F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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V

Ich will nur sagen, daß ich niemals habe in Erfahrung bringen oder in befriedigender Weise kombinieren können, wie eigentlich das Verhältnis zwischen ihm und meiner Mutter begonnen hat. Ich bin durchaus bereit zu glauben, was er mir im vorigen Jahr versichert hat, und zwar unter starkem Erröten, obwohl er über alle diese Dinge mit der ungezwungenen Miene des »geistig hochstehenden« Mannes sprach: daß eine Liebschaft überhaupt nicht stattgefunden habe und alles sich so gemacht habe. Ich glaube durchaus, daß es sich so gemacht hat, und der russische Ausdruck »so« ist ein allerliebster Ausdruck, aber dennoch hätte ich immer gern gewußt, aus welchen Anfängen sich dieses Verhältnis der beiden hat herausbilden können. Ich selbst habe alle diese Gemeinheiten bisher gehaßt und werde sie lebenslänglich hassen. Das Motiv meiner Wißbegierde ist in der Tat durchaus nicht etwa schamlose Neugier. Ich bemerke noch, daß ich meine Mutter bis zum vorigen Jahr fast gar nicht gekannt habe; ich wurde zu Wersilows größerer Bequemlichkeit, wovon ich übrigens später noch sprechen werde, schon in meiner frühen Kindheit zu fremden Leuten gegeben, und daher kann ich mir gar keine Vorstellung machen, wie sie damals ausgesehen haben mag. Wenn sie nun gar nicht so besonders schön gewesen ist, wodurch konnte sich dann ein solcher Mensch, wie es Wersilow damals war, zu ihr hingezogen fühlen? Diese Frage ist für mich insofern von Wichtigkeit, als sich dieser Mensch dabei von einer sehr interessanten Seite präsentiert. Deswegen also werfe ich die Frage auf, und nicht aus moralischer Verderbtheit. Er selbst, dieser finstere, verschlossene Mensch, sagte mir einmal mit jener liebenswürdigen Treuherzigkeit, die er, sobald er es für nötig hielt, Gott weiß woher nahm (es war, als zöge er sie aus der Tasche), er selbst hat mir gesagt, er sei damals noch ein »sehr dummer junger Hund« gewesen, und zwar nicht eigentlich mit sentimentalem Einschlag, sondern einfach so; er hätte damals eben erst »Anton Goremyka« und »Polinka Sachs« gelesen, zwei Literaturprodukte, die auf die damals heranwachsende Generation eine außerordentlich erzieherische Wirkung ausgeübt hätten. Er fügte hinzu, er sei vielleicht gerade infolge der Lektüre des »Antton Goremyka« damals auf sein Gut gefahren, und sagte das in vollem Ernst. In welcher Art mochte dieser »dumme junge Hund« mit meiner Mutter angeknüpft haben? Ich habe mir soeben lebhaft vorgestellt, daß, wenn ich auch nur einen einzigen Leser haben sollte, dieser gewiß über mich lacht als über einen ganz komischen jungen Menschen, der sich seine dumme Unschuld bewahrt hat und sich auf Reflexionen und Urteile über Dinge einläßt, von denen er nichts versteht. Ja, ich verstehe in der Tat noch nichts davon, bekenne das aber ganz und gar nicht mit einem Gefühl des Stolzes, da ich weiß, wie dumm sich eine solche Unerfahrenheit bei einem zwanzigjährigen Schlaps ausnimmt. Nur möchte ich diesem Leser sagen, daß er selbst nichts versteht und ich ihm das beweisen kann. Allerdings weiß ich nichts von den Weibern und will auch nichts von ihnen wissen, weil ich zeit meines Lebens auf sie pfeifen werde und mir das fest vorgenommen habe. Aber ich weiß doch sicher, daß manche Frau den Mann durch ihre Schönheit oder durch sonst etwas in einem Augenblick bezaubert, während man eine andere ein halbes Jahr lang studieren muß, ehe man erkennt, was an ihr ist, und daß, um eine solche Frau zu durchschauen und liebzugewinnen, es nicht ausreicht, sehen zu können und einfach zu allem bereit zu sein, sondern man außerdem auch noch einer besonderen Begabung bedarf. Davon bin ich überzeugt, obwohl ich nichts weiß, und wenn das Gegenteil der Fall wäre, so müßte man alle Frauen mit einemmal auf die Stufe gewöhnlicher Haustiere hinabdrücken und sie nur in dieser Stellung bei sich halten; vielleicht würden das viele sehr gern tun.

