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Siebentes Kapitel

Als Hugo wieder genesen war, empfand er zuerst ein Gefühl der Vereinsamung. Sein Vater war tot, Fritz Kleesand auf See, und Anton hatte wenig Zeit für ihn. Käpt'n Krautsch war inzwischen mit seinem Schoner »Henriette« heimgekommen. Er ließ seinen Sohn nicht von der Hand. Kein Wunder, hatte er ihn doch seit drei Jahren nicht gesehen und würde ihn auch nicht lange um sich haben. Denn die »Henriette« sollte noch vor Oktober wieder absegeln. Käpt'n Krautsch tummelte sich. Er fuhr auf eigene Rechnung. Er hatte nur wenig fremdes Geld in seinem Schiffe stehen. Diese Reise noch, dann würde er es ganz freimachen können. Dann noch ein paar Jahre, und er wollte in irgend einem gemütlichen Winkel für den Rest seines Lebens vor Anker gehen.

Anton sollte kein Seemann werden. Es war doch eine Plackerei. Und immer so von Frau und Kind weg. Nein, das rechte Leben war es nicht. Nur mußte man ihm darin nicht zu schnell recht geben und auf das Schifferleben schelten. Das war gefehlt, das durfte nur er, aber nicht andere. Und wer gar seine »Henriette« nicht schmuck fand, der hatte es mit ihm verdorben. Nun brauchte man es wirklich nicht mit Käpt'n Krautsch zu verderben. Seine »Henriette« war schmuck, ein feiner Schoner, der sich in jedem Hafen mit Glanz sehen lassen konnte. Der Alte durfte sie wohl lieb haben, diese »Henriette«, und er war tatsächlich verwachsen mit ihr. Er führte ein zweites Leben mit ihr, neben dem andern, das seiner Frau und seinem Jungen gehörte. Die »Henriette« war so gut ein Gegenstand seiner Liebe wie Mutter Krautsch. Der Schoner war sein Haus, sein Heim, fast mehr als der kleine Keller am Hafen, wo die Seinen hausten. War er doch den größten Teil seiner Tage auf seinem Schiff. Und was anderen ihr Garten, ihr bestes Zimmer, ihre Bibliothek oder ihr Hühnerhof, das war ihm sein Schoner. Das selbstgeschaffene Gefängnis seiner Seele, das er sich zum Paradies herausputzte. Ja, die »Henriette« war ein schmuckes Schiff und alles war blitzblank und sauber an Bord. Von außen sah man ihr natürlich die lange Reise an. Aber sie sollte ja auch nun gehörig kalfatert und mit einem schönen grauen Anstrich neu aufgefrischt werden.

Käpt'n Krautsch selbst konnte auch eine kleine Auffrischung brauchen. Er litt an Rheumatismus im linken Bein und humpelte etwas, als er von Bord kam, und kniff bei jedem Schritt den großen, schmallippigen Mund fest zusammen. Aber die blauen Seemannsaugen unter den grauen, buschigen Brauen sahen hell aus und lachten, trotz des gekniffenen Mundes. Etwas krumm ging Käpt'n Krautsch, denn er war lang aufgewachsen und hielt sich wie die meisten Länglinge schlecht. Aber dann und wann richtete er sich mal zur vollen Höhe auf, als müsse er die steifen Knochen wieder zurechtrecken.

Anton und seine Mutter hatten den Alten natürlich von Bord geholt, und Jan, der Schiffsjunge, war gleich mitgekommen und hatte die Kiste ans Haus geschleppt, die alles barg, was Käpt'n Krautsch unterwegs für Frau und Kind zusammengekauft hatte. Schwer war sie, und der Alte faßte selbst mit an, als Jan sie glücklich durch den Gemüseladen bugsiert hatte. Ganz vorsichtig setzten sie die Kiste nieder, denn Mutter Krautsch hatte im Wohnzimmer den Fußboden frisch lackiert. Da durfte nichts verschrammt werden.

