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Elftes Kapitel.

Longueville. Ei, Beaufort, seid Ihr denn vermählt?
Beaufort. Gewiß,
So fest, wie Worte, Hände, Herzen, Priester
Uns vermählen konnten.

Beaumont und Fletcher:
»Der edle Herr«.

Im Gastzimmer des Hotels zu D* saß John Barlow. Er hatte eben sein Frühstück beendet, schrieb Briefe und sah Papiere durch, die zu verschiedenen Rechtsgeschäften gehörten, während er dazu seine Pinte Xeres leerte, als die Thür aufgerissen wurde und ein Herr plötzlich eintrat.

»Herr Beaufort,« sagte der Advokat, aufstehend – »Herr Philipp Beaufort – denn ich fühle es, daß Sie es von Rechtswegen sind – obgleich noch nicht von Gesetzeswegen,« setzte er mit seinem angewöhnten förmlichen und ruhigen Lachen hinzu; »denn es bleibt noch viel – sehr viel zu thun übrig, um zu machen, daß Gesetz und Recht eins werden. Ich wünsche Ihnen indessen Glück, daß Sie etwas haben, worauf Sie fußen können. Ich zweifelte schon daran, den Zeugen aufzufinden, da die Aufforderung schon vor einem Monat geschehen war, und hatte bereits andere Nachforschungen begonnen, wovon ich sogleich mit Ihnen reden will, als ich gestern bei meiner Rückkehr nach London von einer Geschäftsreise für Sie das Vergnügen hatte, einen Besuch von Wilhelm Smith selber zu erhalten. – Geben Sie sich indeß nicht zu sehr der Hoffnung hin, mein lieber Herr. – Dieser arme Mann, der viel Unglück erfahren hat, war in Amerika, als die erste fruchtlose Nachforschung angestellt wurde. Lange Zeit darauf kehrte er in die Colonie zurück und fand dort seinen Bruder, der, wie er von ihm herausbrachte, dorthin deportirt war. Er verhalf seinem Bruder zur Flucht und Beide kehrten nach England zurück. Von einem entfernten Verwandten, der ihm ein wenig Geld borgte, erfuhr er, daß er früher aufgesucht worden, und fragte seinen Bruder um Rath, welcher wollte, daß er ihm die ganze Leitung der Sache überlassen solle. Dieser Bruder versicherte ihn später, daß Sie und Herr Sidney Beide todt seien, und wie es scheint, ging er dann zu Herrn Beaufort, um ihm mit einem Rechtsstreit zu drohen und ihm den Kauf des noch vorhandenen Zeugen anzubieten –«

»Und Herr Beaufort?«

»Scheint das Anerbieten zurückgewiesen zu haben. Inzwischen ging Wilhelm, der seines Bruders Bericht nicht glaubte, nach N*, erfuhr nichts von Herrn Morton, traf seinen Bruder wieder, der ihm eingestand, daß er ihn in der Behauptung, daß Sie und Ihr Bruder todt seien, getäuscht habe, und sagte, er habe Sie früher gekannt, und sei dann nach Paris abgereist, um Sie aufzusuchen –«

»Mich gekannt? – Nach Paris?«

»Sogleich mehr davon. Wilhelm kehrte nach London zurück und lebte dürftig von dem Wenigen, welches sein Bruder ihm gegeben, zu schwermüthig und zu arm, um eine Zeitung zu Gesichte zu bekommen, und sah unsere Aufforderung nicht, bis ihm zum Glück das Geld ausging. Er hatte nichts weiter von seinem Bruder gehört und ging zu demselben Verwandten, der ihm schon früher beigestanden, und bat ihn um eine neue Unterstützung. Zu seiner Ueberraschung empfing dieser Verwandte den armen Mann sehr freundlich; borgte ihm, so viel er wollte, und fragte dann, ob er unsere Aufforderung gelesen. Die Zeitung, die man ihm zeigte, enthielt beide Aufforderungen – die, worin der Fremde erwähnt wurde, der Herrn Morton besucht hatte, so wie die, welche seinen eigenen Namen enthielt. Er ging sogleich in mein Haus; doch ich war auf einer Geschäftsreise. Er kehrte in seine Wohnung zurück. Am nächsten Morgen (gestern) kam ein Brief von seinem Bruder, den er mir endlich gab, nachdem ich ihm versprochen, daß dem Schreiber desselben nichts zu Leide geschehen solle.«

Vaudemont nahm den Brief und las, wie folgt:

»Lieber Wilhelm!

