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Fünftes Kapitel.

Der Kerl beschäftigt sein gewohntes Handwerk,
Er sucht achtlose Männer in die Schling'
Zu zieh'n, und weise zu bezaubern, wie
Ich schon gesagt; doch als in seiner Rüstung
Der ernste, majestät'sche Ritter kam,
Sank ihm der Muth.

Thomson.

Der Morgen brach an, wo Herr Goupille und Mademoiselle Adele de Courval verbunden werden sollten. Die Ceremonie war vorüber, und Braut und Bräutigam überstanden diese Prüfung mit schicklichem Ernste. Nur die elegante Adele schien aufgeregter, als Love sich erklären konnte; sie war sehr unruhig in der Kirche und richtete ihre Augen öfter auf die Thür, als auf den Altar. Vielleicht wollte sie davon laufen; aber es war entweder zu spät oder zu früh dazu. Als die Trauung beendet war, begab sich das glückliche Paar mit den Freunden in den Cadran Bleu, welche Restauration in den Festlichkeiten der guten Bürger von Paris so berühmt ist. Hier hatte Love auf Kosten des Gewürzhändlers ein sehr geschmackvolles Gastmahl bestellt.

»Zum Henker! Aber Sie haben nicht gespart, Herr Love,« sagte Goupille etwas ärgerlich, als er das lange, mit künstlichen Blumen verzierte Zimmer und den Tisch mit fünfzig Couverten überschaute.

»Pah!« versetzte Love, »Sie können sich später einschränken. Denken Sie nur an das Vermögen, welches sie Ihnen zubringt!«

»Es ist freilich eine hübsche Summe,« sagte Goupille, »und der Notar ist völlig zufrieden.«

»Es ist keine Heirath in Paris, die mir mehr Ehre macht,« sagte Love und ging, um die Komplimente und Glückwünsche von den Gästen zu empfangen, die um seine guten Dienste wußten. Der Vicomte de Vaudemont war natürlich nicht gegenwärtig. Er war nicht bei Love gewesen, seit Adele den Gewürzhändler angenommen hatte. Aber Madame Beavor in der weißen Haube, mit spanischem Flieder verziert, hing schmachtend am Arme des Polen, der sehr großartig neben seiner weißgekleideten Geliebten aussah. Higgins war durch Love's Vermittlung mit einer kleinen, dunkelfarbigen Creolin bekannt geworden, die falsche Diamanten trug und sehr schmachtende Augen hatte, so daß Love's Herz wohl schwellen konnte vor Freude bei der Aussicht auf den vielfachen Segen, der seinem Wohlwollen den Ursprung verdankte. In der That war jener Oberpriester von Hymens Tempel nie größer, als an jenem Tage; nie schien sein Ruf solider, sein Geschäft fester begründet und sein Glück sicherer. Er belebte die ganze Gesellschaft.

Als das Gastmahl beendet war, wurden Vorbereitungen zum Tanze gemacht. Herr Goupille in engen Beinkleidern, noch enger, als er sie gewöhnlich trug, und von dem feinsten Nanking, mit gestreiften seidenen Strümpfen, eröffnete den Ball mit der Frau eines reichen Pastetenbäckers aus derselben Vorstadt; Love führte die Braut zum Tanze. Der Abend verging und nach mehreren andern ceremoniösen Tänzen hielt sich Goupille berechtigt, einen der ehelichen Zärtlichkeit zu widmen. Es wurde ein Contretanz bestellt, und der Gewürzhändler forderte die Hand der schönen Adele. Jetzt waren zwei Personen, die man bisher noch nicht bemerkt hatte, leise eingetreten, standen in der Nähe der Thür und schienen die Tänzer zu beobachten, als ob sie Jemand suchten. Sie drehten ihre Köpfe auf und nieder, hin und her, beugten sich dann und stellten sich wieder auf die Zehen. Der Eine war ein großer Mann mit starkem Backenbart und blondem Haar, der Andere ein kleiner, hagerer, zierlich gekleideter Mann, der den Arm seines Begleiters faßte und ihm von Zeit zu Zeit etwas zuflüsterte. Der Mann mit dem Backenbart erwiderte in Gurgeltönen, welche andeuteten, daß er ein Deutscher sei. Die beschäftigten Tänzer bemerkten die Fremden nicht. Aber die Umstehenden bemerkten sie, und es erhob sich ein Gemurmel der Neugierde in dem Kreise; wer mochten sie sein? – Wer konnte sie eingeladen haben? – Es waren neue Gesichter in der Vorstadt, vielleicht Verwandte von Adele?

