F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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III

»Ich will euch allen nur erzählen«, begann ich mit der harmlosesten Miene, »wie ein Vater zum erstenmal mit seinem lieben Sohn zusammentraf; das begab sich gerade da, wo du aufgewachsen bist.«

»Mein Freund, wird das nicht ... langweilig sein? Du weißt: tous les genres ...«

»Machen Sie kein finsteres Gesicht, Andrej Petrowitsch; ich beabsichtige ganz und gar nicht das, was Sie glauben. Ich will weiter nichts, als daß alle lachen.«

»Möge Gott deinen Wunsch erhören, mein Lieber! Ich weiß, daß du uns alle liebhast und ... uns unsern Abend nicht wirst verderben wollen«, sagte er halblaut mit gekünstelter Lässigkeit.

»Das haben Sie gewiß auch aus meinem Gesicht erraten, daß ich Sie liebhabe?«

»Ja, zum Teil auch aus deinem Gesicht.«

»Na, und ich habe aus Tatjana Pawlownas Gesicht schon längst erraten, daß sie in mich verliebt ist. Sehen Sie mich nicht so grimmig an, Tatjana Pawlowna, lachen Sie lieber! Lachen Sie lieber!«

Sie drehte sich plötzlich schnell zu mir um und blickte mich etwa eine halbe Minute lang scharf an:

»Nimm dich in acht!« sagte sie und drohte mir mit dem Finger, aber so ernst, daß sich das entschieden nicht auf meinen dummen Scherz beziehen konnte, sondern eine Warnung vor etwas anderem war; als wollte sie sagen: ›Erdreistest du dich, Streit anzufangen?‹

»Andrej Petrowitsch, erinnern Sie sich wirklich nicht, wie ich mit Ihnen zum erstenmal im Leben zusammenkam?«

»Weiß Gott, ich hab's vergessen, mein Freund, und schäme mich herzlich. Ich erinnere mich nur, daß es vor sehr langer Zeit geschah, und es war irgendwo ...«

»Mama, erinnern Sie sich nicht, daß Sie auf dem Gut waren, wo ich, ich glaube bis zu meinem sechsten oder siebenten Jahr, aufwuchs, und die Hauptsache: sind Sie wirklich einmal auf diesem Gut gewesen, oder habe ich das nur geträumt, daß ich Sie dort zum erstenmal gesehen habe? Ich hatte Sie schon längst danach fragen wollen, verschob es aber; jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.«

»Gewiß, Arkaschenjka, gewiß! Ja, ich bin dort bei Warwara Stepanowna dreimal zu Besuch gewesen; das erstemal kam ich, als du erst ein Jährchen alt warst, das zweitemal, als du vier, und das drittemal, als du sechs Jahre alt geworden warst.«

»Na, sehen Sie, danach hatte ich Sie den ganzen Monat fragen wollen.«

Meine Mutter war bei dem plötzlichen Andrang dieser Erinnerungen ganz rot geworden und fragte mich mit warmer Empfindung:

»Hast du mich denn wirklich von meinem Besuch dort noch in Erinnerung, Arkaschenjka?«

»Ich erinnere mich an nichts und weiß nichts: nur ein Eindruck von Ihrem Gesicht ist für das ganze Leben in meinem Herzen haftengeblieben, und außerdem ist mir das Bewußtsein geblieben, daß Sie meine Mutter sind. Ich sehe dieses ganze Gut jetzt wie im Traum und habe sogar meine Kinderfrau vergessen. An diese Warwara Stepanowna entsinne ich mich nur deswegen ein klein wenig, weil sie immer ein Zahnschmerzentuch um die Backe trug. Ich erinnere mich noch an riesige Bäume, die um das Haus herumstanden, ich glaube Linden, ferner an den kräftigen Sonnenschein, der manchmal durch die offenen Fenster hereindrang, an ein Vorgärtchen mit Blumen, an einen kleinen Steig. An Sie, Mama, erinnere ich mich deutlich nur in dem Augenblick, wo mir in der dortigen Kirche einmal das Abendmahl gereicht wurde und Sie mich in die Höhe hoben, damit ich das Sakrament empfing und den Kelch küßte; es war im Sommer, und eine Taube flog quer durch die Kuppel, von einem Fenster zum andern ...«

»Herrgott! So ist das alles wirklich gewesen!« rief meine Mutter und schlug die Hände zusammen. »Und auf das Täubchen besinne ich mich auch noch, wie wenn's heute wäre. Gerade als du mit dem Mund dicht am Kelch warst, fuhrst du zusammen und riefst: ›Eine Taube, eine Taube!‹«