»Suche den jungen Menschen nicht auf, dem ich nachging; alles Suchen ist vergebens. Paris verteufelt kostspielig. Thut nichts, ich habe den Andern gesprochen – den jungen B* – ein ganz anderer Kerl als sein Vater – sehr krank – sehr erschrocken über meine Nachricht – nahm mich mit bis nach Bullone. Ich denke, jetzt wird sich die Sache schon machen. Bedenke, was ich dir vorher sagte – thue du keinen Schritt darin. Ich schicke dir eingesiegelt einen Napoleon – Alles, was ich entbehren kann.

»Der deinige.
» Jeremias Smith.

»Schreibe direkt an mich: Monsieur Smith – stets ein sicherer Name – im Gasthof zum Schiff in Bullone.«

»Jeremias – Smith – Jeremias!«

»Kennen Sie also den Namen?« sagte Barlow. »Nun, der arme Mann gesteht, daß er sich vor seinem Bruder fürchtet – daß er zu thun wünscht, was recht ist – daß er fürchtet, sein Bruder werde ihn davon abhalten – daß Ihr Vater sehr gütig gegen ihn gewesen – und so sei er sogleich zu mir gekommen, und glücklicherweise war ich zu Hause, um ihn zu versichern, daß der Erbe am Leben und bereit sei, seine Rechte zu behaupten. Nun also hätten wir den Zeugen, Herr Beaufort; aber wird uns das genügen? Ich fürchte, nicht. Wird das Geschwornengericht ihm glauben, ohne daß er durch weiteres Zeugniß unterstützt wird? – Bedenken Sie das! – Als er fort war, setzte ich mich mit dem Polizeibeamten in Bow-Street in Verbindung, um etwas über seinen Bruder zu erfahren, der ein sehr berüchtigter Charakter ist, und dem die Polizei den Namen ›der tolle Jerry‹ gegeben hat –«

»Ah, – – nun fahren Sie fort!«

»Ihr einziger Zeuge ist also ein sehr armer Mann, in den dürftigsten Umständen – sein Bruder ein Schurke, ein Sträfling; dieser Zeuge selber ist der schüchternste, schwankendste und unentschlossenste Mensch, den ich je gesehen. Sein Zeugniß würde gegen einen scharfen, polternden Rechtsgelehrten nicht lange Stich halten. Und das ist für jetzt Alles, worauf wir uns stützen können.«

»Ich sehe – ich sehe. Es ist gefährlich – es ist waglich. – Aber Wahrheit ist Wahrheit, Gerechtigkeit – Gerechtigkeit! Ich will es wagen!«

»Verzeihen Sie mir diese Frage, kannten Sie je diesen Bruder? – Waren Sie je mit ihm bekannt – oder in demselben Hause?«

»Vor vielen Jahren – wo ich viele Mühseligkeiten und Beschwerden zu erdulden hatte – war ich freilich mit ihm bekannt – und was weiter?«

»Es thut mir leid, dieß zu hören,« antwortete der Advokat mit ernstem Gesichte. »Sehen Sie nicht ein, daß, wenn dieser Zeuge in Verwirrung geräth und ihm nicht geglaubt wird, und wenn man nachweisen kann, daß Sie, der Kläger – verzeihen Sie mir, daß ich es ausspreche – mit einem Bruder von solchem Ruf in vertrautem Verhältnisse waren, man die ganze Sache so darstellen könnte, daß sie wie Meineid und Conspiration aussieht? – Wenn wir hier stehen bleiben, ist es eine schlimme Sache!«

»Und ist dieß Alles, was Sie mir zu sagen haben? Der Zeuge ist gefunden – der einzige lebende Zeuge – der einzige Beweis, den ich je erhalten kann, und Sie suchen mich – ja selbst mich – abzuschrecken, die Mittel zur Abhülfe anzuwenden, welche die Vorsehung mir sendet. Herr, ich will Sie nicht anhören!«

