F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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Viertes Kapitel

I

Ich komme jetzt zu der endgültigen Katastrophe, die den Schluß meiner Aufzeichnungen bilden soll. Aber um fortfahren zu können, muß ich vorher vorgreifen und etwas darlegen, was ich zur Zeit jener Handlungen noch nicht wußte, sondern erst viel später erfuhr und mir daher auch erst viel später völlig erklären konnte, das heißt damals, als bereits alles zu Ende war. Auf andere Weise weiß ich mich nicht verständlich zu machen, da ich alles würde in Rätseln schreiben müssen. Und daher setze ich eine schlichte, einfache Darlegung hierher, unter Verzicht auf das sogenannte Kunstprinzip, und tue so, als ob nicht ich es wäre, der dies schreibt, sondern ich schreibe ohne Anteilnahme meines Herzens, in der Art eines kleinen Zeitungsartikels.

Die Sache ist die, daß mein Schulfreund Lambert mit vollem Recht zu jenen schändlichen kleinen Halunken gezählt werden mußte, die sich in Banden zusammentun, um Erpressungen zu verüben – ein Vergehen, für das man jetzt im Strafgesetzbuch eine Definition gesucht und eine Strafe festgesetzt hat. Die Bande, bei welcher Lambert mit tätig gewesen war, hatte sich in Moskau gebildet und dort eine ziemliche Anzahl übler Streiche ausgeführt (in der Folge ist ihr Treiben zum Teil aufgedeckt worden). Ich habe später gehört, daß sie in Moskau eine Zeitlang einen höchst erfahrenen, klugen Anführer gehabt hätten, einen schon älteren Mann. Die Unternehmungen wurden von der ganzen Bande oder auch nur von Teilen derselben ins Werk gesetzt. Sie führten außer den schmutzigsten Streichen, deren Wiedergabe die Zensur nicht gestatten würde (über die aber doch schon Mitteilungen in den Zeitungen erschienen sind), unter der Leitung ihres Chefs auch ziemlich komplizierte und sogar schlaue Unternehmungen aus. Von einigen derselben habe ich später Kenntnis erhalten, will aber nicht näher darauf eingehen. Ich erwähne nur, daß ihr Verfahren im wesentlichen darin bestand, irgendwelche Geheimnisse aus dem Leben von Leuten auszukundschaften, die manchmal höchst ehrenwert waren und recht hohe Stellungen einnahmen; dann erschienen sie bei diesen Personen und drohten mit der Veröffentlichung von Schriftstücken (die sie manchmal gar nicht besaßen) und forderten für ihr Schweigen Geld. Es gibt Dinge, die nicht sündhaft und ganz und gar nicht kriminell strafbar sind, deren Veröffentlichung aber sogar ein ordentlicher, charakterfester Mensch fürchtet. Vorzugsweise hatten sie es auf Familiengeheimnisse abgesehen. Um zu zeigen, wie geschickt ihr Chef manchmal operierte, will ich ohne alle Einzelheiten in wenigen Zeilen eines ihrer Stückchen berichten. In einer sehr ehrenhaften Familie ereignete sich tatsächlich etwas Sündhaftes, Strafbares: nämlich die Frau eines allgemein bekannten und geachteten Mannes ließ sich in eine geheime Verbindung mit einem jungen, reichen Offizier ein. Sie schnüffelten das aus und verfuhren nun folgendermaßen: sie teilten dem jungen Mann geradeswegs mit, daß sie den Ehemann benachrichtigen würden. Beweise hatten sie nicht die geringsten in Händen, und der junge Mann wußte das ganz genau, ja, sie selbst machten keinen Hehl daraus; aber die ganze Geschicklichkeit des Manövers und die ganze Schlauheit der Spekulation bestand in diesem Fall nur in der Überlegung, daß der benachrichtigte Ehemann auch ohne alle Beweise ganz ebenso vorgehen und ganz dieselben Schritte unternehmen würde, wie wenn er die zwingendsten mathematischen Beweise erhalten hätte. Sie verließen sich dabei auf ihre Kenntnis des Charakters dieses Mannes und auf ihre Kenntnis seiner Familienverhältnisse. Die Hauptsache war, daß zu dieser Bande auch ein junger Mensch aus den besten Kreisen gehörte, dem es gelungen war, vorher die erforderlichen Nachrichten zu beschaffen. Von dem Liebhaber erpreßten sie eine sehr beträchtliche Summe, und zwar ohne jede Gefahr für sich, weil dem Opfer selbst an der Geheimhaltung der Sache sehr viel gelegen war.

