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Zehntes Kapitel.

Nicht mehr schlafen! –

Macbeth.

Nachdem sie durch finstere und verwickelte Gänge gekrochen waren, die zu einer andern Reihe von Kellern führten, als durch welche der unglückliche Favart eingetreten war, kam Gawtrey zu dem Fuße einer Treppe, die dunkel und eng, und an einigen Stellen gebrochen, wahrscheinlich in glänzenden Tagen für die Diener des Hauses bestimmt gewesen war. Vermöge dieser Treppe gelangten die Beiden auf ihre Dachkammer. Gawtrey stellte die Laterne auf den Tisch und setzte sich schweigend nieder. Morton, der seine Fassung wieder erlangt und seinen Entschluß gefaßt hatte, sah ihn einige Augenblicke ebenfalls schweigend an und sagte endlich:

»Gawtrey!«

»Ich verbot Ihnen, mich bei diesem Namen zu nennen,« sagte der Falschmünzer, denn es ist kaum nöthig, zu sagen, daß er bei seinem neuen Geschäfte auch einen neuen Namen angenommen hatte.

»Es ist der unschuldigste Name, unter dem ich Sie je gekannt habe,« entgegnete Morton mit Festigkeit. »Es ist das letzte Mal, daß ich Sie so nenne! Ich forderte, zu sehen, durch welche Mittel der, dem ich mein Schicksal anvertraut, sich seinen Lebensunterhalt erwirbt. Ich habe es gesehen,« fuhr der junge Mann noch immer fest, aber mit bleicher Wange und Lippe, fort, »und das Band zwischen uns ist auf immer zerrissen. Unterbrechen Sie mich nicht! Es ist nicht an mir, Sie zu tadeln. Ich habe Ihr Brod gegessen und aus Ihrem Becher getrunken. Indem ich Ihnen zu blind vertraute und glaubte, daß Sie wenigstens von diesen schwarzen und schrecklichen Verbrechen frei wären, die nicht zu sühnen sind, wenigstens nicht in diesem Leben – indem mein Gewissen durch Ungemach beschwichtigt, meine Seele selbst durch Verzweiflung eingeschläfert wurde, gab ich mich einem Manne hin, der eine zweideutige, verdächtige, vielleicht unehrenvolle Laufbahn begonnen hatte, ohne jedoch an Grausamkeit und Blutvergießen zu denken. Ich erwache am Rande des Abgrundes – die Hand meiner Mutter winkt mir aus dem Grabe; ich meine, ihre Stimme zu hören, während ich Sie anrede – ich weiche zurück, da es noch Zeit ist – wir trennen uns, und zwar auf immer!«

Gawtrey, dessen stürmische Leidenschaften noch mächtig aufgeregt waren, hatte ihn bisher in trübem und mürrischem Schweigen und mit finsterer Stirn angehört; jetzt stand er mit einem Fluche auf: »Trennen, damit ich einen neuen Verräther frei in der Welt umherlaufen lasse! Trennen – da Sie mich bei einer Handlung beobachtet haben, die mich der Guillotine überliefert, wenn sie ruchbar wird! Trennen – nimmermehr! Wenigstens nicht lebendig!«

»Ich habe es gesagt,« fuhr Morton, ruhig seine Arme zusammenschlagend, fort; »ich sage es Ihnen in's Gesicht, obgleich ich mich insgeheim von Ihnen trennen könnte. Blicken Sie mich nicht so finster an, Mann des Blutes! Ich bin furchtlos, wie Sie! Noch eine Minute, und ich bin fort.«

»Ah, ist es so?« sagte Gawtrey, indem er sich im Zimmer umsah, welches zwei Thüren hatte; die eine, von den Bettvorhängen versteckt, führte zu der Treppe, über die sie gekommen waren, und die andere zu der Haupttreppe, die gewöhnlich benützt wurde. Er wendete sich zu der ersteren, die in seiner Nähe war, verschloß sie und steckte den Schlüssel in seine Tasche; dann schob er vor die andere einen großen Riegel, der ein widerwärtiges Geräusch hervorbrachte, stellte seine ungeheure Gestalt vor dieselbe und brach in ein lautes, zorniges Lachen aus: »Ho, ho! Sklave und Thor! Da du einmal mein bist, so gehörst du mir auch mit Leib und Seele auf immer!«

»Versucher, ich trotze dir, zurück!« Fest und unerschrocken ergriff Morton des Riesen Arm.

Gawtrey schien mehr erstaunt, als aufgebracht. Er blickte den kühnen Mann fest an, auf dessen Lippe der Bart kaum erst zu sprossen begann.

