Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Der Mann des Rechts –
Es wird 'nen Rechtsstreit zwischen ihnen geben.

Ben Jonson.

Als Philipp in London ankam, begab er sich zuerst in die Wohnung, die er noch daselbst hatte und wohin seine Briefe adressirt wurden, und unter verschiedenen Mittheilungen aus Frankreich, voll von der Politik und den Hoffnungen der Karlisten, fand er auch folgendes Billet von Lord Lilburne:

»Lieber Herr!

»Als ich Sie vor einigen Tagen traf, sagte ich Ihnen, daß ich vom Podagra bedroht werde. Der Feind hat jetzt das Feld wirklich in Besitz genommen. Ich bin zu strenger Diät und zu dem Sopha verurtheilt. Aber da es mein Grundsatz im Leben ist, die Leiden so leicht als möglich zu machen, so habe ich einige Freunde gebeten, sich meiner zu erbarmen und mir zu helfen, diese tödtliche Langeweile zu vertreiben, indem sie mir, wenn möglich, vier Honneurs zutheilen. Zu jeder Zeit zwischen neun und zwölf Uhr diesen Abend oder morgen werden Sie mich zu Hause finden, und wenn Sie nicht besser beschäftigt sind, wie wäre es, wenn Sie heute mit mir – oder vielmehr mir gegenüber – zu Mittag speisten und meine spartanische Suppe entschuldigten? Außer zwei oder drei Freunden, die vielleicht nicht versagt sind, werden Sie meine Schwester, Mrs. Beaufort, nebst Gemahl und Tochter, bei mir treffen; sie kamen erst diesen Morgen in London an und sind gütig genug, mich zu pflegen, wie sie es nennen – nämlich ihr Koch ist krank geworden!

»Der Ihrige

» Lilburne

»Park-Lane, September, 18–«

»Die Beauforts! Das Schicksal begünstigt mich – ich will gehen. Das Billet ist von heute.«

Er schickte rasch einige Zeilen ab und nahm die Einladung an, und da er fand, daß er noch einige Stunden übrig habe, so beschloß er, dieselben dazu anzuwenden, mit einem Rechtsgelehrten über die Möglichkeit zu berathen, endlich sein Erbe wieder zu gewinnen – eine Hoffnung, die zwar sehr kühn war, aber die er sich seit seiner Rückkehr in seine Heimath, und besonders seit er von dem sonderbaren Besuche bei Roger Morton gehört, zu hegen gestattet. Mit diesem Gedanken ging er aus, um sich zuerst mit Liancourt zu besprechen, der unter den Engländern eine große Bekanntschaft hatte und daher am geeignetsten schien, ihm bei der Wahl eines thätigen und zugleich redlichen Sachwalters zu rathen, als er unversehens diesem Herrn selber begegnete.

»Dieß trifft sich glücklich, mein lieber Liancourt; ich wollte eben in Ihre Wohnung.«

»Und ich wollte zu Ihnen, um zu hören, ob Sie bei Lord Lilburne speisen. Er sagte mir, er habe Sie eingeladen. Ich habe ihn eben verlassen. Und an dem Sopha des Mephistopheles war die schönste Margaretha, die Sie je gesehen.«

»Ei – wer denn?«

»Er nannte sie seine Nichte; aber ich möchte zweifeln, ob er diesseits des Styx eine so menschliche Nichte hat.«

»Sie scheinen keine große Vorliebe für unseren Wirth zu haben.«

»Mein lieber Vaudemont, zwischen unseren biederen kriegerischen Naturen und jenen listigen, eisigen, höhnischen Verstandesmenschen herrscht die Antipathie eines Hundes gegen eine Katze.«

»Vielleicht auf unserer Seite, doch nicht auf der seinigen – warum sollte er uns sonst einladen?«

»London ist leer, er kann sonst Niemand einladen. Wir sind ihm neue Gesichter, neue Geister. Wir unterhalten ihn mehr, als die alltäglichen Kameraden, deren er überdrüssig geworden ist. Ueberdieß spielte er – und Sie auch. Pfui über Sie!«