Lambert hatte bei diesen Streichen zwar mitgeholfen, hatte jedoch nicht als ordentliches Mitglied zu jener Moskauer Bande gehört; nachdem er aber erst einmal auf den Geschmack gekommen war, hatte er so nach und nach versuchsweise angefangen, auf eigene Faust zu operieren. Ich will gleich im voraus sagen: er war zu dieser Tätigkeit nicht sonderlich befähigt. Er war durchaus nicht dumm, auch ein spekulativer Kopf, aber zu hitzig und überdies von beschränktem Gesichtskreis oder, richtiger gesagt, von ziemlicher Naivität, das heißt, er kannte weder die Menschen noch die gesellschaftlichen Umstände. Er hatte zum Beispiel, wie es schien, überhaupt keinen rechten Begriff von der Bedeutung jenes Moskauer Chefs und dachte es sich sehr leicht, solche Unternehmungen einzuleiten und zu organisieren. Und ferner hielt er fast alle Menschen für ebensolche Schufte, wie er selbst einer war. Oder wenn er zum Beispiel einmal sich die Vorstellung zurechtgelegt hatte, der und der fürchte sich aus dem und dem Grund vor etwas oder müsse sich davor fürchten, dann zweifelte er auch nicht mehr daran, daß der Betreffende sich tatsächlich fürchtete, sondern betrachtete das als ein Axiom. Ich verstehe das nicht recht auszudrücken; in der Folge werde ich es durch die Erzählung der Ereignisse deutlicher machen, aber meiner Ansicht nach war er nur mangelhaft gebildet, und an manche guten, edlen Empfindungen glaubte er nicht, oder, richtiger gesagt, er hatte von ihnen überhaupt keine Vorstellung.

Nach Petersburg war er gekommen, weil er diese Stadt schon seit langer Zeit ins Auge gefaßt hatte, in der Meinung, hier ein weiteres Feld für seine Tätigkeit zu finden als in Moskau, und dann auch, weil er in Moskau irgendwo und irgendwie in Ungelegenheiten geraten war und ihm jemand mit sehr schlechten Absichten nachspürte. Nach seiner Ankunft in Petersburg trat er sogleich wieder in Beziehung mit einem seiner früheren Kumpane, aber er fand nur ein mageres Arbeitsfeld und kümmerliche Affären. Sein Bekanntenkreis vergrößerte sich dann, aber es kam doch nichts Ordentliches zustande. »Es ist hier ein jämmerliches Volk, lauter dumme Jungen«, hat er später selbst einmal zu mir gesagt. Aber siehe da, eines schönen Morgens, beim Tagesgrauen, fand er mich auf einmal halberfroren an einer Hofmauer und kam damit direkt auf die Spur einer nach seiner Meinung »sehr fetten Sache«.

Die ganze Sache kam durch mein Geschwätz heraus, als ich damals in seiner Wohnung auftauchte. Oh, ich befand mich damals in einer Art von Fieberdelirium! Aber aus meinen Worten ging doch soviel klar hervor, daß von all den Kränkungen, die mir jener verhängnisvolle Tag gebracht hatte, keine mir so zu Herzen gegangen war und so in meinem Gedächtnis haftete wie die mir von Bjoring und ihr angetane: sonst wäre das doch nicht das einzige gewesen, von dem ich bei Lambert phantasierte; ich hätte zum Beispiel auch von Serschtschikow phantasiert; indessen kam nur das erste zutage, wie ich in der Folge von Lambert selbst erfuhr. Und überdies war ich ganz entzückt und sah in Lambert und Alfonsina an jenem schrecklichen Morgen gewissermaßen meine Befreier und Retter. Wenn ich dann später während meiner Genesung, noch im Bett liegend, darüber nachdachte, was wohl Lambert aus meinem Geschwätz entnommen haben mochte und bis zu welchem Grad ich mich ihm gegenüber wohl verplappert hatte, da kam mir kein einziges Mal auch nur der Verdacht, daß er damals so viel erfahren haben könnte! O gewiß, nach meinen Gewissensbissen zu urteilen, ahnte ich schon damals, daß ich wahrscheinlich viel Überflüssiges geredet hatte, aber ich wiederhole: ich konnte in keiner Weise annehmen, daß ich darin so weit gegangen war! Ich gründete meine Hoffnung auch auf die Erwägung, daß ich damals bei ihm nicht einmal imstande gewesen war, die Worte deutlich herauszubringen, was ich mit Bestimmtheit in Erinnerung behalten hatte; indessen stellte sich tatsächlich heraus, daß ich damals weit deutlicher geredet hatte, als ich nachher annahm und hoffte. Aber die Hauptsache war, daß das alles erst später herauskam, erst lange nachher, und gerade das war für mich das Verhängnisvolle.