Ich weiß durch Mitteilungen von verschiedenen Seiten her positiv, daß meine Mutter keine Schönheit war, obgleich ich ein damals angefertigtes Porträt von ihr, das irgendwo existiert, nicht gesehen habe. Sich auf den ersten Blick in sie zu verlieben, war also nicht möglich. Zum Zweck eines bloßen Amüsements könnte sich Wersilow eine andere aussuchen, und eine solche war da, noch dazu eine unverheiratete, nämlich das Stubenmädchen Antissa Konstantinowna Saposhkowa. Ein Mensch aber, der mit dem Anton Goremyka im Kopf auf sein Gut kam und der dann auf Grund seines Rechts als Gutsherr die Heiligkeit der Ehe von auch nur einem einzigen Leibeigenen verletzte, der hätte sich doch stark vor sich selbst schämen müssen, denn ich wiederhole es: von diesem Anton Goremyka hat er noch vor einigen Monaten, also zwanzig Jahre nach jenen Ereignissen, in durchaus ernstem Ton gesprochen. Und diesem Anton wurde ja nur ein Pferd weggenommen, hier aber die Ehefrau! Es muß also etwas Besonderes stattgefunden haben, weswegen denn auch Mademoiselle Saposhkowa das Spiel verlor (meiner Ansicht nach war es für sie ein Gewinn). Ich habe ihm im vorigen Jahr mit all diesen Fragen ein paarmal zugesetzt, sobald es möglich war, mit ihm ein Gespräch zu führen (denn das war nicht immer möglich), und habe bemerkt, daß er trotz seiner weltmännischen Haltung und obwohl er zwanzig Jahre älter ist als ich, doch Ausflüchte machte. Aber ich ließ nicht locker, und wenigstens murmelte er einmal mit jener Miene vornehmer Geringschätzung, die er sich oft mir gegenüber . erlaubte, einen sonderbaren Gedanken vor sich hin: meine Mutter sei eine jener Schutzlosen gewesen, die man nicht eigentlich liebgewinne – im Gegenteil, durchaus nicht –, sondern gewissermaßen bedaure; ob wegen ihrer Demut oder weshalb sonst, das wisse nie jemand; aber dieses Bedauern halte länger an, und man fühle sich dadurch gebunden ... »Mit einem Wort, mein Lieber, die Sache gestaltet sich manchmal so, daß man nicht wieder loskommt.« Das hat er zu mir gesagt, und wenn es tatsächlich so zugegangen ist, so kann ich nicht glauben, daß er damals ein so dummer junger Hund gewesen ist, wie er zu jener Zeit gewesen zu sein angibt. Das mußte ich doch aussprechen.

Übrigens versicherte er mir bei demselben Gespräch, meine Mutter habe ihn aus »Unterwürfigkeit« geliebt: es fehlte nur noch, daß er behauptete, sie habe es gemäß ihrer Pflicht als Leibeigene getan! Er hat gelogen, um der Sache ein schönes Mäntelchen umzuhängen, gelogen gegen sein Gewissen und gegen Ehre und Anstand!

Alles dies habe ich natürlich zum Lob meiner Mutter gesagt, jedoch habe ich bereits erklärt, daß ich von ihrem damaligen Wesen gar keine Kenntnis habe. Wohl aber kenne ich die in ihrer Umgebung herrschenden strengen Anschauungen, in denen sie von klein auf heranwuchs und dann ihr ganzes Leben über verharrte. Und trotzdem geschah das Unglück. Bei dieser Gelegenheit muß ich mich korrigieren: ich bin in die Wolken hinauf geflogen und habe vergessen, eine Tatsache zu berichten, die ich vielmehr hätte ganz an die Spitze stellen sollen: nämlich die Sache begann bei ihnen geradeswegs mit dem Unglück. (Ich hoffe, der Leser wird sich nicht so anstellen, als verstände er nicht sogleich, wovon ich rede.) Kurz, es begann bei ihnen ganz in gutsherrlicher Manier, obwohl Mademoiselle Saposhkowa übergangen war. Aber hier will ich mich verteidigen und von vornherein bemerken, daß ich mir ganz und gar nicht widerspreche. Denn wovon in aller Welt konnte damals ein solcher Mensch wie Wersilow mit einer solchen Person wie meiner Mutter reden, sogar im Fall unbändiger Liebe? Liederliche Menschen haben mir gesagt, daß der Mann, wenn er mit einer Frau zusammenkommt, sehr oft völlig stillschweigend beginnt, was natürlich der Gipfel der Ungeheuerlichkeit und Ekelhaftigkeit ist; dennoch hätte Wersilow, auch wenn er es gewollt hätte, mit meiner Mutter wohl nicht anders anfangen können. Konnte er etwa damit beginnen, ihr Polinka Sachs zu erklären? Und überdies wird der Sinn der beiden wohl gar nicht auf die russische Literatur gerichtet gewesen sein; vielmehr haben sie nach seiner eigenen Mitteilung (er redete einmal etwas offener) sich in den Winkeln versteckt, einander auf den Treppen erwartet und sind wie Bälle mit roten Gesichtern auseinandergefahren, wenn jemand vorbeikam, und der »despotische Gutsbesitzer« hat vor der niedrigsten Scheuermagd gezittert, trotz all seiner Rechte den Leibeigenen gegenüber. Aber wenn das Verhältnis auch in der bei Gutsherren üblichen Art begonnen hatte, so gestaltete es sich doch nachher ganz anders, und es läßt sich dafür im Grunde keine Erklärung geben. Die Sache erscheint einem sogar immer dunkler. Schon allein die zeitliche Ausdehnung, die die Liebe der beiden gewonnen hat, bildet ein Rätsel, denn die erste Voraussetzung bei solchen Menschen wie Wersilow ist doch die, daß sie das betreffende Weib sofort wieder verlassen können, sobald das Ziel erreicht ist. Aber hier kam es anders. Mit einer hübschen, leichtfertigen Gutsmagd zu sündigen (aber meine Mutter war nicht leichtfertig), das war für einen liederlichen »jungen Hund« (und sie waren alle liederlich, alle ohne Ausnahme, sowohl die Fortschrittler als auch die Reaktionäre) nicht nur etwas Erlaubtes, sondern geradezu ein Ding der Notwendigkeit, besonders in Anbetracht seiner romantischen Stellung als junger Witwer und seines müßiggängerischen Lebens. Aber sich für das ganze Leben zu verlieben, das war denn doch ein starkes Stück. Daß er sie wirklich so lange geliebt hat, dafür kann ich mich nicht verbürgen, aber daß er sie sein ganzes Leben lang mit sich herumschleppte, ist sicher.

