F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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II

Er hatte einen so widerwärtigen, verwirrenden Eindruck auf mich gemacht, daß ich beim Hinaustreten auf die Straße mir sogar Mühe gab, nicht weiter daran zu denken, und nur ausspuckte. Von dem Gedanken, daß der Fürst mit ihm über mich und dieses Geld hatte sprechen können, fühlte ich einen Stich wie von einer Nadel. ›Ich werde gewinnen und ihm alles gleich heute zurückgeben‹, nahm ich mir mit aller Bestimmtheit vor.

Mochte Stebelkow auch noch so dumm und im Reden ungeschickt sein, so hatte ich doch in ihm den reinen Schurken in seinem ganzen Glanz erkannt und sagte mir vor allen Dingen, daß hier unbedingt eine Intrige dahintersteckte. Nur hatte ich damals keine Zeit, mich mit der Aufdeckung von Intrigen abzugeben, und dies war der Hauptgrund meiner damaligen Hühnerblindheit! Ich sah unruhig nach der Uhr, aber es war noch nicht zwei, also konnte ich noch einen Besuch machen, sonst wäre ich auch bis drei Uhr vor Aufregung umgekommen. Ich fuhr zu Anna Andrejewna Wersilowa, meiner Schwester. Ich war mit ihr schon längst bei meinem alten Fürsten näher bekannt geworden, und zwar gerade während seiner Krankheit. Bei dem Gedanken, daß ich nun schon drei oder vier Tage lang nicht bei ihm gewesen war, fühlte ich arge Gewissensbisse; aber gerade Anna Andrejewna hatte mich vertreten; der Fürst hatte eine ganz außerordentliche Zuneigung zu ihr gefaßt und nannte sie sogar im Gespräch mit mir seinen Schutzengel. Beiläufig: der Gedanke, sie mit dem Fürsten Sergej Petrowitsch zu verheiraten, war tatsächlich im Kopf meines lieben Alten entsprungen, und er hatte ihn sogar wiederholt mir gegenüber ausgesprochen, natürlich unter dem Siegel des Geheimnisses. Ich hatte von diesem Gedanken Wersilow Mitteilung gemacht, denn ich hatte schon früher bemerkt, daß er zwar gegenüber allen übrigen Tagesereignissen sehr gleichgültig war, aber immer ein besonderes Interesse bekundete, wenn ich ihm etwas über meine Begegnungen mit Anna Andrejewna mitteilte. Wersilow hatte mir gegenüber damals gemurmelt, Anna Andrejewna sei sehr klug und könne in einer so delikaten Sache auch ohne fremde Ratschläge zurechtkommen. Selbstverständlich hatte Stebelkow recht, wenn er meinte, der Alte werde ihr eine Mitgift geben, aber wie durfte er wagen, darauf Spekulationen zu bauen? Vor ein paar Stunden hatte der Fürst ihm nachgerufen, daß er vor ihm gar keine Furcht habe: ob Stebelkow wirklich im Nebenzimmer mit ihm über Anna Andrejewna gesprochen hatte? Ich kann mir vorstellen, wie wütend ich darüber an seiner Stelle gewesen wäre.