Aus meinem irren Geschwätz, meinem Phantasieren, meinem Gerede, meinem entzückten Gestammel und so weiter hatte er erstens beinahe alle Familiennamen in genauer Form und sogar einige Adressen entnommen. Zweitens hatte er sich eine ziemlich zutreffende Vorstellung davon bilden können, was für eine Stellung diese Personen einnahmen (der alte Fürst, sie, Bjoring, Anna Andrejewna und sogar Wersilow); drittens hatte er erfahren, daß ich mich beleidigt fühlte und Rache zu nehmen drohte, und endlich viertens die Hauptsache: er hatte erfahren, daß ein geheimes, verborgenes Schriftstück existierte, ein Brief, den man dem halbverrückten alten Fürsten nur zu zeigen brauche, und wenn dieser ihn dann durchgelesen und daraus ersehen habe, daß seine eigene Tochter ihn für verrückt halte und schon deswegen »Juristen konsultiert« habe, wie man ihn einsperren könne, dann werde er entweder vollständig den Verstand verlieren oder sie aus dem Hause jagen und enterben oder eine gewisse Mademoiselle Wersilowa heiraten, die er jetzt schon heiraten wolle, was man ihm aber nicht erlaube. Kurz, Lambert hatte sehr vieles verstanden; ohne Zweifel war ihm auch furchtbar vieles dunkel geblieben, aber der berufsmäßige Erpresser war doch auf eine zuverlässige Spur geraten. Als ich dann von Alfonsina weggelaufen war, hatte er sich unverzüglich meine Adresse verschafft (auf die einfachste Weise: im Adreßbüro) und dann schleunigst die erforderlichen Nachforschungen angestellt, aus denen er erfahren hatte, daß alle diese Personen, von denen ich in meinem fieberhaften Zustand geredet hatte, wirklich existierten. Dann hatte er sofort den ersten Schritt unternommen.

Die Hauptsache war, daß ein Schriftstück existierte und daß ich sein Besitzer war; daß dieses Schriftstück einen hohen Wert hatte, daran zweifelte Lambert nicht. Ich lasse hier einen Umstand weg, von dem besser erst später und am geeigneten Ort zu reden sein wird, und erwähne hier nur, daß es ganz besonders dieser Umstand war, durch den Lambert in seiner Überzeugung von der tatsächlichen Existenz und hauptsächlich von dem hohen Wert dieses Schriftstücks bestärkt wurde. (Es war dies, wie ich hier vorausschicke, ein verhängnisvoller Umstand, den ich mir in keiner Weise vorstellen konnte, weder damals noch bis zum Ende all dieser Ereignisse, als alles auf einmal zusammenstürzte und von selbst seine Aufklärung fand.) Da er also auf diese Weise über den Hauptpunkt zu einer bestimmten Überzeugung gelangt war, so bestand sein erster Schritt darin, daß er zu Anna Andrejewna hinfuhr.

