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Viertes Kapitel

Fritz Kleesand war wieder da. Er war über ein Jahr weggewesen. Die »Alaska« lag bei Thoms und Dieckmann in Dock und Käpt'n Krützfeld richtete sich auf ein paar gemütliche Wochen »bei Muttern« ein. Die »Alaska« hatte böses Wetter gehabt und bedurfte einer gründlichen Kalfaterung.

»De Biskaische See hev ick op n Kieker,« sagte Fritz zu Anton. »Minsch, ick kann Di seggn, ick kann wat verdregen. Aber dat wär to dull.«

»Büst noch grod so n Prohlhans als eh,« sagte Anton. Aber er tat ihm unrecht. Fritz Kleesand konnte etwas vertragen. Käpt'n Krützfeld hatte bei Kleesands in der Schenke gesagt: »De Jung is got.« Und so was sagte Käpt'n Krützfeld nicht, wenn er es nicht so meinte. Freilich hatte er auch hinzugesetzt: »Aber n Windhund is he.« Und glaubte man ihm das eine, mußte man ihm auch das andere glauben.

»Na, wenn Se man mit em tofreden sind,« sagte Vater Kleesand. »Dat Anner givt sick sach.«

Und Mutter Kleesand meinte: »He ist jo noch jung, Krützfeld, holln Se em man stramm, dat schad em nix.«

Der Windhund machte auch äußerlich diesem Namen Ehre. Er war lang und dürr, wie er es zu werden versprochen hatte, dunkelbraun von Sonne und See gebrannt, mit flinken, hellen Augen und flachsblondem Haar auf dem länglichen Fuchsschädel.

Anton blieb ihm gegenüber Skeptiker. »De Hund lügt,« sagte er zu Lene. Die aber hing an Fritzens raschem Mund. Anton war immer so mundfaul. Hier aber bekam man doch mal etwas zu hören. Und Fritz Kleesand kargte nicht mit Erzählungen. Er ging überall herum und kramte seine Geschichten aus. Als er bei Krautschens auf dem Fensterplatz neben Papchens Bauer saß, streifte er sogar seine Ärmel auf und zeigte seine tätowierten Arme.

»Dat is jo as n Wilden,« sagte Mutter Krautsch.

Fritz lachte selbstgefällig.

»Hier hev ick de ganze Sternkort.«

Er schlug sich auf die Brust.

»Na, na, dor kann woll nich mehr as n halben Man Platz finn'n,« sagte Anton, der sich ärgerte.

»Bit op Liev dal,« erklärte Fritz und fuhr mit dem Finger vom Hals herab bis auf den Gürtel. –

Bei Winsemanns sprach er Hochdeutsch. Hugo sprach zu Hause nie platt. Fritz Kleesand wollte zeigen, daß er auch »feinschnacken« konnte. Er hatte erst nicht zu Winsemanns hinwollen. Er war ja mit Hugo im Unfrieden auseinandergegangen. Hugos Krankheit und der Tod von dessen Vater genierten ihn auch. »Da soll man erst lang von schnacken.« So was mochte er nicht gern, aber seine Mutter meinte: »Dat geiht nich anners, Fritz, hen müst.«

Da war er denn widerwillig gegangen. Aber er fühlte sich bald ganz wohl da. Frau Winsemann tat, als ob ihr eine große Ehre erwiesen würde, und Hugo schien den alten Streich ganz vergessen zu haben. Und was für ein dankbarer Zuhörer war er. Er bewunderte Fritz Kleesand und beneidete ihn und träumte sich mit ihm hinaus in das Toben der Stürme, in die ungeheure Stille des ruhenden Meeres.

Fritz merkte bald, daß er hier Eindruck mache, und gab sich in seiner ganzen Herrlichkeit.

Frau Winsemann begleitete ihn beim Abschied bis an die Treppe. Im Torweg traf Fritz auf Mariechen Mau, die gerade »etwas Luft schnappte«. Er tat ganz überrascht.

»Deern, büst du grot worn.«

»Sie sind auch nicht kleiner geworden,« sagte sie schnippisch.

»Na, Fräulein, Sehnsucht zieht in die Länge.«

Er legte die Hand aufs Herz und schnitt eine verliebte Grimasse. Das war so seine Art, mit Mädchen umzugehen. Nur nicht lange Vorreden.

»So bleiben Sie man ne Stunde stehn, sieht nett aus,« sagte sie und ging mit geringschätzendem Achselzucken von ihm. Er lachte kurz auf. »Wie danzt noch tosam!« rief er ihr nach.

*

Leiden mochten sie ihn schließlich alle nicht. Auch Winsemanns ließen sich nicht lange blenden. Käpt'n Krützfeld hatte zwar gesagt, daß Fritz ein tüchtiger Seemann werden würde. »De hört op t Water. So n Jungs brukt wi.« Das mochte ja wahr sein. »Aber er hat so was an sich, was man nich mag,« sagte Mutter Krautsch.

Fritzens Eltern waren natürlich stolz auf ihren Jungen, und freuten sich, wenn er bis in die Nacht hinein zwischen ihren Gästen saß und fix mit prahlte. Manchmal fuhren ihm die älteren, erfahrenen Schiffer über sein flinkes Mundwerk. Aber dann lachte er, war nicht empfindlich und war bald wieder ebenso laut. Man sah ihm als Haussohn ja manches nach, was man sich sonst von einem Schiffsjungen nicht gefallen lassen hätte.

