F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II

In der letzten Zeit hatte ich häufig den Roulett-Spielsaal eines Herrn Serschtschikow besucht. Vorher hatte ich drei andere Häuser besucht, immer mit dem Fürsten zusammen, der mich dort eingeführt hatte. In einem dieser Häuser wurde besonders Pharo gespielt, und zwar mit sehr hohen Einsätzen. Aber dort hatte ich mich nicht wohl gefühlt: ich sah, daß es da nur für solche Leute angenehm war, die über sehr viel Geld verfügten, und daß überdies dort sehr viele hochmütige Menschen und Angehörige der protzigen Jugend aus den höchsten Kreisen zu verkehren pflegten. Gerade das liebte der Fürst; er liebte sowohl das Spiel als auch den Umgang mit dieser übermütigen Clique. Ich bemerkte, daß er an diesen Abenden, wenn er auch manchmal mit mir zusammen eintrat, doch im Laufe des Abends sich von mir fernhielt und mich mit niemandem von »seinen Leuten« bekannt machte. Ich aber machte ganz den Eindruck eines Wilden, und mitunter sogar in einem solchen Maße, daß ich dadurch die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich zog. Am Spieltisch ergab es sich manchmal so, daß ich mit diesem oder jenem ins Gespräch kam; aber als ich einmal am nächsten Tag in denselben Räumen ein Herrchen zu begrüßen versuchte, mit dem ich am vorhergehenden Abend nicht nur geredet, sondern neben dem ich auch gesessen, mit dem ich gelacht und dem ich sogar zwei Karten empfohlen hatte, auf die er dann gewann: da – sollte man's glauben? – erkannte er mich gar nicht wieder. Das heißt, es war noch schlimmer: er blickte mich mit gekünstelter Verwunderung an und ging lächelnd vorüber. So blieb ich denn bald dort fort und besuchte mit besonderer Leidenschaft eine Kloake – anders kann ich es nicht nennen. Es war ein ziemlich unbedeutender, kleiner Roulettzirkel, den eine Mätresse unterhielt, obgleich sie selbst nie im Saal erschien. Es herrschte dort ein schrecklich ungenierter Ton, und obgleich auch Offiziere und reiche Kaufleute dort verkehrten, ging doch alles recht schmierig zu, was übrigens auf viele Leute sogar anziehend wirkte. Außerdem hatte ich dort oft Glück im Spiel. Aber auch den Besuch dieses Lokals stellte ich nach einem unerquicklichen Vorfall ein, der sich in der Hitze des Spiels zugetragen und mit einer Prügelei zwischen zwei Spielern geendet hatte, und seitdem verkehrte ich bei Serschtschikow, bei dem mich auch wieder der Fürst eingeführt hatte. Dieser Serschtschikow war ein Stabsrittmeister a. D., und der Ton an seinen Spielabenden war ganz erträglich, militärisch, von peinlicher Genauigkeit in der Beobachtung der Formen der Ehre, kurz und sachlich. Spaßvögel zum Beispiel und starke Trinker ließen sich dort nicht blicken. Außerdem wurde dort nicht zum Scherz gespielt! Die Spiele waren Pharo und Roulett. Vor diesem Abend, dem fünfzehnten November, war ich erst ein paarmal dagewesen, und Serschtschikow schien mich von Gesicht zu kennen, aber Bekannte hatte ich dort noch keinen einzigen. Es traf sich so, daß auch der Fürst und Darsan an diesem Abend erst gegen Mitternacht erschienen, auf dem Heimweg aus jenem Spielzirkel der übermütigen Clique, dessen Besuch ich aufgegeben hatte; auf diese Weise war ich an diesem Abend in dem fremden Menschenschwarm wie verraten und verkauft.

