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Neuntes Kapitel.

Doch ach! In dieser Seele – welch' ein Sturm!

Crabbe: »Ruth«.

Während Philipp nachdachte und sein Bruder in den glücklichen Schlaf der Kindheit versank, saßen drei Personen in einem Zimmer des ersten Gasthofes der Stadt: Arthur Beaufort, Spencer und Blackwell.

»Und so verwarf er also jedes Anerbieten von den Beauforts?« sagte der erste.

»Mit einer Verachtung, die ich Ihnen nicht beschreiben kann,« versetzte der Advokat. »Aber er scheint offenbar ein Mensch von gemeinen Sitten zu sein; ich glaube, er ist eine Art von Gehülfe bei einem Pferdehändler. Vermuthlich trieb er sich zu seines Vaters Zeit immer in den Ställen umher. Böse Gesellschaft verderbt sehr bald den guten Geschmack, aber das ist noch nicht das Schlimmste. Sharp behauptet, daß der Mann, mit dem er sprach, wie ich Ihnen sagte, ein gemeiner Betrüger ist; verlassen Sie sich darauf, Herr Arthur, der ist unverbesserlich; Alles, was wir thun können, ist, den Bruder zu retten.«

»Es ist eine so schreckliche Betrachtung!« sagte Arthur, der noch krank und matt auf einem Sopha lag.

»Das ist wahr,« sagte Spencer, »ich wüßte in der That nicht, was ich mit einem solchen Charakter anfangen sollte; aber das andere arme Kind, es wäre eine Barmherzigkeit, es von ihm zu entfernen.«

»Wo ist Herr Sharp?« fragte Arthur.

»Nun,« sagte der Advokat, »er ist Philipp aus der Ferne gefolgt, um seine Wohnung ausfindig zu machen und zu erfahren, ob sein Bruder bei ihm ist. – O, hier ist er!« Und Blackwells Begleiter an dem Abend trat ein.

»Ich habe ihn ausfindig gemacht, Herr,« sagte Sharp, seine Stirn abtrocknend. »Das ist ein wüthender Kerl! Ich dachte, ich würde einen Stein an den Kopf bekommen; aber wir Polizeioffiziere sind daran gewöhnt; wir thun unsere Pflicht und die Vorsehung macht unsere Köpfe hart.«

»Ist das Kind bei ihm?« fragte Spencer.

»Ja, Herr.«

»Ein kleiner, stiller, bescheidener Knabe?« fragte der schwermüthige Bewohner der Seen.

»Still! Gott sei Ihnen gnädig! Ich hörte nie einen lärmenderen kleinen Kobold! Da rannten und tobten sie in einem Garten, wie ein paar Galgenvögel.«

»Da sehen Sie,« seufzte Spencer; »er wird das arme Kind eben so schlecht machen, wie er selber ist.«

»Was sollen wir thun, Herr Blackwell?« fragte Sharp, den es nach einem Glase Grog verlangte.

»Nun ich denke, Sie könnten morgen zuerst zu dem Pferdehändler gehen und ausfindig machen, ob Philipp wirklich so freundschaftlich mit dem Betrüger ist, und vielleicht mag Herr Stubmore einigen Einfluß auf ihn haben, wenn, ohne zu sagen, wer er ist –«

»Ja,« fiel Arthur ein, »nennen Sie seinen Namen nicht.«

»Sie könnten aber andeuten, daß er müsse bewogen werden, seinen Freunden Gehör zu geben und mit Ihnen zu gehen. Vielleicht ist Herr Stubmore ein achtbarer Mann und –«

»Ich verstehe,« sagte Sharp; »ich bin nicht unentschlossen, wie ich die Sache angreifen will. Man lernt die menschliche Natur kennen bei unserer Beschäftigung. Gute Nacht, meine Herren.«

»Sie sehen blaß aus, Herr Arthur; es wird besser sein, Sie gehen zu Bette; Sie wissen wohl, Sie versprachen Ihrem Vater –«

»Ja, mir ist nicht wohl; ich will zu Bette gehen.« Und Arthur stand auf, zündete sein Licht an und ging in sein Zimmer.