»Ihr Gesicht oder etwas in diesem Gesicht, der Ausdruck desselben, ist mir so fest im Gedächtnis geblieben, daß ich Sie fünf Jahre darauf in Moskau sofort erkannte, obgleich mir damals niemand gesagt hatte, daß Sie meine Mutter seien. Aber als ich mit Andrej Petrowitsch zum erstenmal zusammenkam, wurde ich gerade von Andronikows weggenommen; bei denen hatte ich bis dahin still und vergnügt fünf Jahre verbracht. Auf ihre Dienstwohnung besinne ich mich noch bis in die unbedeutendsten Einzelheiten, und auf alle diese Frauen und Fräulein, die jetzt alle hier so alt geworden sind, und auf das volle Haus und auf Andronikow selbst, wie er alle möglichen Lebensmittel, Geflügel, Zander, Ferkel, selbst aus der Stadt in einer Markttasche herbeitrug, und wie er bei Tisch an Stelle seiner Gattin, die immer sehr vornehm tat, uns die Suppe aufschöpfte und wir, der ganze Tisch, immer darüber lachten und er als erster. Dort unterrichteten mich die Fräulein im Französischen; am meisten aber liebte ich die Krylowschen Fabeln, lernte eine Menge von ihnen auswendig und deklamierte Herrn Andronikow täglich eine Fabel, indem ich ohne weiteres zu ihm in sein kleines Arbeitszimmer ging, ganz gleich, ob er beschäftigt war oder nicht. Na, und sehen Sie, durch eine dieser Fabeln bin ich denn auch mit Ihnen bekannt geworden, Andrej Petrowitsch ... Ich sehe, Sie fangen an, sich zu erinnern.«

»Ja, es kommt mir so eine schwache Erinnerung, mein Lieber, daß du mir damals etwas aufgesagt hast ... eine Fabel oder etwas aus ›Verstand schafft Leiden‹, glaube ich. Aber was hast du für ein gutes Gedächtnis!«

»Ein gutes Gedächtnis? Meinen Sie? Ich habe ja die ganze Zeit einzig und allein daran gedacht.«

»Schön, schön, mein Lieber, du hast mich durch deine Erzählung ganz munter gemacht.«

Er lächelte sogar, und sofort fingen auch meine Mutter und meine Schwester an zu lächeln. Das Vertrauen kehrte wieder zurück; aber Tatjana Pawlowna, die die Näschereien auf dem Tisch zurechtgestellt und sich in eine Ecke gesetzt hatte, sah mich immer noch mit einem bösen Blick durchdringend an.

»Das trug sich folgendermaßen zu«, fuhr ich fort. »Eines schönen Morgens erschien, um mich abzuholen, die Freundin meiner Kindheit, Tatjana Pawlowna, die in meinem Leben immer plötzlich wie auf dem Theater zu erscheinen pflegte; ich wurde in einem Wagen nach einem herrschaftlichen Haus gefahren und in eine prächtige Wohnung geführt. Sie logierten damals bei Frau Fanariotowa, Andrej Petrowitsch, in ihrem leerstehenden Hause, das sie früher einmal von Ihnen selbst gekauft hatte; sie selbst befand sich damals im Ausland. Ich hatte bis dahin immer nur Jacken getragen; jetzt bekam ich auf einmal einen hübschen kleinen blauen Rock und vorzügliche Wäsche. Tatjana Pawlowna war den ganzen Tag über eifrig mit mir beschäftigt und kaufte mir eine Menge Sachen; ich aber ging durch all die unbewohnten Zimmer und besah mich in allen Spiegeln. So kam es, daß ich am andern Morgen gegen neun Uhr bei meinem Umherwandern in der Wohnung auf einmal ganz zufällig zu Ihnen in Ihr Zimmer hineingeriet. Ich hatte Sie schon tags zuvor gesehen, als man mich eben hingebracht hatte, aber nur flüchtig auf der Treppe. Sie stiegen die Treppe hinunter, um sich in den Wagen zu setzen und irgendwohin zu fahren; Sie waren damals allein nach Moskau gekommen, nach einer außerordentlich langen Abwesenheit und nur auf kurze Zeit, so daß man sich um Sie von allen Seiten riß und Sie beinah gar nicht mehr im Hause wohnten. Als Sie mir und Tatjana Pawlowna begegneten, sagten Sie nur in gedehntem Ton ›Ah!‹ und blieben nicht einmal stehen.«

»Er schildert das alles mit besonderer Liebe«, bemerkte Wersilow, zu Tatjana Pawlowna gewendet; diese wandte sich ab und gab keine Antwort.