Und dann war Jan nach geraumer Zeit nochmal gekommen, in der einen Hand einen Papagei, in der andern einen Affen. Der Papagei kreischte und schlug mit den Flügeln, aber der Affe verhielt sich ganz still, denn er war ausgestopft. Das sah man aber nicht gleich, denn er war so natürlich geraten und nahm jene grotesk komische Haltung ein, zu der die Affen ein wichtiges Geschäft ihres menschenähnlichen Daseins so oft am Tage nötigt, er lauste sich. Offenbar, der Koch verstand etwas von dieser Sache und schien ein Humorist zu sein.

Der Affe bekam einen erhöhten Stand auf dem Glasschrank, der Papagei einen Platz am Fenster. Es war ein grauer Kakadu mit schönem Poll. Schade, daß er noch nicht sprechen konnte. Aber Anton nahm sich vor, ihn unentgeltlich zu unterrichten. Er begann gleich mit Mundspitzen und Flöten, doch Papchen legte den Kopf auf die Seite, sah ihn klug an und dachte offenbar, flöte nur weiter, so schön lerne ichs doch nicht.

Eine Stunde später aber saß Papchen fast ebenso regungslos da, wie der Affe auf dem Glasschrank. Ganz melancholisch sah er aus. Hatte er Heimweh? Nach Jan? Nach dem Koch? Nach der Henriette? Oder nach den Palmenwäldern seiner Heimat? Oder wollte er sich von einem ausgestopften Affen nicht an Würde übertreffen lassen?

*

»Käpt'n Krautsch ist wieder da. Die ›Henriette‹ ist aufgekommen.«

So ging es natürlich von Mund zu Mund. Die Cyriaks war die erste, die im Grünkeller vorsprach, um Käpt'n Krautsch zu sehen. Aber weder er noch seine Frau kamen aus dem Wohnzimmer, und sie mußte sich mit Lene Lerch begnügen, die desto wichtiger tat. »Ne ganze Menge Kisten hat er mitgebracht. Und Rheumatismus hat er auch.«

Am nächsten Tag unterhielten sich Hugo Winsemann und Mariechen Mau über Käpt'n Krautsch seine vielen Kisten. Was mochte da alles darin sein. Der Anton konnte wohl lachen. Aber wie traurig, daß Käpt'n Krautsch gar nicht gehen konnte. Sie hatten ihn ja wohl von Bord getragen.

Über das Gehen wurden sie nun bald beruhigt, denn Hugo sah noch am selben Tage, wie Käpt'n Krautsch zu Kleesands ging und nur ganz wenig den Fuß nachzog.

Bei Kleesands mußte Käpt'n Krautsch ja guten Tag sagen, das ging nicht anders. Die hätten es ihm übel vermerkt, wenn er nicht den ersten Grog in Hamburg bei ihnen zu sich genommen hätte. Und dann die vielen Bekannten. Das war ein Hallo, als er eintrat. Kleesands aber bedauerten, daß die »Henriette« ein paar Wochen zu spät kam, sonst hätte ihr Fritz bei Käpt'n Krautsch anmustern müssen. Und der hätte auch nichts gegen Fritz Kleesand gehabt, da sein Jan doch abmusterte. Aber Mutter Krautsch sagte ihm nachher, sei froh, daß du den Windhund nicht an Bord hast.

Auch bei Schiffshändler Ohlsen empfing man Käpt'n Krautsch und seine »Henriette« mit Wohlwollen. Ohlsen steuerte seit Jahren die »Henriette« aus. Es war immer ein kleines Geschäft, das man nicht verachtete. Und noch bevor er zu Kleesands ging, war Käpt'n Krautsch bei Ohlsens gewesen, hatte in der guten Stube ein Glas Sherry getrunken und mit Frau Ohlsen angestoßen. Und von seiner Reise hatte er ihr erzählt, seinem Gewinn und seinen Hoffnungen für die Zukunft. Ganz um Kap Horn rum war er gewesen. Zuletzt, auf der Heimreise, hatte es sich noch gemacht, daß er in Liverpool gute Fracht nach dem Mittelmeer bekam, da war er sofort wieder umgekehrt. Nun war es ihm aber mit Fracht nach Hamburg geglückt. Nach drei Jahren. Das ist eine lange Zeit. Und Frau und Kind wollen einen doch auch mal sehen. Und dann hatte er in seiner langsamen, bedächtigen Art mit Frau Ohlsen über Antons Zukunft gesprochen.