»Liancourt, ich hatte einen zweifachen Zweck, diesen Mann kennen zu lernen, und ich bezahle den Brückenzoll. Wenn mir an dem Uebergange nichts mehr liegt, zahle ich auch den Zoll nicht mehr.«

»Aber die Brücke könnte eine Zugbrücke sein und der Graben ist verdammt tief. Ohne Metapher, der Mann kann sie zu Grunde richten, ehe Sie wissen, wie Sie daran sind.«

»Pah! Ich habe meine Augen offen. Ich weiß, wie viel ich an den Schurken wenden kann, dessen Dienst ich dinge, wie den eines Bedienten; und ich weiß auch, wo ich aufhören muß. Liancourt,« fuhr er nach einer Pause im tiefen Tone unterdrückter Leidenschaft fort, »als ich diesen Mann zuerst sah, dachte ich sein Herz in Anspruch zu nehmen und zu rühren für ein Wesen, welches Rechte daran hat. Das war eine vergebliche Hoffnung. Und dann kam ein Gedanke, finsterer und tödtlicher – ein Plan des Rächers! Dieser Lilburne – dieser Schurke, den die Welt verehrt – hat mit Leib und Seele einen Mann zu Grunde gerichtet, dessen Namen die Welt mit Verachtung brandmarkt! Nun, diesen Mann wollte ich rächen. In seinem eigenen Hause – mitten unter euch Allen – wollte ich den Gauner entlarven und den Betrüger brandmarken.«

»Sie machen mich staunen! – Freilich hat man schon geflüstert, daß Lord Lilburne gefährlich sei – aber schon Geschicklichkeit ist gefährlich. Betrügen! – Ein englischer Edelmann von Rang und Bildung! – Unmöglich!«

»Ob er es nun thut oder nicht,« entgegnete Vaudemont mit ruhigerem Tone, »ich habe der Rache entsagt, denn er ist –«

»Was?«

»Einerlei,« sagte Vaudemout laut; aber bei sich selber setzte er hinzu: »denn er ist Fanny's Großvater!«

»Sie sind heute sehr räthselhaft.«

»Geduld, Liancourt; vielleicht löse ich noch alle die Räthsel, die mein Leben bilden. Haben Sie nur noch ein wenig Geduld. Und nun können Sie mir zu einem Anwalt verhelfen – zu einem Manne von Erfahrung, von Ruf, aber jung, thätig und nicht zu sehr mit Geschäften überladen? Ich bedarf seines Eifers und seiner Zeit für eine Möglichkeit, die den großen Advokaten, bei ihrer überhäuften Praxis, kaum ihrer Aufmerksamkeit und Bemühung werth erscheinen möchte.«

»Da kann ich Ihnen gerade einen Mann empfehlen, wie Sie ihn wünschen. Ich hatte vor einigen Jahren einen Prozeß in Paris, wozu englische Zeugen nöthig waren. Mein Advokat wandte sich hier an einen Advokaten, der durch seine Thätigkeit in Herbeischaffung der Beweismittel meine Sache gewann. Ich will für seinen Fleiß und seine Redlichkeit einstehen.«

»Seine Adresse?«

»Barlow – irgendwo am Strande – lassen Sie mich sehen – Essex – ja; Essex-Street.«