Dabei aber ist es für mich bis auf den heutigen Tag ein Rätsel, wie er, Lambert, es fertiggebracht hat, zu einer so unzugänglichen, vornehmen Dame wie Anna Andrejewna vorzudringen und mit ihr Beziehungen anzuknüpfen. Allerdings hatte er Erkundigungen eingezogen, aber was wollte das besagen? Allerdings war er elegant gekleidet, sprach französisch wie ein Pariser und trug einen französischen Namen, aber Anna Andrejewna mußte doch unbedingt in ihm sogleich den Schurken erkennen. Oder man müßte annehmen, daß sie gerade einen Schurken damals gut gebrauchen konnte. Doch sollte es sich wirklich so verhalten haben?

Ich habe Einzelheiten über die erste Begegnung der beiden niemals in Erfahrung bringen können, aber ich habe nachher oft versucht, mir diese Szene mittels der Einbildungskraft vorzustellen. Das wahrscheinlichste ist, daß Lambert vom ersten Wort und der ersten Gebärde an vor ihr den um seinen lieben, teuren Kameraden ängstlich besorgten Jugendfreund gespielt hat. Aber natürlich wird er es schon bei dieser ersten Begegnung verstanden haben, auch sehr deutlich darauf hinzuweisen, daß ich ein Schriftstück besäße, zu verstehen zu geben, daß dies ein Geheimnis sei, daß er, Lambert, der einzige Mensch sei, der um dieses Geheimnis wisse, und daß ich vorhätte, mich mittels dieses Schriftstücks an der Generalin Achmakowa zu rächen und so weiter und so weiter. Und vor allen Dingen wird er imstande gewesen sein, ihr mit möglichster Genauigkeit die Bedeutung und den Wert dieses Schriftstücks auseinanderzusetzen. Was Anna Andrejewna anlangt, so befand sie sich gerade in einer solchen Lage, daß sie nach einer derartigen Nachricht begierig greifen, sie mit größter Aufmerksamkeit anhören und ... »im Kampf ums Dasein« an die Angel gehen mußte. Gerade um diese Zeit hatte man ihr ihren Bräutigam weggenommen, ihn nach Zarskoje Selo gebracht und dort unter Vormundschaft gestellt; ja auch sie selbst war unter Vormundschaft gestellt worden. Und nun plötzlich ein solcher Fund: hier handelte es sich nicht um Ohrenbläsereien von Weibern, nicht um weinerliche Klagen, nicht um Verleumdungen und Klatschereien, sondern hier war ein Brief, ein Schriftstück, das heißt ein zwingender Beweis für die tückischen Absichten seiner Tochter und all derer, die ihn von ihr getrennt hatten, ein zwingender Beweis für die Notwendigkeit, sich zu retten, sei es auch durch die Flucht, durch die Flucht zu ihr, zu Anna Andrejewna, und sich mit ihr trauen zu lassen, und sei es innerhalb eines Zeitraumes von vierundzwanzig Stunden. Denn sonst würde er ins Irrenhaus gesteckt werden.

Aber auch etwas anderes ist möglich: daß Lambert diesem jungen Mädchen gegenüber nicht einmal für einen Augenblick listige Künste zur Anwendung gebracht, sondern gleich von vornherein mit der Tür ins Haus gefallen ist: »Mademoiselle, entweder werden Sie eine alte Jungfer, oder Sie werden eine Fürstin und Millionärin: da ist ein Schriftstück, das werde ich dem jungen Mann stehlen und Ihnen übergeben ... für einen von Ihnen auszustellenden Wechsel über dreißigtausend Rubel.« Ich glaube sogar, daß es wirklich so zugegangen ist. Oh, er hielt alle Menschen für ebensolche Schufte, wie er selbst einer war; ich wiederhole, er hatte als Schuft einen beschränkten Gesichtskreis und besaß eine gewisse Naivität ... Das mag sein, wie es will. Sehr möglich, daß Anna Andrejewna sogar bei einem solchen Sturmangriff keinen Augenblick in Verwirrung geriet, sondern es vorzüglich verstand, sich zu beherrschen und den Erpresser, der in dem ihm eigenen Stil sprach, zu Ende anzuhören – und das alles aus »Großzügigkeit«. Nun, selbstverständlich wird sie zuerst ein wenig rot geworden sein, aber dann wird sie sich zusammengenommen und ihn bis zu Ende angehört haben. Und wenn ich mir dieses unnahbare, stolze, wirklich vornehm-würdevolle, mit solchem Verstand begabte Mädchen Hand in Hand mit Lambert vorstelle, so ... Aber das ist es ja eben: mit solchem Verstand begabt! Wenn der russische Verstand solche Dimensionen annimmt, so neigt er zur Großzügigkeit, und besonders der weibliche Verstand, und besonders unter solchen Umständen!