Wenn ich einen Leser hätte und dieser alles gelesen hätte, was ich schon über meine Erlebnisse niedergeschrieben habe, so brauchte ich ihm ohne Zweifel nicht erst mitzuteilen, daß ich entschieden für keine Form der Geselligkeit geschaffen bin. Vor allen Dingen verstehe ich absolut nicht, mich in Gesellschaft zu benehmen. Wenn ich irgendwo eintrete, wo viele Menschen zusammen sind, so habe ich immer ein Gefühl, als ob alle Blicke mich elektrisierten. Ich bekomme geradezu einen Krampf, einen physischen Krampf, sogar an solchen Orten wie im Theater, von Privathäusern ganz zu geschweigen. In allen diesen Spielzirkeln habe ich es gar nicht verstanden, mir eine angemessene Haltung zu eigen zu machen: bald saß ich da und machte mir wegen meiner übermäßigen Nachgiebigkeit und Höflichkeit Vorwürfe, bald stand ich plötzlich auf und beging irgendeine Grobheit. Und demgegenüber, was für wertlose Subjekte, im Vergleich mit mir, verstanden es dort, eine bewundernswerte Haltung zu bewahren – und gerade das erboste mich am ärgsten, so daß ich mehr und mehr meine Kaltblütigkeit verlor. Ich sage es geradeheraus: nicht erst jetzt, sondern auch damals schon war mir diese ganze Gesellschaft, ja auch das Gewinnen selbst – wenn ich schon alles sagen soll – schließlich ekelhaft und qualvoll geworden. Geradezu qualvoll. Natürlich empfand ich einen außerordentlichen Genuß dabei, aber dieser Genuß war mit Qual gepaart; das alles, das heißt diese Menschen, das Spiel und vor allen Dingen ich selbst mit ihnen zusammen, erschien mir als etwas schrecklich Schmutziges. ›Ich will nur erst gewinnen, dann kehre ich der ganzen Geschichte den Rücken!‹ sagte ich jedesmal zu mir selbst, wenn ich mich beim Morgengrauen nach einer durchspielten Nacht in meiner Wohnung schlafen legte. Und was nun wieder das Gewinnen betraf, so muß man von vornherein bedenken, daß ich das Geld überhaupt nicht leidenschaftlich liebte. Das heißt, ich will nicht die abgeschmackten Gemeinplätze wiederholen, die gewöhnlich bei solchen Erklärungen vorgebracht werden, als hätte ich nur um des Spieles willen gespielt, um der Aufregung, des Genusses, des Wagnisses willen und so weiter, und nicht um des pekuniären Vorteils willen. Ich hatte Geld dringend nötig, und obwohl das nicht der von mir in Aussicht genommene Weg, nicht »meine Idee« war, so dachte ich damals doch: ›So oder so!‹ und beschloß, in Gestalt eines Experiments es auch auf diesem Weg zu versuchen. Dabei regte mich immer ein hartnäckiger Gedanke auf: ›Du bist doch zu der Überzeugung gelangt, daß du unbedingt Millionär werden kannst, lediglich weil du die dazu erforderliche Charakterstärke besitzt; von dieser Charakterstärke hast du ja schon durch eine Probe den Beweis geliefert, so dokumentiere sie denn nun auch hier: ist denn etwa für das Roulett mehr Charakterstärke erforderlich als für deine Idee?‹ Das war's, was ich mir fortwährend wiederholte. Ich halte bis auf den heutigen Tag an der Überzeugung fest, daß man beim Hasardspiel, wenn man sich nur völlige Seelenruhe und damit auch die ganze Schärfe des Verstandes und der Berechnung bewahrt, mit Notwendigkeit die Plumpheit des blinden Zufalls überwinden und gewinnen muß – daher mußte es mich damals naturgemäß immer mehr aufbringen, als ich sah, wie ich alle Augenblicke meine Ruhe verlor und mich wie ein kleiner Junge hinreißen ließ. ›Ich, der ich den Hunger ertragen konnte, vermag mich bei einer solchen Dummheit nicht zu beherrschen!‹ – das war's, was mich nervös machte. Dazu kam noch eins: das Bewußtsein, daß, wie lächerlich und gering ich auch erscheinen mochte, doch in meinem Innern jener Schatz von Kraft verborgen lag, der alle diese Menschen irgendwann dazu zwingen würde, ihre Meinung über mich zu ändern; dieses Bewußtsein bildete damals – fast schon seit meinen traurigen Kinderjahren – die einzige Quelle meines Lebens, mein Licht und meinen Stolz, meine Waffe und meinen Trost; sonst hätte ich mir vielleicht schon als Kind das Leben genommen. Und daher war ich notwendigerweise über mich selbst empört, wenn ich sah, in was für ein klägliches Wesen ich mich am Spieltische verwandelte. Das war der Grund, weshalb ich nicht mehr vom Spiel ablassen konnte: jetzt erkenne ich das alles mit voller Deutlichkeit. Von diesem Hauptgrund abgesehen, litt auch meine kleinliche Eitelkeit: meine Spielverluste erniedrigten mich dem Fürsten gegenüber, Wersilow gegenüber, obgleich der letztere es nicht der Mühe wert hielt, ein Wort darüber zu sprechen, allen gegenüber, sogar Tatjana gegenüber – so jedenfalls schien es mir, so empfand ich es. Schließlich will ich noch ein Bekenntnis ablegen: ich war damals schon verdorben; es wurde mir schon schwer, auf ein aus sieben Gängen bestehendes Diner im Restaurant, auf Matwej, auf die Anzüge aus dem Englischen Magazin, auf die gute Meinung, die mein Friseur von mir hatte, na und auf all solche Dinge zu verzichten. Ich war mir auch damals schon dessen bewußt, unterdrückte aber dieses peinliche Bewußtsein absichtlich; jetzt, wo ich dies niederschreibe, erröte ich vor Beschämung.


 << zurück weiter >>