F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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II

Die Glocke tat alle zwei oder drei Sekunden einen festen, kräftigen Schlag, aber dies war kein Sturmläuten, sondern ein angenehmer, schwimmender Ton, und ich merkte auf einmal, daß das ein bekannter Ton war und daß da in der Nikolaikirche geläutet wurde, in der roten Kirche gegenüber von Touchard, einer altertümlichen, mir gut erinnerlichen Moskauer Kirche, die noch unter Alexej Michailowitsch gebaut und mit allerlei Ornamenten; vielen Kuppeln und Säulen geschmückt ist; auch wurde ich mir bewußt, daß jetzt eben die Osterwoche vorbei war und an den dürftigen Birken im Vorgarten des Touchardschen Hauses schon junge, grüne Blättchen zittern. Die helle Sonne des späten Nachmittags schickt ihre schrägen Strahlen in unser Klassenzimmer, und bei mir, in meinem kleinen, links gelegenen Zimmerchen, wohin mich Touchard schon vor einem Jahr von den »Grafen- und Senatorensöhnen« hinweg verbannt hatte, sitzt eine Besucherin. Ja, bei mir, dem elternlosen Knaben, war auf einmal eine Besucherin erschienen – zum erstenmal, seit ich bei Touchard war. Ich hatte diese Besucherin sofort bei ihrem Eintritt erkannt: es war Mama. Und doch hatte ich sie seit der Zeit, wo sie mich in der Dorfkirche an der Feier des Abendmahls hatte teilnehmen lassen und die Taube durch die Kuppel geflogen war, kein einziges Mal mehr gesehen. Wir saßen beide allein in meinem Zimmerchen, und ich betrachtete sie mit seltsamen Blicken. Später, viele Jahre nachher, erfuhr ich, daß sie damals von Wersilow, der plötzlich ins Ausland gereist war, zurückgelassen und mit ihren eigenen, kümmerlichen Mitteln auf eigene Faust nach Moskau gekommen war, fast ohne Wissen der Familie, deren Obhut man sie damals anvertraut hatte, und das einzig und allein, um mich wiederzusehen. Sonderbar war auch, daß sie, nachdem sie ins Haus gekommen war und mit Touchard gesprochen hatte, mir selbst kein Wort darüber sagte, daß sie meine Mutter sei ... Sie saß neben mir, und wie ich mich erinnere, wunderte ich mich sogar darüber, daß sie so wenig sprach. Sie hatte ein Bündelchen bei sich und band es auf: es kamen sechs Apfelsinen, einige Pfefferkuchen und zwei gewöhnliche Franzbrote zum Vorschein. Ich fühlte mich durch die Franzbrote beleidigt und erklärte mit hochmütiger Miene, die »Beköstigung« sei hier bei uns sehr gut und wir bekämen täglich zum Tee jeder ein ganzes Franzbrot.

»Das tut ja nichts, lieber Junge, ich habe in meiner Einfalt gedacht: »Vielleicht bekommen sie da in der Schule schlecht zu essen«, nimm es nur, Kind!«

»Auch Antonina Wassiljewna« (Touchards Frau) »wird es übelnehmen. Meine Mitschüler werden sich ebenfalls über mich lustig machen ...«

»Du willst sie wohl gar nicht nehmen? Aber vielleicht ißt du sie doch?«

»Na, meinetwegen, lassen Sie sie hier!«

Aber ich rührte die mitgebrachten Eßsachen gar nicht an; die Apfelsinen und Pfefferkuchen lagen vor mir auf einem Tischchen, ich aber saß mit niedergeschlagenen Augen da, machte jedoch eine großartige, würdevolle Miene. Wer weiß, vielleicht wünschte ich auch, es sie merken zu lassen, daß ich mich ihres Besuches vor meinen Mitschülern schämte, ihr wenigstens ein klein bißchen zu verstehen zu geben: »Du blamierst mich und hast nicht einmal Verständnis dafür!« Oh, ich lief schon damals mit der Bürste hinter Touchard her, um ihm die Stäubchen abzubürsten! Ich malte mir auch aus, wieviel Spöttereien ich von den andern Knaben würde zu ertragen haben, sobald sie weggegangen wäre, und vielleicht von Touchard selbst – und nicht das geringste gute Gefühl regte sich in meinem Herzen. Nur mit Seitenblicken betrachtete ich ihr dunkles, recht altes Kleid, ihre ziemlich groben Hände, welche wie die einer Magd aussahen, ihre sehr plumpen Schuhe und das stark abgemagerte Gesicht; ihre Stirn war schon von kleinen Runzeln durchfurcht, und trotzdem sagte Antonina Wassiljewna nachher am Abend nach ihrem Weggehen zu mir: »Ihre Mama ist gewiß einmal sehr hübsch gewesen.«