»Ich will Philipp morgen aufsuchen,« sagte er bei sich selber; »auf mich wird er hören.«

Arthur Beauforts Benehmen, indem er sein Vorhaben ausführte, hatte alle die liebenswürdigsten und edelsten Theile seines Charakters in das hellste Licht gestellt. Sobald er hinlänglich wieder hergestellt war, hatte er so viele Besorgniß wegen des Schicksals der beiden Waisen ausgesprochen, daß sein Vater, um ihn zu beruhigen, sich genöthigt sah, Blackwell kommen zu lassen. Der Advokat hatte von dem Arzte den Namen von Philipps Lehrherrn in R* erfahren. Auf Arthurs Bitte besuchte er den Buchhändler Plaskwith, kam am Tage nach der Rückkehr desselben an und erfuhr jene Umstände, wovon Plaskwith's Brief an Roger Morton den Leser bereits in Kenntniß gesetzt hat. Dann ließ der Advokat den schon früher angewendeten Polizeioffizier Sharp kommen und trug ihm auf, des jungen Mannes Aufenthalt auszuspioniren. Der schlaue Mann brachte bald die Nachricht, daß ein Jüngling, der in jeder Art der von Philipp gegebenen Beschreibung entsprach, am Abend seiner Flucht von einem Manne, der freilich nicht wegen Räubereien, Taschendiebstahl oder Verbrechen größerer Art, aber doch wegen seiner Geschicklichkeit in allen den Dingen berüchtigt sei, die man einem Glücksritter zuschreibt, in eine Versammlung eingeführt worden sei, die von Leuten ähnlicher Beschäftigung besucht werden. Seitdem aber habe man alle Spur von Philipp verloren. Indem Blackwell in geschäftlicher Beziehung öffentlich Wohlwollen gegen den Flüchtling zeigte, machte er nichts desto weniger seinen beiden Patronen insgeheim Vorstellungen über Philipps zweideutigen Charakter. Da er, gleich allen Rechtsgelehrten, hart gegen Alle war, die von dem herkömmlichen Wege abweichen, so betrachtete er unverhohlen Philipps Flucht und Abwesenheit als Beweise einer sehr verworfenen Gemüthsart, und sein Betragen wurde in seinen Augen durch Sharps Bericht noch erschwert, woraus hervorzugehen schien, daß Philipp so plötzlich und ganz natürlich eine so zweideutige Gesellschaft gewählt habe. – Robert Beaufort, der bereits gegen Philipp eingenommen war, sah die Sache fast aus demselben Gesichtspunkte an, wie der Advokat, und die Geschichte von seiner muthmaßlichen Vorliebe kam in so verstellter Gestalt zu Arthurs Ohren, daß selbst er schwankte und empört wurde; doch Philipp war so jung – Arthurs Eid, den er der Mutter der Waisen abgelegt, noch so neu – und wenn er so früh schon zu bösen Wegen geneigt war, sollte man nicht jede Bemühung anwenden, ihn wieder auf den früheren Weg zurückzulocken? In dieser Absicht und aus diesen Gründen besuchte Arthur, so bald er dazu im Stande war, die Mrs. Lacy, und der Brief von Philipp, den die gute Dame ihm überreichte, rührte ihn tief und bestärkte ihn in allen seinen früheren Beschlüssen. Mrs. Lacy war sehr begierig, seinen Namen zu erfahren, doch da Arthur gehört hatte, daß Philipp seinen Vater und Herrn Blackwell zurückgewiesen, so dachte er, des jungen Mannes Stolz möchte ihm auf gleiche Weise entgegenwirken, und daher befriedigte er die Neugierde der Dame nicht. Am nächsten Tage schrieb er den bereits mitgetheilten Brief an Roger Morton, dessen Adresse ihm Katharina gegeben, und mit umgehender Post erhielt er eine Antwort, worin ihm der Leinwandhändler die muthmaßliche Flucht Sidney's mit seinem Bruder mittheilte. Diese Nachricht regte Arthur so sehr auf, daß er beschloß, nach N* zu gehen, um bei der Nachforschung behülflich zu sein. Sein Vater, wegen seiner Gesundheit besorgt, schlug es ihm ausdrücklich ab, und die Folge war eine Zunahme des Fiebers, eine Berathung mit den Aerzten und deren Erklärung, daß Herr Arthur in einem Zustande sei, wo es gefährlich sein werde, ihm nicht seinen Willen zu lassen. Beaufort war genöthigt, nachzugeben, und sein Sohn reiste, von Blackwell und Sharp begleitet, nach N*. Die Nachforschungen, die bisher fruchtlos geblieben waren, nahmen jetzt einen geschäftsmäßigeren Charakter an; nach und nach kamen sie durch Sharps Beistand auf die rechte Spur, doch nur bis auf einen gewissen Punkt. Aber hier waren zwei Spuren. Zwei Jünglinge, die der Beschreibung entsprachen, waren in einem kleinen Dorfe gesehen worden; dann kamen Andere, welche behaupteten, dieselben Jünglinge in einem Seehafen gesehen zu haben, und wieder Andere sagten aus, sie hätten nach der entgegengesetzten Richtung, zu einer inländischen Stadt, ihren Weg genommen. Dieß hatte Arthur und seinen Vater bewogen, sich zu trennen. Beaufort, von Roger Morton begleitet, ging zu dem Seehafen, und Arthur mit Spencer und Sharp waren so glücklich, den Aufenthalt der Flüchtlinge zu entdecken. Was den älteren Beaufort betraf, so war ihm die ganze Sache jetzt, da er sich über seinen Sohn mehr beruhigt hatte, sehr lästig. Die Gesellschaft Mortons langweilte ihn, und er war nicht wenig beschämt, daß er, ein so respektabler und großer Mann, sich auf eine solche Sache einlassen mußte. Um die Wahrheit zu sagen, fürchtete er eigentlich, den wüthenden Philipp zu entdecken, und entschloß sich insgeheim, mit der ersten vernünftigen Entschuldigung nach London zurückzukehren.