In hohem Entzücken schwebte die schöne Braut die Reihen hinunter, während Goupille sich mit Vorsicht die Stirn abwischte und ihre Gewandtheit bewunderte, als plötzlich der Herr mit dem Backenbart, den ich beschrieben habe, sich von seinem Begleiter entfernte und rief: »Da ist sie! – Sacré tonnere!«

Bei dieser Stimme und dieser Erscheinung stand die Braut so plötzlich still, daß sie nicht Zeit hatte, beide Füße auf den Boden zu setzen, sondern den einen hoch in die Luft hielt, während sich der andere auf die zierlichen Zehen stützte. Die Gesellschaft meinte natürlich, daß dieß ein Kunststück sei, dem man Beifall klatschen müsse. Love, der hinter ihr her donnerte, rief Bravo, und da der starke Herr eine Wendung machen mußte, um sie nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, so fuhr er gerade auf den bärtigen Fremden los und warf ihn wie einen Ball auf die Seite.

»Mein Gott!« rief Goupille, »meine süße Freundin, sie ist ohnmächtig geworden!« Und so bald Adele das Gleichgewicht wieder erlangt hatte, sank sie in die Arme des bestürzten Polen, der zum Glück in der Nähe war.

Inzwischen kam der Deutsche, der sich dadurch vom Fallen gerettet hatte, daß er dem Herrn Higgins mit aller Kraft auf die Zehen trat, wieder zu der Stelle zurück, faßte die schöne Braut rauh am Arme und rief: »Keinen schlechten Spaß, Madame! Reden Sie! Was haben Sie mit dem Gelde gethan?«

»In der That, mein Herr,« sagte Goupille, seine Cravatte in die Höhe ziehend, »dieß ist ein seltsames Verfahren; was haben Sie über das Geld dieser Dame zu sagen? – Es ist mein Geld jetzt, Herr!«

»Oho! Steht es so? Das wollen wir bald sehen. Kommen Sie, Herr Favart, thun Sie Ihre Pflicht.«

Bei diesen Worten ging der kleine Begleiter des Fremden langsam zu der Stelle hin, während bei seinem Namen und bei seinem Schritte das Gedränge zur Rechten und zur Linken Platz machte, denn Favart war eines der berühmtesten Oberhäupter der Pariser Polizei – ein Mann, der würdig war, ein Zeitgenosse des berühmten Vidocq zu sein.

»Beruhigen Sie sich, meine Herren; fürchten Sie nichts, meine Damen,« sagte dieser Herr mit der mildesten aller menschlichen Stimmen, und gewiß brachte kein Oel, welches man auf's Wasser goß, je eine so beruhigende Wirkung hervor, als jener schwache und sanfte Tenor. Der Pole besonders, der die schöne Braut mit beiden Armen hielt, zitterte an allen Gliedern und schien im Begriff, seine Last allmälig auf den Boden fallen zu lassen, als Favart, der ihn mit wohlwollendem Lächeln ansah, sagte: »Aha, mein Tapferer! Bist du es? Bleibe nur, und halte immer die Dame!«

Der Pole, der sich zu dieser Aufgabe verurtheilt sah, erhob die Arme, die er früher hatte sinken lassen, und der Polizeioffizier sagte mit billigendem Kopfnicken: »Gut, rühre dich nicht – so ist's recht!«

