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Fünftes Kapitel

Fritz Kleesand hatte doch etwas Revolution in Krautschens Keller getragen. Anton ärgerte sich über Fritzens höhnisches Wort: »Din Mutter hett di got treckt.« Anton meinte nur nach seinem Gefallen zu leben. Seine Mutter legte ihm nie etwas in den Weg. Die Vierreise mit Hellmann damals – na ja, da hatte sie einen Trumpf ausgespielt. Aber er hätte auch aus freien Stücken solchen Sonntagsbummel nicht wiederholt. Das war wirklich nicht nach seinem Geschmack. Daß er sie um ihre Einwilligung fragte, ob er Herrn Heinrichs Lehrlingsabende besuchen dürfe, das verstand sich doch von selbst. Und wenn etwas Geld kostete, da hatte doch die Mutter gewiß ein Recht mitzusprechen.

»Got treckt.« Natürlich hatte sie ihn erzogen. Alle Kinder werden von der Mutter erzogen. Und mehr oder weniger zurechtgestoßen. Das gehört sich auch wohl so. Aber Fritz meinte das anders. Und das ärgerte ihn. Es war ein dummes, albernes Wort.

Als Anton am Abend Appetit auf eine zweite Pfeife hatte und sie sich versagen mußte, weil seine Mutter ihn sonst aus dem Zimmer geschickt hatte, fiel ihm dieses dumme Wort wieder ein: »din Mutter hett di god treckt«.

»Dat man ümmer sin Piep buten smöken möt, is egentlich n Verlangen, Mutter,« sagte er mit gutmütigem Vorwurf, indem er sich aus der Sofaecke erhob.

»Wat? wullt du hier noch mehr rökern? Keine Neuerung, mein Sohn. Das gibt es nich.«

»Hm,« dachte Anton indem er den Rauch der zweiten Pfeife, in der Kellertür lehnend, bedächtig die Kellertreppe hinaufblies. »Dat hett se ja dörchsett.«

»Nu is dat ja mol so inreten,« sinnierte er weiter. »Und wenn se dat nu mal nich verdregen kann. Vadder wär ja so 'n soliden Mann. He drünk nich, und rök nich, und speel nich, as man von allns so n lütt Piep vull. Hett se em treckt oder hett he ehr so vertrocken?«

Mit einmal ging ein leises Lächeln über sein Gesicht. Er trat in die Stubentür zurück, blies wie zum Schabernack eine mächtige Rauchwolke ins Zimmer und fragte:

»Segg mal,Mutter, hett Vadder egentlich gern danzt?«

»Wo kümmst dor op?« war die Gegenfrage.

»Ick meen man. Ick dach so an Kleesand gistern abend. Und wat ick mi wull op n Danzböden amüsiert harr.«

Lene Lerch, die schon bei der ersten Frage den Strickstrumpf in den Schoß hatte fallen lassen, sah gespannt auf den Sprecher in der Tür und dann auf seine Mutter.

»Harst ja man hengaan kunnt,« war die ruhige Antwort. »Amüseert harst di wull fach.«

Anton war überrascht. Meinte sie das wirklich so, oder machte sie sich lustig über ihn? Lene Lerch aber dachte: Nu sieh, ihm erlaubt sie es, und du bist doch vier Jahr älter. Das ist nur das dumme Vorurteil gegen Fritz Kleesand. Anton blies noch mal in Gedanken eine Rauchwolke ins Zimmer.

»Jung, smökt buten!« schalt Mutter Krautsch.

Mechanisch gehorchte er.

»Wist doch mal eens mit Fritz to Danz,« dachte er.

Lene Lerch aber machte sich Hoffnung, er könne an sie denken. Und da sagte auch Mutter Krautsch wirklich, als ob sie ihre Gedanken erriete: »Mit Anton is dat ja n anner Saak. Warum fall he nich mal danzen. He is son Windhund nich als Fritz is.«

»Anton kann doch nicht mit mir zu Tanz gehen,« sagte Lene lauernd. Nun mußte Mutter Krautsch mit der Sprache heraus.

»Ne, mit di nich, Kind. Dat is ja ok nich nödig. He find fach Mätens noog.«

»Mariechen Mau z. B.« sagte Lene spitz.