Am nächsten Morgen trat Sharp bei guter Zeit in das Gesellschaftszimmer des Herrn Stubmore. Im Hofe sah er Philipp aus der Ferne und wußte es so zu machen, daß ihn dieser nicht bemerkte.

»Habe ich die Ehre, mit Herrn Stubmore zu reden?«

»Zu dienen, Herr.«

Sharp machte geheimnißvoll die Glasthüre zu, erhob eine Ecke von dem grünen Vorhang, der die Fensterscheiben bedeckte, und winkte dem stutzigen Stubmore, sich zu nähern.

»Sie sehen dort jenen jungen Mann in der manchesternen Jacke; beschäftigten Sie ihn?«

»Ja, Herr, er ist meine rechte Hand.«

»Nun, erschrecken Sie nicht, aber seine Freunde sind hinter ihm her. Er ist auf böse Wege gerathen und wir wünschen, daß Sie ihm einigen guten Rath geben möchten.«

»Pah! Ich weiß, daß er davon gelaufen ist, wie es einem muthigen und entschlossenen Burschen zukommt, und so lange es ihm gefällt, bei mir zu bleiben, wird man die, welche ihm nachsetzen, höchst wahrscheinlich in die Pferdeschwemme werfen!«

»Sind Sie ein Vater, ein Familienvater, Herr Stubmore?« sagte Sharp, indem er seine Hände in die Hosentasche steckte, sich aufrichtete und seine Lippen mit großer Feierlichkeit zusammenzog.

»Unsinn! Bei mir ist dergleichen nicht angebracht! Werfen Sie Ihre Spreu den jungen Gänsen vor. Ich sage Ihnen, ich kann jenen jungen Burschen nicht entbehren.«

»Oho!« dachte Sharp, »ich muß es anders anfangen.«

»Herr Stubmore,« sagte er, indem er Platz nahm, »Sie reden wie ein verständiger Mann. Niemand kann vernünftigerweise von einem Herrn verlangen, daß er sich selber in Unbequemlichkeit versetzen soll. Doch was wissen Sie von jenem jungen Menschen? Hat er Ihnen Zeugnisse vorgelegt?«

»Was geht das Sie an?«

»Nun, Sie geht es freilich mehr an, Herr Stubmore; er ist noch ein junger Bursche, und wenn er zu seinen Freunden zurückkehrt, so werden sie vielleicht für ihn Sorge tragen, aber er gerieth in schlechte Gesellschaft, ehe er hieher kam. Kennen Sie einen gut aussehenden Mann mit einem starken Backenbart, der von seinem Phaeton spricht, und der gestern Abend eine braune Stute ritt?«