Goupille, in Erstaunen und Unwillen, seine bessere Hälfte ohne Rücksicht auf seine eigenen kriegerischen Gefühle den Armen eines Andern überliefert zu sehen, war im Begriff, sie dem Polen zu entreißen, als Herr Favart mit seinem kleinen Finger seine Brust berührte und im sanftesten Tone sagte: »Mein Bürger, mischen Sie sich nicht in das, was Sie nicht angeht!«

»Was mich nicht angeht!« wiederholte Goupille, indem er sich zu seiner vollen Höhe aufrichtete. »Erklären Sie sich, wenn's gefällig ist! Diese Dame ist meine Frau.«

»Sagen Sie das noch einmal – das ist Alles!« sagte der bärtige Fremde im scheußlichsten Französisch und mit wüthender Grimasse, indem er dem Gewürzhändler seine geballten Fäuste unter die Nase hielt.

»Es noch einmal sagen, Herr,« sagte Goupille, keineswegs erschreckt; »warum sollte ich es nicht noch einmal sagen? Diese Dame ist meine Frau!«

»Sie lügen! – Sie ist meine Frau!« rief der Deutsche, und sich niederbeugend, nahm er die schöne Adele dem Polen mit so wenig Umständen ab, als hätte sie keinen Marquis zum Urgroßvater gehabt, schüttelte sie, so daß er eine Todte hätte erwecken können, und rief mit Donnerstimme: »Reden Sie, Madame Bihl! Sind Sie meine Frau oder nicht?«

»Ungeheuer!« murmelte Adele, ihre Augen öffnend.

»Hören Sie – sie erkennt mich an!« sagte der Deutsche, indem er sich mit triumphirender Miene an die Gesellschaft wendete.

»Es ist wahr!« sagte die sanfte Stimme des Polizeimannes. »Und nun lassen Sie sich nicht länger durch uns in Ihrem Vergnügen stören. Wir haben einen Fiaker vor der Thür. Nehmen Sie Ihre Frau mit, Herr Bihl.«

»Herr Love!« rief oder schrie vielmehr der Gewürzhändler, indem er durch's Zimmer eilte und den Chef an den Rockschößen ergriff, gerade als er schon halb durch die Thür war, »kommen Sie zurück! Welchen schlechten Streich haben Sie mir hier gespielt! Sagten Sie mir nicht, die Dame sei ledig? Bin ich verheirathet oder nicht? Stehe ich auf dem Kopfe oder auf den Füßen?«

»Still – still, mein guter Bürger!« flüsterte Love; »morgen soll Alles erklärt werden!«

»Wer ist dieser Herr?« fragte Favart, indem er sich Love näherte, der sich in der Klemme sah, sich plötzlich von dem Gewürzhändler losriß, seine Hände in die Hosentaschen, sein Kinn in die Cravatte steckte, seine Augenbrauen erhob, seine Augen beinahe zumachte und seine Backen aufblies, so daß der erstaunte Goupille beinahe bezaubert zu sein glaubte und das Gesicht des Heirathsstifters wirklich nicht erkannte.

»Wer ist dieser Herr?« wiederholte der kleine Polizeibeamte, der in der Nähe stand und so winzig gegen Love aussah, daß man hätte denken sollen, dieser dürfe nur athmen, um ihn umzublasen.

»Wer sollte es sein, Herr!« rief Madame Rosalie Caumartin, die ihm mit der Großmuth ihres Geschlechts zu Hülfe kam – »dieß ist Herr Love – der berühmte Engländer. Was haben Sie gegen ihn zu sagen?«

»Er hat fünfhundert Franken von mir bekommen!« rief der Gewürzhändler.