»Ich sehe Sie noch in Ihrer damaligen schönen, blühenden Erscheinung vor mir, als wäre es heute. Sie sind in diesen neun Jahren erstaunlich gealtert und haben sich sehr zu Ihrem Nachteil verändert, verzeihen Sie diese Offenherzigkeit; übrigens waren Sie damals auch schon siebenunddreißig, aber ich konnte mich an Ihnen gar nicht satt sehen: was hatten Sie für wundervolles Haar, fast ganz schwarz, mit einem glänzenden Schimmer, ohne die geringste Spur von Grau; der Schnurrbart und der Backenbart sahen aus, als hätte sie ein Juwelier gemacht, – ich kann mich nicht anders ausdrücken; das Gesicht war von einer matten Blässe, nicht von einer solchen kränklichen Blässe wie jetzt, sondern so, wie es jetzt bei Ihrer Tochter Anna Andrejewna der Fall ist, die ich vorhin die Ehre hatte kennenzulernen; dazu kamen noch die feurigen, dunklen Augen und die blitzenden Zähne, besonders wenn Sie lachten. Sie fingen nämlich, als ich eintrat, bei meinem Anblick an zu lachen; ich besaß damals nur wenig Urteilskraft, und Ihr Lachen machte mein Herz nur fröhlich. Sie trugen an diesem Morgen ein dunkelblaues Samtjackett, ein gesticktes solferinofarbenes Halstuch und ein prachtvolles Hemd mit Alençonspitzen, und Sie standen mit einem Heft in der Hand vor dem Spiegel und studierten sich Tschazkijs letzten Monolog ein und besonders seinen letzten Ausruf:

›Den Wagen, schnell den Wagen!‹«

»Ach mein Gott«, rief Wersilow, »da hat er ja recht! Ich hatte es damals trotz der kurzen Dauer meines Aufenthalts in Moskau wegen Schilejkos Erkrankung übernommen, bei Alexandra Petrowna Witowtowa auf ihrer Hausbühne den Tschazkij zu spielen!«

»Hatten Sie das wirklich vergessen?« fragte Tatjana Pawlowna lachend.

»Er hat mich wieder daran erinnert! Und ich muß gestehen, die paar Tage damals in Moskau sind vielleicht die glücklichste Zeit meines ganzen Lebens gewesen! Wir waren alle damals noch so jung ... und sahen alle der Zukunft mit heißer Erwartung entgegen ... Ich kam damals in Moskau unerwartet mit so vielen ... Aber fahre fort, mein Lieber, du hast diesmal sehr gut daran getan, daß du in deiner Erzählung so ausführlich warst ...«

»Ich stand da, sah Sie an und rief auf einmal: ›Ach, wie schön, der richtige Tschazkij!‹ Sie drehten sich schnell zu mir um und fragten: ›Weißt du denn schon etwas von Tschazkij?‹ und setzten sich auf das Sofa und machten sich in der heitersten Gemütsstimmung an Ihren Kaffee – ich hätte Sie küssen mögen. Und da erzählte ich Ihnen, daß bei Andronikows alle sehr viel läsen und die jungen Damen viele Gedichte auswendig könnten und aus ›Verstand schafft Leiden‹ ganze Szenen unter sich spielten und daß wir uns alle in der ganzen vorigen Woche abends Turgenjews ›Aufzeichnungen eines Jägers‹ zusammen vorgelesen hätten und daß ich am meisten die Krylowschen Fabeln liebte und viele davon auswendig könnte. Sie forderten mich auf, etwas zu deklamieren, und ich sagte Ihnen ›Das wählerische Mädchen‹ auf:

›Ein Mädchen wünschte sich 'nen Mann.‹«

»Ganz richtig, ganz richtig, ja, jetzt erinnere ich mich an alles«, rief Wersilow wieder, »aber, mein Freund, auch an dich erinnere ich mich deutlich: du warst damals ein so netter Junge, sogar ein gewandter Junge, und ich versichere dir, du hast in diesen neun Jahren ebenfalls viel verloren.«

Nun begannen alle zu lachen, auch Tatjana Pawlowna selbst. Es war klar, daß Andrej Petrowitsch ein Späßchen machen und mir für meine boshafte Bemerkung über sein Altern mit gleicher Münze zahlen wollte. Alle wurden vergnügt, und es war ja auch von ihm sehr hübsch gesagt.