»Herr Beaufort, Sie sind ungeduldig – es ist sehr natürlich. Aber wenn wir vor Gericht gehen – das heißt, wenn ich etwas damit zu thun haben soll, so warten Sie – warten Sie, bis Ihre Sache klar ist. Und hören Sie mich dennoch an. Dieß ist nicht der einzige Beweis – dieß ist nicht das einzige Zeugniß; Sie vergessen, daß eine beglaubigte Abschrift von dem Trauungsregister existirt; wir können noch diese Abschrift finden, und vielleicht ist der Pfarrer noch am Leben, der die Abschrift machte, um sie zu bezeugen. Mit diesen Gedanken beschäftigt, und da ich den Erfolg unserer Aufforderung nicht erst abwarten wollte, beschloß ich, in die Nähe von Fernside zu gehen, und zum Glück war ein Landhäuschen im Dorfe zu verkaufen. Ich stellte mich, als sei es blos meine Absicht, dieses Haus zu besehen. Nachdem ich es in Augenschein genommen, sprach ich davon, ob man nicht einige Veränderungen anbringen könne, damit es der Villa des Lord Lilburne ähnlicher werde. Dieß führte mich zu der Bitte, die Villa ansehen zu dürfen – und eine Krone, die ich der Haushälterin gab, verschaffte mir Eintritt. Die Haushälterin war schon bei Ihrem Vater gewesen und Seine Herrlichkeit hatte sie behalten. Ich erfuhr daher bald, welche Zimmer der verstorbene Herr Beaufort besonders bewohnt habe, und wurde in sein Studirzimmer geführt, wo er wahrscheinlich seine Papiere aufbewahrte. Ich fragte, ob es noch dasselbe Mobiliar sei, wie zu Ihres Vaters Zeit, was nach dem Alter und der Form wahrscheinlich schien. Es war so; Lord Lilburne hatte das Haus gekauft so, wie es war, und außer einigen Veränderungen im Gesellschaftszimmer sei die ganze Einrichtung der Villa dieselbe geblieben. Sie scheinen ungeduldig! – Ich komme zur Sache. – Mein Auge fiel auf ein altmodisches Bureau –«

»Aber wir durchsuchten jede Schublade in dem Bureau!«

»Auch verborgene Schubladen?«

»Verborgene Schubladen? Nein, ich hörte von keinen verborgenen Schubladen!«

Barlow rieb die Hände und leerte seine Pinte, ehe er fortfuhr: »Jenes Bureau fiel mir auf, denn mein Vater hatte ein ganz ähnliches! Es ist nicht in England, sondern in Holland gemacht.«

»Ja, ich hörte, daß mein Vater es drei oder vier Jahre nach seiner Verheirathung in einer Auktion kaufte.«

»Ich hörte dieß von der Haushälterin, die sich geschmeichelt fühlte, weil ich es bewunderte. Ich konnte nicht von ihr erfahren, in welcher Auktion es gekauft worden, doch sei sie gewiß, daß es in der Nähe gewesen. Ich hatte jetzt einen Fingerzeig und erfuhr durch nachlässige Fragen, welche Auktionen in einem gewissen Jahre in der Nähe von Fernside stattgefunden. Ein Herr war in dem Jahre gestorben und sein Mobiliar verauktionirt worden. Mit großer Schwierigkeit brachte ich heraus, daß seine Wittwe noch am Leben sei und in einiger Entfernung wohne. Ich machte ihr einen Besuch; doch ich will Sie nicht mit einer zu langen Erzählung ermüden und nur sagen, daß sie mir die Versicherung gab, sie erinnere sich vollkommen des Bureau's, und es habe verschiedene geheime Schubladen, die sehr künstlich angebracht seien; ja, sie zeigte mir sogar das Verzeichniß, worin die erwähnten Schubladen mit großen Buchstaben bezeichnet waren, um das Auge der Käufer zu fesseln und den Preis zu erhöhen. Daß Ihr Vater, so lange sein Oheim lebte, nicht sagte, wo er dieses Dokument verwahrte, ist sehr natürlich, und er lebte nicht lange genug, um später Gelegenheit zu einer solchen Erklärung zu haben; doch ich halte mich vollkommen überzeugt, daß, wenn Herr Robert Beaufort es nicht unter den andern Papieren entdeckte, die er durchsuchte, in einer von diesen Schubladen Alles wird gefunden werden, was wir bedürfen, um Ihre Ansprüche zu begründen. Dieß ist um so wahrscheinlicher, da Ihr Vater vielleicht selbst Ihre Mutter nicht von den geheimen Fächern in dem Bureau in Kenntniß setzte. Warum sonst ein solches Geheimniß? Es ist wahrscheinlich, daß er das Dokument entweder kurz vor oder zu der Zeit erhielt, wo er das Bureau kaufte, und daß er dieses gerade zu dem Zwecke erstand, und da er einmal das Papier an einem Orte verwahrt hatte, den er für sicher ansah, hielt ihn Zufall, Nachlässigkeit, Klugheit, vielleicht wohl gar Scham (verzeihen Sie mir), weil er an der Vorsicht Ihrer Mutter gezweifelt, denn darauf deutet seine Heimlichkeit hin, von der Erwähnung des Umstandes ab, selbst als ihn die Vertraulichkeit späterer Jahre von der aufopfernden Hingebung Ihrer Mutter überzeugt hatte. Bei seines Oheims Tode dachte er Alles wieder gut zu machen!«