Mutter Krautsch hob den Kopf. In welchem Ton sie das sagte.

»Wie kümmst du op Mariechen Mau? Mit Mariechen Mau geiht Anton nich to Danz.«

Sie malte sich das aus: ihr Anton Mariechen Mau zu Tanz führend. Was würde Frau Mau sagen. Anton hatte ja für Marie nicht viel über, das wußte sie ja. Aber das kommt manchmal wunderlich.

»Du hast dwatsche Gedanken, Deern,« sagte sie, und es klang fast böse.

Haha, dachte Lene, da ist doch was los. Hab ich mir das nicht lange gedacht? Dieser Aff, dieser Fratz, diese freche Deern mit ihren koketten Blicken. Lene Lerch kniff die Lippen zusammen und strickte, daß die Nadeln klapperten.

Mutter Krautsch dachte an Lenens gestrige Tränen und an ihr Versprechen. »Vör di kümmt ok mal n Tied,« sagte sie und fuhr kurz und stoßweise fort: »Hev ick di jo seggt – lat em man erst werrer weg sin mit sin besmeert Fell – de indianische Windhund – ick gah schon mal eens mit di to Tanz.«

Lene mußte lachen.

»Mutter wull mit mi danzen.«

Mutter Krautsch lachte mit.

»Ja, Lene, wie beid walzt mal tosam. Brukt wie gorkeen Mannslüt dorto. Ick danz die noch teinmal üm.«

Lene lachte wieder, etwas süßsauer.

»Min Irnst, Deern. Wi gahn mal tosam ut, wo anständige Bürgerslüd hengahn könt, Öllern mit ehr Döchters. Und dann – ja, Anton kann ja ok mitgahn – und dann find wie ok woll noch een annern jungen Mann.«

»Mutter, wat büst nett,« sagte Lene. »Wat hög ick mi.«

Mutter Krautsch hatte sich eigentlich in ihrer Gutmütigkeit jedes Wort so nach und nach abgerungen, hatte jedes mit einem stillen Bedenken dagegen begleitet. Tanzboden ist Tanzboden, anständig oder nicht. »De ersten Grappen kriegt so n Deern op n Danzbön.« Und dann waren auch egoistische Gedanken leise tätig. Wenn sie Lene Lerch mal entbehren sollte? Sie waren nun mal aneinander gewöhnt. Anton und Lene lebten ja wie Bruder und Schwester nebeneinander. Wenn sie aber zusammen ausgingen, ob sich das Verhältnis nicht verschieben würde? Anton war ja freilich noch viel zu jung. Lene war ja vier Jahre älter. Aber was macht das. Tante Mile ist fünf Jahre älter als ihr Hinnerk.

In diesem Augenblick kam Fritz Kleesand die Treppe hinunter und trat mit Anton ins Zimmer.

»n abend meine Damens, stör ich nich?«

»Nein, nehmen Sie man Platz,« lud Mutter Krautsch etwas zögernd ein.

Lene Lerch war dunkelrot geworden unter Fritzens Blick und strickte mit einer fieberhaften Emsigkeit.

»Dat geiht ja as n Maschin,« rief Fritz. »Dunner noch mal!«

»Lene, hal mal n Buddel Beer,« sagte Mutter Krautsch.

»Latens doch, bliv sitten, Deern,« protestierte Fritz. Aber Lene sprang heftig auf und lief hinaus. Frechheit, sie Deern zu nennen. Sie mochte gar nicht wieder hinein gehen.

»Lene! Deern! Nödel doch nich immer so!«

Lene fuhr zusammen. Nödeln. Als ob sie immer nödelte. Was mußte er von ihr denken. Mit hochrotem Kopf kam sie wieder herein, unter jedem Arm zwei Flaschen Lagerbier.

»Ganze Batterie!« ulkte Fritz.

»Die kriegen Sie nicht alle allein,« sagte sie schnippischer, als sie wollte, und mußte sich auslachen lassen. Sie ärgerte sich und wollte wieder hinaus.

»Hier bleiben, Fräulein!« Er hielt sie ungeniert am Arm zurück. »Bier trinken darf sie doch?«

Er kniff ein Auge zu und sah mit komisch fragendem Blick Mutter Krautsch an.