Der Polizeimann beobachtete Love mit großer Aufmerksamkeit. »So sind Sie also wieder in Paris? – Hm! – Sie spielen doch immer Ihre Rolle.«

»Meiner Treu!« sagte Love kühn; »ich weiß nicht, was der Herr meinen; mein Ruf ist wohl bekannt – gehen Sie und erkundigen Sie sich in London – fragen Sie den Sekretär der auswärtigen Angelegenheiten – fragen Sie meinen Gesandten – fragen Sie meinen –«

»Ihren Paß, Herr?«

»Er liegt zu Hause. Man trägt doch nicht seinen Paß in der Tasche, wenn man auf einen Ball geht.«

»Ich will zu Ihnen kommen und ihn ansehen. – Auf Wiedersehen! Nehmen Sie meinen Rath an und verlassen Sie Paris; ich glaube, Sie irgendwo gesehen zu haben.«

»Ich habe doch nie die Ehre gehabt, Sie zu verheirathen, mein Herr,« sagte Love mit höflicher Verbeugung.

In Erwiderung auf diesen Scherz warf der Polizeimann Love einen Blick zu – es war ein ruhiger, sehr ruhiger Blick; aber Love schien ungewöhnlich davon betroffen zu werden; er sagte kein Wort, sondern machte sich sogleich aus dem Hause. Favart wendete sich um und erblickte den Polen, der sich, so gut er konnte, hinter der wohlbeleibten Gestalt der Madame Beavor versteckte.

»Welchen Namen führt jener Herr?«

»So–vo–lofski, der heroische Pole,« rief Madame Beavor, mit schlimmer Ahnung bei der unerwarteten Feigheit des großen Patrioten.

»Hm! Nehmen Sie sich in Acht, meine Damen. Ich habe dießmal nichts gegen diese Person zu sagen. Aber Herr Latour hat seine Lehrzeit auf der Galeere zugebracht, und er war so wenig ein Pole, als ich ein Jude.«

»Und das Vermögen dieser Dame?« rief Goupille pathetisch; »die Legate sind alle ausgesetzt – die Notare bezahlt. Ich bin gewiß, daß hier ein Irrthum obwalten muß.«

Herr Bihl, der jetzt seine verlorene Helena wieder zum Bewußtsein gebracht hatte, schritt zu dem Gewürzhändler hin und schleppte die Dame mit sich fort.

»Es ist kein Irrthum, Herr! Aber wenn ich das Geld habe und Ihnen die Dame dann noch gefällt, so sind Sie ihr willkommen.«

»Ungeheuer!« murmelte die schöne Adele wieder.

»Das Lange und Kurze von der Sache ist,« sagte Herr Favart, »daß Herr Bihl ein wackerer Junge ist und als Courier die halbe Welt durchwandert hat.«

»Ein Courier!« riefen mehrere Stimmen.

»Madame war Kindsjungfer bei einem englischen Mylord. Sie verheiratheten sich und zankten mit einander – kein großes Unrecht, meine Freunde; nichts ist gewöhnlicher. Herr Bihl ist ein sehr getreuer Mensch; er pflegte seinen Herrn in seiner letzten Krankheit, die einen unglücklichen Ausgang hatte, weil er mit seinem Doktor reiste. Mylord hinterließ ihm ein hübsches Legat – er zog sich vom Dienste zurück und wurde krank, vielleicht aus Müßiggang oder auch vom Bier. Ist das nicht die Geschichte, Herr Bihl?«

»Er war stets betrunken – der Elende,« schluchzte Adele.

»Nur um meinen häuslichen Kummer zu vergessen,« sagte der Deutsche, »und als ich krank in meinem Bette lag, lief Madame mit meinem Gelde davon. Mit Hülfe dieses Herrn habe ich Beides wieder gefunden und wünsche Ihnen einen sehr guten Abend.«

»Tanzen Sie immer weiter, meine Freunde,« sagte der Polizeimann, sich verbeugend. Adelen und ihrem Gatten folgend, verließ der kleine Mann das Zimmer, wo er in großen und breiten Gestalten eben so viel Bestürzung erregt hatte, wie ein kleines Frettchen unter einer Schaar von Kaninchen anrichtet, die zweimal so groß sind.

