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Sechstes Kapitel.

Dann setzt er seine Irrfahrt wieder fort.

Thomson.

Noch einmal sieht er hin: Er ist's gewiß,
Auf seinem Stuhle sitzt er da,
Als wäre sein Gewissen ohne Makel.

Crabbe.

Die Abenteurer kamen in Tours an und nahmen dort eine Wohnung, ohne daß ihnen etwas Bemerkenswerthes unterwegs begegnet wäre.

In Tours hatte Morton nichts weiter zu thun, als dem Vergnügen nachzugehen. Er galt für einen jungen Erben, Gawtrey für seinen Erzieher und Doktor der Theologie, Birnie für seinen Kammerdiener. Die Aufgabe, für den Unterhalt zu sorgen, fiel Gawtrey anheim, der seine Rolle vortrefflich spielte, seine ernsten Scherze mit lateinischen Brocken würzte, stark und wohlgenährt aussah, Kniehosen und einen Hut mit breitem Rande trug, und Whist mit der Geschicklichkeit eines alten Pfarrers spielte. Durch seine Geschicklichkeit in diesem Spiel gewann er Anfangs wenigstens so viel, um seine wöchentlichen Ausgaben zu bestreiten. Nach und nach aber wurden die guten Einwohner von Tours, die es der Gesundheit wegen mit der Sparsamkeit hielten, scheu, und wollten nicht mehr mit einem so vortrefflichen Spieler spielen, und obgleich Gawtrey stets feierlich versicherte, daß er mit der größten Redlichkeit spiele – welche Behauptung wenigstens Morton vollkommen glaubte – und kein Beweis von dem Gegentheil entdeckt wurde, so ist doch ein vorzüglicher Kartenspieler stets ein verdächtiger Charakter, wenn nicht die Verlierenden genau wissen, wer er ist. Dieser Markt war geschlossen und Gawtrey hielt es endlich für gerathen, weiter zu reisen.

»Ach,« sagte Gawtrey, »die Welt ist heutiges Tages so prunksüchtig geworden, daß man nicht vortheilhaft reisen kann, ohne eine Postchaise mit vier Pferden zu nehmen.« Endlich befanden sie sich in Mailand, welches damals das gelobte Land der Spieler war. Hier aber fand Gawtrey es schwer, in die Gesellschaft zu kommen, da es ihm an Empfehlungen fehlte. Die stolzen und reichen Edelleute spielten hoch, hielten sich aber abgesondert; die Bürgerlichen waren fleißig und kräftig, und behielten viel von der alten lombardischen Verschlagenheit bei; da waren keine öffentlichen Gasttafeln und keine allgemeinen Spielgesellschaften. Gawtrey sah sein kleines Kapital täglich abnehmen, und er hatte die Alpen im Rücken und die Armuth vor sich. Da er aber immer auf seiner Hut war, so gelang es ihm endlich, mit einer sehr angesehenen schottischen Familie Bekanntschaft zu machen. Dieß gelang ihm dadurch, daß er eine Schnupftabaksdose aufhob, die der Schotte hatte fallen lassen, als er sein Taschentuch herausgezogen. Diese Höflichkeit bahnte den Weg zu einer Unterhaltung, wobei Gawtrey sich so angenehm machte und mit solchem Aufwande von Beredsamkeit von dem modernen Athen und den Streichen sprach, die man den Reisenden spiele, daß er Mrs. Macgregor vorgestellt wurde; man wechselte Karten, und da Gawtrey auf ziemlich anständigem Fuße lebte, so erklärten die Macgregors ihn für einen sehr feinen Mann. Da er einmal im Hause eines achtbaren Mannes eingeführt war, gelang es Gawtrey bald, sich weiter auszubreiten, bis er den ganzen Kreis der Engländer untergrub, die in Mailand wohnten. Er wurde als Whistspieler berühmt und noch einmal lächelte das Glück der Geschicklichkeit.

In dieses Haus begleitete eines Abends der Zögling seinen Erzieher. Als die Whistpartie gebildet wurde, die aus zwei Tischen bestand, sah sich der junge Mann nebst einem alten Herrn ausgeschlossen, der sehr redselig und gut gelaunt war, und Morton viele Fragen vorlegte, die er zu beantworten schwierig fand. Ein Whisttisch gerieth jetzt in Revolution, nämlich eine Dame trat aus und ein Herr ein, als die Thür aufging und Lord Lilburne angemeldet wurde.