Die einzige, der sein Wesen wirklich imponierte, war Lene Lerch. Die vielen breiten blauen Ringe um seinen nackten, sehnigen, braunen Arm hatten den Ausschlag gegeben. Sie wußte, daß man sich nicht schmerzlos so verzierte. Und nun gleich so. Das mußte ja furchtbar weh getan haben. Er aber hatte getan, als ob das gar nichts wäre. Und nun hatte er auch auf der ganzen Brust noch solche Bilder. Sonne, Mond und Sterne, die ganze Himmelskarte. Sie mußte immer daran denken, wenn sie ihn sah; sie möchte das wirklich wohl mal sehen. Eigentlich sollte sie sich ja schämen. Aber es war nun doch mal so. Wenn sie ihn sah, war es ihr immer, als sähe sie durch seine Bluse hindurch diesen blaugestirnten Himmel.

Und nun kam Fritz Kleesand gar und fragte sie, ob sie nicht mal mit ihm ausgehen wolle. »So n bißchen zu Tanz.« Sie glühte hoch auf. Das war ihr noch nie geschehen. Aber Mutter Krautsch wollte es nicht erlauben.

»Nee, Herr Kleesand, das ist nichts für das Mädchen. Da ist sie noch viel zu jung zu.«

»Nanu,« meinte Fritz. »Zu jung zu?«

»Ja, für Sie ist sie noch zu jung dazu,« sagte Mutter Krautsch bestimmt. »Nu setzen Sie ihr man weiter nichts in Kopf.«

»Am Ende bin ich auch noch zu jung dazu.«

»Sie gehen mich nichts an. Tanzen Sie man so viel als Sie wollen.«

»Ja, Fräulein, denn ein andermal.«

Lene Lerch stand stumm und wütend dabei.

»Wenn Sie noch nich das richtige Öller haben.« –

Er lächelte spöttisch.

Lene Lerch ging in die Küche und weinte. »Wie kann man darüber weinen,« sagte Mutter Krautsch, die sie in Tränen fand. »Ich vertret Mutterstelle an dich, und ich erlaub es nich. Mit dem Windhund nich. Mit dem sollst du nich auf dem Tanzboden herumtralahn.«

Lene schluckte und schnuckte.

»Ich möcht auch gern mal tanzen. Ich hab noch nie getanzt.«

Mutter Krautsch verstand den Vorwurf. »Die Deern hat ja auch nich viel Vergnügen, darin hat sie ja recht,« dachte sie.

»Sollst auch Lene. Kannst noch viel tanzen. Aber nich mit Fritz. Glaub mich, ich kenn die Welt. Fritz is n Windhund.«

Lene Lerch weinte noch in der Nacht und war böse auf Mutter Krautsch und auf ihr Schicksal. Und Mutter Krautsch lag in ihrem Bett und dachte: Du hast doch recht getan. Aber Lene tat ihr leid. Sie hatte ja auch eigentlich wenig Vergnügen. Mein Gott, das brachte das Geschäft so mit sich. Und dann, wenn ein Mädchen ordentlich bleiben soll, muß man sie hüten. Mutter Krautsch meinte es gut mit Lene Lerch, wenn sie sie kurz und strenge hielt.

»So n Mädchen, das nichts ist und nichts hat, muß an die Arbeit gewöhnt werden. Dann kann n Mann ihr mal brauchen, und sie bringt ihm wenigstens ein paar fleißige Hände mit in die Ehe.«

So dachte Mutter Krautsch. Und Lene Lerch lernte das Arbeiten gründlich bei ihr. Gab es im Laden und in der Küche nichts mehr zu tun, mußte sie stricken. Zu stricken gab es immer etwas, für Anton und sie und für Lene Lerch selbst. Anton brauchte viele Strümpfe. Und was für Strümpfe. Lene Lerch brauchte lange Zeit, bis sie so ein »Riesenfutteral«, wie Anton selbst sagte, fertig hatte.

Lene Lerch war bisher immer zufrieden gewesen. Damit ihr die Enge ihres Lebens so recht zum Bewußtsein kam, hatte erst Fritz Kleesand wieder aus Australien zurückkommen und sie zum Tanz einladen müssen.

Ein Windhund sollte er sein. Warum? Sie hatten nur alle was auf ihn. Wenn Fritz n Windhund wäre, wäre Anton n Elefant. Dem wäre es nicht im Traum eingefallen, daß er sie zum Tanz führen könne. Der? Der machte sich ja überhaupt nichts aus den Mädchen. Der war n Muttersohn und Stubenhocker, so n richtigen Klaas.

Als Lene Lerch am Morgen aufstand, fand sie, daß sie eigentlich ein ganz unglückliches Mädchen sei und es nicht so gut hätte wie es sein könnte, und daß sie Anton haßte. Fritz Kleesand aber hatte die ganze Nacht durchgetanzt. »Feine Deerns,« wie er zu Anton sagte. »Dor gah ick nastens werrer hen. Wullt mit? Oder dörfst ok noch nich danzen?«

Aber Anton wollte nicht.

»Dat Rumhopsen makt mi keen Vergnögen.«

»Junge, Junge. Din Mutter hätt di got treckt,« höhnte Fritz.


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