»Dann leben Sie wohl für jetzt. – Sie speisen auch bei Lord Lilburne?«

»Ja. Leben Sie wohl bis dahin.«

Vaudemont kam bald bei Barlows Hause an; ein messingenes Schild gab ihm die Weisung. Er wurde sogleich in ein Zimmer geführt, wo er einen Mann sah, den Advokaten jung, und alte Jungfern von mittlerem Alter nennen würden, nämlich zweiundvierzig, mit einem kühnen, entschlossenen, verständigen Gesicht und einem festen, ruhigen und verschlagenen Auge, welches zugleich Vertrauen und Achtung einflößte. Vaudemont beobachtete ihn mit dem Blicke eines Mannes, der gewohnt ist, die Menschen zu beurtheilen – wie ein Gelehrter die Bücher beurtheilt – mit Schnelligkeit, weil mit Erfahrung. Er hatte Anfangs beschlossen, ihm die Hauptpunkte seiner Sache mitzutheilen, ohne die Namen zu nennen, und so begann er auch wirklich die Erzählung; nach und nach aber bemerkte er, wie sein eigener Ernst das Interesse des Zuhörers fesselte; er wurde zu vollerem Vertrauen erwärmt und endete mit einer ausführlichen Eröffnung und der Warnung, das tiefste Schweigen über die Sache zu beobachten, wenn keine Hoffnung vorhanden sein sollte, seinen rechtmäßigen Namen wieder annehmen zu können, und wenn er wünschen möchte, ohne Neugierde und Verdacht den beizubehalten, der nicht unrühmlich bekannt war.

»Mein Herr!« sagte Barlow, nachdem er ihm die gewissenhafteste Verschwiegenheit zugesichert, »ich erinnere mich dunkel des Prozesses Ihrer Mutter, der Mrs. Beaufort« – und der geringe Nachdruck, den er auf das Wort legte, war das angenehmste Compliment, welches er der Wahrheit von Philipps Erzählung hätte beilegen können. »Meine Ansicht ist, daß die Sache von ihrem Advokaten auf sehr nachlässige Weise betrieben wurde, und einige von den Fehlern, die derselbe begangen, können wir in dem von Ihnen angestellten Prozesse verbessern. Doch es würde thöricht sein, Ihnen die großen Schwierigkeiten verbergen zu wollen, die uns bevorstehen – Ihrer Mutter Prozeß, der ihre eigenen Rechte beweisen und geltend machen sollte, war weit leichter und günstiger, als derjenige, der jetzt beginnen muß, nämlich eine Klage auf Ersatz gegen einen Mann, der eine Reihe von Jahren im ungestörten Besitze war. Natürlich wäre es Wahnsinn, so lange nicht der fehlende Zeuge aufgefunden ist, den Prozeß anzufangen. Und dann wird die Frage sein, wie weit jener Zeuge genügt? Freilich wird ein einziger Zeuge einer Trauung, wenn die andern todt sind, vom Gesetz als genügend betrachtet, doch ich darf nicht erst hinzufügen, daß dieser Zeuge durchaus glaubwürdig sein muß. Bei Prozessen um wirkliches Eigenthum werden sehr wenig dokumentarische oder sekundäre Zeugnisse zugelassen. Ich zweifle sogar, ob der Trauungsschein, worauf Sie, da das Trauungsregister verloren gegangen oder vernichtet ist, so großes Gewicht legen, an und für sich schon von Bedeutung wäre. Aber wenn es eine beglaubigte Abschrift ist, so hat dieselbe die äußerste Wichtigkeit, denn dann wird sie uns den Namen der Person nennen, welche den Auszug machte und beglaubigte. Gebe der Himmel, daß es nicht derselbe Geistliche sei, der die Trauung vollzogen hat, und, wie Sie sagen, todt ist; wäre es ein Anderer, so hätten wir dann einen zweiten, ohne Zweifel glaubwürdigen und höchst schätzbaren Zeugen. Das Dokument würde so als Beweis werthvoll, und ich glaube, es würde uns dann nichts fehlen, unsere Sache durchzuführen.«

»Aber dieser Trauungsschein, wie sollte man ihn je finden? Ich habe gesagt, daß wir vergebens Alles durchsucht haben.«

»Wahr; aber Sie erwähnen, Ihre Mutter habe immer gesagt, der verstorbene Herr Beaufort habe sie so feierlich noch kurz vor seinem Tode versichert, daß er vorhanden sei, und ich habe deßhalb keinen Zweifel. Es wäre möglich, aber es ist eine entsetzliche Vermuthung, daß, wenn Herr Robert Beaufort bei Untersuchung der Papiere des Verstorbenen ein für ihn so wichtiges Dokument fand, er es wegnahm oder vernichtete. Wenn dieß nicht sollte geschehen sein – und Herrn Robert Beauforts Ruf ist makellos, und wir haben kein Recht zu der Vermuthung – so ist es entweder wahrscheinlich, daß der Schein einer dritten Person anvertraut wurde, oder daß er in irgend einer verborgenen Schublade verwahrt wurde, was Ihr Vater Niemandem sagte. Wer hat das Haus gekauft, worin Sie wohnten?«