Morton war länger da geblieben, als Love. Doch hielt er es für unnöthig, noch lange nach der Entfernung dieses Herrn zu verweilen, und bei der Verwirrung, welche erfolgte, schlich er sich unbemerkt hinaus und kam bald in dem Bureau an. Er fand Love und Birnie schon beschäftigt, ihre Effekten einzupacken.

»Ei, wann entfernten Sie sich?« sagte Morton zu Birnie.

»Ich sah den Polizeimann eintreten.«

»Und warum, zum Henker, sagten Sie uns das nicht?« sagte Gawtrey.

»Jeder muß für sich sorgen. Ueberdieß tanzte auch Herr Love,« versetzte Birnie mit einem finsteren Blicke der Verachtung.

»Philosophie!« versetzte Gawtrey, seinen Frack in den Koffer werfend; dann veränderte er plötzlich seine Stimme und rief: »Ha, ha! Es war bei alledem ein hübscher Spaß. – Gestehen Sie, daß ich meine Sache gut machte. Wahrhaftig, wenn er mir nicht den Blick zugeworfen hätte, würde ich ihm dennoch einen Streich gespielt haben. Aber diese verdammten Kerle lernen von den Irrenärzten, wie sie uns zähmen müssen. Wahrhaftig, mein Herz sank mir bis auf die Schuhe nieder, und doch bin ich gerade kein Feigling!«

»Aber er kannte Sie doch offenbar nicht,« sagte Morton; »und was hat er gegen Sie zu sagen? Ihr Geschäft ist freilich ein seltsames, aber doch kein unehrliches. Warum wollen Sie es aufgeben, als wenn –«

»Mein junger Freund,« fiel Gawtrey ein, »mag uns nun die Polizei nachsetzen oder nicht, so ist unser Geschäft ruinirt; jene verdammte Adele mit ihrer fabelhaften Großmama hat uns zu Grunde gerichtet. Goupille wird den Tempel erschüttern, so daß er uns über dem Kopfe zusammenstürzt. Da ist keine Hülfe – nicht wahr, Birnie?«

»Keine.«

»Gehen Sie zu Bette, Philipp, wir wollen Sie bei Tagesanbruch rufen, denn wir müssen Alles ausgeräumt haben, ehe unsere Nachbarn ihre Fensterläden öffnen.«

Halb ausgekleidet legte sich Morton in dem kleinen Kabinet auf's Bette und überdachte die Ereignisse des Abends. Der Gedanke, daß er jene weiße Hand und jenen lieblichen Mund nicht wiedersehen sollte, welche die Unbekannte ihm gezeigt, verfolgte ihn und machte ihn sehr abgeneigt gegen die plötzliche Flucht, die Gawtrey beabsichtigte, während sein Vertrauen zu dem Chef des Bureau's sehr erschüttert wurde, indem er sich der Wirkung erinnerte, die ein einziger Blick von dem Werkzeuge des Gesetzes auf seinen Muth hervorgebracht. Er hatte noch nicht lange genug in der Welt gelebt, um zu wissen, daß Menschen zuweilen die Repräsentanten der Dinge sind, und daß ein Polizeidiener oft in die ärgste Räuberhöhle eintritt und mit dem Winke seines Zeigefingers seine Beute unter seinen Genossen auszeichnet; kurz daß das Ding, welches man Gesetz nennt, wenn es einmal fühlbar und gegenwärtig ist, selten verfehlt, das muthige Herz des Verbrechens zu lähmen, denn das Gesetz ist das Symbol des ganzen Menschengeschlechts, welches sich gegen einen einzigen Feind erhebt – gegen den Verbrecher. Da er mit dieser Wahrheit noch unbekannt war und keine schlimmere Vergehungen von Gawtrey erwartete, als die einer zweideutigen Profession, so dachte der junge Mann mit Verachtung und Verwunderung über die Feigheit seines Beschützers nach, bis er endlich seiner Vermuthungen, seines Mißtrauens und seiner Scham über seine eigene seltsame Lage, einem Manne verpflichtet zu sein, den er nicht achten konnte, müde wurde und einschlief.