»Ja,« sagte Stubmore, blaß werdend, »und ich kenne die Stute auch. Ei, Herr, ich verkaufte ihm die Stute!«

»Bezahlte er sie?«

»Ei gewiß; er gab mir einen Wechsel auf Coutts.«

»Und Sie nahmen ihn an? O, meine Augen! Wie dumm!« Hier schloß Sharp die angerufenen Augen und pfiff mit dem lachenden Ergötzen, welches die Menschen gewöhnlich empfinden, wenn ein Anderer hintergangen worden ist.

Stubmore wurde sehr aufgeregt.

»Ja, was denn? Sie denken doch nicht, daß ich hintergangen bin? Ich ließ ihm das Pferd nicht eher, als bis ich in den Gasthof gegangen war und mich überzeugt hatte, daß er auf großem Fuße lebt, einen Bedienten hat, einen Phaeton, ein schönes Pferd und dergleichen.«

»O Gott! O Gott! Was ist das für eine Welt! Wie nennt er sich?«

»Nun, hier ist der Wechsel – George Frederick de – de Burgh Smith.«

»Zünden Sie Ihre Pfeife damit an, Herr – zünden Sie Ihre Pfeife damit an – er ist keinen Strohhalm werth.«

»Und wer zum Henker sind denn Sie?« brüllte Stubmore in gleicher Wuth über sich selber, wie über seinen Gast.

»Ich, Herr,« sagte der Fremde, mit großer Würde aufstehend, »ich, Herr, bin ein Offizier der Londoner Polizei und mein Name ist John Sharp!«

Stubmore fiel beinahe von seinem Stuhl, seine Augen rollten und seine Zähne klapperten. Sharp bemerkte den Vortheil, den er gewonnen, und fuhr fort: »Ja, Herr, und ich könnte noch viel über diesen Menschen sagen, der nichts mehr und nichts weniger ist, als ein Betrüger, der mehr Mädchen und mehr Handelsleute zu Grunde gerichtet hat, als irgend ein Lord im Lande. Und so kam ich denn, um Ihnen eine Warnung zu geben, denn ich dachte bei mir selber: Herr Stubmore ist ein respektabler Mann.«

»Das hoffe ich, Herr,« sagte der niedergeschlagene Pferdehändler; »das war stets mein Charakter.«

»Und Familienvater?«

»Drei Buben habe ich und einen Säugling an der Brust,« sagte Stubmore pathetisch.

»Und Sie sollen nicht hintergangen werden, wenn ich es verhindern kann! Jener junge Mann, hinter dem ich her bin, sehen Sie, kennt Kapitän Smith, ha, ha! – Riechen Sie den Braten jetzt – he?«

»Kapitän Smith sagte, er kenne ihn – die Schlange! – Und das machte mich so nachgiebig.«

»Nun, wir dürfen nicht hart gegen den jungen Menschen sein, denn er hat vornehme Freunde. Aber sagen Sie ihm, daß er zu seinen armen, lieben Verwandten zurückkehren möge, und Alles solle ihm vergeben werden, und sagen Sie auch, daß Sie ihn nicht behalten wollen, und wenn er nicht zurückkehren wolle, so müsse er sich seinen Unterhalt ohne ein Zeugniß erwerben, und wenden Sie Ihren Einfluß bei ihm an, wie ein Mann und Christ, und was noch mehr ist, wie ein Familienvater – Herr Stubmore – mit drei Buben und einem Säugling an der Brust. Sie werden ihn doch jetzt nicht behalten wollen?«

»Ihn behalten wollen! Da bin ich schön angekommen. Es wird besser sein, zu gehen und nach dem Pferde zu sehen.«

»Ich zweifle, daß Sie es finden werden. Der Kapitän bemerkte mich diesen Morgen. Er logirt in demselben Gasthofe mit uns! – Er ist jetzt schon fort!«

»Und warum, zum Teufel, ließen Sie ihn fort?«

»Weil ich keinen Befehl hatte, ihn zu arretiren!« sagte der Polizeioffizier, und ging geraden Weges aus dem Geschäftszimmer, überzeugt, daß er seine Sache gut gemacht habe.