Jetzt fasse ich das Gesagte zusammen: an dem Tag und zu der Stunde, da ich zum erstenmal nach meiner Krankheit wieder ausging, hatte Lambert (das weiß ich jetzt völlig sicher) sich die folgenden beiden Projekte zurechtgelegt: erstens, sich von Anna Andrejewna für das Schriftstück einen Wechsel über nicht weniger als dreißigtausend Rubel geben zu lassen, ihr dann bei der Einschüchterung des Fürsten zu helfen, ihn zu entführen und sie schnell mit ihm trauen zu lassen – kurz, etwas in dieser Art. Der Plan war schon vollständig ausgearbeitet; sie warteten nur auf meine Hilfe, das heißt auf das Schriftstück.

Das zweite Projekt: Anna Andrejewna zu verraten, im Stich zu lassen und das Schriftstück an die Generalin Achmakowa zu verkaufen, wenn das vorteilhafter sein sollte. Dabei spekulierte er auch auf Bjoring. Aber bei der Generalin hatte sich Lambert noch nicht gezeigt; er hatte erst um sie herumspioniert. Auch bei diesem Projekt rechnete er auf mich.

Oh, er bedurfte meiner, das heißt, nicht meiner, sondern des Schriftstücks! In bezug auf mich hatte er ebenfalls zwei Pläne entworfen. Der erste bestand darin, wenn es denn schon nicht anders ging, mit mir zusammen zu operieren und mit mir halbpart zu machen, nachdem er sich meiner vorher sowohl in moralischer als auch in physischer Hinsicht bemächtigt hatte. Aber der zweite Plan gefiel ihm weit besser; er bestand darin, mich wie einen dummen Jungen hinters Licht zu führen und mir das Schriftstück zu stehlen oder es mir sogar einfach mit Gewalt wegzunehmen. Mit diesem Plan liebäugelte er besonders gern in seinen stillen Träumereien. Ich wiederhole: es war da ein gewisser Umstand, der ihn an dem Gelingen des zweiten Plans beinahe nicht zweifeln ließ; aber, wie gesagt, ich werde das erst später erklären. Jedenfalls wartete er auf mich mit krampfhafter Ungeduld; alles hing von mir ab: welche Schritte er tun und wozu er sich entschließen sollte.

Aber ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: vorläufig hatte er sich beherrscht, trotz seines hitzigen Temperaments. Er war während meiner Krankheit nicht bei mir im Hause erschienen; nur einmal war er gekommen und hatte mit Wersilow gesprochen; er hatte mich nicht beunruhigt, mich nicht erschreckt; er hatte mir gegenüber bis zu dem Tag und der Stunde meines ersten Ausgangs den Schein gewahrt, als interessiere er sich für die Sache gar nicht. Was die Möglichkeit anlangte, ich könnte das Schriftstück jemandem übergeben oder jemandem davon Mitteilung machen oder es vernichten, so war er darüber beruhigt. Aus dem, was ich damals bei ihm gesagt hatte; konnte er schließen, welchen Wert ich selbst auf die Geheimhaltung legte und wie sehr ich fürchtete, daß jemand etwas von dem Schriftstück erfahren könnte. Und daß ich gleich am ersten Tag nach meiner Genesung zuerst zu ihm und keinem andern gehen würde, daran zweifelte er keinen Augenblick: Darja Onissimowna war teilweise in seinem Auftrag zu mir gekommen, und er wußte, daß bei mir bereits Neugier und Furcht erregt waren und ich nicht würde warten können ... Und außerdem hatte er alle Maßregeln getroffen und konnte sogar den Tag meines ersten Ausgangs erfahren, so daß ich ihm gar nicht zu entgehen vermochte, selbst wenn ich es gewollt hätte.

