch immer für die »Deerns« nicht viel übrig, und an jene Karussell-Toni dachte er nur mit Ekel und Ärger. Pfui Teufel! Geküßt hatte er sie. Er spuckte aus bei dem Gedanken.

Lene Lerch aber war ihm gram, ob seiner Gleichgültigkeit.

Sie wußte freilich, er ging noch mit keiner. Er war so solide. Er war ja auch erst sechzehn Jahre alt. Aber er war ein so großer und kräftiger Junge. So groß wie seine Mutter schon. Und was für Kräfte hatte er. Seine Finger waren wie Schraubstöcke, und seine Muskeln wie Eisen. Er ließ sie das manchmal im Scherz fühlen, ohne zu ahnen, wie wohl er ihr mit diesem Schmerz tat.

Sie war jetzt zwanzig Jahre alt, aber bei ihrem schmächtigen, unentwickelten Körper erschien sie jünger. Aber ihr Körper war reizlos, und keiner warf ein begehrliches Auge auf sie. Mariechen Mau, das dumme Ding, die gerade konfirmiert worden war, wurde von jedem angelächelt, wenn sie mit ihren blonden Zöpfen vor dem Torweg stand, und ein junger Laps von Straßenbahnschaffner warf ihr immer Kußhände zu. Sie, Lene, bekam höchstens mal einen frechen Blick von einem vorübertorkelnden Matrosen.

Anton freilich fand auch an Mariechen Mau nichts. »Der Aff,« sagte er wegwerfend. »So n dummes Göhr.« Lene hätte ihn dafür küssen mögen. Seine Mutter verwies es ihm freilich. Mariechen Mau wäre eine kleine nette, freundliche Deern, die ihrer Mutter schon fix an die Hand ging.

»Laß sie doch. Is ja nett von ihr,« sagte Anton. »Aber was hat sie da immer am Torweg rumzudammeln.«

»Warum soll sie das nich? Sie will auch mal n büschen frische Luft haben.«

Na ja, das konnte sie denn ja seinetwegen. Anton gönnte ihr so viel frische Luft, wie sie haben wollte. Das tat er wirklich. Luft braucht der Mensch, viel Luft, das sah er ein. Und da hinten in dem alten Kasten, na, da hatte seine Mutter nun ja recht.

Anton grüßte an jedem Abend Mariechen Mau ganz freundlich und sah sie mit etwas mehr Interesse an. Er fand aber doch nichts besonderes an ihr, und in Zukunft dachte er immer, wenn er sie dort stehen sah: »Die schnappt schon wieder Luft.«

So bekam sie ohne ihr Zutun, ganz unschuldigerweise, etwas Komisches, Lächerliches in seinen Augen. Und er fand, daß sie etwas reichlich lufthungrig wäre. Daß ihr diese Sättigung gut bekam und sie immer mehr zu einem frischen, ansehnlichen Mädchen gedieh, dafür hatte er keinen Blick.


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