So saßen wir da, und auf einmal kam Agafja mit einem Tablett herein, auf dem eine Tasse Kaffee stand. Es war die Zeit nach dem Mittagessen, und Herr und Frau Touchard tranken immer um diese Zeit bei sich in ihrem Wohnzimmer Kaffee. Aber Mama dankte und nahm die Tasse nicht: wie ich später erfuhr, trank sie damals überhaupt keinen Kaffee, weil er ihr Herzklopfen verursachte. Die Sache war die, daß die Touchards schon den Besuch meiner Mutter und die ihr erteilte Erlaubnis, mich zu sehen, im stillen offenbar für eine außerordentliche Herablassung von ihrer Seite hielten, so daß sie nun gar die meiner Mutter geschickte Tasse Kaffee sozusagen als eine edle Tat der Humanität betrachteten, eine Tat, die ihren zivilisierten Gefühlen und ihrer westeuropäischen Denkweise die größte Ehre machte. Und nun mußte es gerade passieren, daß Mama den Kaffee ablehnte.

Ich wurde zu Touchard gerufen, und er befahl mir, alle meine Hefte und Bücher zu nehmen und sie meiner Mama zu zeigen: »Damit sie sieht, wieviel Kenntnisse Sie in meinem Institut schon erworben haben.« Antonina Wassiljewna aber verzog den Mund und sagte übelnehmerisch und spöttisch zu mir:

»Ihrer maman scheint unser Kaffee nicht zuzusagen.«

Ich suchte meine Hefte zusammen und trug sie zu Mama hin, die auf mich wartete, vorbei an den »Grafen- und Senatorensöhnen«, die sich im Klassenzimmer zusammendrängten und mich und Mama betrachteten. Mir aber machte es sogar Freude, Touchards Weisung mit buchstäblicher Genauigkeit auszuführen. Ich begann geradezu methodisch meine Hefte aufzuschlagen und zu erklären: »Dies hier sind Aufgaben aus der französischen Grammatik, dies hier Diktate, dies hier ist die Konjugation der Hilfszeitwörter avoir und être; das ist aus der Geographie, eine Beschreibung der Hauptstädte Europas und der andern Erdteile« und so weiter und so weiter. Ich setzte ihr das etwa eine Stunde lang oder länger mit meiner gleichmäßigen Knabenstimme auseinander, wobei ich die Augen sittsam niederschlug. Ich wußte, daß Mama von den Wissenschaften nichts verstand und vielleicht nicht einmal schreiben konnte, aber gerade deswegen gefiel mir meine Rolle so gut. Indes vermochte ich nicht, sie zu ermüden – sie hörte, ohne mich zu unterbrechen, alles mit der größten Aufmerksamkeit und sogar mit einer Art Andacht an, so daß mir selbst schließlich die Sache langweilig wurde und ich aufhörte; ihr Blick war übrigens traurig, und ihr Gesicht trug einen schmerzlichen Ausdruck.