Aber wenn Lambert auf mich wartete, so wartete Anna Andrejewna auf mich vielleicht mit noch größerer Ungeduld. Ich sage geradezu: Lambert war vielleicht zum Teil im Recht, wenn er vorhatte, sie zu verraten, und die Schuld war auf ihrer Seite. Denn obwohl sie zweifellos miteinander einig geworden wären (in welcher Form, das weiß ich nicht, aber sonst habe ich daran keinen Zweifel), so war doch Anna Andrejewna bis zum letzten Augenblick nicht völlig offen zu ihm. Sie ließ ihn nicht auf den Grund ihrer Seele blicken. Sie hatte ihm angedeutet, daß sie ihrerseits mit allem einverstanden sei und ihm die Erfüllung aller seiner Forderungen verspreche, aber sie hatte das eben auch nur angedeutet; sie hatte seinen ganzen Plan vielleicht mit allen Einzelheiten angehört, ihn aber nur durch Schweigen gebilligt. Ich habe bestimmte Anhaltspunkte, aus denen ich das schließe; der Grund aber für dieses ganze Verhalten war, daß sie auf mich wartete. Sie wollte lieber mit mir zu tun haben als mit dem Gauner Lambert; das ist für mich eine unbezweifelbare Tatsache! Dafür habe ich Verständnis; aber ihr Fehler bestand darin, daß dies schließlich auch Lambert durchschaute. Für ihn aber wäre es doch gar zu unvorteilhaft gewesen, wenn sie mit Übergehung seiner Person mir das Schriftstück entlockt und sich mit mir geeinigt hätte. Überdies war er damals bereits von der Solidität der »Sache« überzeugt. Ein anderer wäre an seiner Stelle ängstlich gewesen und hätte immer noch gezweifelt; aber Lambert war jung, dreist, voll der ungeduldigsten Gewinnsucht; er kannte die Menschen wenig und hielt sie unzweifelhaft alle für Schurken; ein solcher Mensch konnte nicht wankend werden, um so weniger, als er aus Anna Andrejewna schon die wichtigsten Bestätigungen seiner Annahmen herausgelockt hatte.

Nun noch ein letzter, besonders wichtiger Punkt: wußte Wersilow schon an jenem Tage etwas, und hatte er schon damals Anteil an irgendwelchen, wenn auch noch fernliegenden Plänen Lamberts? Nein, nein, nein, damals noch nicht, wenn auch vielleicht schon ein verhängnisvolles Wort gefallen war ... Aber genug davon, genug davon, ich greife zu sehr vor.

Nun, und wie stand es mit mir? Wußte ich schon etwas am Tage meines ersten Ausgangs, und was wußte ich? Als ich diesen kleinen Zeitungsartikel begann, habe ich erklärt, ich hätte am Tage meines ersten Ausgangs noch nichts gewußt; ich hätte alles erst viel später erfahren, sogar erst, als schon alles zu Ende war. Das ist die Wahrheit, aber ist es auch die volle Wahrheit? Nein, die volle Wahrheit ist es nicht; ich wußte ohne Zweifel dies und jenes; ich wußte sogar recht viel, aber wie wußte ich es? Der Leser erinnere sich an jenen Traum! Wenn ich schon so etwas träumen konnte, wenn schon ein solcher Traum aus meinem Herzen hervordringen und Gestalt annehmen konnte, so wußte ich zwar offenbar noch nicht, aber ich ahnte doch schon sehr vieles von dem, was ich soeben dargelegt habe und was ich in Wirklichkeit erst dann erfuhr, als »schon alles zu Ende war«. Wissen tat ich nichts; aber mein Herz pochte heftig von bangen Ahnungen, und böse Geister beherrschten meine Träume. Und nun zog es mich zu diesem Menschen hin, obwohl mir genau bekannt war, was das für ein Mensch war, und obwohl ich sogar die Einzelheiten seiner Pläne ahnte! Und warum zog es mich zu ihm hin? Man stelle sich vor: jetzt, gerade in dem Augenblick, wo ich dies schreibe, scheint es mir, als hätte ich schon damals bis in alle Einzelheiten gewußt, warum es mich zu ihm hinzog, während ich doch zu jener Zeit noch nichts wußte. Vielleicht versteht das der Leser. Jetzt aber will ich zur Sache kommen und lauter Tatsachen berichten.


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