Als er erwachte, sah er das graue Licht des Morgens durch sein unverschlossenes Fenster fallen und mit dem matten Strahl einer Kerze kämpfen, die Gawtrey, mit der Hand beschattend, über dem Schläfer hielt. Er fuhr auf, und in der Verwirrung des Erwachens und des undeutlichen Lichtes meinte er, es sei ein Feind, der vor ihm stehe.

»Nehmen Sie sich in Acht!« sagte Gawtrey, als Morton in diesem Glauben seinen Arm ergriff. »Sie haben ziemlich starke Klauen. Sein Sie still. Ich habe Ihnen ein Wort zu sagen.« Hier stellte Gawtrey das Licht auf einen Stuhl und machte die Thür zu. »Sehen Sie,« sagte er leise, »ich habe beinahe den ganzen Kreis meiner Erfindungsgabe und meines Witzes durchgemacht, so fruchtbar derselbe auch ist, und habe wenig von der Zukunft zu erwarten. Da Favarts Augen einmal auf mich gerichtet sind, so wird keine Verkleidung und kein Umweg etwas helfen. Ich wage nicht, nach London zurückzukehren; ich bin zu wohl bekannt in Brüssel, Berlin und Wien –«

»Aber,« fiel Morton ein, indem er sich auf seinen Arm stützte und seine dunklen Augen auf seinen Wirth richtete – »aber Sie haben mir wiederholt gesagt, daß Sie kein Verbrechen begangen haben, warum fürchten Sie sich denn so sehr vor der Entdeckung?«

»Ei,« wiederholt Gawtrey mit einigem Zögern, welches er augenblicklich überwand, »ei, haben Sie nicht selber erfahren, daß der Schein die Wirkung des Verbrechens hat? Wurden Sie nicht als Dieb verfolgt, als ich Sie von dem Feinde, dem Gesetze, befreite? Sind Sie nicht schon, obgleich fast noch ein Knabe, aus Ihrem Vaterlande verbannt? Und wie können Sie mir die strengen Fragen vorlegen, der ich alt geworden bin bei dem Bemühen, aus Gurken Sonnenstrahlen zu ziehen, und Nahrung aus der Armuth? Ich wiederhole, daß ich Gründe habe, für den Augenblick die großen Hauptstädte zu vermeiden. Ich muß mich heruntergeben und mich in Provinzen aufhalten. Birnie ist so hoffnungsvoll wie immer, doch ist er ein schrecklicher Tröster. Genug davon. Nun von Ihnen selbst; wir haben weniger erspart, als Sie erwarten mögen; Birnie ist Schatzmeister gewesen, und ich habe ein Weniges für Fanny zurückgelegt, und ich will lieber verhungern, als das anrühren. Es sind indeß noch hundert und fünfzig Napoleons übrig, und wenn wir unsere Effekten auch nur zum vierten Theil ihres Werthes verkaufen, so werden sie noch hundert und fünfzig einbringen. Hier ist Ihr Antheil. Ich habe Mitleid mit Ihnen. Ich sagte Ihnen, ich wollte Sie harmlos und unschuldig erhalten, verlassen Sie uns, so lange es noch Zeit ist.«

Es schien also, als habe Gawtrey Mortons Gedanken errathen, und so ist das menschliche Herz: anstatt die Befreiung von ihm mit Freuden zu benützen, die ihm jetzt angeboten wurde und über die er bereits nachgedacht, erschien ihm dieselbe nun wie ein schändlicher Verrath.