Abends aber saß er neben seiner Frau auf dem kleinen Roßhaarsofa hinter dem runden Tisch, lehnte sich nicht zurück, um die frischgewaschenen Sofaschoner nicht zu verschieben und ärgerte sich noch über den Kaffeeflecken, den er am Nachmittag auf die frische Tischdecke gemacht hatte. Über so etwas konnte sich Käpt'n Krautsch sehr ärgern, auch über Flecke, die andere gemacht hatten. Jan wußte ein Lied davon zu singen, und der Koch ebenso. Daher sah es in der Kajüte auch immer so aus, wie in Mutter Krautschens Sonntagsstube. Nur die Sofaschoner fehlten. Und darum saß Käpt'n Krautsch auch so steif, weil er die Dinger nicht gewohnt war, und weil sie ihm wie alles Frischgewaschene Respekt einflößten.

Ja, Käpt'n Krautsch fühlte sich wohl in der saubern Sonntagsstube seiner Frau, er saß da, glücklich und zufrieden, ein Mann in seinem Heim, ein Vater in seiner Familie.

Auf seinen hohen, spitzen Knien stützte er sein Matrosenklavier, seine Ziehharmonika, und spielte »Am grünen Strand der Spree« und

»Wenn hier n Pott mit Bohnen steit,
Und dor n Pott mit Brie,
Denn lat ick n Pott mit Bohnen stahn
Und gah nah min Marie.«

Anton saß vorm Tisch und hörte glücklich zu. So eine Handharmonika sollte er nun auch haben, hatte der Vater ihm versprochen. Wäre Anton ein Mädchen gewesen, hätte der Alte ein Klavier angeschafft, ein »Fortepiano«. Er liebte die Musik über alles, und daß Kleesand kein Orchestrion in seiner Wirtschaft hatte, war sehr einfältig von dem.

»Wat is dat schön, Jette, wenn dat Dings so opspeelt und du drinkst din Glas Grog dorbi, smökst den Piep und hest an gor nix wieder to denken.«

»Und steihst gor nicht werrer op, und verdrömst di, und mi ward de Supp kolt, wat?« lachte Mutter Krautsch. »Nee, lat den man ja keen son Trummeli anfangn.«

»Nee, nee, Jette, dat versteihst nich. Sonn Ding is woll schön.«

Und dann erzählte er, wie manche Stunde ihm sein »Klavier« getröstet hätte, wenn er Heimweh nach Frau und Kind gehabt. Und mit einem glücklichen Blick auf Mutter Krautsch fing er an zu spielen:

»Ännchen von Tharau ists, die mir gefällt.«

Und dann warf Mutter Krautsch sich mit ihrer ganzen Fülle gegen ihn und küßte ihn auf den Mund, so daß Anton rot wurde und aufstand. Er sah so etwas so selten. Es genierte ihn. Käpt'n Krautsch aber warf einen stillen Blick auf seinen Sohn. Es war ein Lächeln darin. Er war früher auch so gewesen. Immer wie ne Rose, wenn ihn ne Deern mal anlachte. Und nun gar küssen. Seine Lippen waren nur schmal und hart. Sein Herz freilich, das war schon anders. Das hätte viel öfter, geküßt, als er hätte verantworten können. Bis er sich die Deern aus Moorburg holte, die mit den blanken braunen Augen und den blanken braunen Zöpfen.