»Fernside? Lord Lilburne, Mrs. Robert Beauforts Bruder.«

»Hm! – Wahrscheinlich erstand er auch das Mobiliar und Alles. Mein Herr, das ist eine Sache, die einige Zeit zur genauen Ueberlegung erfordert. Mit Ihrer Erlaubniß will ich nicht nur in die Londoner Zeitungen eine Aufforderung des Inhalts einrücken lassen, wie Sie Herrn Roger Morton angegeben – für den Fall, daß Ihre Vermuthungen wegen der Absicht des Mannes, der sich an ihn wendete, gegründet sein sollten – sondern ich will auch den Zeugen selbst mit Namen auffordern. Wilhelm Smith, sagen Sie, ist sein Name. Ließ der Advokat, dessen sich Mrs. Beaufort bediente, in der Kolonie nach ihm fragen?«

»Nein; ich fürchte, die Zeit war dazu zu kurz. Meine Mutter war so ängstlich und heftig, und so überzeugt von der Gerechtigkeit ihrer Sache –«

»Das ist Schade; ihr Anwalt muß ein trauriger Pfuscher gewesen sein.«

»Jetzt erinnere ich mich auch, daß man bei seinen Verwandten in England nachfragte. Sein Vater, ein Landmann, lebte damals noch; die Antwort war, daß er gewiß Australien verlassen habe. Sein letzter Brief, zwei Jahre vor jener Zeit geschrieben, eine Bitte um Geld enthaltend, welches ihm der Vater, der selber durch Unglücksfälle zurückgekommen war, nicht schicken konnte, hatte gemeldet, er sei im Begriff, sein Glück anderswo zu suchen – seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.«

»Hm! Nun, Sie werden mir vielleicht mittheilen, wo Verwandte von ihm zu finden sind, und ich will den früheren Prozeß durchgehen und sogleich die Sache beginnen. Inzwischen thun Sie wohl, mein Herr – erlauben Sie mir, es zu sagen – wenn Sie weder sich selbst, noch Ihre Absichten zu erkennen geben. Es ist nicht nöthig, den Verdacht rege zu machen. Und mein Suchen nach dem Trauungsschein muß mit der größten Vorsicht geschehen. Aber beiläufig gesagt – da wir vom wahren Namen reden – ich hoffe, es wird keine Schwierigkeit haben, zu beweisen, daß Sie dieselbe Person sind?«

Philipp stutzte. »Nun, ich bin sehr verändert.«

»Aber vermuthlich trägt zu dieser Veränderung Ihr Bart und Schnurrbart viel bei, und ohne Zweifel sind in dem Dorfe, wo Sie gewohnt, Viele, mit denen Sie bekannt genug waren, und deren Gedächtnis, wenn Sie sie an kleine Ereignisse und Anekdoten erinnerten, womit außer Ihnen Niemand bekannt sein kann, durch den Anblick Ihrer Züge würde geweckt werden; zugleich mit der moralischen Ueberzeugung, daß der Mann, der mit ihnen rede, kein Anderer sein könnte, als Philipp Morton – oder vielmehr Philipp Beaufort.«

»Sie haben Recht; deren muß es Viele geben. Es gab keine Hütte im Dorfe, wo ich und meine Hunde nicht bekannt und einheimisch waren.«

»So weit ist also Alles recht. Aber ich wiederhole, wir dürfen nicht zu voreilig sein. Das Gesetz ist nicht Gerechtigkeit –«

»Aber Gott ist gerecht,« sagte Philipp und verließ das Zimmer.


 << zurück weiter >>