Endlich erhob sie sich, um fortzugehen; auf einmal trat Touchard selbst herein und fragte sie mit dumm-wichtiger Miene, ob sie mit den Fortschritten ihres Sohnes zufrieden sei. Mama murmelte ein paar unzusammenhängende Worte und bedankte sich; auch Antonina Wassiljewna trat herzu. Meine Mutter begann nun beide zu bitten: »Verlassen Sie die arme Waise nicht, er ist ja jetzt so gut wie eine Waise, erweisen Sie ihm Ihr Wohlwollen ...«, und mit Tränen in den Augen verneigte sie sich vor ihnen beiden, vor jedem einzeln, vor jedem mit einer tiefen Verbeugung, so wie sich eben »einfache Leute« verneigen, wenn sie mit irgendeiner Bitte zu vornehmen Herrschaften kommen. Herr und Frau Touchard hatten das nicht erwartet, und Antonina Wassiljewna wurde sichtlich milder gestimmt und änderte natürlich ihre Schlußfolgerung hinsichtlich der Tasse Kaffee. Touchard gab mit betonter Würde die humane Antwort, er mache zwischen den Kindern keinen Unterschied; sie seien hier sämtlich seine Kinder und er ihr Vater, und ich stünde bei ihm fast auf der gleichen Stufe mit den Senatoren- und Grafensöhnen, und man müsse das zu schätzen wissen und so weiter und so weiter. Mama verneigte sich nur, wurde aber verlegen; schließlich wandte sie sich zu mir und sagte, während Tränen in ihren Augen glänzten: »Leb wohl, lieber Junge!«

Sie küßte mich, das heißt, ich gestattete ihr, mich zu küssen. Offenbar hätte sie mich gern immer wieder und wieder geküßt, umarmt und an sich gedrückt, aber ob sie sich nun selbst vor den Leuten genierte oder aus irgendeinem andern Grund traurig war oder merkte, daß ich mich ihrer schämte, genug, sie verbeugte sich noch einmal vor Herrn und Frau Touchard und ging dann eilig zur Tür. Ich blieb auf meinem Platz stehen.

»Mais suivez donc votre mère!« sagte Antonina Wassiljewna. »Il n'a pas de coeur cet enfant!«

Touchard antwortete ihr mit einem Achselzucken, was natürlich bedeutete: »Es hat schon seinen guten Grund, daß ich ihn wie einen Lakaien behandle.«

Ich ging gehorsam hinter Mama her die Treppe hinab; wir traten auf die Außentreppe. Ich wußte, daß jetzt alle uns durch das Fenster beobachteten. Mama wandte sich nach der Kirche hin und bekreuzigte sich dreimal unter tiefen Verbeugungen, ihre Lippen zuckten; der tiefe Ton einer Glocke erscholl klangvoll und in gemessenen Abständen vom Glockenturm. Mama wandte sich zu mir, und nun konnte sie sich nicht mehr bezwingen: sie legte mir ihre beiden Hände auf den Kopf, beugte sich über mich und weinte.

»Mamachen, hören Sie auf ... ich muß mich ja schämen ... sie sehen ja jetzt alle aus dem Fenster nach uns her ...«

Sie fuhr zusammen und sagte eilig:

»Gott der Herr ... Gott der Herr sei mit dir ... die himmlischen Engel mögen dich behüten und die allerheiligste Mutter Gottes und der heilige Nikolai ... Herrgott, Herrgott!« sagte sie mehrmals schnell hintereinander und bekreuzigte mich dabei, bemüht, recht viele und recht große Kreuze über mich zu machen. »Mein Täubchen, mein liebes Kind! Ja, warte mal, Täubchen ...«

Sie steckte hastig die Hand in die Tasche und zog ein Tuch heraus, ein blaukariertes Tuch, in welches an einer Ecke ein Knoten gebunden war; sie machte sich daran, den Knoten zu öffnen, aber er wollte sich nicht öffnen lassen ...

»Nun, es schadet nichts, nimm das ganze Tuch; es ist sauber, du kannst es vielleicht gebrauchen; es sind vier Zwanziger darin, vielleicht hast du einmal Geld nötig. Verzeih mir, Täubchen, mehr habe ich gerade selbst nicht ... verzeih, mein Täubchen!«