Seinen Hut zu ergreifen – in den Gasthof zu eilen – zu finden, daß Kapitän Smith in der That mit seinem Phaeton fort sei, wie er gekommen, außer daß er jetzt zwei Pferde anstatt eines vor dem Phaeton hatte – zu hören, daß er dem Wirth an Zahlungsstatt ebenfalls einen Wechsel auf Coutts gegeben – war für Stubmore das Werk von fünf Minuten. Er kehrte schnaubend und purpurroth von Unwillen und verwundetem Gefühl nach Hause zurück.

»Sollte es möglich sein, daß der Bursche, den ich wie einen Sohn bei mir aufnahm, um die Sache gewußt hat! Es ist nicht so sehr das Geld, als die Schurkerei, die mich ärgert,« murmelte Stubmore, als er wieder auf den Hof trat.

Hier ging er gerade auf Philipp zu, der zu ihm sagte: »Herr, ich wünschte Sie zu sprechen, um Ihnen zu sagen, Sie möchten sich besser vor Kapitän Smith in Acht nehmen.«

»Ja, jetzt sagen Sie es, da er fort ist! Jetzt mag der Schurke schon in Amerika sein. Nun sehen Sie, junger Mann: Ihre Freunde sind Ihnen auf der Spur, ich will nichts gegen Sie sagen; aber Sie kehren zu ihnen zurück – ich wasche die Hände – das ist zu viel für mich. Hier ist Ihr Wochengeld, und lassen Sie sich nie wieder in meinem Stalle sehen!«

Philipp ließ das Geld fallen, welches Stubmore ihm in die Hand gegeben. »Meine Freunde! – Freunde sind bei Ihnen gewesen, nicht wahr? Ich dachte es mir – ich danke Ihnen. Und so schicken Sie mich also fort? Nun, Sie sind gütig gegen mich gewesen, sehr gütig, lassen Sie uns freundlich scheiden.« Und er reichte ihm die Hand hin.

Stubmore war besänftigt – er berührte die ihm dargebotene Hand und sah einen Augenblick zweifelhaft aus; doch plötzlich stand ihm Kapitän de Burgh Smiths Wechsel auf achtzig Guineen vor Augen. Er drehte sich auf der Ferse herum und sagte über die Schulter: »Gehen Sie nicht dem Kapitän Smith nach – er wird an den Galgen kommen – bessern Sie sich und lassen Sie sich von Ihren armen, lieben Verwandten leiten, deren Herzen um Sie brechen.«

»Kapitän Smith! Sagten meine Verwandten Ihnen?«

»Ja – ja, sie sagten mir Alles – das heißt, sie schickten zu mir und ließen es sagen; daher sehen Sie, daß ich verdammt gelinde mit Ihnen verfahre, wenn ich mich Ihrer nicht bemächtige. Aber vielleicht, wenn Ihre Verwandten anständige Herren sind, so werden sie als solche handeln und mir diesen Wechsel da bezahlen.«

Die letzten Worte waren in den Wind gesprochen. Philipp war schon vom Hofe geeilt. Mit klopfender Brust, indem jeder Nerv seines Körpers vor Wuth erbebte, schritt der unglückliche Jüngling durch die belebten Straßen. Sie hatten ihn also verrathen, diese verfluchten Beauforts! Sie umgaben seine Schritte mit Planen, um ihn wie ein Wild in die Schlinge ihrer verhaßten Barmherzigkeit zu treiben! Das Dach wurde ihm über dem Kopfe weggenommen – das Brod von den Lippen gerissen – damit er zu ihren Füßen um Almosen bitten möge. »Aber sie sollen meinen Geist nicht brechen, noch meinen Fluch fortstehlen. Nein, meine todte Mutter, nimmermehr!«