Ich habe zwar nach vielem gefragt, aber ich muß bemerken, daß ich eine Frage, die wichtigste, nicht gewagt habe, meiner Mutter geradezu vorzulegen, obwohl ich ihr im vorigen Jahre so nahe gekommen bin und überdies als plumper, undankbarer junger Hund, in der Meinung, meine Eltern hätten mir gegenüber eine Schuld auf sich geladen, mit ihr nicht die geringsten Umstände machte. Die Frage war folgende: wie hatte sie, die schon ein halbes Jahr lang verheiratet war und noch ganz, gleich einer kraftlosen Fliege, im Banne der Vorstellungen von der Heiligkeit der Ehe stand, sie, die ihren Makar Iwanowitsch wie einen Gott verehrte, wie hatte sie in ganzen vierzehn Tagen sich bis zu einer solchen Sünde verlieren können? Meine Mutter war ja doch kein liederliches Frauenzimmer! Vielmehr will ich jetzt gleich vorausschicken, daß man sich eine reinere Seele, als sie auch nachher lebenslänglich gewesen ist, nur schwer vorstellen kann. Erklären kann man sich ihr Verhalten vielleicht damit, daß sie ohne Besinnung gehandelt hat, das heißt, nicht in dem Sinne, wie es heutzutage die Advokaten von ihren Mördern und Dieben behaupten, sondern unter der Einwirkung jenes starken Gefühls, das bei einer gewissen Herzenseinfalt des Opfers in verhängnisvoller, tragischer Weise zur Herrschaft gelangt. Wie kann man es wissen; vielleicht hat sie sich sterblich verliebt in... die Fasson seines Rockes, in seinen Pariser Scheitel, in seine französische Aussprache, obwohl sie von dieser Sprache keine Silbe verstand, in eine Romanze, die er zum Klavier sang, in irgend etwas, was sie noch nie gesehen und gehört hatte (und er hatte ein sehr schönes Äußeres), und sich dann gleichzeitig bis zur Bewußtlosigkeit in den ganzen Menschen verliebt mitsamt der Rockfasson und den Romanzen. Ich habe mir sagen lassen, daß das mit den Gutsmädchen zur Zeit der Leibeigenschaft manchmal vorgekommen ist, und gerade mit den anständigsten. Ich habe dafür Verständnis, und ein Schuft ist, wer das einzig aus der Leibeigenschaft und der »Unterwürfigkeit« erklären will! Also ist es doch möglich, daß dieser junge Mensch genug Verführerisches an sich hatte, um ein bis dahin so reines Wesen, und vor allen Dingen ein Wesen, das so ganz anders geartet war als er und aus einer ganz anderen Welt, einem ganz anderen Boden stammte, zu bezaubern und ins offene Verderben zu reißen. Denn daß sie ins Verderben gerissen war, das hat meine Mutter, wie ich hoffe, ihr lebelang eingesehen; nur als sie jenen Schritt tat, wird sie gar nicht an das Verderben gedacht haben; aber so geht es immer mit diesen »Schutzlosen«: sie wissen, daß es ihr Verderben ist, und springen doch hinein.

Nachdem die beiden ihre Sünde begangen hatten, beichteten sie sie sogleich. Er hat mir in geistvoller Art erzählt, daß er an der Schulter von Makar Iwanowitsch, den er eigens aus diesem Anlaß zu sich auf sein Zimmer habe kommen lassen, geschluchzt habe, und sie – sie lag in diesem Augenblick halb bewußtlos in ihrer ärmlichen Kammer...


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