*

Anton hatte nun schöne Tage. Dumm war es, daß die »Henriette« erst nach den Ferien gekommen war. Aber es blieb auch jetzt noch Zeit genug, die Anwesenheit des Vaters ordentlich auszukosten. Fast jeden Abend ging man aus. Lene Lerch kam sich ordentlich wichtig vor, daß man ihr so viel Vertrauen schenkte. Von neun Uhr an war alles ihrer Obhut anvertraut. Einmal nahm man sie auch mit nach St. Pauli, in ihrem Sonntagsstaat. Sie bekam grade soviel Punsch, Kuchen und Schokolade wie Anton, und war selig. Aber Mutter Krautsch war ein zweites Mal dagegen gewesen. »Dann behält sie keinen Respekt mehr. Ich soll man mit ihr fertig werden. Und mit Anton zusammen ist das auch nichts.«

Käpt'n Krautsch wollte das nicht einsehen. Aber Mutter Krautsch hatte die rechte Einsicht. Sie war auch weniger um ihren Respekt in Sorge. Es war mehr »von wegen die Tingeltangels«, wie sie sagte.

Anton freilich kam immer mit. Er war ja nun mal der Sohn. Sein Vater wollte ihn bei sich haben. Das war begreiflich. Und dann saß er auch immer so etwas dämlich da und hatte nicht viel Augen für die »Deerns«. Aber Lene Lerch riß ihre immer verdächtig weit auf und wiegte den Kopf nach der Melodie und flankierte mit ihren Augen umher. Für Lene Lerch war das gefährlich.

Dafür amüsierte sich diese zu Hause mit Papchen. Sie starrte ihn mit ihren grauen Augen an und flötete ungeschickt. Aber sie fesselte doch seine Aufmerksamkeit. Sie sprach zärtlich mit ihm, gab ihm Zucker und sagte ihm unermüdlich ihren Namen vor.

»Lena.«

Dann versuchte sie es mal wieder mit »Anton«.

Was er wohl am ersten behalten würde?

Und eines Abends konnte sie die Heimkehrenden triumphierend empfangen:

»Er kann Lena sagen!«

»Ach du, was er wohl kann.«

Und sie sagte es dem Vogel vor, bat, schalt, aber er sagte nicht wieder Lena, und sie wurde ausgelacht.

»Was du dir einbildest!« rief Anton verächtlich.

»Is doch wahr!«

»Du lügst!«

Lene Lerch war tief gekränkt. Nie, nie wollte sie dem Papagei wieder Antons Namen vorsagen. Nie!

*

Vier Wochen war Käpt'n Krautsch zu Hause, da hieß es schon wieder Abschied nehmen.

»Een Reis noch.«

»Ja Korl, datt seggst du ümmer, dat mütt ober ok wohr bliben. Kumm man sund werrer.«

Die »Henriette« ging erst mit Stückgut nach Aberdeen. Von da sollte sie nach der Südsee. Käpt'n Schellhaas mit seinem »Neptun« schleppte sie aus dem Hafen. Mutter Krautsch und Anton blieben so lange an Bord, bis der Junge die Trosse loswarf. Dann kam Käpt'n Schellhaas mit dem Neptun längsseits und nahm Anton und seine Mutter wieder mit zurück.

Käpt'n Krautsch stand so lange auf Achterdeck, wie sie sich noch sehen konnten, und fuhr dann und wann mal mit seinem roten Taschentuch durch die Luft. Es war eines von dem neuen Dutzend, das Mutter Krautsch ihm für diese Reise gekauft hatte, und es war der St. Michaelis-Kirchturm darauf. Und während Käpt'n Krautsch mit dem Kirchturm winkte, winkte Anton unaufhörlich mit seiner Mütze. Mutter Krautsch aber saß und weinte, und riß nur noch bei der letzten Biegung das nasse Tuch von den Augen und schwenkte es so heftig in ihrem großen Kummer, daß es aussah, als scheuche sie Fliegen.

»Disse Reis noch,« sagte Käpt'n Schellhaas tröstend. »Dann behölt Se em jo to Hus.«

»Nee, een ward he woll noch maaken,« schluchzte Mutter Krautsch. »Ick will froh sin, wenn ick datt oll Schipp eis to n letztenmal sehn hev.«


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