Ich nahm das Tuch und wollte schon erwidern, daß von Herrn Touchard und Antonina Wassiljewna sehr gut für uns gesorgt werde und wir nichts weiter brauchten, aber ich unterdrückte diese Antwort und nahm das Tuch an. Noch einmal bekreuzigte sie mich, noch einmal flüsterte sie ein Gebet, und auf einmal – und auf einmal verneigte sie sich auch vor mir, ganz ebenso wie oben in der Wohnung vor den Touchards, mit einer tiefen, langsamen, langen Verbeugung – ich werde das nie vergessen! Ich zuckte ordentlich zusammen und wußte selbst nicht, warum. Was wollte sie mit dieser Verbeugung sagen? Bekannte sie damit ihre Schuld mir gegenüber, wie ich mir das einmal lange nachher zurechtlegte – ich weiß es nicht. Aber damals war es mir um so peinlicher, als ich mir sagte: ›Von dort sehen sie alle zu, und Lambert wird mich am Ende dafür hauen.‹

Endlich ging sie fort. Die Apfelsinen und Pfefferkuchen hatten, noch ehe ich wieder hereinkam, die Senatoren- und Grafensöhne aufgegessen, und die vier Zwanziger nahm mir Lambert sogleich weg; dafür kauften sie sich in einer Konditorei Kuchen und Schokolade und gaben mir nicht einmal etwas davon ab.

Ein halbes Jahr war vergangen, und der Oktober mit seinem Wind und Regen war schon gekommen. An Mama dachte ich gar nicht mehr. Oh, damals war schon der Haß, ein dumpfer Haß gegen alles, in mein Herz gedrungen und hatte es ganz durchtränkt; ich bürstete zwar Touchard wie früher ab, aber ich haßte ihn bereits mit aller Kraft und täglich immer mehr und mehr. Und siehe da, eines Tages in der melancholischen Zeit der Abenddämmerung kramte ich aus irgendeinem Grund in meinem Kommodenkasten herum und erblickte auf einmal in einer Ecke Mamas blaues Batisttuch; es hatte dort, seit ich es hineingeworfen, unbeachtet gelegen. Ich nahm es heraus und besah es mit einer gewissen Neugier; der eine Zipfel des Tüchleins bewahrte noch vollständig die Spuren des früher hineingebundenen Knotens und sogar den deutlich ausgeprägten Abdruck einer Geldmünze; übrigens legte ich das Tuch wieder an seinen Platz und schob den Kasten hinein. Das war am Vorabend eines Sonntags, und die Glocke läutete zum Spätgottesdienst. Die Zöglinge waren schon nach dem Mittagessen nach Hause zu ihren Familien gefahren, aber Lambert blieb diesmal über Sonntag da, weil er – ich weiß nicht warum nicht abgeholt worden war. Er prügelte mich zwar auch damals noch von Zeit zu Zeit wie früher, teilte mir aber schon sehr vieles vertraulich mit und konnte den Umgang mit mir nicht entbehren. Wir redeten den ganzen Abend über von Lepageschen Pistolen, die weder der eine noch der andere von uns jemals gesehen hatte, von Tscherkessensäbeln und den Hieben, die man damit führen könne, und wie schön es sei, eine Räuberbande zu gründen, und zuletzt ging Lambert zu seinem Lieblingsgespräch über, das heißt zu einem gewissen schmutzigen Thema, wobei ich gewöhnlich, obwohl ich mich im stillen wunderte, doch sehr gern zuhörte. Diesmal aber wurde es mir plötzlich unerträglich, und ich sagte ihm, ich hätte Kopfschmerzen. Um zehn Uhr legten wir uns schlafen; ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und holte unter dem Kissen das blaue Tüchlein hervor: ich hatte es aus irgendeinem Grund eine Stunde vorher wieder aus dem Schubkasten geholt und es, sobald unsere Betten aufgedeckt waren, unter das Kissen geschoben. Ich drückte es sogleich an mein Gesicht und begann es plötzlich zu küssen: »Mama, Mama«, flüsterte ich, und bei dieser Erinnerung hatte ich ein Gefühl, als ob mir die Brust in einem Schraubstock zusammengepreßt würde. Ich machte die Augen zu und sah ihr Gesicht mit den zuckenden Lippen vor mir, als sie sich, nach der Kirche hingewandt, bekreuzigte und darin mich bekreuzigte und ich zu ihr sagte: »Ich muß mich ja schämen, sie sehen alle nach uns her.« »Mama, Mamachen, ein einziges Mal im Leben bist du bei mir gewesen ... Mamachen, wo bist du jetzt, nachdem du mich von so weit her besucht hast? Denkst du jetzt an deinen armen Jungen, zu dem du gekommen warst? ... Zeig dich mir wenigstens noch ein einziges kleines Mal, erscheine mir wenigstens im Traum, damit ich dir sagen kann, wie lieb ich dich habe, damit ich dich umarmen und deine blauen Augen küssen und dir sagen kann, daß ich mich deiner jetzt ganz und gar nicht schäme und daß ich dich auch damals liebgehabt habe und daß mir das Herz damals weh tat und ich nur äußerlich wie ein Lakai dasaß. Du wirst es nie erfahren, Mama, wie lieb ich dich damals gehabt habe! Liebes Mamachen, wo bist du jetzt? Hörst du mich? Mama, Mama, denkst du auch wohl noch an die Taube in der Dorfkirche?«