Macgregor stand auf und ging dieser Person mit großem Respekt entgegen.

»Ich wagte kaum zu hoffen, daß Sie kommen würden, Lord Lilburne, da der Abend so kalt ist.«

»Sie rechneten nicht genug auf die Langweiligkeit meines einsamen Gasthauses und das Anziehende Ihres Kreises. – Aha! Whist, wie ich sehe.«

»Sie spielen zuweilen?«

»Sehr selten jetzt; ich habe allen meinen wilden Hafer ausgesäet, und selbst der Spaten des Pique-Aß kann ihn nicht aufgraben.«

»Ha, ha! Sehr gut.«

»Ich will zusehen.« Und Lord Lilburne zog seinen Stuhl an den Tisch und setzte sich Gawtrey gerade gegenüber. Der alte Herr wendete sich zu Philipp:

»Ein außerordentlicher Mann, der Lord Lilburne; Sie haben natürlich von ihm gehört?«

»Nein, in der That nicht; was ist's mit ihm?« fragte der junge Mann lebhaft.

»Was mit ihm ist?« sagte der alte Herr lächelnd; »wenn Sie je die Zeitungen lesen, so werden sie Ihnen genug von dem eleganten und witzigen Lord Lilburne erzählen, einem Manne von großem Talent, welches er freilich nicht anwendet. Er war wild in der Jugend, wie geistreiche Leute es häufig sind; aber als er zu seinem Titel und Vermögen gelangte, und in die Familie des damaligen ersten Ministers heirathete, wurde er gesetzter. Man sagt, er könnte eine große Rolle in der Politik spielen, wenn er wollte. Er hat in der That einen sehr großen Ruf. Die Leute sagen, er liebe noch das Vergnügen, aber das ist ein allgemeiner Fehler unter den Aristokraten. Moralität findet sich nur in den mittleren Klassen, junger Herr. Es ist eine glückliche Familie, die des Lord Lilburne; seine Schwester, Mrs. Beaufort –«

»Beaufort!« rief Morton und murmelte dann bei sich selber: »Ei, es ist wahr, ich habe den Namen Lilburne schon früher gehört.«

»Kennen Sie die Beauforts? Sie werden sich erinnern, wie glücklich Robert, Lilburne's Schwager, zu jenem schönen Vermögen kam, gerade als sein Vorgänger im Begriffe war, eine –«

Morton sah den geschwätzigen Alten zornig an und ging rasch zu dem Spieltische.

Seitdem Lord Lilburne sich Gawtrey gegenüber gesetzt hatte, zeigte dieser ein verstörtes Wesen, welches der ganzen Gesellschaft auffiel. Er wurde todtenblaß, seine Hände zitterten, er bewegte sich auf seinem Stuhle, vergab die Karten, trumpfte die besten Forcen seines Mitspielers, hörte endlich auf, warf sein Geld auf den Tisch und sagte mit gezwungenem Lächeln, es sei ihm zu heiß im Zimmer. Als er aufstand, erhob sich Lord Lilburne auch, und die Augen Beider begegneten einander. Lilburne's Blick war ruhig, aber forschend und durchdringend; Gawtrey's Augen glichen Feuerkugeln. Er schien nach und nach größer zu werden, seine breite Brust dehnte sich aus und er athmete schwer.

»Ei, Doktor,« sagte Macgregor, »erlauben Sie mir, Sie dem Lord Lilburne vorzustellen.«

Der Pair verbeugte sich hochmüthig, Gawtrey erwiderte den Gruß nicht, sondern schritt mit einer Bewegung, als unterdrückte er einen Ausbruch der Leidenschaft, zum Feuer, wendete sich dann um und richtete wieder seinen Blick auf den neuen Gast. Lilburne aber, der bei diesem seltsamen Benehmen seine Fassung nicht verlor, sprach jetzt ruhig mit dem Wirth.

»Ihr Doktor scheint ein excentrischer Mensch zu sein – ein wenig geistesabwesend – sehr gelehrt, vermuthlich. Waren Sie schon in Como?«

Gawtrey blieb beim Feuer, trommelte mit den Fingern an dem Kamingesims und richtete seine Augen von Zeit zu Zeit auf Lilburne, der sein Dasein gänzlich vergessen zu haben schien.