»Gewiß, warum soll sie kein Bier trinken dürfen.«

Mutter Krautsch schien die Anzüglichkeit nicht verstanden zu haben. Aber Lene war hellhöriger.

»Ich danke,« sagte sie.

»Du trinkst doch sonst,« sagte Anton, der bisher etwas verlegen sich mit Papchen zu schaffen gemacht hatte. Ihm kam Fritzens Besuch auch ungelegen. Er war noch nicht im klaren, wie er sich zu ihm stellen sollte. Als sie aber erst angestoßen, und Lene Lerch sich auch beruhigt hatte und mit der Zunge um den Mund herumfuhr, was sie immer tat, wenn ihr etwas gut schmeckte, ward es gemütlich.

»n intressanten Bengel is er doch,« dachte Mutter Krautsch, als er wieder zwanzig Geschichten und mehr wußte und ihnen auftischte, was er erlebt hatte, oder erlebt haben wollte. Fritz Kleesand bevorzugte als Erzähler die Ichform, und obgleich Anton sowohl als Mutter Krautsch verschiedentlich das Gefühl hatten, »das lügt er wieder,« widersprach doch niemand.

Lene Lerch war ganz Aufmerksamkeit und eines Staunens über Fritz Kleesand, den Seehelden. Wenn er doch noch mal seine tätowierten Arme zeigte, dachte sie, diese fürchterlichen blauen Ringe! Und unter dem weißen gestärkten Hemd, das er heute trug, sah sie Sonne, Mond und Sterne in lieblichem Glanze leuchten.

»Speeln Se ok Klaveer?« fragte Mutter Krautsch nach der Erzählung von den weißen Mäusen, die dem Koch, einem Amerikaner gehörten, und die wie auf Kommando tanzten, wenn der Koch den Yankee-Doodle spielte.

»Ach ja, Klaveer speel ick,« sagte er wohlgefällig. »Ick hev dor man lang nich min Fingers an halt. Dat Ding is mi ober Bord gan.«

Nun wollte Anton ihn fangen. Das log er natürlich, wie die Geschichte von den weißen Mäusen gelogen war. Gewiß konnte er nichts als ein paar Töne quietschen.

»Wo is min Klaveer, Mutter?« sagte er.

»Dat 's recht, hal man mal her, Anton. In Schapv ünner in ligt dat.« Ob Mutter Krautsch auch dachte, Fritz Kleesand zu fangen? Aber Fritz sagte ruhig: »So, hest n Klaveer? Dat wies mal her.«

Lenens Augen leuchteten. Sollte es noch Musik geben? Und richtig, Fritz Kleesand schlug die Beine übereinander, legte den Kopf zurück und probierte das Instrument.

»Feines Klavier,« sagte er.

Anton war beschämt und ärgerte sich. »Nu kann de Hund ok noch Klaveer speelen.«

Mutter Krautsch hatte sich bei den ersten Tönen in die Sofaecke gedrückt und sah ganz glückselig auf Fritz.

»Wo lang hev ick dat nich hört. Könen Se nich: »Wenn hier en Pott mit Bohnen steiht« –

»Und dor en Pott mit Brie,« fiel Fritz ein. »Wat schall ich dat woll nich könen.«

Und er spielte die Bohnenpolka. O wie das ging! Wie zu Tanz! Anton bekam Hochachtung vor solcher Fertigkeit und ließ seinen Ärger fahren. Er folgte mit der naiven Bewunderung des gänzlich unmusikalischen diesem so sicher auf den Klappen herumspringenden Fingern mit den Augen. Lene Lerch strahlte dem Spieler immer grad ins Gesicht. Mutter Krautsch aber saß ganz still in der Sofaecke, die hellen Tränen liefen ihr übers Gesicht.

»Mutter, du weinst?« fragte Anton verwundert, als Fritz aufhörte.

»Ach Anton, warum kannst du das nich auch spielen,« sagte sie mit einem Schluchzen und Zittern der Stimme. Und zu Fritz gewandt fuhr sie entschuldigend fort: »Mein seliger Mann spielte mich das immer vor. Und dann war das unser Hochzeitstanz. Ach Gott, und nu liegt er da schon so lange in das kalte Wasser –«

Fritz, der Windhund, legte das »Klavier« still beiseite. Das waren echte Tränen. Die machten doch Eindruck auf ihn.