»Je weiter ich aufsagte, um so mehr lächelten Sie, aber ich war noch nicht bis zur Mitte gekommen, als Sie mich innehalten ließen, klingelten und dem eintretenden Diener befahlen, Tatjana Pawlowna herzubitten, die denn auch sogleich mit so vergnügtem Gesicht angelaufen kam, daß ich, der ich sie tags zuvor gesehen hatte, sie nun kaum wiedererkannte. In Tatjana Pawlownas Gegenwart fing ich ›Das wählerische Mädchen‹ noch einmal von vorn an und führte die Deklamation glänzend zu Ende; selbst Tatjana Pawlowna lächelte, und Sie, Andrej Petrowitsch, riefen sogar ›Bravo!‹ und bemerkten mit warmer Anerkennung, wenn ich ›Die Libelle und die Ameise‹ aufgesagt hätte, so wäre es noch nicht so erstaunlich gewesen, daß ein gescheiter Knabe in meinem Alter gescheit deklamiere; aber eine ganz andere Leistung sei doch die Fabel:

›Ein Mädchen wünschte sich 'nen Mann,
Was man nicht weiter tadeln kann.‹

›Hören Sie nur‹, sagten Sie, ›wie er das herausbringt: »Was man nicht weiter tadeln kann!«?‹ Kurz, Sie waren entzückt. Dann fingen Sie auf einmal an, mit Tatjana Pawlowna französisch zu sprechen; sie machte sofort ein finsteres Gesicht und widersprach Ihnen, sie wurde dabei sogar sehr erregt; aber da es unmöglich ist, Andrej Petrowitsch zu widersprechen, wenn er sich plötzlich etwas in den Kopf gesetzt hat, so führte Tatjana Pawlowna mich eilig nach ihrem Zimmer; dort wurden mir noch einmal Gesicht und Hände gewaschen, ich bekam frische Wäsche an, wurde pomadisiert, ja, es wurden mir sogar Locken gebrannt. Dann zog sich zum Abend Tatjana Pawlowna selbst recht elegant an, so wie ich es von ihr gar nicht erwartet hätte, und nahm mich im Wagen mit sich. Zum erstenmal in meinem Leben kam ich in ein Theater, in eine Liebhabervorstellung bei Frau Witowtowa; die Kerzen, die Kronleuchter, die Damen, die Offiziere, die Generale, die jungen Mädchen, der Vorhang, die Stuhlreihen – ich hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen. Tatjana Pawlowna wählte sich ein ganz bescheidenes Plätzchen in einer der hintersten Reihen aus, und ich mußte mich neben sie setzen. Natürlich waren auch Kinder wie ich da, aber ich sah nach nichts mehr hin, sondern wartete mit stockendem Herzschlag auf die Vorstellung. Als Sie auftraten, Andrej Petrowitsch, war ich begeistert, so begeistert, daß mir sogar die Tränen kamen; warum, weshalb, das verstehe ich selbst nicht. Woher kamen diese Tränen der Begeisterung? – Das erschien mir immer wunderlich, wenn ich in diesen ganzen neun Jahren daran zurückdachte! In höchster Spannung folgte ich dem Gang des Lustspiels; ich verstand davon natürlich nur, daß sie ihm untreu wurde und daß dumme Menschen, die nicht soviel wert waren wie sein kleiner Finger, sich über ihn lustig machten. Als er sich auf dem Ball freimütig aussprach, da verstand ich, daß er erniedrigt und beleidigt war, daß er allen diesen kläglichen Menschen Vorwürfe machte, daß er selbst aber groß war, wahrhaft groß! Natürlich erleichterte auch die Vorbereitung, die ich bei Andronikows gehabt hatte, mir das Verständnis, aber es war ganz besonders auch Ihr Spiel, Andrej Petrowitsch! Ich sah zum erstenmal eine Bühne! Als am Schluß Tschazkij rief: ›Den Wagen, schnell den Wagen!‹ (und Sie riefen das wundervoll), da sprang ich vom Stuhl auf und klatschte mit dem ganzen laut applaudierenden Saal in die Hände und schrie aus voller Kehle: ›Bravo!‹ Ich erinnere mich lebhaft, daß ich in diesem Augenblick hinten ›unterhalb des Kreuzes‹ einen Schmerz wie von einem Stecknadelstich fühlte; Tatjana Pawlowna hatte mich wütend gekniffen, aber ich achtete gar nicht darauf! Selbstverständlich brachte mich Tatjana Pawlowna sofort nach der Vorstellung nach Hause: ›Zum Tanzen kannst du doch nicht dableiben; du bist bloß schuld daran, daß ich selbst nicht dableiben kann‹, so mäkelten Sie, Tatjana Pawlowna, auf der ganzen Rückfahrt. Die ganze Nacht war ich wie im Fieber, und am andern Morgen stand ich schon um zehn Uhr an der Tür Ihres Zimmers, Andrej Petrowitsch, aber das Zimmer war verschlossen: es waren bei Ihnen Leute, mit denen Sie geschäftlich verhandelten; dann fuhren Sie plötzlich weg und blieben den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein fort – auf diese Weise bekam ich Sie gar nicht zu sehen! Was ich Ihnen eigentlich damals sagen wollte, habe ich natürlich vergessen, und ich wußte es nicht einmal damals; aber ich hatte ein brennendes Verlangen, Sie so bald wie möglich zu sehen. Am folgenden Tage aber reisten Sie schon um acht Uhr morgens nach Serpuchow: Sie hatten damals soeben Ihr im Gouvernement Tula gelegenes Gut verkauft, um mit Ihren Gläubigern ins reine zu kommen, hatten aber dabei doch ein ganz nettes Sümmchen in den Händen behalten; das war der Grund, weswegen Sie damals auch Moskau wieder einmal besuchten, wo Sie sich bisher aus Furcht vor Ihren Gläubigern nicht hatten zeigen können; und nun war dieser Grobian in Serpuchow der einzige von all Ihren Gläubigern, der sich nicht mit fünfzig Prozent zufriedengeben wollte. Tatjana Pawlowna antwortete mir nicht einmal auf meine Fragen. ›Das geht dich nichts an‹, sagte sie, ›und übermorgen bringe ich dich in eine Pension; mach dich fertig, leg deine Hefte zusammen, bring deine Bücher in Ordnung; du könntest dich auch daran gewöhnen, deinen Koffer selbst zu packen, werde mir nur nicht dünkelhaft und arbeitsscheu, du junger Herr!‹ Und so ging es in einem Zuge: Sie haben mich in diesen drei Tagen gehörig betrommelt, Tatjana Pawlowna! Schließlich wurde ich zu Touchard in Pension gebracht, ich, der ich mich in meiner Unschuld in Sie verliebt hatte, Andrej Petrowitsch. Nun, meinetwegen mag man unsere ganze Begegnung für einen dummen Zufall halten, aber werden Sie es glauben: später, ein halbes Jahr darauf, wollte ich von Touchard zu Ihnen fliehen!«