Diese beiden Gäste blieben da, bis die Gesellschaft sich trennte; Gawtrey wünschte offenbar länger als Lilburne da zu bleiben, denn als der Letztere die Treppe hinunterging, nickte Gawtrey seinem Kameraden zu, machte dem Wirth eine Verbeugung und stieg auch hinunter. Als sie an dem Zimmer des Portiers vorüber gingen, sahen sie, daß Lilburne schon den Fuß auf seinen Wagentritt gesetzt hatte. Er wendete plötzlich den Kopf herum, begegnete wieder Gawtrey's Blicken, schwieg einen Augenblick und sagte dann leise über seine Schulter:

»So erinnern wir uns also an einander, Herr? – Lassen Sie uns einander nicht wieder treffen, und unter der Bedingung soll das Geschehene vergessen sein.«

»Schurke!« murmelte Gawtrey und ballte seine Fäuste; aber der Pair war mit einer Leichtigkeit in seinen Wagen gesprungen, die man bei seiner Lahmheit nicht hätte erwarten sollen, und die Räder rollten keinen Zoll breit an dem rechten Schuh des vorgeblichen Doktors vorbei.

Gawtrey ging einige Augenblicke in großer Aufregung weiter, endlich aber wendete er sich zu seinem Begleiter:

»Vermuthen Sie, wer Lord Lilburne ist? Ich will es Ihnen sagen – mein größter Feind und Fanny's Großvater! Nun beachten Sie die Gerechtigkeit des Schicksals: hier ist dieser Mann – bemerken Sie es wohl – dieser Mann, der sein Leben damit begann, seine Fehler auf meine Schultern zu werfen. Aus dieser kleinen Erhöhung ist ein furchtbarer Höcker geworden, dieser Mann, der meine verlobte Braut verführte und dann ihre einst so reine und edle Seele – so frisch, wie der Thau des Himmels, im schmachvollsten Aussatz zurückließ – dieser Mann, der sich in Reichthümern wälzte, lernte betrügen und plündern, wie ein Knabe das Tanzen und die Violine spielen lernt, und klagte mich vor der Welt seines eigenen Verbrechens an! – Hier ist dieser Mann, der von keinem einzigen Verbrechen abgelassen, sondern zu denen seiner Jugend noch die blutlose Geschicklichkeit eines veralteten Schurken hinzugefügt hat – hier ist dieser Mann, geehrt, geschmeichelt, groß, und geht durch Reihen sich verbeugender Schmarotzer zu einer ruhmvollen Grabschrift und einem marmornen Grabmal, und ich, auch ein Schelm, wenn Sie wollen, aber Schelm, um mein Brod zu verdienen, habe ihm meine Fehler und meinen Untergang zuzuschreiben! – Ich – ohne Obdach – ausgestoßen – suche an den Klippen des Verbrechens wegzusteuern – und woher kommt der Unterschied? Weil der Eine reich geboren ist und der Andere arm – weil er keine Entschuldigung für das Verbrechen hat und daher Niemand Argwohn gegen ihn hegt!«

Der unglückliche Mann – in dem Augenblicke war er in der That unglücklich – hielt nach diesem leidenschaftlichen und raschen Ausbruch athemlos inne, und vor ihm erhob sich in seiner Majestät, hell vom Monde beleuchtet, mit seinen unzähligen Thürmen, das Wunder des gothischen Italiens – die Kathedrale von Mailand. –

»Aergern Sie sich nicht über das allgemeine Schicksal,« sagte der junge Mann mit bitterem Lächeln, indem er auf die Kathedrale deutete; »ich habe noch nicht lange gelebt, aber doch schon genug gelernt, um zu wissen, daß der, welcher ein solches Gebäude, wie dieses, welches dem Himmel geweiht ist, aufführen konnte, als ein Heiliger würde verehrt werden, während der, welcher unter dem Schatten einer Hecke an der Seite der Landstraße vor Gott niederkniete, als ein Vagabunde in das Besserungshaus würde geschickt werden! Das Geld macht den Unterschied zwischen den Menschen, und so wird es sein, wenn Sie, der verachtete Charlatan, und Lilburne, der geehrte Betrüger, nicht so viel Staub zurückgelassen haben, um eine Schnupftabaksdose damit zu füllen. Trösten Sie sich, Sie gehören der Mehrzahl an.«


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