»Nee, legen Sie nich weg,« bat Mutter Krautsch, sich energisch die Augen wischend. »Büschen müssen Sie noch spielen. Wie lange hab ich das nich gehört. Wenn Anton da man büschen fleißiger auf gewesen wär. Aber der alte Jung wollt ja nich.«

»Wollt nich?« verteidigte sich Anton.

»Wenn man da nun mal nich für inkliniert und die Begabung nich hat, is es ja woll auch schwer,« gab seine Mutter zu und sah Fritz fragend an.

»Ja, das Genie muß man dazu haben,« sagte der großartig.

»Speel di man nich op,« dachte Anton. Mutter Krautsch aber bekräftigte das. »Ja, Genie hört zu alles. Das is wie mit die Schiffahrt und wie mit die Schlosserei und mit jedes Gewerbe. Wenn man kein Genie dazu hat, dann wird man da nichts in. Aber nu müssen Sie noch mal »Lang, lang ist's her« spielen.

Fritz Kleesand spielte »Lang, lang ists her« und »Muß i denn, muß i denn«, und »Die Wacht am Rhein« und noch einmal die Bohnenpolka. Und Lene Lerch ging und holte noch mal zwei Flaschen Bier unter jedem Arm.

»Laß das Stricken nu man sein, mein Deern,« sagte Mutter Krautsch. »Nu sind wir hier in Konzert.«

Lene legte den Strickstrumpf mit Freuden weg. Was war das für ein schöner Abend heute. Und jetzt fing Fritz Kleesand sogar an zu singen:

»Mädel ruck ruck ruck an meine grüne Sei–ei–te, –

Ich hab dich gar zu gern, ich mag dich leiden.«

»Mitsingen,« sagte Mutter Krautsch. Und sie sangen ein Lied nach dem andern. Und Käpt'n Krautschens letztes Geschenk an seinen Sohn, das erst in dessen Hände kam, als der Vater schon lange zwischen Schottland und Irland irgendwo auf dem Meeresgrund schlief, und das dann selbst jahrelang im Dunkel von Mutter Krautschens Kleiderschrank verstaubte – heute kam es zu Ehren, beschwor den Schatten des »Seligen« wieder in den kleinen Kreis der Seinigen, spann mit seinen Klängen feine, weiche Fäden von Herz zu Herz und machte, daß Mutter Krautsch, nachdem Fritz Kleesand sich spät verabschiedet hatte, mit einem Ton, in dem etwas von Liebe klang, zu Anton und Lene sagte: »n Windhund is er doch. Aber man mag ihn doch woll leiden. Nur das eine Stück, weißt du, Anton, »Lang, lang ists her«, das konnt dein Vater doch noch viel besser. Der hatt da noch son eigenen Zug bei, so zu Herzen gehend. Ach, war da n Musik in.«

*

Lene hoffte von Tag zu Tag, Fritz würde mal wieder kommen und sie zum Tanz einladen, und Mutter Krautsch dann sicher nicht nein sagen. Und Mutter Krautsch hatte schon überlegt, ob sie in diesem Fall nicht mal ja sagen sollte. »Am Ende ist er doch nicht ganz so schlimm.« Aber sie hatte auch bald gemerkt, daß Lene Lerch Feuer gefangen hatte, und das machte ihr die Sache wieder bedenklich. »Nachher geht er wieder in See, und wer weiß, ob er wieder kommt. Und dann, die Welt ist schlecht, und junge Mächens, das weiß man woll.«

Aber sie machten sich beide unnötige Gedanken, Fritz Kleesand kam nicht wieder, um zum Tanz einzuladen. Er kam nur, um Adieu zu sagen. Er möcht nicht länger so rum liegen. Das würde ihm zu langweilig. Die »Alaska« wäre noch lange nicht fertig, Käpt'n Krützfeld hätt die Gicht und wolle eine Reise zu Hause bleiben. Käpt'n Ahlers ginge mit der »Alaska« 'raus. Und das passe ihm nicht. Er hätte auch schon viel was besseres. Er hätte auf der »schwarzen Grete«, dem neuen Dreimaster von Blöcker Söhne angeheuert. Die ginge in drei Tagen nach Kalkutta.