»Knabe,« sagte er, »laß mich! Rege den Teufel in mir nicht wieder auf! Ich könnte dich mit einem Druck zerquetschen.«

»Meine Seele unterstützt meinen Körper und ich bin bewaffnet,« sagte Morton, die Hand an seinen Hirschfänger legend. »Aber Sie wagen nicht, mir ein Leid zuzufügen – und ich Ihnen nicht; blutbefleckt, wie Sie sind, liebe ich Sie dennoch! Sie gaben mir Schutz und Brod, aber verhindern Sie mich nicht, meine Seele zu retten, so lange es noch Zeit ist! Soll meine Mutter mich vergebens auf ihrem Sterbebette gesegnet haben?«

Gawtrey zog sich zurück und mit plötzlicher Bewegung ergriff Morton seine Hand.

»O, hören Sie mich – hören Sie mich!« rief er mit großer Bewegung; »geben Sie diese schreckliche Beschäftigung auf; Sie sind dazu verlockt worden durch Einen, der Sie nicht mehr täuschen und erschrecken kann! Geben Sie sie auf und ich will Sie nimmer verlassen. Um Ihrer Fanny willen, bleiben Sie stehen, ehe der Abgrund uns Beide verschlingt. Lassen Sie uns fliehen! – Weit fort in die neue Welt – in jenes Land, wo unsere Sehnen und Muskeln, unsere starken Hände und Herzen einen redlichen Markt finden können. Verzweifelte Männer, wie wir, haben sich noch durch redliche Mittel emporgeschwungen. Lassen Sie uns Ihre Waise mitnehmen. Wir wollen für sie arbeiten, wir Beide, Gawtrey! Hören Sie mich an. Es ist nicht meine Stimme, die zu Ihnen redet – es ist Ihres guten Engels Stimme!«

Gawtrey fiel gegen die Wand zurück und seine Brust arbeitete schwer.

»Morton,« sagte er in erstickten und bebenden Tönen, »gehen Sie jetzt, überlassen Sie mich meinem Schicksal! Ich habe mich gegen Sie vergangen – schmachvoll vergangen. Es schien mir so süß, einen Freund zu haben – in Ihrer Jugend und Ihrem Charakter lag so viel, um das sich die zähen Stränge meines Herzens schlangen, daß ich es nicht ertragen konnte, Sie zu verlieren, und daß Sie wissen sollten, was ich sei. Ich blendete – ich täuschte Sie hinsichtlich meiner früheren Handlungen; das war schlecht von mir, aber ich schwur in meinem Herzen, Sie frei von jedem Laster und jeder Gefahr zu erhalten, die meinen eigenen Pfad verdunkelten. Ich hielt diesen Eid bis diesen Abend, wo ich sah, daß Sie vor mir zurückwichen, und fürchtete, daß Sie mich verlassen möchten, und da dachte ich, Sie dadurch an mich zu binden, daß ich Sie mit in das Verbrechen verwickelte. Ich habe meine gerechte Strafe erhalten. Gehen Sie, wiederhole ich – überlassen Sie mich dem Schicksal, welches mir Tag für Tag näher schreitet. Sie sind noch ein Knabe – ich bin nicht mehr jung. Gewohnheit ist die zweite Natur. Dennoch – dennoch könnte ich bereuen, ich könnte ein neues Leben beginnen! Aber zurückzublicken – sich zu erinnern – Tag und Nacht von Thaten verfolgt zu werden, die mir am letzten Tage in lebhafter Gestalt vor Augen treten werden –«

»Vermehren Sie die Zahl der Gespenster nicht! Kommen Sie – fliehen Sie diese Nacht – diese Stunde.«

Gawtrey schwieg, schwankend und unentschlossen, als er plötzlich Schritte unten auf der Treppe hörte. Er stutzte, wie der Eber stutzt, den man in seinem Lager überrascht, und horchte, bleich und athemlos.

»Still! – Der Riegel schützt uns Beide – hierher.« Und der Falschmünzer schlich zu der Thür, die zu der geheimen Treppe führte. Er schloß sie auf und öffnete sie vorsichtig. Ein Mann sprang herein:

»Ergebt Euch! – Ihr seid mein Gefangener!«

»Nimmermehr!« rief Gawtrey, den Eindringenden zurückschleudernd. Dann schlug er die Thür zu, obgleich andere und stärkere Männer mit aller Gewalt andrängten.

»Ho, ho! Wer wird des Tigers Käfig öffnen?«

»Vor beiden Thüren hörte man jetzt laute Stimmen reden: »Oeffnet in des Königs Namen, oder erwartet keine Gnade!«

»Still,« sagte Gawtrey. »Noch ein Ausweg – das Fenster – das Tau!«

Morton öffnete das Fenster – Gawtrey wickelte das Tau ab. Der Morgen dämmerte schon; es war hell auf den Straßen; doch draußen schien Alles still zu sein. Die Thüren erbebten unter dem Druck der Verfolger. Gawtrey warf das Tau über die Straße zu der Brustwehr des gegenüberstehenden Hauses; nach zwei oder drei vergeblichen Bemühungen faßte der Haken und der gefährliche Weg war gebahnt.

