F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV

Ich kann gar nicht beschreiben, wie sich mein Herz zusammenkrampfte, als ich wieder allein war: gerade als hätte ich mir bei lebendigem Leibe ein Stück von meinem eigenen Fleisch herausgeschnitten! Warum ich auf einmal so wütend geworden war und warum ich ihn so beleidigt hatte, so gewaltsam und so absichtlich, das könnte ich jetzt nicht sagen und damals natürlich ebenfalls nicht. Und wie blaß er geworden war! Und wie hing es zusammen? Dieses Erblassen war vielleicht der Ausdruck des aufrichtigsten, reinsten Gefühls, des tiefsten Kummers und nicht des Zornes und der Kränkung. Es hat mir immer geschienen, daß es Augenblicke gab, in denen er mich sehr liebte. Warum, warum soll ich jetzt nicht daran glauben, zumal schon so vieles seine vollständige Aufklärung gefunden hat?

Aber ich war auf einmal wütend geworden und hatte ihn tatsächlich hinausgewiesen, vielleicht infolge des mir plötzlich aufgestiegenen Verdachts, er sei zu mir gekommen, weil er gehofft habe, zu erfahren, ob sich nicht noch andere von Andronikow hinterlassene Briefe in Marja Iwanownas Händen befänden. Daß er diese Briefe suchen mußte und sie suchte, das wußte ich. Aber wer weiß, vielleicht irrte ich mich damals gerade in jenem Augenblick gewaltig! Und wer weiß, vielleicht habe ich selbst durch eben diesen Irrtum ihn in der Folge erst auf den Gedanken gebracht, daß Marja Iwanowna möglicherweise Briefe in ihrem Gewahrsam habe.

Und schließlich noch ein sonderbarer Umstand: wieder hatte er Wort für Wort meinen Gedanken (hinsichtlich des Lebens von dreifacher Länge) wiederholt, den ich kurz vorher Krafft gegenüber ausgesprochen hatte, und, was die Hauptsache war, mit meinen eigenen Worten. Die Übereinstimmung der Worte war ja zwar wieder nur ein Zufall, aber dennoch: wie gut kannte er das innerste Wesen meiner Natur, was besaß er für einen scharfen Blick, was für ein Ahnungsvermögen! Aber wenn er das eine so gut verstand, warum verstand er dann das andere so gar nicht? Und hatte er wirklich nicht geschauspielert, sondern war er tatsächlich unfähig, zu begreifen, daß ich nicht nach dem Wersilowschen Adel trachtete, daß das, was ich ihm nicht verzeihen konnte, nicht meine Geburt war, sondern daß es mich mein ganzes Leben lang nach Wersilow selbst verlangt hatte, nach dem ganzen Menschen, dem Vater, und daß dieser Gedanke schon in mein Blut übergegangen war? Konnte ein so feinfühliger Mensch wirklich so stumpf und verständnislos sein? Wenn das aber nicht zutraf, warum brachte er mich dann in Wut, warum verstellte er sich?


 << zurück weiter >>