»Hol's der Teufel ... Was hat er nur!« brummt Lambert von seinem Bett her. »Warte, ich zeig dir's! Läßt einen nicht schlafen ...« Er springt schließlich aus dem Bett, läuft zu mir hin und versucht, mir die Bettdecke wegzureißen, aber ich habe sie mir um den Kopf gewickelt und halte sie mit aller Anstrengung fest.

»Du flennst ja, was flennst du denn, du Schafskopf? Da hast du was?« Mit diesen Worten haut er auf mich los, schlägt mich schmerzhaft mit der Faust auf den Rücken, in die Seite, immer schmerzhafter und schmerzhafter, und ... ich mache auf einmal die Augen auf ...

Es ist schon recht hell geworden, die Eisnadeln blitzen in der Kälte auf dem Schnee und an der Mauer ... Ich sitze zusammengekrümmt, kaum noch lebendig, erstarrt in meinem Pelz da, und es steht jemand über mir und weckt mich, indem er laut schimpft und mich mit der Spitze des rechten Fußes schmerzhaft in die Seite stößt. Ich richte mich auf und sehe: es ist ein Mann in einem kostbaren Bärenpelz, mit einer Zobelmütze, mit schwarzen Augen, mit pechschwarzem, stutzerhaftem Backenbart, mit gebogener Nase, mit weißen, mich angrinsenden Zähnen, mit einem weißen und roten Gesicht, das wie eine Maske aussieht ... Er hat sich ganz nahe über mich gebeugt, und bei jedem Atemzug strömt in der Kälte Dampf aus seinem Mund.

»Ganz erstarrt ist er, du besoffenes Vieh, du Schafskopf! Du wirst hier erfrieren wie ein Hund; steh auf! Steh auf!«

»Lambert!« schreie ich.

»Wer bist du denn?«

»Dolgorukij.«

»Zum Teufel, was für ein Dolgorukij?«

»Einfach Dolgorukij! ... Touchard ... Ich bin der, dem du in dem Restaurant die Gabel in die Seite gestoßen hast ...«

»A–a–ah!« ruft er, sich erinnernd; und verzieht das Gesicht zu einem langen Lächeln (hatte er mich denn wirklich vergessen?). »Ah! Also du bist das, du!«

Er hilft mir auf und stellt mich auf die Beine; ich kann kaum stehen, mich kaum bewegen; er führt mich, indem er mich mit seinem Arm stützt. Er sieht mir in die Augen, als dächte er nach und besänne sich und als hörte er mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu; ich aber schwatze, soviel ich nur kann, ununterbrochen, ohne Pause, und ich bin so froh, so froh darüber, daß ich rede, so froh, daß das Lambert ist. Ob er mir nun als mein Retter vorkam oder ob ich nach ihm in diesem Augenblick griff als nach einem Menschen aus einer ganz andern Welt – ich weiß es nicht; ich stellte damals überhaupt keine Überlegungen an, aber ich griff nach ihm, ohne zu überlegen. Was ich damals sagte, habe ich vollständig vergessen, und ich werde auch wohl kaum etwas Vernünftiges, wohl kaum auch nur ein deutliches Wort hervorgebracht haben; aber er hörte aufmerksam zu. Er nahm die erste Droschke, die wir trafen, und wenige Minuten darauf saß ich schon im Warmen, in seinem Zimmer.


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