»Und wie, wenn dieß wahr ist – wenn der Himmel, der mich bisher aus so vielen Gefahren errettete, eben durch die Heimlichkeit meines armen Vaters mein Geburtsrecht vor den Klauen des Räubers bewahrte – wie, sage ich, soll –«

»Das Bureau in unsern Besitz übergehen? Das ist freilich die Schwierigkeit. Aber wir müssen es auf die eine oder die andere Weise zu erreichen suchen, wenn uns alles Andere fehlschlägt; inzwischen, da ich mich jetzt überzeugt halte, daß eine Abschrift aus dem Trauungsregister ist gemacht worden, wünsche ich zu wissen, ob ich nicht sogleich nach Wales reisen sollte und sehen, ob ich nicht die Person in der Nachbarschaft von A* finden kann, welche die Abschrift machte; denn Sie müssen bemerken, daß die erwähnte Abschrift nur in so weit von Wichtigkeit ist, als sie uns zu dem Zeugniß dessen führt, der die Abschrift verfertigte.«

»Mein Herr,« sagte Vaudemont, indem er Barlow herzlich die Hand drückte, »verzeihen Sie mir meinen Ungestüm von vorhin. Ich sehe in Ihnen gerade den Mann, den ich brauche und wünschte – Ihr Scharfsinn überrascht und ermuthigt mich. – Gehen Sie nach Wales und Gott geleite Sie!«

»Sehr wohl! – In fünf Minuten werde ich auf dem Wege sein. Inzwischen reden Sie selber mit dem Zeugen; der Anblick des Sohnes seines Wohlthäters wird mehr als alles Andere dazu beitragen, ihn in seinem Entschlusse zu bestärken. Hier ist seine Adresse, und hüten Sie sich, ihm Geld zu geben. Und nun will ich meinen Wagen bestellen – die Sache scheint der Mühe werth, sich Kosten deßhalb zu machen. O, ich vergaß zu sagen, daß Herr Liancourt gestern in seinen eigenen Angelegenheiten bei mir war. Er wünscht sehr, sich mit Ihnen zu berathen. Ich sagte ihm, Sie würden höchst wahrscheinlich diesen Abend in London sein, und er sagte, er wolle Sie in Ihrer Wohnung aufsuchen.«

»Ja – ich will keinen Augenblick verlieren, nach London zu gehen und unsern Zeugen zu besuchen. Und er sah meine arme Mutter am Altare! – Meine arme Mutter – ach! Wie konnte mein Vater Zweifel gegen sie hegen!« Und während er sprach, erröthete er zum ersten Male vor Scham bei der Erinnerung an seinen Vater. Er konnte noch nicht begreifen, daß ein so biederer und gewöhnlich so kühner und offener Mann vor dem Weibe, welches ihm Alles geopfert, ein für sie so wichtiges Geheimniß habe verbergen können! Das war der einzige Makel an seines Vaters Ehre – und ein arger Makel war es. Schwer war die Strafe auf die gefallen, die sein Vater am meisten geliebt! Ach, Philipp hatte noch nicht erfahren, wie Hoffnung und Furcht wegen großen Reichthums selbst Männer bestechen und verleiten können, die für höchst ehrenvoll gehalten werden, wenn sie in dem Glauben erzogen sind, daß Reichthum der höchste Segen des Lebens ist. Aus dem rechten Lichte betrachtet, lag in Philipp Beauforts einsamer Engherzigkeit die ungeheure Moral der dunkelsten Wahrheit dieser Welt!

Barlow war abgereist. Philipp war im Begriff, in seine Chaise zu steigen, als ein vierspänniger Wagen vor die Thür des Gasthauses fuhr, um die Pferde zu wechseln. Ein junger Mann lag der Länge nach im Wagen – er war in Mäntel gehüllt und trug die Blässe langer und schwerer Krankheit auf der Wange. Er richtete sein trübes Auge vielleicht mit dem Blicke des Neides, der den Kranken eigen ist, auf jene starke und athletische Gestalt, majestätisch in ihrer Gesundheit und Kraft, die neben dem bescheideneren Fuhrwerke stand. Philipp beachtete indeß den Ankommenden nicht, sondern sprang in seine Chaise und rasselte fort. Und so waren Arthur Beaufort und sein Vetter einander unbewußt wieder begegnet! Auf wessen Seite war jetzt die Nacht – und auf wessen der Morgen?


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