Während er dieß sprach, ging er über ein Stück unbebautes Land, welches zu der Häuserreihe führte, wo seine Wohnung lag. Und hier rief ihn eine Stimme und eine Hand faßte seine Schulter. Er wendete sich um, und Arthur Beaufort, der ihm von der Straße aus gefolgt war, stand vor ihm. Philipp erkannte seinen Vetter nicht auf den ersten Blick. Die Krankheit hatte ihn so verändert und seine Kleidung war so verschieden von der, worin er ihn zum ersten und letzten Mal gesehen. Die Verschiedenheit zwischen den beiden jungen Männern war auffallend. Philipp trug die grobe Kleidung, die zu seinem Berufe paßte – eine Jacke von schwarzem Manchester, die schlecht gemacht war und nicht anschloß, weite Beinkleider von Barchent und plumpe Schuhe; sein Hut war weit über seine finsteren Augenbrauen gezogen, sein rabenschwarzes Haar lang und vernachlässigt. Er war gerade in dem Alter, wo stark gezeichnete Züge und eine kräftige Gestalt sich am wenigsten gut darstellen – die Muskeln waren noch nicht hinlänglich mit Fleisch überwachsen und schienen unverhältnißmäßig und unentwickelt im Verhältniß zu der Symmetrie, zu welcher sie nach und nach heranreifen; der Umriß des Gesichts war eckig geworden und hatte sein glühendes Roth verloren, ohne jedoch schon den Schwung und Schatten erlangt zu haben, die den Ausdruck und die Würde des männlichen Gesichts ausmachen. In diesem Aufzuge stand Morton da. Arthur Beaufort, der stets fein in seinem Aeußern war, erschien es noch mehr wegen der fast weiblichen Zartheit, welche die Krankheit seinem blassen Gesichte und seiner anmuthigen Gestalt verliehen hatte; jene unbewußte Eleganz, die der Kleidung des jungen Reichen eigen ist – die sich am meisten in Kleinigkeiten zeigt und vielleicht von ihnen selbst nicht bemerkt wird – deutete gewaltsam und schmerzlich den Unterschied des Ranges zwischen Beiden an. Beaufort fühlte diesen Unterschied nicht; aber Philipp bemerkte ihn auf einen Blick.

Die Vergangenheit stellte sich ihm vor Augen – der sonnige Rasenplatz – die angebotene und zurückgewiesene Flinte – der frühere Stolz, viel weniger hochfahrend als der Stolz der Gegenwart.

»Philipp,« sagte Beaufort, »man sagt mir, daß du keine Freundschaft von mir oder den Meinigen annehmen willst! Ach, wenn du wüßtest, wie wir dich gesucht haben!«

»Ich weiß es,« rief Philipp wild, denn dieser unglückliche Satz erinnerte ihn an seine letzte Unterredung mit seinem Herrn und an seine gegenwärtige Verlasserheit; »ich weiß es! und warum habt Ihr gewagt, mich zu verfolgen und mich niederzuhetzen? Warum muß diese unverschämte Tyrannei, die sich das Recht über diese Glieder und diesen freien Willen anmaßt, mich und mein Elend überall, wohin ich mich wende, verrathen und zur Schau stellen?«

»Deine arme Mutter,« – begann Beaufort.

»Nenne sie nicht mit deinen Lippen – nenne sie nicht!« rief Philipp, der vor innerer Bewegung todtenblaß wurde. »Rede nicht von Gnade und Fürsorge, die ein Beaufort ihr und ihrem Sohne erweisen konnte! Ich nehme sie nicht an – ich glaube es nicht. O ja! du folgst mir jetzt mit deiner falschen Güte und warum? Weil dein Vater – dein eitler, hohler, herzloser Vater –«

»Halt!« sagte Beaufort in einem solchen Tone des Vorwurfs, der selbst Philipps wildes Herz erschütterte, »du sprichst von meinem Vater. Laß den Sohn den Sohn achten.«

»Nein – nein – nein! Ich will Niemand von deinem Geschlecht achten. Ich sage dir, dein Vater fürchtet mich. Ich sage dir, meine letzten Worten klingen ihm in den Ohren! – Arthur Beaufort, wenn du abwesend bist, suche ich das mir wiederfahrene Unrecht zu vergessen; in deiner verabscheuten Gegenwart lebt es wieder auf – und –«

Er hielt inne, fast erstickt von seiner Leidenschaft; augenblicklich aber fuhr er mit gleicher Heftigkeit fort:

»Wäre jener Baum der Galgen, und eine Berührung deiner Hand könnte mich davon erretten, so würde ich dennoch deine Hilfe mit Verachtung zurückweisen. Hilfe! Der bloße Gedanke setzt mein Blut in Feuer und stählt meine Hand. Hilfe! will ein Beaufort mir mein Geburtsrecht zurückgeben – meiner todten Mutter Namen wiederherstellen? Wicht! – geschniegelter, geputzter, luxuriöser Wicht! – aus dem Wege! Du hast mein Vermögen, meinen Rang, meine Rechte; ich habe nur Armuth, Haß und Verachtung. Ich schwöre wieder und wieder, daß du mir diese nicht abkaufen sollst.«

»Aber, Philipp – Philipp,« rief Beaufort, seinen Arm ergreifend: »höre einen, der bei deiner –«

Dieser Satz würde den Ausgestoßenen von den Dämonen befreit haben, die seine Seele verdunkelten und sie in Kreisen umzogen, doch er erstarb auf den Lippen seines jungen Beschützers. Geblendet, wahnsinnig gemacht, aufgeregt und erbittert, so daß er fast kein Mensch mehr war, warf Philipp heftig und rauh die geschwächte Gestalt, die sich an ihm halten wollte, auf die Seite, und Beaufort fiel zu seinen Füßen. Morton stand still – starrte ihn mit lächelnder Lippe und geballten Fäusten an – sprang über die hingestreckte Gestalt hinweg und eilte zu seiner Wohnung.

Er ging langsamer, als er sich dem Hause näherte, und sah sich um; aber Beaufort war ihm nicht gefolgt.

Er trat in's Haus und fand Sidney im Zimmer mit einem Gesichte, welches viel heiterer war, als vorher, was ihm bei seiner Leidenschaft um so mehr auffiel.

»Was hat dich erfreut, Sidney?«

Das Kind lächelte.

»Ah! Es ist ein Geheimniß – ich sollte es dir nicht sagen. Aber ich bin gewiß, du bist kein so unartiger Knabe, wie er sagt.«

»Er! – Wer –«

»Sieh nicht so zornig aus, Philipp; du erschreckst mich!«

»Und du folterst mich. Wer konnte so boshaft sein, einen Bruder gegen den andern aufzubringen?«

»O! es war Alles sehr gut gemeint – es war ein gar hübscher, lieber, guter Herr hier, und er weinte, als er mich sah, und sagte, er habe die liebe Mama gekannt. Und er hat versprochen, mich mit heim zu nehmen und mir ein so hübsches Pferdchen zu geben, wie man nur immer eins haben kann! Und er will wiederkommen und mir mehr sagen; ich glaube, es ist eine Fee, Philipp.«

»Sagte er nicht, daß er mich auch mitnehmen wollte, Sidney?« fragte Philipp, der sich niedersetzte und sehr blaß aussah. Bei dieser Frage ließ Sidney den Kopf hängen.

»Nein, Bruder – er sagt, du wolltest nicht mit und seiest ein böser Knabe, geselltest dich zu schlechten Menschen – und wolltest mich hier nur abgesondert halten und Niemanden gestatten, gut gegen mich zu sein. Aber ich sagte ihm, ich glaubte das nicht – ja in der That, ich sagte es ihm.«

Und Sidney suchte liebkosend die Hände wegzuziehen, die sein Bruder vor dem Gesichte hielt.

Philipp sprang auf und ging hastig im Zimmer auf und ab. »Dies,« dachte er, »ist noch ein anderer Abgesandter der Beauforts – vielleicht der Advokat: man will ihn von mir nehmen – das letzte Wesen, welches ich lieben und für welches ich hoffen kann. Ich will ihnen dennoch ihren Plan vereiteln. – Sidney,« sagte er laut, »wir müssen heute fort, diese Stunde – ja im Augenblick.«

»Was! Fort von diesem hübschen, guten Herrn?«

»Mein Fluch über ihn! Ja, fort von ihm. Weine nicht – es ist unnütz – du mußt gehen.«

Dies wurde rauher ausgesprochen, als sich Philipp je gegen Sidney ausgedrückt; und als er es gesagt hatte, verließ er das Zimmer, um die Wirthin zu bezahlen und seine unbedeutenden Habseligkeiten zusammenzupacken. Nach einer Stunde hatten die Brüder schon der Stadt den Rücken gewendet.


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