»Armer Gawtrey!« sagte er, indem er den Beutel mit Gold zurückschob, den er ihm reichte, »Sie sollen nicht in die Welt gehen und denken, daß der Waise, den Sie ernährt und gekleidet, Sie mit Ihrem Gelde in der Tasche dem Hunger überlassen hat. Wenn Sie mir nochmals versichern, daß Sie kein Verbrechen begangen haben, so erinnern Sie mich, daß die Dankbarkeit kein Recht hat, strenge gegen die Irrthümer eines Wohlthäters zu sein. Wenn Sie sich nicht der Gesellschaft anschließen, was hat die Gesellschaft für mich gethan? Nein, ich will Sie im Unglück nicht verlassen. Das Schicksal hat Ihnen einen Fall bereitet. Nur Muth, und Sie werden sich schon wieder erheben!«

Diese letzten Worte wurden so herzlich und heiter ausgesprochen, während Morton aus dem Bette sprang, daß sie Gawtrey ermutigten, welcher wirklich über sein Loos trostlos war.

»Wohlan,« sagte er, »ich kann den einzigen Freund, der mir noch übrig ist, nicht von mir treiben, und so lange ich lebe – aber ich will kein Versprechen ablegen. Schnell also, unser Gepäck ist schon fort, und ich höre den Schurken Birnie schon den Marsch zum Rückzuge brummen.«

Mortons Toilette war bald beendet, und die drei Verbündeten sagten dem Bureau Lebewohl.

Birnie, der so schweigsam und undurchdringlich war, wie immer, ging als Führer voran. Endlich kamen sie in einem Schlosserladen an, der sich in einer Gasse in der Nähe des Thores St. Denis befand. Der Schlosser selber, ein großer, düsterer Mann mit schwarzem Barte, öffnete eben seinen Laden, als sie sich näherten. Er und Birnie wechselten schweigende Blicke, und der Erstere, der seine Beschäftigung einstellte, führte sie eine sehr schmutzige Treppe hinauf, zu einem Zimmer, wo ein Bett, zwei Stühle, ein Tisch und ein altes Bureau von Nußbaumholz die einzigen Möbel waren. Gawtrey sah mit trostlosem Blicke die schwarzen, niedrigen und feuchten Wände an, und sagte in niedergeschlagenem Tone:

»Wir waren doch besser daran im Tempel des Hymen. Aber bringen Sie uns eine Flasche Wein, einige Eier und eine Bratpfanne – beim Jupiter, ich verstehe mich vortrefflich darauf, Pfannkuchen zu backen!«

Der Schlosser nickte wieder, grunzte und entfernte sich.

»Ruhen Sie hier aus,« sagte Birnie mit seiner ruhigen, leidenschaftlosen Stimme, die Morton einen ungewohnten Ton des Befehls anzunehmen schien. »Ich will gehen und unsere Möbel so gut als möglich verkaufen, neue Kleider anschaffen und Plätze nach Tours bestellen.«

»Nach Tours?« wiederholte Morton.

»Ja, dort sind einige Engländer; man kann überall leben, wo Engländer sind,« sagte Gawtrey.

»Hm!« brummte Birnie trocken, knöpfte seinen Rock zu und ging langsam fort.

Um Mittag kehrte er mit einem Bündel Kleider zurück, die Gawtrey, der stets die Elasticität seines Geistes wieder erlangte, wenn er Gelegenheit hatte, seine Talente anzuwenden, mit großer Aufmerksamkeit betrachtete und häufig ausrief: »Ei, das ist gut.«

»Ich habe einen guten Handel mit dem Juden gemacht,« sagte Birnie, zwei schwere Beutel aus seiner Rocktasche ziehend; »hundertundachtzig Napoleons. Wir können mit einem guten Kapital beginnen.«

»Sie haben Recht, mein Freund,« sagte Gawtrey.

Dann wurde der Schlosser zu der besten Restauration in der Nachbarschaft abgeschickt und die drei Abenteurer nahmen ein weniger sokratisches Mittagessen ein, als man hätte erwarten sollen.


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