Anna Andrejewna hatte ich in der letzten Zeit sogar ziemlich häufig besucht. Aber dabei hatte sich immer etwas Sonderbares ereignet: sie bestimmte immer selbst, daß ich kommen sollte, und erwartete mich also mit Sicherheit, aber wenn ich eintrat, tat sie jedesmal so, als käme ich ganz unerwartet und zufällig; dieser eigentümliche Zug war mir aufgefallen, aber ich war ihr doch sehr zugetan. Sie wohnte bei ihrer Großmutter, Frau Fanariotowa, natürlich als deren Pflegetochter (Wersilow bezahlte nichts für ihren Unterhalt), aber sie spielte dort durchaus nicht die Rolle, in welcher sonst gewöhnlich die Pflegetöchter in den Häusern vornehmer Damen geschildert werden, wie zum Beispiel in Puschkins »Pique-Dame« die Pflegetochter der alten Gräfin. Anna Andrejewna lebte vielmehr selbst in der Art jener Gräfin. Sie wohnte in diesem Haus vollständig für sich, das heißt, zwar in derselben Etage und in derselben Wohnung mit der Familie Fanariotow, aber in zwei gesonderten Zimmern, so daß ich zum Beispiel, wenn ich kam oder ging, nie jemandem von der Fanariotowschen Familie begegnete. Sie durfte bei sich empfangen, wen sie wollte, und über ihre ganze Zeit verfügen, wie es ihr beliebte. Allerdings war sie auch schon dreiundzwanzig Jahre alt. In Gesellschaft war sie im letzten Jahre fast überhaupt nicht mehr gegangen, obgleich Frau Fanariotowa mit Ausgaben für ihre Enkelin nicht geizte, für die sie, wie ich hörte, eine herzliche Liebe empfand. Mir aber gefiel es von Anna Andrejewna gerade ganz besonders, daß ich sie immer in so bescheidener Kleidung und immer bei irgendeiner Beschäftigung antraf, sei es mit einem Buch oder mit einer Handarbeit. In ihrer äußeren Erscheinung lag beinahe etwas Klösterliches, Nonnenhaftes, und das gefiel mir. Sie war nicht gesprächig, redete aber immer mit Bedacht und verstand sehr gut zuzuhören, was ich nie verstanden habe. Wenn ich ihr manchmal sagte, sie erinnere mich außerordentlich an Wersilow, obwohl sie eigentlich gar keinen Zug mit ihm gemeinsam habe, so errötete sie immer ein bißchen. Sie errötete oft und immer schnell, aber immer nur ein bißchen, und in diese Eigentümlichkeit ihres Gesichts hatte ich mich ordentlich verliebt. Im Gespräch mit ihr nannte ich Wersilow nie mit dem Familiennamen, sondern immer Andrej Petrowitsch, und das hatte sich ganz von selbst so ergeben. Ich hatte sogar recht wohl gemerkt, daß man in der Fanariotowschen Familie sich Wersilows irgendwie schämte; übrigens hatte ich diese Beobachtung nur an Anna Andrejewna gemacht, weiß aber wieder nicht recht, ob man dabei den Ausdruck »sich schämen« gebrauchen kann; jedenfalls war es so etwas Ähnliches. Ich fing manchmal auch von dem Fürsten Sergej Petrowitsch mit ihr zu reden an, und sie hörte sehr aufmerksam zu und interessierte sich, wie mir schien, für diese Nachrichten, aber eigentümlicherweise ging es dabei immer so zu, daß ich sie ihr von selbst mitteilte, sie aber nie danach fragte. Über die Möglichkeit einer Heirat zwischen ihnen beiden hatte ich nie mit ihr zu reden gewagt, obwohl ich es oft gern getan hätte, da dieses Projekt mir selbst in gewisser Hinsicht sehr zusagte. Aber sobald ich ihr Zimmer betrat, verlor ich den Mut, über viele Dinge zu sprechen, und doch fühlte ich mich in ihrem Zimmer sehr wohl. Es gefiel mir an ihr auch sehr, daß sie eine gute Bildung besaß und viel las, sogar sehr gescheite Bücher; sie hatte viel mehr gelesen als ich.

Das erstemal hatte sie selbst mich aufgefordert, sie zu besuchen. Ich begriff auch damals schon, daß sie vielleicht darauf rechnete, manchmal dies und das von mir herauszubekommen. Oh; damals verstanden sich viele darauf, sehr vieles von mir herauszubekommen! ›Aber was tut das?‹ dachte ich. ›Sie empfängt mich ja nicht allein deshalb.‹ Kurz, ich freute mich sogar darüber, daß ich ihr nützlich sein konnte, und ... und wenn ich bei ihr saß, hatte ich immer im stillen die Empfindung, daß da meine Schwester neben mir saß, obgleich ich unsere Verwandtschaft bei ihr noch nie erwähnt hatte, weder mit einem Wort noch auch nur mit einer Andeutung, als ob eine solche Verwandtschaft überhaupt nicht existierte. Wenn ich bei ihr saß, erschien es mir geradezu undenkbar, davon zu reden, und wirklich, wenn ich sie so ansah, ging mir manchmal der sinnlose Gedanke durch den Kopf, sie wisse vielleicht von dieser Verwandtschaft überhaupt nichts – so schweigsam benahm sie sich in dieser Hinsicht mir gegenüber.


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