F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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VI

Aber genug von solchen Fragen und häßlichen Einzelheiten! Nachdem Wersilow meine Mutter von Makar Iwanow losgekauft hatte, fuhr er alsbald weg und schleppte sie seitdem, wie ich schon oben geschrieben habe, beinahe überall mit sich herum, mit Ausnahme der Fälle, wo er für längere Zeit wegreiste; dann überließ er sie meistens der Obhut der Tante, das heißt der oben erwähnten Tatjana Pawlowna Prutkowa, die sich in solchen Fällen immer einstellte. So wohnten die beiden zusammen in Moskau, so wohnten sie zusammen auf verschiedenen anderen Gütern und in anderen Städten, sogar im Ausland und zuletzt in Petersburg. Von alledem will ich noch später reden, oder es ist auch nicht der Mühe wert. Ich will nur sagen, daß ich ein Jahr nach der Trennung von Makar Iwanowitsch zur Welt kam, noch ein Jahr später meine Schwester, und wieder zehn oder elf Jahre später ein kränklicher Knabe, mein jüngster Bruder, der nach einigen Monaten starb. Die bei der Geburt dieses Kindes ausgestandenen Qualen machten der Schönheit meiner Mutter ein Ende; so ist mir wenigstens erzählt worden: sie begann schnell zu altern und zu kränkeln.

Aber die Beziehungen zu Makar Iwanowitsch wurden doch nicht abgebrochen. Wo Wersilow und meine Mutter sich auch befanden, mochten sie nun ein paar Jahre an einem Ort wohnen oder umherreisen, Makar Iwanowitsch ließ unter allen Umständen »der Familie« Nachricht von sich zugehen. Es bildete sich ein sonderbares Verhältnis heraus, das zum Teil einen ganz feierlich-ernsten Charakter hatte. Im Leben der Herrschaften hätte ein solches Verhältnis zweifellos einen komischen Beigeschmack gehabt, das weiß ich; aber hier war das nicht der Fall. Briefe schickte er zweimal im Jahr, nicht öfter und nicht seltener, und diese Briefe waren sich untereinander außerordentlich ähnlich. Ich habe sie gesehen; sie enthalten sehr wenig Persönliches, sondern nach Möglichkeit nur feierliche Benachrichtigungen über ganz universelle Ereignisse und feierliche Bekundungen ganz universeller Empfindungen, wenn man sich so über Empfindungen ausdrücken kann: Benachrichtigungen in erster Linie von seinem Gesundheitszustand, dann Erkundigungen nach dem Gesundheitszustand der Empfänger, darauf gute Wünsche, feierliche Empfehlungen und Segenssprüche – das war alles. Gerade diese Allgemeinheit und Unpersönlichkeit des Inhalts scheint von den Angehörigen dieser Gesellschaftsschicht für den verständigsten Ton und für die feinste Verkehrsform gehalten zu werden. »Unserer liebwerten und verehrten Gattin Sofja Andrejewna sende ich unsere ergebenste Empfehlung«... »Unseren liebenswürdigen Kindern sende ich unsern ewig unzerstörbaren väterlichen Segen.« Die Kinder wurden sämtlich mit Namen aufgezählt, in der Reihenfolge, wie sie hinzugekommen waren; auch ich war dabei. Ich füge noch die Bemerkung hinzu, daß Makar Iwanowitsch denn doch so klug war, »Seine Hochgeboren den hochverehrten Herrn Andrej Petrowitsch« niemals seinen »Wohltäter« zu nennen, obwohl er sich ihm unfehlbar in jedem Brief ganz ergebenst empfahl, ihn um seine Huld bat und ihm den Segen Gottes wünschte. Die Antwortschreiben an Makar Iwanowitsch wurden jedesmal alsbald von meiner Mutter abgesandt und waren immer in genau derselben Art abgefaßt. Wersilow beteiligte sich an diesem Briefwechsel selbstverständlich nicht. Makar Iwanowitsch schrieb von den verschiedensten Enden Rußlands her, aus Städten und Klöstern, in denen er manchmal lange Aufenthalt nahm. Er war ein sogenannter ewiger Pilger geworden. Niemals bat er um etwas; dafür erschien er mit Sicherheit alle drei Jahre einmal zu Hause zum Besuch und kehrte dann geradeswegs bei meiner Mutter ein, die – es traf sich immer so – eine eigene Wohnung hatte, getrennt von der Wohnung Wersilows. Davon werde ich später noch zu sprechen haben; hier bemerke ich nur noch, daß Makar Iwanowitsch sich nicht etwa im Salon auf den Sofas herumrekelte, sondern sich bescheiden irgendwo in einem Kämmerchen einquartierte. Er blieb nicht lange, nur etwa fünf Tage oder eine Woche.

Ich habe vergessen zu sagen, daß er seinen Familiennamen Dolgorukij außerordentlich liebte und auf ihn den größten Wert legte. Selbstverständlich war das eine lächerliche Dummheit. Das dümmste dabei war, daß ihm sein Familienname gerade deswegen gefiel, weil es Fürsten Dolgorukij gibt. Eine sonderbare, ganz verdrehte Auffassung!

Wenn ich gesagt habe, die ganze Familie sei immer zusammen gewesen, so habe ich mich selbstverständlich ausgenommen. Ich war gewissermaßen ein Ausgestoßener und war schon fast unmittelbar nach meiner Geburt bei fremden Leuten untergebracht werden. Aber das war nicht in irgendeiner besonderen Absicht geschehen, sondern hatte sich einfach von selbst so ergeben. Meine Mutter war, als sie mich zur Welt gebracht hatte, noch jung und schön, und daher brauchte er sie notwendig, und ein kleiner Schreihals wäre in dieser Hinsicht hinderlich gewesen, namentlich auf Reisen. So kam es denn, daß ich bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr meine Mutter fast gar nicht zu sehen bekommen habe, nur zwei- oder dreimal flüchtig. Schuld daran war nicht etwa Mangel an Gefühl bei meiner Mutter, sondern Wersilows Hochmut anderen Menschen gegenüber.


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