Na, da war ja nichts dran zu ändern. Sie wünschten gute Reise, und Lene ging in die dunkle Ecke zwischen ihrem Bett und der Garderobe mit den geblümten Kattungardinen, worin ihr bißchen Kleiderstaat hing, und weinte.

»Adschüs, Fräulein,« hatte er ganz vergnügt gesagt, und war mit Lachen gegangen und hatte Sonne, Mond und alle Sterne unter seiner neuen blauen Bluse mitgenommen. Ganz dunkel war es um Lene in der kleinen Ecke zwischen Bett und geblümtem Kattun. Und aus dem Dunkel klang ihr unterdrücktes Weinen, abgerissen, klagend, wie das leise dumpfe Gurren einer kranken Taube.

Mutter Krautsch bemerkte wohl die verweinten Augen, sagte aber nichts. »Man gut, daß sie nich mit ihm zu Tanz gewesen ist, das gibt sich alles,« dachte sie. Aber sie machte sich von jetzt ab andere Gedanken über Lene, als bisher. Sie dachte über ihre Pflichten nach, die sie dem Mädchen gegenüber doch eigentlich übernommen hatte. Als neunjährige Cholerawaise war Lene zu ihr ins Haus gekommen. Krautsch war gleich damit einverstanden gewesen. Lenens Vater hatte eine Zeitlang bei ihm als Koch gefahren. Er war zwar nicht sehr zufrieden mit ihm gewesen, und der Mann hatte es dann auch nachher am Lande nicht recht zu was bringen können. Aber so ein Sterben, gleich beide Eltern auf einmal, das löscht viel aus und macht das Herz weich und zu jeder Liebe willig.

Und Lene hatte es gut bei den Pflegeeltern. Ja, Mutter Krautsch hatte sich nichts vorzuwerfen. Zu Fleiß und Ordnung und Ehrlichkeit hatte sie sie erzogen, hatte sie immer bei der Arbeit gehalten, damit sie nicht auf dumme Dinge verfiele. Aber nun war der »Windhund« gekommen und hatte gemeint: »Ne junge Deern muß auch mal tanzen.« Ach Gott, ihr Anton war ja so ganz anders, der hatte ja keinen Sinn für so etwas, und ihr Mann war auch immer so n Stilln und Häuslichen gewesen. Da war es immer so seinen ebenen Gang gegangen. Und Lene hatte ja auch nie geklagt. Sie hätte ja auch man mal was sagen können. »Aber das Mädchen hat n guten Charakter, alles was recht is. Und dann mag man nich viel sagen. Mein Gott, wenn man keine Eltern hat und is bei fremden Leuten, so etwas drückt auf das Gemüt, wenn mans auch noch so gut hat. So is das doch nich, wie bei der rechten Mutter. Das is ja nu man eben so viel, Mutter bleibt Mutter.«

So brachte Mutter Krautsch sich immer tiefer in eine schöne Rührung hinein. Und als Lene abends schweigsamer und müder als sonst an ihrem Strumpf strickte, und Anton gerade draußen seine zweite Pfeife qualmte, sagte sie mit einmal: »Lene, gib mich mal die Hand,« und hielt die kleine, verarbeitete Hand des Mädchens warm und fest in ihrer großen weichen Rechten. »Du büst ümmer n gutes Kind gewesen, meine Lene. Ich meine es gut mit dich. Du mußt ümmer Vertrauen zu mich haben, wie zu dein Mutter.«

Da fiel Lene Lerch ihr um den Hals.

»Mutter,« schluchzte sie in einem Ton, den Mutter Krautsch nie von ihr gehört hatte, und barg ihr nasses Gesicht an deren breiter Brust.

Als Anton hereinkam, sah er verwundert vier verweinte Augen.

»Bleib man noch n büschen draußen, hörst du?« sagte Mutter Krautsch. »Ich hab allerlei mit Lene zu sprechen.«

»Was haben denn die!« dachte Anton. Er meinte, Lene habe mehr glücklich als traurig ausgesehen.


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