»Schnell, schnell – zaudern Sie nicht!« flüsterte Gawtrey; »Sie sind gewandt – es scheint gefährlicher, als es ist – klettern Sie mit beiden Händen und schließen die Augen. Wenn Sie auf der andern Seite sind – Sie sehen das Fenster von Birnie's Zimmer – so treten Sie ein – steigen die Treppe hinunter – gehen hinaus, und Sie sind gerettet.«

»Gehen Sie voran,« sagte Morton in demselben Tone; »ich will Sie jetzt nicht verlassen. Sie werden längere Zeit gebrauchen, um hinüber zu kommen, als ich. Ich will Wache halten, bis Sie hinüber sind.«

»Horch! Horch! – Sind Sie toll? Sie Wache halten! Was ist Ihre Kraft gegen die meine? Zwanzig Männer sollen die Thür nicht bewegen, wenn ich mich daran lehne. Schnell, oder Sie richten uns Beide zu Grunde! Sie müssen mir auch das Tau halten, es möchte allein nicht stark genug sein für meine Last. – Warten Sie noch einen Augenblick. Wenn Sie entkommen und ich falle – Fanny – mein Vater, er wird für sie sorgen – Sie erinnern sich! Verzeihen Sie mir Alles! Gehen Sie, so ist's recht.«

Mit Festigkeit warf sich Morton auf jene gefährliche Brücke; sie schwankte und krachte unter seiner Last. Indem er seine Hände rasch weiter bewegte – den Athem anhielt – die Zähne zusammenbiß – die Augen schloß – kam er hinüber – erreichte die Brustwehr und stand sicher auf der andern Seite. Jetzt strengte er seine Augen an und sah durch das offene Fenster in das Zimmer, welches er eben verlassen hatte. Gawtrey stand noch an der Thür, die zu der Haupttreppe führte, denn dieß war die schwächere und wurde von den meisten Männern belagert. Jetzt hörte man den Knall eines Feuergewehrs; sie hatten durch die Thür geschossen. Gawtrey schien verwundet zu sein, denn er schwankte vorwärts und stieß einen heftigen Schrei aus; im nächsten Augenblick erreichte er das Fenster – ergriff das Tau und hing über der furchtbaren Tiefe. Morton kniete an der Fensterschwelle nieder, hielt mit krampfhaftem Griffe den Haken an seinem Orte fest und richtete seine von Furcht und Erwartung gerötheten Augen auf die ungeheure Last, die an der dünnen Schnur hing.

»Da ist er! Da ist er!« rief eine Stimme von der entgegengesetzten Seite. Morton erhob seinen Blick; das Fenster war von den Gestalten seiner Verfolger verdunkelt – sie waren in das Zimmer eingebrochen. – Ein Offizier sprang auf die Fensterschwelle, und Gawtrey, der jetzt seine Gefahr bemerkte, öffnete seine Augen, während er sich fortbewegte, und starrte den Feind an. Der Polizeimann erhob vorsichtig seine Pistole – Gawtrey hielt inne – aus einer Wunde in seiner Seite träufelte das Blut auf die Steine nieder – sein Haar sträubte sich empor – seine Wange war bleich – seine Lippen waren krampfhaft von seinen Zähnen zurückgezogen – seine Augen blickten unter den finsteren Brauen hervor, und in der Todesqual und Drohung zeigte sich noch die unbeugsame Kraft und Wildheit des Mannes. Sein finsterer Blick erschreckte den Polizeimann, dessen Hand zitterte, als er feuerte, und die Kugel traf die Brustwehr einen Zoll unterhalb der Stelle, wo Morton kniete. Ein unbestimmter, wilder, gurgelnder Ton – halb Lachen – halb Freudengeschrei – entfuhr Gawtrey's Lippen. Er schwang sich näher und näher – und war nur noch eine Elle von der Fensterschwelle entfernt.

»Sie sind gerettet!« rief Morton, doch in dem Augenblicke wurde aus dem Fenster drüben eine ganze Ladung abgefeuert – der Dampf rollte über die beiden Flüchtlinge dahin – ein Stöhnen oder vielmehr ein Geheul der Wuth, Verzweiflung und Todesangst erschreckte selbst die am meisten verhärteten Herzen. Morton sprang auf und blickte hinunter. Auf den rauhen Steinen, tief unten, lag eine dunkle, formlose, unbewegliche Masse – der starke Mann der Leidenschaft und des Leichtsinnes – der Riese, der mit Leben und Seele gespielt, wie ein Kind mit den Siebensachen, die es schätzt und zerbricht – war, was der Kaiser und der Aussätzige auf gleiche Weise sind, wenn Gottes Hauch den Staub verlassen hat – was Ruhm, Genie, Macht und Schönheit immerdar sein würden, wenn es keinen Gott gäbe!

»Da ist noch Einer!« rief die Stimme eines von den Verfolgern. »Feuer!«

»Armer Gawtrey!« murmelte Philipp, »ich will deinen letzten Wunsch erfüllen.« Und ohne auf die Kugel zu achten, die dicht an ihm vorüber pfiff, verschwand er hinter der Brustwehr.


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