F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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V

Nachdem ich über vier Stunden in dem Restaurant gesessen hatte, lief ich plötzlich, als ob ich einen Anfall bekommen hätte, hinaus, selbstverständlich wieder zu Wersilow, und traf ihn selbstverständlich wieder nicht zu Hause an; er war überhaupt nicht zurückgekommen. Die Kinderfrau langweilte sich und bat mich, ihr Darja Onissimowna zu schicken; oh, danach war mir auch gerade zumute! Ich sprach auch bei Mama vor, ging aber nicht in die Wohnung hinein, sondern rief Lukerja auf den Flur hinaus; von ihr erfuhr ich, daß er nicht dagewesen war und daß auch Lisa nicht zu Hause war. Ich sah, daß Lukerja mich ebenfalls gern nach etwas gefragt und mir vielleicht ebenfalls gern einen Auftrag gegeben hätte; aber danach war mir auch gerade zumute! Es blieb eine letzte Hoffnung: er konnte inzwischen zu mir gegangen sein; aber ich glaubte nicht mehr daran.

Ich habe schon oben angemerkt, daß ich beinahe den Gebrauch meines Denkvermögens eingebüßt hatte. Und siehe da, in meinem Zimmer fand ich zu meiner Überraschung Alfonsinka und meinen Wirt. Allerdings waren sie schon im Begriff hinauszugehen, und Pjotr Ippolitowitsch hatte eine Kerze in der Hand.

»Was soll das heißen!« schrie ich, fast von Sinnen vor Wut, meinen Wirt an. »Wie können Sie sich erdreisten, diese Spitzbübin in mein Zimmer zu führen?«

»Tiens!« rief Alfonsinka, »et les amis?«

»Hinaus!« brüllte ich.

»Mais c'est un ours!« sagte sie, flatterte, sich erschrocken stellend, auf den Korridor hinaus und verschwand sofort im Zimmer der Wirtin. Pjotr Ippolitowitsch, der immer noch die Kerze in der Hand hielt, trat mit strenger Miene auf mich zu:

»Gestatten Sie mir die Bemerkung, Arkadij Makarowitsch, Sie sind gar zu hitzig geworden; wie sehr wir Sie auch schätzen, aber Mamsell Alfonsina ist keine Spitzbübin; sie ist vielmehr ganz im Gegenteil hier zu Besuch, und zwar nicht bei Ihnen, sondern bei meiner Frau, mit der sie schon seit einiger Zeit bekannt ist.«

»Aber wie können Sie sich erdreisten, sie in mein Zimmer zu führen?« fragte ich noch einmal und faßte mich an den Kopf, der auf einmal angefangen hatte, mir furchtbar weh zu tun.

»Das ist ganz zufällig gekommen. Ich kam herein, um das Luftfenster zu schließen, das ich der frischen Luft wegen geöffnet hatte, und da ich mit Alfonsina Karlowna ein vorher begonnenes Gespräch fortsetzte, so kam sie während des Gesprächs mit in Ihr Zimmer herein, nur um mich zu begleiten.«

»Das ist nicht wahr, Alfonsinka ist ein Spion, Lambert ist ein Spion! Vielleicht sind Sie selbst ebenfalls ein Spion! Und Alfonsinka ist hergekommen, um bei mir etwas zu stehlen.«

»Denken Sie; was Sie wollen! Heute geruhen Sie so zu sprechen und morgen anders. Aber ich habe meine Wohnung für einige Zeit vermietet und bin selbst mit meiner Frau in die Kammer gezogen, so daß Alfonsina Karlowna hier beinahe dasselbe Recht als Mieterin hat wie Sie.«

»Sie haben die Wohnung an Lambert vermietet?« rief ich erschrocken.

»Nein, nicht an Lambert«, erwiderte er mit demselben breiten Lächeln, das ich am Vormittag bei ihm gesehen hatte, das aber statt der Unsicherheit jetzt eine gewisse Festigkeit verriet, »ich nehme an, daß Sie selbst wissen, an wen, und nur zweckloserweise so tun, als ob Sie es nicht wüßten, lediglich um des guten Scheins willen, und daß Sie sich aus diesem Grund auch so zornig stellen. Gute Nacht!«

»Ja, ja, gehen Sie nur, lassen Sie mich in Ruhe!« rief ich mit heftig abwehrenden Handbewegungen und beinahe weinend, so daß er mich auf einmal erstaunt ansah; jedoch ging er hinaus. Ich legte den Haken vor die Tür und warf mich auf mein Bett, mit dem Gesicht auf das Kissen. Das war für mich der Verlauf dieses ersten schrecklichen Tages von den drei verhängnisvollen letzten Tagen, mit denen meine Aufzeichnungen schließen.


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