»Du hast das sehr schön erzählt und mir alles so lebhaft wieder ins Gedächtnis zurückgerufen«, sagte Wersilow sehr ruhig und deutlich, »aber was mir in deiner Erzählung am meisten imponiert, das ist die Fülle merkwürdiger Details, zum Beispiel hinsichtlich meiner Schulden. Ich will gar nicht davon reden, daß die Erwähnung dieser Einzelheiten einigermaßen taktlos ist, aber ich begreife nicht, woher du diese Kenntnisse erlangt hast.«

»Woher ich die Kenntnis dieser Einzelheiten erlangt habe? Aber ich wiederhole Ihnen, daß ich während dieser ganzen neun Jahre weiter nichts getan habe, als mir eingehende Kenntnisse über Sie zu verschaffen.«

»Ein seltsames Bekenntnis und ein seltsamer Zeitvertreib.«

Er drehte sich in halb liegender Haltung auf seinem Lehnstuhl herum und gähnte sogar ein wenig – ob absichtlich oder nicht, weiß ich nicht.

»Nun, wie ist's? Soll ich weitererzählen, wie ich von Touchard zu Ihnen fliehen wollte?«

»Verbieten Sie es ihm, Andrej Petrowitsch! Jagen Sie ihn einfach aus dem Zimmer!« rief Tatjana Pawlowna heftig.

»Das geht nicht, Tatjana Pawlowna«, erwiderte Wersilow nachdrücklich. »Arkadij hat sich augenscheinlich etwas vorgenommen, und folglich muß man ihn unbedingt die Sache zu Ende bringen lassen. Mag er es also tun! Hat er's erzählt, dann ist er die Last vom Herzen los, und das ist ja für ihn die Hauptsache. Fang nur deine neue Geschichte an, mein Lieber; das heißt, wenn ich sage ›neu‹, so rege dich deswegen nicht auf, sei versichert, ich kenne das Ende.«


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